Читать книгу Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683 - Rudolf Stratz - Страница 5

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Komme! . . . Wohin? In dem dunklen Gang hinter der offenen Türe schatteten die Umrisse von vier wilden Kerlen in blauen Jacken und Pluderhosen und weissen Filzmützen, den mächtigen Krummsäbel neben der blutfarbenen Leibschärpe, und vor den Mamelucken stand still, beinahe traurig der junge Sohn des Bassa, und es kam dem Malteser eine Jugenderinnerung aus seinem Brüten über schweinsledernen Folianten in der Klosterzelle, dass die grossen griechischen Heiden den Tod sich als einen schönen Jüngling in weissem Gewand vorgestellt hatten.

Er glaubte, er würde jetzt hier in einem der unterirdischen Gewölbe der Burg des Bassa sein Leben ausbauchen. Aber der junge Emin liess durch einen Winkder schmalen, weissen Hand eine Hinterpforte öffnen. Er stieg leichtfüssig dem Christensklaven und den Mamelucken voraus einen engen Pfad durch stacheliges Kaktusgestrüpp und flammend roten Mohn hinab in das finstere, wie ein schwärzliches Schlangennest ineinander gekrümmte Gassengewirr von Rosetta.

Die gefürchteten Mamelucken machten Platz durch die rasende Menge, die in diesen schattendüstern, engen, stinkenden Strassenschächten brandete. In ungläubigem Grauen sah der Malteserritter gleich einer tosenden Luftspiegelung das Heeresaufgebot des tiefsten Afrika sich nach dem Hafen, zur Fahrt nach Konstantinopel, zum Zug nach Wien wälzen.

Er erblickte diese majestätisch mit Glöckchengeklingel schreitenden, mit Kupferpauken behängten Kamele, diese sonnengedörrten Skelette weissumflatterter Wüstenbeduinen mit Pantherdecken auf den Schimmelstuten, diese maurischen Ritter in Kettenhemden auf ebenso geschuppten Pferden, diese bronzefarbenen Bogenschützen auf Mauleseln, diese Büge von brüllenden bärtigen Derwischen mit braunen Zuckerhutmützen. Und er frug sich dazwischen immer wieder: Wann kommt der Tod?

Aber der schöne Todesengel vor ihm schritt immer weiter durch das Tollhaus. Neger trugen lachend im Laufschritt einen eben von den Mamelucken erwürgten Bey nach Hause zu den Seinen. Sein Nachfolger hieb dort drüben vor der Moschee mit einem Schwertstreich seinem Pferd den Schwanz ab und heftete den Rossschweif unter tausendfachem Allahrufen als Feldzeichen wider Wien an seine Lanze. Besessene verfluchten heulend mit schäumendem Mund von Dattelballen herab die Ungläubigen, nackte Büsser zerfleischten mit blutigen Zähnen armdicke, wütend in ihren Fäusten sich windende lebende Giftschlangen. Im heiligen grünen Turban der Nachkommen des Propheten weissagte im Hafen ein rasender Heiliger vor den christlichen Fellachen in blauen Hemden, den Juden in rotgegürteten schwarzen Kaftanen den Untergang Wiens.

„Im erstürmten Konstantinopel schlug Mohammed der Eroberer seine blutige Hand zehn Ellen über dem Boden an eine Säule, so hoch stand sein Ross auf Leichen. Noch höher wird jetzt Mehmet der Kalif mit seiner Hand den Stefansdom zur Moschee weiben!“

Wann kommt der Tod?

Stumm wandert der weisse Todesengel. Still und menschenleer liegen schon umber die Palmenhaine und Fruchtgärten vor der Stadt. Tausendfach wehen die gefiederten Schöpfe der hohen Papyrusstauden in der Nilmündung über dem Rosa der Flamingoschwärme. Ein kalter salziger Hauch liegt in der Luft. Möwen schreien. Und da breitet sich, soweit das Auge reicht, das Mittelmeer. Der Wind vom Lande pflügt sein tiefes Blau zu weissen Schaumkämmen, und durch sie gleitet fern im Sonnenschein mit geblähten Segeln an beiden Masten eine hochgewölbte Galeere, wendet, kreuzt ihren Weg zurück. Die Fitzarnalda, das rettende Malteserschiff, ist nahe und doch ewig unerreichbar.

Denn jetzt begriff Herr Adrian von Rimburg: diese Einsamkeit hier war die Todesstätte, in der er ungesehen für immer verschwinden sollte. Er sah schon vor sich sein vorbereitetes Grab — eine tief in den Schlamm ausgeschachtete, oberflächlich durch Papyrusstauden verdeckte Grube mit senkrechten Wänden.

Aber einer der Mamelucken grollte: „Mahmud! Komme aus der Krokodilfalle heraus!“ Ein mahagonifarbener, nur mit einem Lendenschurz bekleideter Greis kroch durch das Blätterwerk aus der Grube empor, in der sich nachts die Panzerechsen fangen sollten und tagsüber er sich vor dem Sonnenbrand geborgen hatte. Er legte vor dem Jüngling Emin zum Zeichen des Gehorsams die Horntatze an die grau behaarte Brust und stapfte den andern voraus durch das Röhricht zu einer Bucht, die sich zum offenen Nil und freien Meer hinaus öffnete. Auf dem Sandufer lag ein kleines Segelboot. Der Alte stemmte sich mit den Soultern gegen den Kiel und hob es in das seichte Wasser.

„Herr! Ich, dein Fussstaub, habe deinen Befehl ausgeführt!“ sprach er. „Das Fahrzeug ist seebereit!“

Und dann hörte der Ritter von Rimburg an seinem Ohr die leise Stimme des Jünglings Emin:

„Steige ein!“

Und da er nicht gleich begriff, noch einmal:

„Steige ein! Dort drüben kreuzt die Galeer! Fahre heim zu den Deinen!“

Plötzlich ein unterdrückter Angstruf des jungen Emin. Seine Hand wies in die Ferne: dort wuchs am Horizont rasch ein zweites Segel aus dem bleiernen Mittagsdunst der See. Auch die Mamelucken schirmten die Augen mit der Rechten. Es zuckte frohlockend über ihre finsteren Mienen.

„Allah ist gross! Ein Türkenschiff!“

„Mein Vater hat es aus dem Hafen von Damiette entboten, um eure Galeere aus der Nilmündung zu vertreiben! Eile dich, dass du sie noch vorher erreichst!“ keuchte der Jüngling Emin.

Er berührte die ihm in verständnislosem, stummem Dank hingestreckte Rechte des Christen nicht. Er sprang scheu bis an den Rand der Schilfwand zurück. Der Malteser wusste nicht, wie ihm geschah. Er schwang sich in das Boot. Er trieb es mit dem Ruder hinaus, in den freien Strom. Er zog das Segeltau an. Die Leinwand straffte sich unter dem Landwind. Die Wellen rauschten. Das schleichende Graugrün des Nil wandelte sich in das Tiefblau des Meers. Delphine schossen pfeilschnell durch die weissen Wogenkämme und wiesen den Weg zu dem Malteserschiff, das den Flüchtling erkannt hatte und wie ein Tausendfüssler mit Hunderten von Rudern arbeitend ihm entgegensteuerte.

Das Kielwasser schäumte vor seinem Gallionbild — dem achteckigen Stern über dem Kreuz. Schon sah Adrian von Rimburg die schwarzen Kanonenmäuler in den Bordluken, das Geflatter der weissen Federn auf den Eisenhauben der Malteserritter, die dichtgedrängt in der Mitte des Schiffs standen, er sah die Musketen der dienenden Brüder sich über die Reling recken, er erkannte den Kapitän, den blondbärtigen stiernackigen Schwaben mit dem Kaplan und dem Medicus, breitbeinig, den Degen in der Hand, auf dem Dach der Mittelkammer.

Von drüben schoss, schräg liegend, unter Türmen von Leinwand, lang, schmal, flink wie ein Hecht das Schiff des Islam heran. Der Ritter von Rimburg stemmte sein Ruder gegen die Bordwand des Christenschiffs, um nicht im Wellentanz an ihr zerschellt zu werden. Ein Tau flog herab. Er kletterte an Deck und umarmte den Freund, den Befehlshaber der Galeere, eben als die Trompeter das Schlachtsignal für all die Vierhundert, die an Bord waren, bliesen: die Ritter und die Kanoniere und die Musketiere, die Schiffsknechte und die Galeerenruderer, die Rudermacher und Büchsenmeister und Hilfsgesellen.

Der Segler des Islam rauschte schon heran. An seinen Masten glitten flatternde grüne Fahnen mit rotem Halbmond in die Höhe, und zugleich stieg vierfach an beiden Masten der Fitzarnalda das weisse Christenkreuz in rotem Feld empor.

Die beiden Schiffe schossen im Sturm mit geblähten Segeln aneinander vorbei. Ihre Breitseiten blitzten und donnerten im Augenblick der Begegnung. Die kindskopfgrossen Eisenkugeln des Islam fegten zu hoch über das Christendeck, rissen Löcher in die Segel, splitterten ein paar Raaen. Nur ein spanischer Ritter von Devotion stand eine kurze Weile aufrecht ohne Kopf. Dann sackte der Rumpf zusammen. Knechte trugen ihn in die Totenkammer hinab. Adrian von Rimburg eilte hinterher.

Als er atemlos, um nichts vom Kampf zu versäumen, wieder an Deck kam, hatte er sich von dem gefallenen Edelmann die Kriegstracht des Ordens entliehen. Sie war von Blut getränkt. Aber man sah es nicht auf dem Rot des Waffenrocks über dem Harnisch. Nur das grosse weisse eingewebte Leinenkreuz war kaum mehr kenntlich. Weite Panzerhosen mit Knieschienen und hohe Stulpenstiefel schirmten weiterhin Herrn Adrian, den Hilfsritter der Malteser. Er hielt Schwert und Schild in den Händen. Aber er legte beides hin und griff zur Muskete und feuerte auf das feindliche Schiff, das eben wieder im Kampfgeschrei seines Volkes vorbeiglitt. Wurfspiesse und Brandpfeile sausten von dort. Ein offener Sack mit lebenden Brillenschlangen flog herüber, die unter die Ruderbänke kriechen und die angeketteten Galeerensklaven stechen sollten, und plumpte samt den giftigen Würmern vor dem Ziel in das Meer.

„’s isch e wüschtes Volk!“ sprach der Schwabe, der General der Galeere, zu dem Ritter von Rimburg neben ihm, während die Fitzarnalda in weitem Bogen zu neuem Anlauf wendete. „Zur See sind wir alleweil sein Meister. Aber zu Land nimmt der Grosstürk erschrecklich überhand!“

„Ich habe es eben gesehen!“ Der Ritter von Rimburg in wirrem Bart stiess heftig, mit geübter Hand, mit dem Ladstock Kugel und Pfropf in das Feuerrohr. „Der Satan speit die Barbaren wie die Heuschrecken wider die Christenheit!“

„Da komme die Sauköpf wieder!“

Feuerspeiend begegneten sich die Galeeren. Sie waren einander so nahe, dass man drüben das Weisse in den Augen der wilden schwarzen, braunen, gelben Gesichter sah. Adrian Rimburg liess den Hahn seiner Donnerbüchse auf das Steinschloss schnappen. Drüben verschwand jäh das Feuerrot eines Turbans hinter der Bordwand.

„Das apokalyptische Tier ist vorhanden!“ schrie er durch das Gebrüll und Geknatter und Gekrache splitternden Holzes dem Kapitän ins Ohr. „Wien ist das Bollwerk! Alle Christenvölker müssen alles liegen und stehen lassen, um Wien zu retten!“

„Da hilft kein Hirnschweiss! Da heisst’s kämpfen. Aber melde du das den Franzosen!“ sprach in der plötzlichen Kampfstille, in der die Schiffe wieder wendeten, der Befehlshaber der Galeere und befühlte die Beule eines Musketenschusses im Harnisch. „Ihr König Ludwig nennt sich den Allerchristlichsten König! Aber derselbe König Ludwig ist’s, der die Tataren und die Mohren und alle Gottesfeinde aus Asien und alle Götzendiener aus Afrika zu uns Christen nach Europa führt! Ohne sein gnädiges Lächeln würden es die Heiden nie wagen!“

Der Türkensegler kam wieder heran, er streifte beinahe im Vorbeigleiten die donnernden Kanonenluken der Fitzarnalda. Allahrufe gellten. Lange Enterhaken fuchtelten, während er langsam längs der Christengaleere hintrieb, in der Luft und langten nach der Bordwand drüben, um Schiff an Schiff zu ziehen. Ein Kerl beugte sich weit vor, hatte beinahe schon mit der Eisenspitze das Holz gefasst. Adrian von Rimburg zielte kaltblütig und schoss. Der riesige Neger stürzte kopfvor in die Flut.

„Das nächste Mal haten sich die Türken an unserer Bordwand fest und steigen zu uns über!“ Der Schwabe rollte mit einem Fussstoss eine glühendheisse Kanonenkugel beiseite, die dicht neben ihm durch die Schiffsbrüstung geschlagen war. „Mach’ dich bei Seite mit Schild und Schwert parat!“

Aber die Gedanken des Ritters von Rimburg waren bei dem Sonnenkönig von Versailles.

„Er weiss nicht, was er tut!“ schrie er durch die blauen Schleier des Pulverrauchs. „Er ahnt fern in Frankreich nicht die Gefahr aus Asien, die wir Deutschen und Polen kennen. Man muss vor ihn treten. Man muss ihm die Augen öffnen. Einer, der, wie ich, die Zurüstungen des Gottesfeinds mit eigenen Augen gesehen hat.“

Der Schwabe hörte nicht recht hin. Er spähte nach der feindlichen Galeere. Sie schaukelte in einiger Entfernung. Hundert Ruder peitschten das Wasser, um sie in Eile zu wenden. Ihr Takelwerk wimmelte von kletterndem Schiffsvolk, das hastig die Segel umstellte.

„Meine beschworene Zeit als Hilfsritter von Malta ist um! Denn die Zeit der Gefangenschaft zählt mit!“ sprach Adrian von Rimburg weiter. „Wenn Gott mich jetzt in einem Christenhafen landen lässt, so eile ich spornstreichs nach Paris. Ich habe um Christi willen gelitten. Ich muss vor den König von Frankreich treten und ihn beschwören . . .“

„Was treibt der Widerchrist da drüben für riegeldummes Zeug . . .?“ unterbrach ihn der Kapitän. Seine derben blondbärtigen Züge verdüsterten sich unter der Sturmhaube. „Jetzt — das is jammerschad: da macht der Türk mit vollen Segeln, dass er heimkommt — gerad jetzt, wenn’s, am schönsten wird! Und hinterherfahren hilft uns nit. Das Heideschiff läuft schneller!“

„Warum flieht es?“

Aus dem hohen Vorderaufbau des Christenseglers, von dem aus man weit über das Meer sah, wiesen ausgestreckte Panzerarme und Degenspitzen in die Ferne. Eine Gruppe von weissen Segeltürmen tauchte am Horizont auf. An jedem Mast flatterte, als sie näher kamen, das Kreuz Johannes des Täufers. Hinter der Capitana, dem Flaggschiff des Grossmeisters, durchschnitten in einer Linie die Patrona und die Galeeren des Malteserordens, die Fitzarnalden und Antianen, die Flut.

„Wir haben einen Mitbruder aus der Sklaverei gerettet!“ schrie, sobald er sich verständlich machen konnte, der Schwabe zu der prunkvoll gezierten Capitana hinüber. „Er will so rasch, wie es der Wind leidet, nach gtalien und so schnell, als e Gaul läuft, nach Paris!“

Wäre dem Ritter von Rimburg im Getöse der Seeschlacht seit dazu geblieben, so hätte er fern am Nilufer einen hellen weissen Punkt vor dem stumpfen Grün der Papyrusstauden gesehen. Das war der Jüngling Emin. Regungslos, aus grossen dunklen Augen, beobachtete er den Kampf. Dann, als alles zu Ende, wandte er sich und ging mit seinen Begleitern nach Rosetta zurück.

„Ja. Ich habe dem Christen zur Flucht verholfen!“ sagte er dort in der Burg zu Ferat Bassa, seinem Vater, der vor Wut keuchend mit gekreuzten Beinen auf dem Divan sass.

„Warum hast du das getan?“

„Ich habe ihn gesehen. Jeden Tag. Und jeden Tag hat er mir mehr leid getan. Gesprochen habe ich ihn nie!“

„Und doch hast du es gewagt . . .“

„Kann ich dafür, dass deine sechs Söhne seit zwanzig Jahren tot sind?“ sprach der Jüngling Emin.

Der Alte schwieg.

„Kann ich dafür, dass es dir, nach unserem Brauch, ein Gram und eine Schmach war, keinen Sohn mehr zu haben?“

Der Bassa strich sich düster, ohne zu antworten, den weissen Bart.

„So hast du mich als Mann aufwachsen lassen. Ich habe den Christen liebgewonnen. Ich kann nichts dafür, dass ich ein Weib bin!“

Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683

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