Читать книгу Stark wie die Mark - Rudolf Stratz - Страница 7

4

Оглавление

Im milden Westen Deutschlands, gegen den Rhein zu, hatte in diesem Februar der Winter schon seine Kraft verloren. Kein Schnee war hier, an der Scheidelinie von Rheinland und Westfalen, zu sehen. Nur ein unergründlicher Schmutz auf dem Platz zwischen dem Bahnhof und dem Städtchen. Der Leutnant Otto Lauckardt von den Königskürassieren stieg vorsichtig auf den Fussspitzen hindurch, um nicht seine Sporen und Lackstiefel zu beflecken. Immer noch lieber zu Fuss, als in einem dieser vorsintflutlichen Flohkasten von Droschken! Ausserdem sah ihn bei dieser Gelegenheit die ganze Stadt, die ihn von Kindesbeinen an kannte. Die Mütze etwas schief, den zierlichen Galanteriedegen durch den Überrock gesteckt, mit langen Beinkleidern und umgehängtem Mantel schritt er dahin, ein grosser, rosiger, blondgelockter Bursche, und lächelte leutselig in seinem Glanz. Ein älterer, freundlicher Major kam um die Ecke ihm entgegen. Der Bezirkskommandeur. Winkte schon von ferne: „Gratulor, Herr Leutnant! Gratulor! Also glücklich so weit?“

„Vorige Woche bin ich Offizier geworden, Herr Major!“

„Na — da werden die Herren Eltern eine Freude haben! Sind wohl auf dem Wege ...?“

„Ja. Ich will sie überraschen!“

Sonderbar: der Leutnant Lauckardt kannte diesen guten, alten Bezirksonkel doch nur von früher her flüchtig. Ausserdem war der doch schon z. D. Halb schon abgehalftert. Und doch so ’ne Art Heimatgefühl bei der Begegnung ... Klasse ... Rosse ... Armee. Von der merkte man sonst nichts in dem Fabriknest! Die Kinder glotzten einen neugierig an, die Frauen warfen stumme Seitenblicke auf einen, im Vorübergehen ... Es war wie in der Fremde. Man kam sich wie verkleidet vor in der nagelneuen Offiziersuniform und war doch daheim, kannte jeden Stein und jedes Haus, hatte in jeder Gasse als Junge gespielt ... Aber es stand etwas Trennendes vor der Erinnerung. Etwas Neues. Leise wippte der Kürassierdegen im Gehen. Silbern klingelten die Sporen ...

Das eigentliche Städtchen hatte hier ein Ende. Die Häuser aber nicht. Die standen jetzt einstöckig und einförmig, eines wie das andere, aber schmuck, mit sauberem Vorgärtchen, in Reih und Glied in breiten, ungepflasterten, sich rechtwinklig schneidenden Strassen. Hundert und mehr. Eine Welt für sich. Und das westfälische Ackerstädtchen drüben eigentlich nicht viel mehr als ein zurückgebliebenes Anhängsel an dem Riesengebilde der Aktiengesellschaft, vormals Theodor Lauckardt und Kompanie, diesen Arbeiterwohnungen, diesen Anschlussgeleisen voll Güterwagen, diesen fünfstöckigen, hundertfenstrigen Fabrikgebäuden, diesem Wald von Schornsteinen. Über denen brüteten schwere Schwaden von Kohlenqualm ... ein dumpfes Brummen und Summen war in der Luft ... gehorsam arbeiteten da drinnen in den Sälen die Maschinen, arbeiteten die Menschen, sassen im Verwaltungsgebäude reihenweise die Kontoristen, hantierten in dem Laboratorium Herren mit Zwickern in weissen Leinwandkitteln ... Papa brauchte nur in seinem Privatbureau morgens auf den Knopf des ungeheuren Instruments zu drücken: Los! ...

Freilich ... Papa hatte sich dies Instrument selbst geschaffen, diese Fabrikanlagen, in zähem Kampf, Zoll um Zoll, Jahr um Jahr aus dem Boden wachsen lassen, bis zu dem letzten, seiner prunkvollen Villa — Schloss durfte es bei Todesstrafe niemand nennen — drüben hinter Park und Mauer. Dort begrüsste er den Sohn, vom Schreibtisch aufstehend, mit einem schallenden: „Herr Jeses, unser Vaterlandsverteidiger“, selbst noch ein Mann im besten Alter, noch nicht fünfzig, mit braunem Haar und braunem langgezwirbelten Schnurrbart und einem Widerspiel im Gesicht zwischen den lustigen Rheinländeraugen und der eisenharten Geschäftsenergie um den Mund.

„Nu lass dich mal ansehen!“ sagte er und rückte den Sprössling an den Schultern zurecht. „Junge ... du bist zu dick! ... Nee ... wahrhaftig ... nimm mir’s nicht übel! ... Ich möchte dein Gaul nicht sein ... Sei nur nicht gleich empfindlich! Ich dacht’, das hätten sie dir glücklich abgewöhnt, beim Kommiss! ... Du kennst mich doch! Bist ja ein stattlicher Kerl! ... Mutter ... Mutter ... komm fix ... der verlorene Sohn ist da ...“

Frau Kommerzienrat Lauckardt war klein und zart. Sie stammte aus einer Pastorsfamilie. Sie weinte beim Anblick des Sohnes und schloss ihn in die Arme. Plötzlich erschrak sie.

„Ottochen ... Ottochen ... wie siehst du denn um das Gesicht herum aus?“

„Er war zu gewissenhaft, Mutter!“ sagte ihr Mann vergnügt. „Er hält’s mit der Bibel: So dich einer auf die linke Wange haut, so halt ihm auch den Kopf hin!“

Wieder blickte der junge Leutnant den Vater empfindlich an.

„Ich hab’s euch doch geschrieben von meiner Mensur mit Herrn von Bornim! ... Nein? ... Ich hätte sicher angefangen, Mama? ... Ach was ... weisst du, was der Kerl ausgesprengt hatte: Papa wäre ein Seifensieder!“

„Schade, dass ich das nicht wusste! Ich hätt’ ihm gern eine Probe meiner Produkte geschickt!“ Der Geheime Kommerzienrat Lauckardt lachte unbändig. „Junge ... hast du denn gar keinen Humor? ... Nee ... Mutter ... hat er nicht! ... Tieftraurig steht er da! Immer noch das gekränkte Bratwürstchen! ... Gerade wie als Hosenmatz ...“

Aber Frau Lauckardt war entrüstet. Sie forschte: „Und was ist denn aus dem bösen Buben geworden?“

Im selben Augenblick ging eine Wandlung mit ihrem Sohn vor. Er versetzte beinahe verweisend: „So musst du nicht von Herrn von Bornim sprechen, Mama! Er ist doch seit voriger Woche auch Offizier, so gut wie ich — in seinem Gardeinfanterieregiment ...“

Das ganze Jahr auf Kriegsschule hatte er mit Achim von Bornim das Zimmer geteilt, war ständig mit ihm zusammen gewesen. Jetzt, wo er sich bemühte, scharf zu sprechen, klang deutlich dessen nachlässiger Ton durch seine eigenen Worte. Es hatte auf ihn abgefärbt. Er fügte hinzu: „Du musst doch denken: ein Bornim! ... Die Bornim sind so alt wie die Mark! ... Mit die erste Familie im Land ...“

„Das ist was anderes, als wenn einem Müller und Schulze die Zähne einschlägt!“ sagte der Vater lachend. „Das ist Ehre und Vergnügen! Na ... Gott segne deine Studia! Nu wollen wir essen! ... Die Jörissens sind heute auch da! ... Lass Sekt kalt stellen, Mutter! Wir wollen unsern Kürassier begiessen!“

Der Superintendent Jörissen aus dem Wuppertal war der Bruder der Hausfrau. Ein strenger Christ, dem Tanzen ein Scheuel war und Theater ein Greuel. Dann Oskar, der Chemiker, der jüngere Sohn und Erbe der Firma, der Generaldirektor Fahrenholtz, in Geschäften aus dem Ruhrgebiet gekommen, der alte Bankherr Jungblüth, ein Grossaktionär der Lauckardtschen Werke, aus Elberfeld, ihre Frauen, andere Gäste. Aber der Mittelpunkt war heute der frischgebackene Leutnant. Er fand es ganz natürlich. Er sprach fast allein. Meist von sich. Und vom Regiment. Das Regiment war nach seinen Berichten einfach feudal. Tadellos. Grossartig.

„Vorige Woche haben sie mich natürlich mächtig im Kasino begossen! Aber der Oberst war riesig nett zu mir! ... Er hat auch auf deine Gesundheit mit mir angestossen, Papa!“

„Gegenseitig!“ sagte der Geheimrat und leerte mit einer feierlich-tiefen Verbeugung gegen einen Unsichtbaren vor ihm seinen Sektkelch. Sein Sohn lächelte etwas befangen vor sich nieder: „Denkt mal: Kruseneck ist ’rausversetzt! Wir sind jetzt nur noch zwei Bürgerliche im Regiment! ... Ein Prinz ... drei Grafen ... und so ...“

Den Rest des Offizierskorps verwies er mit einer lässigen Handbewegung in die niederen Gothaer Almanache. Frau Lauckardt erkundigte sich.

„Und sie sind alle freundlich zu dir?“

„Sehr, Mama! ... Mit vier jüngeren Herren bin ich auf Du! Auch mit Graf Issern!“

„Wie er selig vor sich hinkuckt!“ sagte der Vater. „Verschämt wie ein Mädchen! Wie ’n Mädchen, das von seiner ersten Liebe spricht!“

Der Leutnant wurde ein bisschen rot. Er lenkte ab: „Weisst du: das hat mir natürlich sehr geholfen, Papa: der wundervolle Viererzug, den du mir zum Degenfähnrich gestiftet hast. So was hat sonst keiner. Und die prachtvolle Wohnungseinrichtung! ... Und die brillante Jagdpacht ... Ich muss mich ja natürlich anstrengen! Das erwartet man! ... Aber ich tu’s ja gern!“

„Ein goldenes Herz hat der Junge!“ Der Geheimrat goss eigenhändig seinem Sohn Sekt ein. „Was, Mutter? Wenn man ihm Geld schickt, opfert er sich und nimmt’s!“

Oskar, der Chemiker, ein kleiner, unscheinbarer Herr, feixte niederträchtig über sein von Schmissen zerfetztes Gesicht, in dem die Augen schlau unter dem Zwicker funkelten.

„Ich rutsche nächstens mal zu dir nach Ostelbien ’rüber, Otto! In einem tollen Zivil! ... Und erzähl’ bei euch im Kasino, Eugen Richter wäre gar kein so unebener Mensch!“

„Ist er auch nicht!“ ergänzte halblaut der Bankdirektor Jungblüth. Der junge Kürassier sah sich nervös im Kreise um. Er hatte solch ein Frösteln. Er fühlte sich nicht so daheim wie früher. Es war alles so anders ...

„Ihr müsst nicht spotten!“ sprach er empfindlich, obwohl er wusste, dass diese harmlosen Neckereien von jeher zum Ton des Elternhauses gehörten. „Ich bin doch dort neu. Die anderen Herren im Regiment sind doch die Träger uralter Namen. Auf diesen Namen beruht doch die Armee und der Staat.“

„Ich glaube, bei dir ist schon blaues Blut herausgelaufen, als sie dich in Potsdam auf deiner Mensur zur Ader gelassen haben!“ sagte der Vater. „Junge ... geh mal an den Rhein ... und die Mosel ’rauf und an die Vogesen. Da stehen überall Schlösser. Aber sie sind leer. Kaputt. Trümmerzeug. Die Leute, die drin gehaust haben, sind fort. Ausgestorben. Verschollen. Und die Welt steht immer noch. Sogar ganz feste. Auch ohne siebenzackige Kronen. Es wird sogar hier zehnmal mehr Geld verdient als drüben in euren Gefilden ...“

„Sehr richtig!“ rief der Generaldirektor Fahrenholtz, ein grosser, starker Mann.

„Ich weiss von meinem Grossvater Lauckardt nur noch, dass er Bergmann war. Weiter hinauf nichts! ... Aber ich blech’ dem Fiskus Steuern, mein Sohn — ich glaub’, davon kann er dein ganzes Kürassierregiment bezahlen! ... Nee, Jungchen ... ich bin ein guter Deutscher ... ich hab’ Anno siebzig und sechsundsechzig meinen Mann gestellt ... Aber hinter den Bergen wohnen auch Leute! Das hat schon der selige Schiller gewusst: Das Alte stürzt — es ändert sich die Zeit ...“

„Jetzt kommen wir!“ sagte der Bankdirektor Jungblüth, der die Zeit über geschwiegen, auf einmal ganz ruhig.

„Seit sechs Jahren haben wir den Schutzzoll! Können endlich atmen. Uns regen! Dank Bismarck!“

„Mit Bismarck durch dick und dünn!“

Der Geheime Kommerzienrat Lauckardt hob sein Glas, ehrliche Begeisterung auf dem lebhaften, heiter-klugen Gesicht. Die Kelche klangen zusammen. Er leerte den seinen bis zum Grund. Dann sagte er im gewöhnlichen Ton: „So, Kinder! Nun reden wir von was anderem!“

Das andere — das waren die Geschäfte. Die Geschäfte, die jetzt wuchsen und wuchsen. Nicht bloss im Inland. Man schmorte nicht nur im eigenen Fett, wie der Herr aus Elberfeld es nannte. Nein — das reckte und streckte sich über die deutschen Grenzen hinaus, griff über die Meere, ging um die Welt. Die Engländer ...

Oskar Lauckardt, der jüngere Sohn des Hauses, lachte unbändig, lachte so unfein, dass der junge Kürassier schmerzlich zusammenzuckte: Nein, waren die Engländer dumm gewesen, mit ihrem ‚made in Germany‘, hatten gehofft, durch diese Zwangsbezeichnung die deutsche Einfuhr auszuschalten, und gerade das Gegenteil erreicht. Alle Welt kaufte jetzt erst recht drüben deutsche Waren. Er, Lauckardt der Jüngere, hatte es erst vor vier Wochen in London beobachtet.

„Im Frühjahr rutsche ich ’rüber nach New York!“ sagte er, und der Generaldirektor Fahrenholtz fügte hinzu: „Vielleicht treffen wir uns! Ich muss auch im Mai nach den States. Ich gehe dann ’runter nach Argentinien!“

„Na ... ich will über China nach Hause!“

„Überhaupt der ostasiatische Markt! ... Vierhundert Millionen kaufkräftige Köpfe ... Was ist da noch alles zu holen!“

Kaufkraft ... Geld ... Geld ... Einfuhr ... Ausfuhr ... Zölle ... Wieder Geld ... Es drehte sich wie ein Rad. Es kam immer dasselbe wieder: Das grobe Geldverdienen. Der blonde, wohlgenährte junge Offizier sass unbehaglich da. Er war doch hier im Hause aufgewachsen. Aber jetzt war ihm das wie Klänge einer anderen Welt. Der Vater nickte ihm frohlaunig zu:

„Was ist mich das mit Dir, mein Sohn?

Du isst mich nicht! Du trinkst mich nicht ...“

Und die Mutter meinte sanft: „Ach ... eure ewigen Kurse und Kuxe! Lasst doch Ottochen erzählen! Hast du denn auch netten Familienanschluss in der Garnison, Kind?“

„Na ... in der Stadt selbst ... da sind ja nur Spiesser, Mama ... ausser uns und natürlich dem Landrat ... Aber famoser Landverkehr auf den Gütern! ... Grossartige Leute! ... Der alte Graf Issern — wenn der sich auf seinem Schloss mopst, kommt er in die Stadt kutschiert und knallt mit der Peitsche durchs Fenster ins Kasino und schreit: ‚Zum Kuckuck! Wo stecken denn die Herren?‘ Herren ... damit meint er alle vom Oberst bis zum Junker! ... Er lädt immer nur im Ramsch ein! Herrgott, wird da getrunken ...“

„Das kann ich mir denken, mein Sohn!“

„Ja und er ist über sechzig und reitet noch alle unsere Jagden mit! ... Überhaupt ... unsere Jagden sind famos! Wir haben zwölf Koppeln Hunde. Neulich ritten wir doch fast zwei Stunden flotten Galopp hinter dem Keiler!“

Das war den andern nun wieder spanische Dörfer. Wie aus dem achtzehnten Jahrhundert. Feudalzeit. Als der Geheimrat Lauckardt zwei Tage darauf gegen Abend mit seiner Frau allein war, sagte er ernster als sonst, wo er gerne mit seinem frischen rheinischen Wesen manches zudeckte, was in ihm vorging: „Du — Mamachen ... ob wir da nicht doch einen Schwabenstreich gemacht haben ... dass der Otto zum Militär ist?“

„Er hat sich’s doch so sehnlich gewünscht ...“

„Ja, das schon ...“

„Und er sieht doch wunderhübsch aus!“

„Zu dick, Mamachen! ... Zu dick!“

„Ach, das gibt sich! Er ist ja nicht Husar! Die müssen mager sein!“

„Gott sei Dank nicht Husar!“ lachte der Vater. „Wenn ich denke, was der Junge in den prallen Hosen für ’ne Kehrseite hätte — da käme ja die Polizei ...“

„Aber Mann ...“

Der Grossindustrielle brannte sich eine Zigarre an.

„Geschehen ist geschehen!“ sagte er. „Man muss eben dem Vaterland ein Opfer bringen und seinen einen Sohn hergeben!“

„Es ist doch nicht Krieg!“

„Nee ... im tiefsten Frieden! Siehst du, Mamachen ... drei Dinge gibt’s bei uns: die sind stark! Die stempeln jeden ab. Das ist Rom und das ist unsere Armee und das sind da unten meine Herren Arbeiter!“ Er wies hinüber nach den mächtigen, dämmernden Umrissen der Fabrikgebäude und Schlote und fügte lebhaft, mit seiner alten Heiterkeit hinzu: „Hilft nischt, Mamachen: den Otto haben sie uns nach Noten eingebuttet, drüben über der Elbe! Der Bengel hat ja schon förmlich was Wehmütiges im Blick, wenn er uns ansieht. Mitleid. Unerfüllte Sehnsucht nach Schlössern und Grafenkronen! ’s ist nämlich gar nicht das bunte Tuch, was ihm so in die Augen sticht, sondern die feinen Leute, die’s tragen ... Das ist das Tolle!“

„Ach ... hoffentlich findet er sich wieder zurück!“

„Ich möcht’ es ihm gar nicht wünschen!“ sagte der welterfahrene Mann. „Im Gegenteil: hoffentlich hat er wenigstens das Zeug dazu und wird ganz wie seine neuen Freunde! ... Nichts ist schrecklicher, als wenn ’nem Menschen unterwegs die Puste ausgeht und er bleibt stehen und kann nicht vorwärts und nicht rückwärts! ... Na ... da bist du ja, mein Sohn Otto! Schon gestiefelt und gespornt?“

„Ja ... In ’ner halben Stunde geht der Zug, Papa!“

Der Geheime Kommerzienrat umarmte seinen Sohn.

„Also lass dir’s gut gehn! ... Wenn du Geld brauchst, schreib! Wenn du keins brauchst, lass trotzdem mal was von dir hören! ... Mama ist darin komisch. Die wundert sich, wenn ein Vierteljahr kein Brief kommt! Ich würde dich gerne auf die Bahn begleiten! Aber da drinnen wartet schon eine Abordnung von Arbeitnehmern! Es geht wieder los mit dem Streik. Ich fürchte, im Frühjahr kriegen wir eine Riesenschweinerei am ganzen Rhein.“

Er trat in das Nebenzimmer. Von drinnen klang seine Sprache plötzlich verändert, hart und herrisch: „’n Abend, meine Herren!“

„Guten Abend, Herr Geheimrat!“

Der dreifache Gruss der Arbeitervertreter war höflich und ruhig wie der seine. Aber es sprühte doch wie Feuerfunken aus diesen kurzen Lauten. Stahl und Stein, Besitz und Arbeit, krachten wieder einmal aneinander.

Der Leutnant Lauckardt hatte sich von seiner Mutter verabschiedet und fuhr in der väterlichen Equipage an der Fabrik vorbei. Die Strasse war im Abendgrauen noch voll von stehenden, sprechenden, gestikulierenden Gruppen. Unruhe und Streiklust in der Luft. Ein Summen. Ein Hin und Her, wie vor dem Bienenstock, wenn die Völker schwärmen. „Hoho!“ rief warnend der Kutscher und zügelte die Pferde zum Schritt, um durchzukommen. Die Arbeiter schauten finster auf. Aber sie wichen zur Seite. Der junge Leutnant im Wagen blickte über ihre Köpfe hinweg, mit jenem gleichmütigen und selbstbewussten Gesichtsausdruck, den er bei seinen Freunden und Kameraden, den Söhnen der Grossgrundbesitzer im Osten, gesehen, wenn sie weithin über die Felder und Fluren des väterlichen Dominiums fuhren. Nur dass dort, nach altem Brauch und Gewohnheit der Jahrhunderte, jeder am Wege grüsste. Hier hob sich keine Hand an die Mütze.

Das war es eben: Papa war gewiss klug und stark und reich. Aber er musste doch mit diesen dunklen Männern hier verhandeln, von Macht zu Macht. Sonst standen seine Schwungräder still oder die Treibriemen liefen leer. Drüben im Osten befahl man. Auf den Gütern. In der Kaserne. War Herr.

Die Gäule zogen an. Es ging im Trab vorwärts. Otto Lauckardt drückte sich verwöhnt lächelnd in die Wagenecke. Die Räder rollten. Der Zug stand bereit und brachte ihn zurück in die Garnison. Dort nahm die Zeit ihn auf und trug ihn, und ebenso in Berlin Achim von Bornim und all die anderen jungen Seelen, durch die Jahre dahin.

Stark wie die Mark

Подняться наверх