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a) Dolmen, Ganggräber und Hünengräber

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Ganggräber bestehen aus einer mit Großsteinen errichteten und mit solchen gedeckten Grabkammer, die Nebenkammern aufweisen kann, und einem von außerhalb des Hügels meist relativ eben in diese Grabkammer führenden steinernen Gang, dessen Länge je nach Größe des über diesem eigentlichen Grab aufgeschütteten Schotter- und Erdhügels von wenigen Metern Länge bis zu 25 m variiert. Der äußere Fuß des Grabhügels ist vor allem bei den westeuropäischen Gräbern durch hoch gestellte Großsteine abgegrenzt und um den Eingang oft auch zu einer Fassade ausgearbeitet.

Dolmen (die Bezeichnung stammt aus bretonisch tad, „Tisch“, und maen, „Stein“) dagegen sind megalithische Grabkammern, üblicherweise ohne Gang, aber jedenfalls ohne bedeckenden Hügel, sodass die meist nur wenigen das Grab konstituierenden Monolithen mit ihrem bedeckenden „Dachstein“ in der Landschaft tatsächlich wie Riesentische wirken.

Die dritte verbreitete Form der Großsteingräber sind die Langhügel (in Norddeutschland oft auch als Hünengräber bezeichnet), welche im Gegensatz zu den erwähnten beiden Formen in die existierende Erdoberfläche eingetieft sind und eine lang gestreckte Grabkammer, aber oft keinen Gang als permanenten Zugang umfassen; auch sie sind mit langen, aber üblicherweise sehr flachen Erdhügeln bedeckt.

Jede dieser Formen hat in Größe, Material und Grundplan eine enorme Vielfalt an Realisationen erfahren, aber einige Elemente sind dabei doch erstaunlich konstant.

Zum Ersten ist es der schiere Umfang der Bauwerke, der eine recht straffe soziale Struktur zur Voraussetzung hat. Beim Bau der meisten Ganggräber benötigte man zum Transport und zur Aufrichtung der Megalithen sowie zur Aufschüttung des Hügels darüber zehntausende bis hunderttausende Arbeitsstunden, und so eine Arbeitsleistung ist, auch über eine wohl jahrelange Bauzeit hinweg nur durch straffe Organisation, Bevorratung von Lebensmitteln und einen dezidierten Bauplan möglich. Die zu diesem Zeitpunkt schon agrarische Bevölkerung besaß also im Neolithikum offenbar Machtstrukturen, durch die eine solche Organisation über längere Zeiträume hinweg geplant und auch durchgesetzt werden konnte, also nicht nur eine primitive Stammes- oder Großfamilienorganisation, sondern regionale Häuptlinge oder Fürsten, die in einem delikaten Gleichgewicht mit ihren Nachbarn – und wohl auch in Zusammenarbeit mit ihnen – Bauwerke errichten wollten und konnten, die mehrere Tausend Jahre überstanden. Dazu tritt die Notwendigkeit einer ausreichenden Zahl von Arbeitskräften für ein solches Unternehmen, was wohl nur in wenigstens regionalen, aber jedenfalls nicht nur lokalen Machträumen denkbar ist; ein französisches Experiment hat gezeigt, dass für den Transport eines 32 Tonnen schweren Steins 200 bis 400 Arbeitskräfte notwendig sind, was eine regionale Gesamtbevölkerung von 1000 bis 2000 als Minimum zur Konstruktion eines größeren Dolmens oder Ganggrabs voraussetzt.2

Zum Zweiten ist es die Kenntnis von Materialien und Techniken, die solche Bauwerke von der technischen Seite her ermöglichten. Die Steinbrucharbeit und die Bearbeitung von Steinen ausschließlich mit Steinwerkzeugen erscheint uns heute als fast übermenschliche Leistung, aber im Neolithikum war die Technik bereits so weit ausgereift, dass bei entsprechendem Arbeitseinsatz die Bearbeitung der Großsteine selbst kein Problem mehr darstellte. Anders sieht es dagegen etwa bei der Konstruktion der Großsteingräber aus: Die Anlage und interne Konstruktion ist bei manchen Gräbern derartig komplex, dass wohl nur komplizierte Berechnungen und lange Erfahrung den Bau möglich machten.

Ein dritter Aspekt ist der Zugang zu den notwendigen natürlichen Ressourcen, der aber eine nur relativ kleine Rolle gespielt haben dürfte, da man bei der Konstruktion der Ganggräber sich den lokalen Umständen anzupassen wusste. Wo Monolithen fehlen, arbeitet man eher mit Trockensteinmauern, wo der zur Einhügelung notwendige Schotter und Humus fehlte, waren Dolmen wohl auch ohne Hügel möglich, indem man die Lücken zwischen den Orthostaten – den senkrechten Steinblöcken – mit Trockensteinmauerwerk füllte.

Ein vierter, bislang etwas vernachlässigter Aspekt ist die Notwendigkeit einer ausreichenden Motivation von Bauten, die die technischen und ökonomischen Möglichkeiten einer neolithischen Gesellschaft bis zur Grenze des Überlebens belastet haben mag. Die unmittelbare Motivation lag zweifellos in den genannten Machtstrukturen, aber die mittelbare muss darüber hinaus in Glaubensvorstellungen gesucht werden, welche die Errichtung solch aufwendiger Bauten als unbedingt notwendig für das Weiterleben der Toten in der jenseitigen Welt oder aber für die Beziehung zwischen den Lebenden und den Toten ansah. Dass man diese Bauten zweifellos als Wohnorte der Toten ansah und nicht nur als Grüfte oder Beinhäuser, erhellt sich aus dem teils enormen Aufwand, der, wie in Newgrange (Irland), getrieben wurde, um die Grabkammern völlig trocken zu halten.

Dass die Toten für die Lebenden in religiöser Hinsicht von Bedeutung waren, geht aus den zahlreichen Funden von Überresten geopferter Tongefäße hervor, welche wohl Gaben an die Toten enthielten und die nicht mit Keramikgefäßen als Grabbeigaben verwechselt werden dürfen, sondern sich sowohl in den Grabkammern als auch im Gang sowie, in größter Zahl, vor den Ganggräbern finden. Eine noch immer offene Frage ist jedoch, wer eigentlich in den großen Ganggräbern beigesetzt wurde. Die Zahl der Skelette in den – allerdings oft durch spätere Grabräuber geplünderten – Gräbern reicht von einigen wenigen bis zu 200, worunter sich Männer, Frauen und Kinder befanden. Allerdings ist diese Zahl zu gering, um die Leichen aller Toten einer Gemeinschaft in einem längeren Zeitraum umfassen zu können; im größten erhaltenen Ganggrab überhaupt, im irischen Newgrange, müssen hunderte und tausende von Menschen an dem 80 m im Durchmesser ausmachenden Hügel gearbeitet haben, aber nur fünf Individuen wurden schließlich darin beigesetzt, zwei als Leichen und drei verbrannte. Waren es also vielleicht nur die Toten einer bestimmten Klasse, die hier beigesetzt werden durften, oder etwa nur die Angehörigen einer bestimmten, von den Göttern abstammenden Familie? Jedenfalls ist sicher, dass die großen Ganggräber wie in der Bretagne oder in Irland nicht nur Begräbnisstätten, sondern auch zentrale Kultstätten waren; das geht einerseits aus ihrer Verbindung mit anderen megalithischen Bauwerken, wie Steinkreisen oder Steinreihen (s. unten) hervor, andererseits aus den schon erwähnten Opfergaben, aber auch aus der baulichen Anlage einzelner Ganggräber, bei denen der Vorplatz vor Fassade und Eingang zu einem regelrechten erhöhten ovalen Festpodium ausgestaltet ist, dessen Form in der Anlage des Grabhügels selbst berücksichtigt ist (sog. „gehörnte Hügel“, da das Oval von zwei vorspringenden „Hörnern“ des Hügels teilweise umgriffen wird).

Eine weitere Konstante in der Anlage von megalithischen Grabhügeln in Westeuropa ist die Tatsache, dass die Ganggräber und Dolmen in der überwiegenden Zahl der Fälle in Küstennähe und möglichst auch mit direktem Blick aufs Meer angelegt wurden. Ein extremes Beispiel dafür ist das kleine Grab (inmitten einer Henge) von Cairnpapple in West Lothian in Schottland, das, obwohl auf einer nur recht unscheinbaren Anhöhe gelegen, die Aussicht sowohl auf den Firth of Forth im Osten als auch den Firth of Clyde im Westen freigibt und somit gerne auf das medio nemeton („mittlere/zentrale Heiligtum“) bezogen wird, welches der Geograph von Ravenna für Südschottland anführt. Selbst der einzig bekannte Dolmen in Sizilien, in der Nähe von Syrakus, liegt zwar versteckt in einer flachen Talsenke, aber mit einem überraschenden Blick auf das Meer. Diese Anlage in Küstennähe hat man in der Vergangenheit mit der maritimen Vertrautheit der neolithischen Bevölkerung erklärt, welche für die Verbreitung der Megalithkultur verantwortlich gewesen sei. Allerdings stießen die ersten neolithischen Ackerbauern in Westeuropa aus dem Donaubecken ins Seinebecken und andere Gebiete Westeuropas vor, und diese frühesten europäischen Bauern waren sicherlich nicht ursprünglich Seefahrer. Wahrscheinlicher ist es noch, dass die Anlage der Megalithbauten die Reaktion der einheimischen Küstenbevölkerung auf die Ankunft der Ackerbauern war3, aber selbst diese Deutung könnte den externen Anstoß überbewerten; vielleicht hat auch nur der Import der Ackerbautechniken, ein gleichzeitiger Bevölkerungsanstieg auf Grund günstiger Bedingungen und die damit verbundene Veränderung sozialer Strukturen der älteren Jäger-Sammler-Gesellschaft4 sowohl die Entwicklung des Ackerbaus als auch überregionaler Mobilität gefördert.

Es ist aber nur schwer vorstellbar, dass die Küstennähe reiner Zufall ist, sodass letztendlich doch mit einem maritimen Interesse der neolithischen Trägerkultur gerechnet werden muss. Bestätigt wird die nautische Kompetenz durch die in den Abfallhügeln der Siedlung von Skara Brae auf den Orkneys gefundenen Reste von Meerestieren, die zeigen, dass man sich u.a. auch von der Hochseefischerei ernährte. Selbst die Verbreitungskarte der europäischen Ganggräber zeigt, wie sehr sich die Megalithkultur auf die Küstengegenden beschränkt, und dies spricht gegen die Annahme5, dass die Entstehungen der Ganggräber an verschiedenen Orten im Neolithikum unabhängig voneinander stattgefunden haben, denn dass dies nur in Küstengebieten passiert sein soll, ist ganz unwahrscheinlich.

Wer aber waren dann die Baumeister der Megalithdenkmäler? Wir wissen, dass sie meist schon Landwirtschaft trieben, in Schottland oder Schweden aber auch Viehzüchter waren. Wir kennen die hoch entwickelten Steinbearbeitungstechniken und die Bergwerke, aus denen sie das Rohmaterial für ihre Feuersteinwerkzeuge bezogen. Wir kennen ihre Keramik – üblicherweise als grooved ware bezeichnet – und ihre wichtigsten Symbole, u.a. die Steinaxt und die Doppelspirale (s. unten). Wir wissen inzwischen schon einiges über ihre normalen Wohnstätten, wenigstens in England, und durch einen besonderen Glücksfall kennen wir auch eine ganz besondere Art der Behausung vom Anfang des 3. Millenniums vor Christus auf den Orkneys, nämlich im Dorf von Skara Brae.

Skara Brae auf der Insel Mainland in den Orkneys wurde nur deshalb entdeckt, weil Mitte des 19. Jh.s. das Meer an einem flachen Hügel nagte, der sich als künstlich erwies und eine wohl erhaltene, aus Schieferplatten erbaute Siedlung enthielt, die fast 5000 Jahre alt ist. Sie besteht aus neun bis zu 6 m × 6 m großen Steinhütten, deren Eingänge in einen zentralen Gang münden und die zum Großteil durch einen künstlichen, aus Speiseabfall, Sand und Asche bestehenden Hügel bedeckt waren. Eine der Hütten lag etwas abseits an einem gepflasterten, ursprünglich wohl oben offenen Hof und dürfte eine zentrale Küche gewesen sein; die anderen Hütten weisen aber auch zentrale Feuerstellen und eine äußerst komfortable Inneneinrichtung aus rechtwinkelig aneinander gefügten Schieferplatten auf (Abb. 3), die getrennte, im Boden eingelassene Vorratstanks für Fische und Krebse, aber auch Betten und Wandregale umfassten. Von jeder Hütte führte unter dem Boden ein Abwasserkanal in einen zentralen Sammelkanal unter dem mit Steinplatten ausgelegten Verbindungsgang, dessen einziger Ausgang aus der Siedlung eng und leicht zu verriegeln war. Die Nahrung der Bewohner bestand nach Ausweis ihrer Küchenabfälle aus Fisch, Meeresfrüchten, Schafen und Rindern, aber auch aus Gerstenprodukten. Auffällig ist dabei das Fehlen des ansonsten für das Neolithikum typischen Wilds – hatten es die Bewohner dieser Luxuswohnungen etwa nicht notwendig, auf die Jagd zu gehen? Wildmangel war jedenfalls nicht der Grund, denn nach der Naturkatastrophe, die das Ende der Siedlung verursachte, lebten Menschen eine Zeit lang in den nun von Sand verschütteten Ruinen, und sie nährten sich vornehmlich von der Jagd. Von Bedeutung ist aber neben der Qualität der Behausungen die Mobilität der Bewohner: Nicht nur befuhren sie das offene Meer zum Fischen, sondern sie hatten offenbar auch weiter reichende Kontakte, denn die von ihnen verwendete Keramik gleicht der zur selben Zeit im südenglischen Wiltshire und in Clacton in Essex verwendeten und weist auch deutliche Parallelen zu der in Portugal auf.6

Eine Erklärung dieser und ähnlicher Funde ist die einer extrem hoch entwickelten neolithischen Bevölkerung, die in verschiedenen Gegenden, je nach geologischen, topographischen und klimatischen Gegebenheiten unterschiedliche Techniken für Wohnbauten ebenso wie für ihre Grabdenkmäler und Kultbauten entwickelte. Auch die mit Skara Brae durch eine prähistorische Straße7 verbundenen Steinkreise von Brodgar8 und Stenness und das unweit davon gelegene Ganggrab von Maeshowe gehören nämlich zu den Meisterleistungen megalithischer Technik, sind aber zweifellos durch die Schiefervorkommen auf den unbewaldeten Orkneys mitbedingt. In anderen Gegenden – wie im bewaldeten Südengland oder der Bretagne – konnte man andere Techniken verwenden, aber die Errichtung solch monumentaler Denkmäler wie Stonehenge in Wiltshire oder den kaum weniger beeindruckenden 20 m langen Langdolmen La Roche-aux-Fées bei Essé in der Bretagne zeigen, dass die materielle Kultur trotz weniger imposanter (und jedenfalls weniger dauerhaften) Holzbauten hier nicht niedriger war als auf den Orkneys. Selbst Dänemark, wo die Ganggräber und Dolmen üblicherweise etwas kleiner und simpler ausfielen als am Atlantik, hat immerhin 20.000 bis 25.000 solcher Megalithgrabstätten hervorgebracht. Die Anlage der Ganggräber in Küstennähe wäre damit ein Hinweis auf die maritime Mobilität dieser sich somit gegenseitig beeinflussenden Gruppen, könnte aber auch – und das schon weithin, vom Meer aus sichtbar – ein physisches Zeichen territorialer Machtbereiche sein.9 Die Gräber wären damit Markierungen von deutlich abgegrenzten, aber in ihren Kontakten keineswegs regional beschränkten religiös-politischen Territorien.10

Man hat aber noch eine andere Erklärung für den enorm hohen Standard der Häuser von Skara Brae und ihrer auffälligen Ernährungsgewohnheiten sehen wollen. Diese Bauten seien nicht die Behausungen der eigentlichen Bevölkerung, sondern die exklusiven Wohnungen einer Art von hochmobiler, technisch weit fortgeschrittener und astronomisch gut gebildeter Priesterkaste, die – irgendwo aus dem Süden kommend – die neue megalithische Religion in ganz Westeuropa verbreitet hätte und sich selbst damit als dünne Oberschicht über der einheimischen Bevölkerung etabliert hätte. Diese Priester seien für die weitgehenden Übereinstimmungen der Megalithbauten vom Nahen Osten bis Südskandinavien verantwortlich, die damit nicht den technischen Stand der neolithischen Ackerbauern darstellten, sondern einer importierten religiösen Revolution, welche, von Mesopotamien ausgehend, den Brauch der Kollektivbestattung erst über das Mittelmeer und dann über ganz Westeuropa verbreitet hätten.11 Die in den verschiedenen Gegenden weitgehend übereinstimmende ikonographische Symbolsprache der Megalithkultur, die auf den Orkneys in Skara Brae und Brodgar geradezu die Form einer Protoschrift annimmt,12 sei ebenfalls auf die Kenntnisse dieser Klasse von eingewanderten Priestern zurückzuführen. Selbst wenn diese Hypothese viel zu weit gehen mag, was ihre Träger und Verbreiter angeht, so kann man doch sicherlich von einer religiösen Revolution im Neolithikum sprechen. Die Grabsitte der älteren und mittleren Steinzeit bis zur mittleren Jungsteinzeit ist das Einzelgrab, und erst mit der Megalithkultur kommt in Europa erstmals die Kollektivbestattung auf. Dies trifft nicht nur auf die Megalithkultur im engeren Sinn zu, sondern auch auf andere jungsteinzeitliche Kulturen, etwa des Mittelmeerraums, wo man nun in den gewachsenen Fels gehauene Nekropolen, ganze Totenstädte, anlegte, wie etwa in den Catacombe Larderia (bei Modica) auf Sizilien und in Tarxien oder Saflieni auf Malta, wo man die Skelette von 7000 Individuen in einem einzigen Komplex aus in den Fels gehauenen Gräbern und Ossuarien (Beinhäusern) fand.13 Diese Art der Bestattung der Toten bedingte, dass die fortschreitende Aushöhlung des Felsens ständig neben schon bestatteten Toten stattfand, ebenso wie bei der Weiterbelegung der westeuropäischen Ganggräber jede Neubestattung das Betreten des Grabes mit den Skeletten – oder auch noch nicht skelletierten Toten – bedingt. Die Konsequenz aus dieser Grabform ist einerseits, dass die Lebenden – oder manche von ihnen – eine nur geringe Scheu vor den (halbverwesten oder skelettierten) Toten im Grab hatten, andererseits, dass die Lebenden und die Toten eine Gemeinschaft bildeten, die vor regelmäßigen Berührungen der beiden Welten nicht zurückschreckte, sondern sie offenbar sogar institutionalisierte. Von den Nekropolen Maltas wissen wir, dass sie im Zusammenhang mit megalithischen Tempeln standen – den ältesten Europas –, in denen wenigstens u.a. eine weibliche Gottheit verehrte wurde, von deren Statuen man noch Reste vorfand. Welche Gottheiten man dagegen an den Atlantikküsten verehrte, wissen wir nicht, aber dass der Kult in engem Zusammenhang mit den Toten stand, können wir aus der Einheit von Kollektivgrab und Kultplätzen ablesen.


Abb. 3: Innenansicht eines Hauses und Plan von Skara Brae, Mainland, Orkney (Plan nach McKie, 33).

Irritierend ist bei der Interpretation die Inkonsequenz der mit den Megalithgräbern verbundenen Grabbräuche: Manche enthielten hunderte von über einen längeren Zeitraum bestatteten Leichen, andere enthielten nur wenige, gleichzeitig beigesetzte Leichname. Es ist wohl auch nicht überraschend, dass in den zwei oder eher drei Jahrtausenden, in denen Großsteingräber angelegt wurden, verschiedenste Veränderungen in der rituellen Praxis auftraten, während die Grundelemente der megalithzeitlichen Religion, nämlich Großsteingrab, Großsteinsetzungen, Kollektivbestattung und Verbindung von Grabbrauch und öffentlichem Kult, erhalten blieben. Jedenfalls ist zu erwarten, dass eine Religion, die über 2000 Jahre und in fast allen Küstengebieten Europas dominant war, erhebliche regional und zeitlich, vielleicht sogar ethnisch bedingte Unterschiede aufweist, sodass uns also Differenzen weniger überraschen sollten als offenbare Übereinstimmungen.

Newgrange, das bedeutendste der etwa 150 erhaltenen Ganggräber in Irland, ist aber auch für die Religionswissenschaft ein äußert interessantes Bauwerk, nicht nur wegen seiner Dimensionen (Abb. 4). Umgeben wird der Hügel von etwa 80 m Durchmesser nicht nur von einer Fassade aus Steinplatten und Trockensteinmauerwerk, sondern weiters noch von einem großen Steinkreis von über 100 m Durchmesser und ursprünglich bis zu 38 Steinen.14 Die Steine in Gang, Grabkammer und Dach sind vielfach durch eingemeißelte Muster dekoriert, wobei Doppelspirale, Zickzackmuster und konzentrische Kreise zu den häufigsten Motiven gehören; dabei wurden auch Steine dekoriert, die in der Konstruktion jedem Betrachter verborgen bleiben mussten.15 Die auffälligste Besonderheit in Newgrange ist aber die erst 1963 entdeckte Kammer über dem Querträger des Eingangs, die 90 cm hoch, 1 m breit und reich verziert war und durch einen massiven Block aus Bergkristall verschlossen war, durch den aber die Strahlen der Sonne bei Sonnenaufgang zu Mittwinter trotz des gewundenen Ganges und wegen dessen Steigung genau in die Grabkammer fielen. Dieses Datum muss also bei der Konstruktion eine zentrale Rolle gespielt haben, und die Bedeutung der Sonne im megalithischen Kult geht auch aus den Ausrichtungen etlicher Steinkreise, Ganggräber und den überaus häufigen konzentrischen Kreisen, Sonnenscheiben mit Strahlen und wohl auch der Doppelspirale hervor.


Abb. 4: Plan des Ganggrabs von Newgrange, Irland (nach: Sean P. ÓRíordán and Glyn Daniel: Newgrange, publ. by Thames and Hudson Ltd., London 1964).

Die Interpretation der vielen Details von Newgrange ist trotzdem nicht einfach, denn wir wissen nicht, wie der Sonnenkult mit der Totenverehrung in Verbindung stand. Sollte die Mittwintersonne die Toten stärken, die wiederum für die Welt der Lebenden Verantwortung trugen? Dann stellt sich allerdings die Frage, warum die Sonne gerade an ihrem schwächsten Punkt im Jahreskreis in die Grabkammer scheint. Oder waren es die Sonnenstrahlen, die an den kürzesten Tagen des Jahres die Geister der Toten erleuchten und damit unschädlich machen sollten? Nichts weist aber darauf hin, dass man sich im Neolithikum die Toten schon als potentiell schadenstiftend vorstellte, im Gegenteil: Wir können ziemlich sicher davon ausgehen, dass die Toten ein wichtiger, das Leben und die Fruchtbarkeit der diesseitigen Welt garantierender Teil des gesamten Lebens waren. Vielleicht sollte also das Sonnenlicht am kürzesten Tag des Jahres die Toten erwecken und sie an ihre „Pflicht“, nämlich das Hervorbringen des Wachstums der Erde, erinnern, gleichzeitig mit der nun wiederum erstarkenden Sonne, die das Ihrige dazutut.

Dabei darf aber keineswegs vergessen werden, dass es eben nicht alle Toten waren, die in diesen Gräbern beigesetzt wurden, und dass die Ganggräber neben ihrer Rolle im öffentlichen Kult auch noch eine stark politische Komponente aufweisen, wie ihre topographische Prominenz, ihre Verteilung in der Kulturlandschaft und schließlich das besonders in der Bretagne hervortretende Axtsymbol als Zeichen der Macht verrät. Dazu kommt die überregionale Komponente, die auf eine weit verzweigte maritime Kultur mit kulturellem wie ökonomischem Austausch deutet: Die enge Verwandtschaft der orkadischen, englischen und iberischen Keramik sind dafür nur ein Beispiel, die sowohl in Portugal wie in Irland als auch teilweise in Frankreich und selbst in Südschweden zu findende Tendenz der Ganggräber zu Kreisform, Küstenlage, erhöhter Position und Gruppenbildung ein weiteres.16

Hingegen ist in Dänemark und der Norddeutschen Tiefebene die Küstennähe kein auffälliges Kriterium, die erhöhte Lage mangels topographischer Möglichkeiten ohnehin nicht, obwohl in Dänemark eine Tendenz dazu bestand, Dolmen auf künstlichen Hügeln zu errichten.17 Es ist also nicht auszuschließen, dass hier, im äußersten Nordosten des Megalithgebietes, eine Sonderentwicklung vonstatten gegangen ist, die möglicherweise auch eine politische Komponente hatte, da hier die Ganggräber in der Regel kleiner, gleichmäßiger verteilt und auch intensiver belegt waren als im Westen (mit bis zu 156 Skeletten; die Grabkammer des schwedischen Ganggrabs von Gökhem mit nur 2,8 m × 1,2 m enthielt wenigstens 20 Individuen)18. Der Grund dafür könnte sein, dass man hier eine andere Form des Kultplatzes entwickelt hat, nämlich eines nur kurzzeitig verwendeten Kulthauses aus Pfosten und sehr leichten Flechtwänden. Die Überreste einer ganzen Reihe sind in Dänemark zu Tage gekommen (Tustrup: Abb. 5, Ferslev, Herrup, Engedal, Foulnum, Sejerø), wenigstens teilweise in unmittelbarer Umgebung von Ganggräbern, und offenbar hat man diese Häuser, nachdem man in ihnen Opfergaben in Keramikgefäßen deponiert hat, bewusst wieder abgebrannt. Möglicherweise sind südskandinavische Sonderentwicklungen durch die sukzessive Einwanderung der Streitaxtleute, Glockenbecherkultur und Bootaxtleute zu erklären, obwohl traditonellerweise eine gegenseitige Beeinflussung dieser Gruppen eher abgelehnt wurde.


Abb. 5: Zeichnerische Rekonstruktion des Kulthauses von Tustrup, Nordjütland, Dänemark (nach Tilley, 228).

Religion und Mythologie der Germanen

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