Читать книгу Stark wie die Mark - Rudolf Stratz - Страница 4
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ОглавлениеDer, den wir in diesem Buch ein gutes Stück seines Lebens durch Kampf und Fehle, durch Schuld und Reue und Irrtum und Erkenntnis begleiten wollen, der war an diesem Potsdamer Frühlingstag eigentlich noch ein grüner Junge. Erst nahe an neunzehn. Ein Portepeefähnrich, wie die hundert anderen Kriegsschüler um ihn. Silberglanz der Berliner Gardeinfanterie an Kragen und Aufschlägen. Die Reihen neben ihm entlang auf Pickelhauben und Pelzmützen und Stahlhelmen, auf Czakos und Czapkas, über den jungen Gesichtern die Wappen aller Fürsten zwischen Maas und Memel: der fliegende Adler und der steigende Löwe, der Greif und die Sonne, das Hirschhorn und das springende Ross. Mit Ausnahme der Bayern die ganze deutsche Armee.
Noch nicht anderthalb Jahrzehnte nach dem grossen Krieg von 1870 ... in der ersten Hälfte der achtziger Jahre ... Und der erste Mai ... Ein tiefblauer Himmel über dem alten Potsdam und seinem Stadtschloss, vor dessen Front die Fähnriche aufmarschiert standen. Frühlingsgrün drüben über den weissen Marmorgruppen des Lustgartens ... davor die sandige Exerzierfläche ... Auf die brannte die Sonne ... Fern klimperte vom Turm der Garnisonkirche, hoch über den Grabstätten Friedrichs des Grossen und seines Vaters, des Soldatenkönigs, das Glockenspiel sein uraltes „Üb immer Treu und Redlichkeit ...“ Dann Stille. Erwartungsvolles Schweigen.
Der Fähnrich Achim von Bornim sah aus, wie ein Fähnrich aussehen soll. Lang, mager, stramm, den ersten Flaum auf den Lippen, mit einem verwegen-dienstlichen Gesichtsausdruck. Seine spöttischen und klugen grauen Augen musterten lebhaft den Paradeplatz. Mochten die Kameraden dösen, im Stehen, die Köpfe hängen lassen wie die Schwadronsgäule, oder gar fortwährend gähnen, wie diese Oberschlafmütze, der Kürassierfähnrich Lauckardt, zwei Mann von ihm ... Er war ein anderer Kerl ... Und überhaupt ... Von Kindesbeinen an hier zu Hause, in Potsdam, seinen Kasernen und Kasinos.
Drüben, am Rand des Lustgartens, harrte das erste Garderegiment zu Fuss seines Kriegsherrn. Kaiser Wilhelm der Siegreiche wollte heute das erste Bataillon besichtigen, das sein Enkel, der Major Prinz Wilhelm, befehligte. Achim von Bornim blinzelte sachkundig zu dem Regiment hinüber. Tadellose Kerle! Wie ’ne lange Mauer! Eine Mauer aus drei bunten Längsstreifen, dem Gelb der spitzen Blechhelme, dem Blau der Röcke, dem Weiss der Hosen. Das war wie ineinandergebacken. Das rührte sich so wenig, wie wenn man daheim auf Sommerwerk die grosse Dampfdreschmaschine abgestellt hatte.
Nur etwas flackerte leise im Maiwind. Zerschossene und vergilbte Seidenfetzen an den drei Fahnenstangen. An den Stangen blinkte etwas. Silberne Ringe. Die trugen die Namen derer, die bei Königgrätz und Gravelotte mit der Fahne in der Hand gefallen.
Und allerhand Gedanken im Kopf des Fähnrichs von Bornim: die Fahne hatte mein Vetter Stobberow damals gerade zu fassen gekriegt, da blieb er schon tot. Und sein Bruder. Und die Vettern Hellmich und Henning Bornim, die armen Kerle, und ... na ja ... im Krieg ... Es sollte mal wieder Krieg geben. Besser als Kriegsschule ... Herrgott ja ... Die Franzosen! Bismarck musste doch vernünftig sein und mal wieder anfangen ... Und Moltke! ... Na, Moltke war doch natürlich gleich dabei ...
Der Offizier du jour der Kriegsschule, der Premierleutnant der Jäger von Herrenknecht, hinkte vorbei. Er hatte noch zwei Chassepotkugeln im Bein und auf der Brust das Eiserne Kreuz. Das Eiserne Kreuz war überall. Auch Feldwebel trugen es drüben in der Front. Nur bei den Leutnants war es schon sehr rar geworden.
Sobald es wieder losging, holte man es sich auch! ... Hoffentlich bald! ... 1870 platzte die Bombe ja auch so aus heiler Haut, mitten in den Hundstagen! Achim von Bornim träumte sich das vor, wie es gegen den Feind ging. Hinten lagen die abgelegten Tornister und war der Boden weiss von weggeschmissenen Spielkarten ... vorn, weit drüben die Rothosen ... Hui — das pfiff ... krach: die erste Granate ... da stürzten schon Mannschaften — da fielen die ersten Herren ... kalt Blut ... ruhig zielen ... vorwärts auf die verfluchte Bande! ... Er sah das vor sich. Er hatte es hundertmal im Kasino gehört. Immer noch sprachen ja die Mitkämpfer von den drei Kriegen. Noch lebte die grosse Zeit.
Verdammter Friede! Dummes Zeug, was die andern Junker halblaut um ihn schwatzten. Der brünette Husarenfähnrich von Solkowski, der Sohn des einflussreichen Hofpolen, musste sich natürlich dicke tun und aus hohen Kreisen erzählen. Die Kaiserin Augusta war immer noch krank. Es werde für sie in den Kirchen gebetet. Und auch die Fürstin Bismarck sei leidend. Bei der grossen Soiree zu fünfhundert Gedecken, die der Reichskanzler am Sonnabend in seinem Palais in der Wilhelmstrasse gebe, werde die Gräfin Rantzau die Honneurs machen ...
„Ach ... Du Polack!“ dachte sich Achim von Bornim. Immerhin: Leute von Rang und Namen, in der Gnadensonne des Thrones, imponierten ihm doch, auch wenn es Sarmaten waren. Hinter ihm stritten der Fähnrich von Rakenitz, ein Sachse, und der Württemberger Freiherr Thürmer von Neudeck über das neue, versuchsweise bei ein paar Bataillonen eingeführte Repetiergewehr! Eine tolle Knarre! ... Schoss immer nach rechts ... Klemmte sich im Löffel fest ... „Also mir isch’s recht!“ sprach der biedere Schwabe gottergeben. „Ich wollt’ lieber, ich wär’ schon zu End’ mit der saudummen Kriegsschul’!“
Zugleich gähnte im ersten Glied der Kürassierfähnrich Lauckardt ungeduldig: „Herrgott, Kinders ... nun könnt’ es aber mal losgehen!“
Er war ein grosser, hellblonder, rosiger Bursche, in weissem Koller, nicht so windhundmager wie die andern, sondern eher zu breitschultriger Fülle neigend, mit einem weichlichen, verwöhnten Lächeln. Achim von Bornim wandte sofort kampflustig seinen hageren gebräunten Kopf zu ihm herum. Mochte in Gottes Namen ein Kerl von Kreuzzugadel wie der Thürmer von Neudeck auf die Kriegsschule schimpfen. Aber diesem Lauckardt liess er nichts durch. Den musste man immer ducken, mit seiner Selbstgefälligkeit. Er sprach so scharf, als wäre er ein Vorgesetzter: „Sagen Sie mal, Lauckardt ... Sie sind wohl verrückt?“
„Wieso?“
„Sie geniessen hier das ganz unmassgebliche Glück, Seine Majestät zu sehen! Der Kronprinz kommt. Prinz Wilhelm. Dort drüben steht das erste Regiment der Christenheit ... Ja — was wollen Sie denn eigentlich noch auf der Welt?“
Die Fähnriche ringsum lachten über seinen hochmütigen Verweis. Achim von Bornim hatte einen gewaltigen Einfluss auf sie. Er gab sich kaum Mühe, es darauf anzulegen. Es kam ganz von selbst. Sie hatten ihn gleich in den ersten Tagen zu einem ihrer Inspektionsältesten gewählt. Sie hieben förmlich, mit halblauten Worten, auf den Kürassier ein.
„Still, Lauckardt!“
„Sie haben’s nötig!“
„Kss! Kss!“ hetzte aus dem dritten Glied der Fähnrich von Chambaut de Chauvet. Jeder wusste: Lauckardt und der von Bornim standen sich wie Katz’ und Hund. Es gab noch einmal einen Krach. Aber Achim von Bornim sagte nur gelassen und anscheinend harmlos: „Von mir aus können Sie nach Hause gehen, Lauckardt, wenn es Ihnen hier zu langstielig wird! Ich wasche meine Hände in Unschuld!“
Dabei machte er eine Bewegung der weiss behandschuhten Finger, als hielte er zwischen ihnen ein Stück Seife, und dem Kürassier stieg in hilflosem Zorn eine Blutwelle bis unter das hellblonde, leicht gelockte Haar. Sein Vater hatte im Westen eine Weltfabrik ätherischer Öle und Essenzen. Das war durch einen unglücklichen Zufall Achim von Bornim zu Ohren gekommen. Und durfte man dessen Schilderungen seitdem glauben, so stand der Geheime Kommerzienrat und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft vormals Theodor Lauckardt irgendwo da unten zwischen Ruhr und Wupper persönlich Tag um Tag am Seifenkessel und rührte eigenhändig die brodelnde Masse.
Der Fähnrich von Bornim schaute, als sei nichts geschehen, an den andern vorbei nach dem rechten Flügel der Paradeaufstellung. Dort wehten Dutzende von Generalsfederbüschen im Wind. Neben ihnen, am rechten Flügel des ersten Bataillons, stand dessen Kommandeur, ein auffallend junger Major mit blondem Schnurrbart, die Schuppenkette unter dem Kinn — Prinz Wilhelm von Preussen, der künftige Kaiser. Weiter nach hinten, in buntem Durcheinander der Uniformen, die fremdländischen Militärattachés und ein auserlesenes, nur spärlich durch die Schutzmannskette bis zu dem Rand des Exerzierplatzes zugelassenes Zivil, Herren und Damen der Gesellschaft aus Potsdam und der Umgegend.
Richtig: dort stand jetzt auch Papa! ... War also doch von Sommerwerk herübergekommen! ... Na ja ... was hiess das für den alten Herrn — um fünf Uhr aus den Federn und fünf Meilen Chaussee, wenn er dafür wieder einmal den Kaiser sehen konnte. Seinen König ... Achim von Bornim unterschied deutlich die hagere, kaum mittelgrosse Gestalt des Vaters drüben, obwohl sie sich in dem schlichten schwarzen Rock, dem ehrwürdigen Zylinderhut unscheinbar in dem Gewimmel der Generalspracht und Gardegala, der Grosskreuze und Haussterne, der Kriegs- und Frühstücksorden verlor. Daneben Achims Schwestern. Alle drei ... die in Ostpreussen natürlich nicht ... Aber die Daniela ... die Berta und die Eva-Marie ... Drei semmelblonde Mariellen, wie er sich in brüderlicher Liebe dachte, viel blonder als er. Weisse Waschkleider, weisse Schirme, rote Backen ... eigentlich ganz stramme Mädels ... konnten so bleiben. An ihrem linken Flügel, neben der Eva-Marie, unter einem knallroten Sonnendach noch ein bräunliches, dunkelhaariges, dunkeläugiges Kleinmädchengesicht ... kaum vierzehn ... Wo hatten sie denn wieder den Balg, die kleine Zültz, aufgegabelt? Dann merkte Achim, wie der Vater ihn erkannte und ihm zunickte, und stand unwillkürlich im Glied stramm und lächelte, und drüben frug einer der mit Eichenlaub und Lorbeern goldüberstickten Potsdamer Riesen den kleinen Herrn im schwarzen Röckchen: „Wohl ein Filius, Exzellenz?“
„Ja, mein Jüngster!“ sagte Herr von Bornim bedächtig. Seine Stimme klang immer etwas heiser. Sie knarrte. Kam knapp und befehlsgewohnt heraus.
„Alles Offiziere?“
„Nee ... den Ältesten hab’ ich im Auswärtigen Amt ... unter Herbert ... Den mittleren in Berlin bei der Gardekavallerie ... mit Gottes Hilfe schon Premier ... aber der drüben ist der fixeste von der Gesellschaft. Der muss mal das Rennen machen ...“
Der alte Herr war so gewohnt, ausserhalb seiner selbst, im Rahmen des Staates, in den Grenzen von Preussen zu denken, dass er den Faden der Familie gleich wieder verlor und auf das Gespräch des Granden zu seiner Linken einging.
„An der Heuernte werden wir Freude erleben, lieber Graf! Kartoffeln ... wollen sehen. Aber Roggen notiert jetzt 145. Gegen 150 für russischen. Wenn einmal die Zeit kommt, wo wir die Spannung nicht beibehalten ...“
„Na ... das lassen Sie mal Bismarcks Sorge sein!“
„Der lebt auch nicht ewig!“ sprach der alte Bornim. Es klang streng. Voll widerwilliger Anerkennung für das menschenübersteigende Mass des Mannes aus der Altmark. Er, Wilke von Bornim auf Sommerwerk, fühlte sich nirgends wohl als zweiter. Er hatte hellblaue flammende Blücheraugen in dem vom Alter gefurchten Gesicht, gesträubtes weisses Haar, kriegerischen weissen Schnurrbart. Sein Kopf war scharf und trocken wie der eines kleinen wilden alten Raubvogels. Er schüttelte ihn missbilligend: „Ja, kann denn der Mann nicht reiten?“
Vor ihm hatte das kleine dunkelhaarige Mädchen mit dem roten Sonnenschirm diesen grüssend zu dem Fähnrich von Bornim hinübergeschwenkt. Durch die rasche Bewegung war der Gaul eines berittenen Gendarmen unruhig geworden. Er stieg ... Der Reiter lag unten am Boden, hielt noch die Zügel, hatte den Fuss im Bügel, war schon wieder oben ... Alles in Ordnung ... Nichts geschehen ... Der alte von Bornim räusperte sich und tadelte die Kleine, deren gebräuntes Gesichtchen mit den grossen dunklen Augen verdutzt und halboffenen Mundes dreinschaute: „Ilse ... Kind ... hab’ die Güte und schmeiss uns nicht mit deinem Parapluie die Parade um! Da kann ja ’ne Kuh scheu werden!“
Er schwankte in letzter Zeit gegenüber der Tochter seines Gutsnachbarn von der Zültz zwischen Du und Sie! Das Kleinzeug wuchs um einen heran, ehe man sich’s versah. Die Ilse war jetzt gerade so im Übergang, mit ihren dreizehn oder vierzehn. In kurzem Röckchen. Dicht vor der Konfirmation. Der richtige Backfisch. Er wandte sich wieder gedämpft an den Grafen.
„Das ist nun wieder so echt der Zültz! Fährt unterwegs mit seinen ungarischen Katzen an mir vorbei, als ob es brennte, schreit: ‚Exzellenz ... tun Sie mir den einzigen Gefallen und heben Sie mir heute das Kind auf! ... Ich kann sie heute nicht brauchen ... Ich hab’ Geschäfte!‘ ... Stoppt mir das Mädel herüber in den Break und heidi!“
„Was hat er denn wieder für Geschäfte?“
„Gott ... Sie wissen ja ...“
Freilich: es war im ganzen Kreis bekannt, dass Kaspar von der Zültz auf Wendisch-Wiesche das Wasser an der Kehle stand. Schon seit Jahr und Tag. Es war ein Wunder, wie er sich immer wieder herauszog. Ein aufregendes Schauspiel für die Landeingesessenen. Der alte Bornim schloss: „Helfen kann man ihm nicht! Der Mann spielt! ... Und neuerdings macht er Geschichten ... Ich habe da von einem Holzhandel gehört ... Nee ... danke ...“
Der General an seiner rechten Seite musste lächeln. Gerade vor ihm hatte die jüngste der drei blonden Schwestern, die Eva-Marie, einen raschen Gruss, mehr ein verstohlenes Kopfnicken mit einem jungen Husarenleutnant ausgetauscht, der in Paradeuniform, aber als Zuschauer, in einiger Entfernung mit einer anderen Familie stand. Dabei war sie plötzlich feuerrot geworden. Er frug: „Wer ist denn der blaue Belling-Husar da drüben, Exzellenz?“
„Bei den Zotzens? ... Ja, wenn ich Namen behielte! ... Er ist schon seit Wochen auf Urlaub in Rhinow!“
Der alte Herr war so harmlos, wie nur Väter sein können. Er hing anderen Gedanken nach.
„Ja ... nun geht Wendisch-Wiesche nächstens auch vor die Hunde!“ sagte er halblaut, damit ihn die kleine Ilse von der Zültz nicht hörte, die ahnungslos dicht vor den Herren stand. „Es ist ein Jammer mit den Gütern ...“
Und dann, in einem seltsamen, jähen Gedankensprung: „Na ... hoffentlich heiraten mir meine Sprösslinge mal wieder ein bisschen Geld ins Haus! Wenigstens die älteren. Um den Achim ist mir nicht bange. Der beisst sich schon sel ...“
Eine jähe Bewegung lief über den ganzen Platz. Ein Strammstehen. Ein Lüften von Hüten. Hundert weiss behandschuhte Hände hoben sich an den Helmrand. Damen sanken knicksend in sich zusammen. Ein hochgewachsener, vollbärtiger Generalfeldmarschall stand da, das Grosskreuz des Eisernen Kreuzes auf der Brust, ein Bild siegender männlicher Schönheit. Er schüttelte dem Kommandeur des ersten Bataillons die Hand. Der Kronprinz des Deutschen Reiches begrüsste seinen Sohn. Dann zog er viele Generale und Grosse des Landes ins Gespräch. Auch den alten Bornim. Die Kriegsschüler drüben beobachteten es aufgeregt. Es war ein Geflüster: der Kronprinz ... der Kronprinz ... Der Fähnrich Kausert, ein respektloser Berliner, erkundigte sich:„Was ist denn das für ein alter Knabe, den er jetzt am Rockknopf fasst?“
„Der alte Knabe ist mein Vater, wenn Sie nichts dagegen haben, Kausert!“ sagte Achim von Bornim kühl und mit unendlichem Hochmut.
Der Linieninfanterist schwieg betreten. Sein Nachbar, der Pionierfähnrich Rossnagel, frug: „Was ist denn Ihr Herr Vater?“
„Oberpräsident z. D. und früherer Staatsminister!“
Dann setzte der junge Bornim noch nachlässig hinzu: „Er konnt’ sich mit Bismarck nicht mehr vertragen. Da ging er. Nun sitzt er auf unsern Gütern ...“
Und weil er sich immer noch über den ‚alten Knaben‘ ärgerte, obwohl der Berliner Kausert für ihn kein Entrüstungsobjekt war: „Zeitung lesen Sie wohl nie — was? Sonst müssten Sie doch was von meinem Vater wissen! Er ist doch Mitglied des Reichstags und des Herrenhauses!“
Die Fähnriche lauschten achtungsvoll. Das war etwas für sie. Der Pionier hatte eine tollkühne unbestimmte Hoffnung, dass Achim von Bornim ihn einmal am Sonntag nach Sommerwerk mitnehmen würde.
„Sind Ihre Güter weit von hier?“
„Ein paar Meilen! Aber dann können Sie ’nen halb en Tag laufen, bis Sie rundherum sind!“
Und weil er schon im Zug war, setzte Achim von Bornim hinzu: „Früher waren es natürlich mehr. Aber in letzter Zeit, seit die Hohenzollern ins Land gekommen sind, haben wir viel hergeben müssen!“
In letzter Zeit! Das war dem Fähnrich Lauckardt, dem grossen rosig-blonden Kürassier, doch zu bunt. Er wandte den Kopf und meinte verweisend, in seiner verwöhnten Art: „Unsinn! Das ist doch mehr als vierhundert Jahre her!“
„Und meine Familie ist achthundert alt! Das heisst: in ununterbrochener Ahnenfolge! Eigentlich stammen wir, der Überlieferung nach, von dem Wendengott Zornebog ab!“
„Nu wird’s Tag!“ sagte der Berliner trocken. Die andern lachten und Achim mit. Aber eigentlich imponierte es den jungen Burschen doch! Und am meisten, obwohl er einen roten Kopf bekam und verächtlich überlegen die Achseln zuckte, dem Fähnrich Lauckardt selbst. Das war eben das Schlimme: Er war gegen diesen Bornim wehrlos. Dessen tollste Aufschneidereien machten hier noch Eindruck. Was man dagegen an Lauckardtscher Wirklichkeit ins Feld führen konnte, der industrielle Name des Vaters, die grossen Fabriken — das stiess auf Verständnislosigkeit. Achim von Bornim lächelte kaltblütig und, um den Kürassier noch weiter zu ärgern, lud er die Fähnriche Kausert und Rossnagel und was an Bürgerlichen in der Nähe war, ein, nächstens mit ihm nach Sommerwerk hinauszukommen. Dort wollte er ihnen alles zeigen. Er war ganz einfach und liebenswürdig mit den Kameraden. So. Nun konnte der gute Lauckardt als einziger Übergangener sehen, dass es nur an ihm selbst, nicht an seinem Namen, lag, wenn ihn ein Bornim schlecht behandelte ... Und das von Rechts wegen!
Jetzt war es nur noch zwei Minuten bis halb zwölf. Ein eigentümliches stilles Fieber, eine letzte, fast lautlose Geschäftigkeit auf dem Paradeplatz: Noch einmal ein Nachsehen der Richtung — die Front stand so haarscharf, als sei dieser lange bunte Strich von Menschen mit dem Lineal in den gelben Sand des Lustgartens gezogen, ein sich Ordnen der Generale am rechten Flügel. Und in dies atemlose Schweigen das Flattern des Federbuschs eines Leibjägers auf dem Bock einer offenen Viktoria, die in raschem Trab von der Langen Brücke heranrollte, gedämpftes Hurrarufen in der Ferne ... Es kam näher und näher ...
„Gewehr ... auf!“
„Achtung: Präsentiert das — Gewehr!“
Im Aufklirren von sechshundert Gewehrschlössern an breite Handflächen neigte sich langsam, grüssend die zerschossene Fahne zur Erde. Die Musik setzte rauschend ein: ‚Heil dir im Siegerkranz!‘ Quer über den Platz ging Kaiser Wilhelm der Siegreiche, dem Wagen entstiegen, bedächtig, gebeugt von der Wucht der Jahre, auf sein Regiment zu. Er begrüsste seinen Sohn, den Feldmarschall, er nahm aus den Händen seines Enkels, des Majors, der mit gesenktem Degen vor ihm stand, den Frontrapport entgegen und schritt die erstarrte Mauer der Grenadiere entlang. Hinter ihm weithin das Gefolge, Dutzende von Generalen, Ordensmassen, wehende Federbüsche, strenge, altersgefurchte Züge — die meisten mit dem Backenbartschnitt ihres Königs und Herrn, die Helden der drei Feldzüge, nun Greise wie er. Es lag wie feierliches Abendrot der versinkenden grossen Zeit über den alten Kriegern.
Achim von Bornim konnte sich gar nicht erinnern, wann er zum erstenmal Kaiser Wilhelm gesehen. Schon als winziger Dreikäsehoch, nach dem Friedensschluss von einundsiebzig, beim Einzug der Truppen in Potsdam. Seitdem immer wieder. Jahr um Jahr. Dutzende von Malen. Der Kaiser war immer da. Und Bismarck und Moltke. So wie Sonne und Mond am Himmel. Man vermochte es sich nicht anders vorzustellen. Aber den Kameraden, den Kriegsschülern aus der Provinz, war der Anblick des Kaisers neu. Die mochten sich wundern, dass das nicht nur der gütige Greis war, der drüben in Berlin, wenn der Paukenwirbel der Wache erscholl, am historischen Eckfenster seines Schlosses sich der jubelnden Menge unter den Linden zeigte, sondern hier, in seinem eigentlichen Element unter seinen Garden, der ernste, dienstlich prüfende, jede Kleinigkeit an Anzug und Richtung musternde preussische General. Nun trat er rückwärts, gegen das Marstallgebäude, um den Vorbeimarsch des Bataillons abzunehmen. Er stand immer noch ziemlich fern von den Fähnrichen der Kriegsschule. Um sie herum war ein Gewimmel von Fürsten und Generalen und Adjutanten und fremdländischen Offizieren. Der Kronprinz selber ging vorbei und liess sich von einem der Junker die gelockerte Schärpe fester schnallen und machte dazu, absichtlich die Berliner Mundart gebrauchend, einen Scherz. Von drüben hallte in durchdringendem preussischen Kommandoton die Stimme seines Sohnes, des Prinzen Wilhelm, der mit gezogenem Degen zu Fuss sein Bataillon dem Kriegsherrn vorexerzierte, es kunstvoll in dem engen Raum zwischen den Bäumen und Sandsteinstatuen tummelte, es schwenken und aufmarschieren liess, Linien und Sektionskolonnen, Zugfronten und Vierecke aus der gehorsam-beweglichen Masse schuf. Die jungen Seelen der Fähnriche waren voll von dem Bild. Beinahe bedrückt und doch gehoben. Nur der Kürassier Lauckardt meinte, als das Gefechtsexerzieren begann: „Also, dass man die Schützenlinie von hinten ausschwärmen lässt und dann die Soutiens zum Eindoublieren von vorn nimmt ... ich würde es gerade umgekehrt machen!“
„Schade ... Wenn Moltke hier wäre, könnten Sie’s ihm gleich sagen!“ riet Achim von Bornim. Aber Moltke war allerdings nicht zur Stelle. Der hatte anderes zu tun. Der sass jetzt drüben in Berlin, im Generalstabsgebäude am Königsplatz. Der Offizier du jour blieb vor der Front der Kriegsschüler stehen und versetzte freundlicher, als es sonst seine Art war: „Da schauen Sie mal hinauf!“
An einem der grossen Fenster der Paradegemächer des Stadtschlosses standen auf der Brüstung, von Lakaien gehalten, zwei kleine Prinzen in weissen Kleidchen mit lichtblauen Schärpen. Dahinter eine Dame in einfachem Schwarz. Die Prinzess Wilhelm und ihre beiden ältesten Söhne, die Urenkel des Kaisers.
„Vier Generationen Hohenzollern!“ sagte unten der Premierleutnant von Herrenknecht zu den Fähnrichen.
Vier Generationen Hohenzollern ... Drüben der Kaiser. Dort oben der dereinstige vierte Träger der neuen Reichskrone. Das war ein Stück Weltgeschichte: die jungen Leute fühlten es und schwiegen. Der Leutnant du jour frug nach einer Weile: „Wissen Sie, was morgen für ein Tag ist? Der 2. Mai?“
Allgemeine Stille.
„Morgen ist der Jahrestag von Grossgörschen, wo Seine Majestät zum erstenmal in den Freiheitskriegen gegen Napoleon im Feuer stand und sich das Eiserne Kreuz erwarb ...“
Nun wussten es die Fähnriche, und es war doch wie ein Märchen: der greise Kriegsherr dort drüben hatte schon gegen den grossen Korsen gefochten und zwei Menschenalter später, als ganze Geschlechter schon ins Grab gesunken, sich dessen kleinen Neffen als Gefangenen aus Frankreich geholt. Der greise Kriegsherr hatte Preussen erlebt von Jena bis Sedan. Er hatte Blücher und hatte Moltke an seiner Seite gesehen. Dreimal war er siegreich in Paris eingezogen. Er war der einzige Mensch auf Erden, der das Eiserne Kreuz der Freiheitskriege und das von 1870 zugleich trug. Die Zeit schien um ihn stillzustehen, der noch Theodor Körners Waffengefährte gewesen, und jetzt eben dort drüben, unbeirrt von allem Wandel der Dinge, ruhig und nüchtern durch das Knallen der Platzpatronen hindurch sagte: „Mir scheint, mir scheint, der Abstand zwischen der vierten und fünften Schützengruppe von rechts ist um zwanzig Zentimeter zu gross!“
Nun kam der Schluss: der Parademarsch. Diesmal des ganzen Regiments. Parademarsch in Kompagniefront. Die Musik schmetterte. Die Vorgesetzten kotoyierten, die Hand am Helm. Vor der Front ihrer Kompagnien marschierten zu Fuss die Capitäne in elegantestem Potsdamer Stechschritt. Dahinter flogen die weissen Beinreihen in einem: Eins, zwei! ... Eins, zwei!, als donnerte eine einzige Maschine, und sprangen im Rücken der Züge in Laufsätzen die vielen, als Leutnants eingetretenen, kleinen, noch minderjährigen Prinzen in ihren hohen Blechmützen, die mit den langen Beinen der Potsdamer Riesen nicht gleichen Schritt zu halten vermochten. Achim von Bornim sah sich den Vorbeimarsch sachkundig und gespannt an. Er war ja auch von der Garde. Und lange, ehe die jetzige preussische Garde bestanden, hatten seine Vorfahren schon auf eben demselben geschichtlichen Boden des Lustgartens die Söldner des Grossen Kurfürsten gedrillt und Friedrich dem Grossen mit gesenktem Sponton, den Ringkragen auf der Brust, ihre Kompagnien vorgeführt. Dann hörte er, wie neben ihm ein Fähnrich tieftraurig sagte: „Ach Gott ... jetzt fährt er weg!“ ... In der Tat: Kaiser Wilhelm hatte schon seine Viktoria bestiegen. Aber nun sah er aus der Ferne die sehnsuchtsvollen Augen der jungen Leute, die ihn die ganze Zeit noch nicht recht zu Gesicht bekommen, und fast zugleich gab er, sich lebhaft an einem Handgriff im Wagen aufrichtend, dem Kutscher einen Wink, zu wenden, und fuhr langsam, im Schritt, die Front der Kriegsschule entlang. Seine Stimme war kräftig, als er freundlich sagte: „Guten Morgen, meine Herren!“
„Guten Morgen, Eure Majestät!“
Dann standen die Fähnriche atemlos still. Sie fühlten die blauen Augen ihres Kriegsherrn auf sich ruhen. Viele waren blass geworden. Alle waren glücklich. Der Kaiser war eigens wegen ihnen umgedreht, hatte zu ihnen gesprochen ... Das war das grösste Erlebnis in ihrer bisherigen, kurzen Soldatenlaufbahn. Es zitterte noch in ihnen nach, während sie nach beendeter Parade den Kanal entlang durch die stillen Strassen Potsdams nach der Kriegsschule zurückmarschierten.
Sie waren schon beinahe daheim, an der Ecke des „Langen Stalls“, des grossen Exerzierhauses des ersten Garderegiments zu Fuss, als ein steckengebliebener Lastwagen die Kolonne zum Haltmachen zwang. In diesem Augenblick trat vom Bürgersteig her ein schlanker, hochgewachsener Herr in den Vierzigern, viel eleganter gekleidet, als sonst gemeiniglich das Zivil in Potsdam ging, lebhaften Schritts an die Fähnriche heran und überflog sie mit seinen nervösen, unsteten Augen. Dann winkte er lässig mit der Hand.
„Ah ...! ’Morgen! ’Morgen! ... Herr von Bornim!“ Und mit einer flüchtigen Verbeugung gegen den Offizier du jour, immer in einem schnellen, hochfahrenden Ton: „... von der Zültz! ... Pardon! ... dürfte ich eine Sekunde den Junker sprechen?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich wieder an Achim von Bornim. Er wippte dabei unruhig mit seinem Spazierstöckchen, das er wie eine Reitpeitsche hielt.
„Ich muss nämlich rasch ’rüber nach Berlin! ... Sehen Sie Ihren Herrn Vater nicht jetzt?“
„Nee ... der fährt gleich nach Sommerwerk zurück!“
„Ach so ... ich wollte Sie sonst bitten ... Er hat doch meine Ilse bei sich ... dass er mir die nach Wendisch-Wiesche hinüberspediert! Ich kann sie beim besten Willen nicht abholen!“
„Das wird Papa gewiss von selber tun!“
„Na ... um so besser!“
Kaspar von der Zültz nickte zerstreut. Er war ein schöner, etwas abenteuerlicher Mann, mit dunklem Haar und dunklem Spitzbart. Immer in Unruhe. Immer in Aufregung. Dabei überstürzten sich seine Worte: „Sagen Sie mal, was war denn das? Eben trabt der Wehlen an mir vorbei und schreit mir zu: ‚Na, Ihre Kleine hat ja um ein Haar Malheur bei der Parade angerichtet!‘ ...“
„Ach, es war nicht so schlimm! Ein Gendarm ...“
„Stillgestanden! ... Bataillon — marsch!“
Das Kommando des Offiziers schnitt das Gespräch ab. Herr von der Zültz sprang zurück, grüsste herablassend: „’Morjen, lieber Junker ... ’Morjen!“ und eilte die Strasse hinunter. Er hielt, was hier in der Militärstadt besonders auffiel, seine aristokratisch hagere Gestalt etwas vornübergebeugt und trug den Hut im Genick. Er ging noch einmal so rasch wie andere Leute. Er hatte schon halbwegs den Bahnhof erreicht, als die Fähnriche endlich in dem Hof der alten Kriegsschule wegtraten und der Kürassier Lauckardt dabei sagte: „Der Gendarm hätte sich das Genick brechen können! ... So ’ne kleine Krabbe wie die mit dem roten Sonnenschirm gehört doch überhaupt nicht auf den Exerzierplatz!“
„Was fällt Ihnen denn ein, von einem jungen Mädchen aus solchen Kreisen per ‚kleine Krabbe‘ zu reden?“
„Sind Sie mit ihr verwandt oder verschwägert, Bornim?“
„Das nicht, aber ...“
„Na schön! Dann lassen Sie mich gefälligst in Ruhe — ja?“
„Kss! Kss!“ machten hinten wieder die Fähnriche. Aber Achim erwiderte nichts. Er fühlte, dass er diesmal zu hitzig gewesen war. Da wurde man lächerlich, wenn man sich zum Ritter eines unmündigen Backfisches aufwarf. So begnügte er sich damit, während sie die Treppen hinaufstiegen, die Melodie des Parademarschs im Laufschritt vor sich hinzupfeifen. Dessen gewöhnlich unterlegter Text lautete: ‚Lampenputzer ist mein Vater!‘, aber Achim von Bornim hatte eine Variante ersonnen: ‚Seifensieder ist mein Vater!‘ und wenn der Fähnrich Lauckardt seitdem die Laufschrittweise hörte, reizte es ihn so, wie der rote Sonnenschirm der kleinen Ilse von der Zültz auf einen Stier gewirkt hätte, und trieb ihm das Blut zu Kopf. Auch jetzt zitterte er vor Zorn am ganzen Körper. Dann wurde er plötzlich bleich. Er fühlte: So ging das nicht weiter.
Eine Hauptnahrung der bitteren Feindschaft zwischen ihm und Achim von Bornim war es, dass sie gemeinsam mit zwei anderen Fähnrichen das gleiche Quartier innehatten: ein Arbeitszimmer und daran anstossend zwei Schlafkammern mit je zwei Betten. So war man Tag und Nacht beisammen. Auch jetzt wieder. Kurz vor dem Mittagsappell. Es war ein Wassergepladder, ein Kämmen und Bürsten, der Musketier Valentin, die Ordonnanz der vier Kriegsschüler, lief mit Hosen über dem Arm und Stiefeln in der Hand auf und ab, und Achim von Bornim rief, während er sich wusch: „Valentin ... bringen Sie mir ein Handtuch! Ich habe die ganzen Hände voll Seife!“
Diesmal sagte er es wirklich harmlos. Er hatte gar nicht an Lauckardt gedacht. Aber im nächsten Augenblick stand der neben ihm. Atemlos vor Wut. Und keuchte: „Tun Sie die Seife weg, oder ...“
„Die Seife ...? ... Ach so ...“
Achim von Bornim hatte durch Zufall noch die Seife in der Hand. Jetzt behielt er sie mit Absicht darin und sagte scharf: „Lauckardt ... Sie finden nie den rechten Ton! ... Vorhin erlaubten Sie sich deplacierte Redensarten über unsere Nachbarfamilie von der Zültz ... Da musste ich Ihnen schon über den Mund fahren ... Jetzt schreien Sie mich gar selber an ...“
„Jawohl! Die Seife weg ... oder es setzt etwas!“
Der andere lachte. Jetzt ging er dem Streit nicht aus dem Weg.
„Dies Stück Seife ist mein unbestrittenes Eigentum. Verehrtester! Kostenpunkt ein Meter zwanzig! Teuer, aber gut! ... Donnerwetter ... Wollen Sie wohl gleich ...“
Der Kürassier hatte ihn am Arm gepackt und entriss ihm die Seife. Sie fiel zur Erde. Zugleich stiess ihn Bornim vor die Brust. Dann traten sie beide zurück. Eine Sekunde war dumpfes Schweigen. Endlich sagte Achim von Bornim kühl zu einem der beiden anderen Kriegsschüler, die im Zimmer waren: „Bitte, Morlock, überbringen Sie Herrn Fähnrich Lauckardt meine Forderung!“
„Nein, bitte, Chambaut: meine an Herrn Fähnrich von Bornim!“
Unten im Hof läutete die Glocke zum Mittagsappell. Die Tischordonnanzen standen schon in Reih’ und Glied aufmarschiert und streckten dem Fähnrich du jour ihre frisch gewaschenen, roten Pfoten entgegen, der sie kritisch auf ihre Sauberkeit hin musterte. Daneben ordnete sich die Kriegsschule selbst. Gleich nach dem Appell stülpten sich die beiden Fähnriche Stahlhelm und Pickelhaube auf und liefen nacheinander zu ihrem Inspektionsoffizier, einem breitschulterigen, pommerschen Infanterieleutnant. Der hörte erst den einen, dann den anderen bedächtig an. Ja ... dat war ja nu wohl slimm! ... Also nach Tisch bekämen sie weiter Bescheid! ...
Heute beteiligte sich Achim von Bornim nicht an den Scherzen, mit denen sich die hundert Fähnriche in dem grossen Speisesaal die Zeit beim Essen vertrieben. Er mischte keinen jener trügerischen Schnäpse aus Essig, Wasser, Senf oder Rotenrübensaft, die man durch eine Ordonnanz einem Kameraden schickte, um sich an den Grimassen des Beschenkten zu erfreuen, er erfand keine neuen fürchterlichen Namen für die Tischgerichte, deren es heute die „Leichensauce“, Hammelragout mit Zwiebeln, gab, er liess sich auch nicht, wie sonst, durch die Namen der Fähnriche an den Wänden, die seit der Gründung der Kriegsschule ihr Offiziersexamen mit Kaisers Belobigung bestanden hatten, zu guten Vorsätzen auf Eifer im Hörsaal anspornen. Er dürstete nur danach, vor den Feind zu kommen. Sein Herz klopfte, als ihn nach der Mahlzeit ein Offizier beiseite rief. Dann kehrte er verklärt zu den gespannt harrenden Kameraden im Hof zurück.
„Morgen nachmittag um drei Uhr in der Turnhalle! Rappier glacé! ... Kinder! Das wird ein Mordszauber!“
„Aber pass nur höllisch auf!“ sagte sein Freund, der junge Graf von Luyn. „Mit so ’nem Kürassier ist nicht zu spassen. Die Brüder sind an schweren Pallasch gewöhnt! Wenn der dir mit seinen Schwadronssauhieben durch die Parade fährt ...“
Der Fähnrich von Bornim lachte sorglos. Er war so glücklich wie ein Kind vor Weihnachten.
„Er soll nur kommen! ... Er soll sich wundern! ... Ich bin auch nicht von Pappe! ... Ach, wenn es doch nur schon morgen wär’! ...“