Читать книгу Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683 - Rudolf Stratz - Страница 8

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„Hast du das Pferd auch gut gefüttert und getränkt?“ frug Adrian von Rimburg. Der verschlafene alte Knecht in der französischen Dorfherberge nickte brummig. Es war noch fast vor Tau und Tag, als der Ritter in den Sattel stieg. Die ersten Sonnenstrahlen lagen blutrot über der kahlen wilden Hochebene der Auvergne, durch die er hinritt, allein, unscheinbar gekleidet, wie es einem Reisenden anstand — den Degen am gegürteten Lederwams, hohe Sporenstiefel unter den weiten Kniehosen, die Hutkrempe vorn über dem gebräunten Antlitz hoch aufgeschlagen.

Noch ein langer Weg! Noch fünfzig Meilen bis Paris! Der Ritter von Rimburg setzte ungeduldig seinen Gaul in Trab und liess ihn bald wieder in Schritt verfallen. Es hiess schonend mit den vier Pferdebeinen umgehen, die ihn trugen. Der starke, knochige Rappe stolperte ohnedies heute so häufig, so seltsam . . .

Es mochte der rauhe Saumpfad zwischen den zerklüfteten, von gelbem Ginster umbuschten Basaltschroffen daran schuld fein. Aber in den kalten Windstössen, die über das öde Bergland fegten, beugte sich doch der einsame Reiter besorgt zu seinem Tier vor. Das war jetzt kaum drei, vier Stunden unterwegs und zeigte ungewohnte, immer stärkere Zeichen der Ermüdung.

Und wieder nach einer Weile war es dem Ritter von Rimburg klar: Das war nicht mehr der Gaul von gestern. Wohl setzte er noch Huf vor Huf, aber er zitterte dabei am ganzen Körper und seine Flanken bedeckten sich im Schritt mit Schweiss.

„Ich fürchte, Herr Ritter von Malta, Euer Pferd ist krank!“ sagte hinter ihm eine helle Stimme. Er fuhr im Sattel herum. Vor ihm tänzelte eine schmächtige Schimmelstute, auf der geübt ein junger Herr sass. Seine knabenhaft schlanke Gestalt stak in einem langen hellgrünen Reitrock mit zurückgeklappten Schössen und eng anschliessenden, grünen Beinkleidern, die bis zu den gelben Halbstiefeln reichten. Den dunklen Lockenkopf deckte ein aufgekremptes grünes Hütchen mit kecker Stossfeder. Es fiel Adrian von Rimburg auf, dass dem Jüngling nicht das lange Haar des Edelmanns um die schmalen, schönen, schwarzäugigen Züge wehte, die für einen Reiter in Flur und Feld merkwürdig weiss von Puder waren. Und jetzt lächelten diese Züge, und er erkannte die junge Marquise Quinette von Giou, die ihm von Ross zu Ross gnädig den Lederstulp der Rechten zum Kuss reichte und mit ihm weiterritt.

„Wir trennten uns in Rom!“ sprach sie mit einem vielsagenden Blick.

„. . . und wie finden wir uns, durch Gottes Gnade, hier?“

„Eine Stunde von hier liegt das Schloss Mont-Crocq. Dort raste ich bei meinem Oheim, dem alten Marquis, auf der Rückreise von Rom.“

„Und ein glücklicher Zufall führt uns hier zusammen?“

„Kein Zufall!“ sagte der schlanke, grüne Junker sanft. Es war eine Unruhe in seinen dunklen klugen Augen. „Sie hatten doch — nicht weit von hier — acht Tage unfreiwilligen Aufenthalt in unserer guten Nachbarstadt Aurillac. Sonst hätte ich nicht in dieser Zeit dort durchkommen und vor Ihnen hier sein können!“

„Ich hatte allerhand Ungemach. Mein Gepäck wurde mir gestohlen. Zum Glück trage ich den Brief an den Malteserprior von Frankreich auf dem Leibe. Mein Diener entlief mir. Kostbare Zeit verstrich, bis ich von der Ballei Lyon des Ordens Reisezehrgeld vorgestreckt bekam. Ich fürchte, es ging nicht mit rechten Dingen zu.“

„Sie werden viele Feinde auf Ihrem Weg vorfinden!“ sagte die Marquise hastig. „Kehren Sie um!“

Als Antwort spornte der Ritter von Rimburg sein mattes Pferd, und auf dem Antlitz Quinettes von Giou neben ihm erschien eine leise geheimnisvolle Freude.

„Verzeihen Sie einer Frau den Kleinmut!“ sprach sie. „Ein Mann wie Sie kennt ihn freilich nicht!“

„Ich habe die ganze Zeit an Sie gedacht!“ versetzte sie dann plötzlich, während die beiden weiterritten.

„Und ich an Sie!“

Über ihnen am Himmel flogen die Frühlingswolken. Die Ginsterbüsche bogen sich im Wind. Die Mähnen und Schweife der Pferde flatterten. Der Malteser und die Marquise sprachen eine Weile nichts. Dann begann Quinette:

„Wir hörten aus Aurillac von Ihrem dortigen Verzug. In unserer Gegend laufen die Nachrichten schnell — auch gestern die, dass Sie heute mit dem frühesten Morgen zu reisen gedachten. Da entschloss ich mich, Sie hier zu erwarten und um Verzeihung zu bitten, dass ich Sie auf dem Petersplatz ohne Abschied verlassen habe!“

„Ich danke Ihrem! . . . Was haben Sie?“

„Was sollte mir sein?“ frug Quinette verwirrt.

„Sie zuckten zusammen, während ich sprach . . .“

„Nicht bei Ihren Worten, sondern bei einem Blick auf Ihr Pferd. Es strauchelt!“

„Es muss sich bis zum nächsten Dorf auf den Beinen halten!“

„Ja . . . ohne Abschied . . .“, hub Quinette von Giou wieder an. „Ich konnte Euren Streit nicht mehr mitanhören! Ein Duell auf Giftpillen! Das sieht Theopompo Caretto ähnlich!“

„Warum sind Sie mit diesem Menschen befreundet? Er ist doch nur einer der Quacksalber und Abenteurer, von denen unsere Zeit wimmelt!“

Quinette warf an dem Ritter vorbei einen Blick nach dem Himmel.

„Sehen Sie, wie da die Kraniche im Dreieck nach Norden fliegen!“ sagte sie. Es war Sehnsucht in ihrer Stimme. „Und alles hinter sich lassen? So möchte ich auch manchmal die Flügel ausbreiten und wegfliegen in irgendein fremdes Land, wo mich niemand kennt, und nie wiederkommen!“

„Wegfliegen? Von wo?“

„Aus Paris! Aus Versailles! Aus allem!“

„Aus diesem Leben voll Pracht und Glanz?“

„Pracht und Glanz?“ wiederholte die junge Reiterin. Es erschien ein seltsam versonnener, wehmütiger Zug auf ihrem schmalen Pudergesicht und gab ihm einen fast kindlich verbitterten Ausdruck. „Wissen Sie, was Hungeradel heisst? Gewiss: mein Vater ist Marquis. Aber unsere Markgrafschaft liegt im Mond. Wir haben keinen Sou. Wir stecken die Beine unter den Tisch der grossen Herren und Damen. Ich darf den erlauchten Mätressen des grossen Königs nachmittags die Schokolade eingiessen und seinen hohen natürlichen Töchtern auf dem Spaziergang die Mantille tragen. Die guten Bürger am Weg und ihre dicken Frauen beneiden mich, wenn sie ihren ehrfurchtsvollen Kratzfuss machen, um so viel Glück. Ach . . . wenn die braven Leute wüssten!“

„Wie bin ich denn aufgewachsen?“ fuhr die junge Quinette traurig fort. „Bei einer alten Lakaienwitwe am Templeplatz, dem Trödelmarkt im allerältesten Paris. In diesen Rattenwinkeln habe ich auch, als ich heranwuchs, diese Menschen kennengelernt, wie Don Theopompo Caretto, in dessen Gesellschaft Sie mich in Rom sahen. Man kommt von seinen alten Freunden nicht los!“

„Meine Eltern habe ich kaum gesehen!“ hub sie wieder an. „Die waren stets in Versailles. Sie wissen: Auch in den reichsten und vornehmsten Familien unseres Landes ist es Brauch, dass man die Kinder der Obhut von Bediensteten in irgendeiner Vorstadt überlässt und sich erst um sie kümmert, wenn man die Söhne unter die Adelsmusketiere des Königs stecken und die Töchter im Saal der Garden dem König vorstellen kann. Zwischen den finsteren Gassen um das alte Templerschloss herum und dem Schloss von Versailles liegt mein Leben!“

Quinette von Giou schrak plötzlich zusammen, als sei sie bei irgendeiner Vefehlung ertappt. Sie warf einen schuldbewussten Blick auf den taumelnden Rappen des Ritters.

„Ihr Pferd wird Sie nicht mehr lange tragen!“ sagte sie leise und beklommen.

„Wenigstens bis zu der nächsten menschlichen Behausung!“ Es war eine kurze Stille zwischen ihnen. Dann versetzte die Marquise von Giou träumerisch:

„In Deutschland soll es schön sein!“

„Es war schön. In meiner Heimat. Am Rhein!“

„Und ist es nicht mehr?“

„. . . seit Ihre Landsleute durch Jahre schon das Land zur Wüste machen! Sie verbrennen auf Befehl Ihres Königs Ludwig alle Städte und Dörfer, Burgen und Klöster. Sie hauen die Obstbäume um und zwingen die Bauern, das unreife Getreide abzumähen, damit im Herbst Hungersnot herrscht. Sie zünden die Kirchen an und reissen die Gebeine aus den Grüften. Von der Mosel und der Saar her nähern sich die Mordbrenner schon dem Rhein!“

Die kleine Faust des schlanken grünen Junkers ballte sich krampfhaft um die Zügel in der Linken.

„Oh — zuweilen hasse ich das Land, das mich geboren hat!“ sagte sie finster vor sich hin. „Wozu bin ich auf der Welt?“

Plötzlich lief eine gläubige Helle über ihr Antlitz. Sie richtete sich im Sattel auf. Ihre grossen dunklen Augen strahlten unter den dichten schwarzen Brauen.

„Sie schelten König Ludwig den Vierzehnten, weil er Ihr Land verheert!“ rief sie leidenschaftlich. „Krieg ist Krieg! Sie kennen nur den Zorn des Königs. Nicht seine Grösse! Er heisst nicht umsonst der Sonnenkönig. Er leuchtet über Europa. Nicht nur die grössten Feldherren scharen sich um seinen Thron. Auch die grössten Dichter. Die grössten Gelehrten. Die grössten Staatsmänner. Er aber überragt sie alle. Sie dienen ihm willig. In seinem Licht zu leben ist Glück. Ich geniesse diese Gnade Gottes. Ich bin dafür stolz und dankbar. Ah — mein Herr Ritter: ich bin eine Tochter Frankreichs und bleibe es bis zum letzten Blutstropfen!“

„Ihr Wesen, Marquise, wechselt wie das Wetter im April! Warum, weiss ich nicht!“ sprach Adrian von Rimburg. „Aber zum Glück taucht da vor uns am Weg eine Herberge auf. Sie scheint dürftig. Doch für mein Pferd ist es hohe Zeit!“

Er unterbrach sich. Er riss die Sporenstiefel aus dem Bügel, stemmte die Stulphandschuhe auf den Sattelknopf und warf sich mit einem mächtigen Schwung vom Pferde, das im selben Augenblid unter ihm zusammenbrach. Er landete auf den Beinen und stand vor dem am Boden sich wälzenden, wild mit den Hufen um sich keilenden Rappen. Auch Quinette betrachtete neben ihm mit starren Augen das Tier.

„Ihr Pferd streckt sich . . .“murmelte sie. „ Es ist tot!“

„Was nun?“

Die Stimme des Fräulein von Giou war plötzlich schleppend, tonlos, so als wiederholte sie nur, was ihr ein Unsichtbarer ins Ohr flüsterte.

„Verweilen Sie hier in der Herberge, Baron von Rimburg! Das Schloss meines Oheims, des Vizegrafen von Crocq, ist ganz nahe. Ich reite dorthin zurück und schicke Ihnen einen Knecht mit einem Handpferd. Er führt Sie hin. Seien Sie diese Nacht unser Gast. Bis morgen können Sie sich ein neues Pferd verschaffen und Ihre Reise fortsetzen!“

Jetzt wurde ihr Gesichtsausdruck wieder belebt, ihre Stimme weich, ihr Blick warm von einer stillen Hoffnungsfreude.

„Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab!“ sagte sie leise und hob sanft die dunklen Wimpern. Beide schauten sich in die Augen und lächelten. Ihre Hände fanden sich wie von selbst und verschlangen sich zu einem raschen Druck. Der Ritter von Rimburg sagte nur:

„Ich werde kommen, Quinette!“

Der grüne Junker galoppierte davon. Er wandte noch einmal an der Wegbiegung den schlanken Oberkörper im Sattel und schwenkte das Käppchen mit der Stossfeder und winkte zurück. Dann jagte er über Stock und Stein die ginstergelbe, zerklüftete Talschlucht entlang. Auf einer Basaltkuppe überragten die schiefergedeckten Spitzhüte von vier dicken runden Ecktürmen ein verwittertes graues Mauerviereck, das beim Nahen des jungen Schimmelreiters langsam, gähnend wie zwei Kiefer, seine Torflügel öffnete. Die Hufe der Stute hallten in der Wölbung. In dem düsteren Hof stand in einem Fledermausmäntelchen der buckelige Zwerg Eleazar, der Diener des Schwarzkünstlers Caretto, und grinste vertraulich und erwartungsvoll. Quinette warf ihm die Zügel zu. Sie lief atemlos eine steile steinerne Wendeltreppe hinauf und trat, ohne anzuklopfen, in ein Turmgemach. In ihm stand Theopompo Caretto, der Goldmacher, von der Halskrause bis zu den Schuhschnallen rabenschwarz, in seiner seidenen, spitzenbesetzten, spanisch-niederländischen Tracht. Aus dem kränklich-gelben, bartlosen Gesicht richteten sich über dem mystischen Mund und der mächtigen Nase die kleinen grauen Augen streng, lähmend durch ihren starren Blick, auf die junge Marquise im Männerkleid.

„Hast du ausgeführt, was ich dir befohlen habe?“

„Ja“, Quinette von Giou schaute dem Magier willenlos in die gläsern funkelnden Pupillen. Sie zitterte leise vor Angst am ganzen Körper.

„Und es ist gelungen?“

„Er kommt!“

Die Seitentüre, die den Turm mit dem Mittelbau verband, öffnete sich leise ein wenig. Durch den Spalt lugten ein paar Männerköpfe herein. Sie trugen schwarze Larven vor den Gesichtern, nickten sich stumm zu, zogen sich zurück. Die Marquise von Giou schrak zusammen. Sie warf leidenschaftlich den Kopf ins Genick. Sie sprang mit geballten Fäusten vor den Geisterbedwörer hin.

„Aber ich halte dich beim Wort!“ keuchte sie ihm in das majestätisch unbewegte Gesicht. „Er bleibt nur vierzehn Tage hier in Kavaliersgewahrsam . . .?“

„Nur so lange, bis die türkische Gesandtschaft in Versailles am Ziel ihrer Sendung ist . . .“

„. . . und zieht dann frei seines Wegs . . .?“

„Ich habe es beim höchsten Stern des Alchymisten, dem Mars, geschworen“, sprach Don Theopompo Caretto feierlich, „und, da du eine Frau bist, auch bei des Mars allerliebstem Schatz im roten Rock und grünen Unterzeug, die da Frau Venus genannt wird: dem Ritter wird kein Haar gekrümmt!“

„. . . und ich habe ihn vierzehn Tage für mich!“ Quinette faltete glücklich die Hände. Ein verklärter Blick der Dankbarkeit suchte den Himmel und dann in der Ferne die Herberge, in der sie Adrian von Rimburg wusste. Der Astrologe ging hinaus. Draussen auf der Treppe beugte er sich kichernd wie ein grosses schwarzes Gespenst zu dem Zwerg Eleazar nieder und flüsterte:

„Der Grasaffe da drinnen weiss nicht, dass der Saturn, der alte Kinderfresser, so hoch über der Erzbuhlerin Venus steht, wie sein schwarzer Rabe über ihrem grünen Löwen. Was man bei dem Spottvogel Mars gelobt hat, da macht der gute alte Saturnus, der Vater aller Metalle, einen blauen Dunst und Schlacken vor. Solch einen Schwur braucht einer von der schwarzen Kunst — nach dem Bruder Georg aus Armenien — niemals nicht zu halten!“

In der Herberge sass inzwischen der Ritter von Rimburg. Es war ausser ihm nur noch ein Gast in der Stube und hatte am gleichen Tisch wie er Platz genommen. Es war ein untersetzter Mann in mittleren Jahren, blondbärtig, mit einem freien und offenen Gesicht, gekleidet wie ein biederer Bürgersmann, den Geschäfte in die Nachbarschaft führten.

Der Fremde hatte ein Gespräch über den Jansenismus angefangen. Das war nichts Ungewöhnliches in dieser Zeit, in der in ganz Frankreich alle Welt, von der blaublütigen Herzogin bis zu dem Dorfschäfer, leidenschaftlich die Lehre des verstorbenen Bischofs von Ypern, dass es dem Menschen vorherbestimmt sei, ob er einmal selig werde, verfocht und bestritt. So grübelte auch jetzt dieser einfache Bürgersmann über seinem Becher Landwein.

„Wenn nach dem Kirchenvater Augustinus die Erbsünde von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzt und dem Menschen die eigene Kraft zum Guten fehlt, dass er nur durch Gottes Gnade erlöst werden kann . . .“

„Verzeiht einen Augenblick!“ Der Ritter von Rimburg erhob sich und trat vor das Haus. Er spähte ungeduldig, ob noch nicht das Handpferd vom Schloss Crocq käme, an Stelle seines Rappen, der drüben mitten auf dem Weg in der Sonne alle vier Beine zum Himmel streckte. Aber es war noch nichts zu sehen, als der vierschrötige Herbergswirt, der von einer kopfschüttelnden Betrachtung des toten Gauls zurückkam. Sein rotes Gesicht schimmerte sehr ernst über der grünen Schürze.

„Euer Gnaden sind mehr, als hochdero Rock anzeigt!“ sprach er gedämpft und ehrerbietig.

„Ich bin nichts als ein Soldat von Fortüne!“

„Seht den aufgetriebenen Leib des Pferds!“ der, besorgte Graukopf wandte sich dem Kadaver zu. „Es ist vergiftet. Irgendeine Hand hat heute morgen Mutterkorn in den Hafer gemengt. Ihr habt Feinde im Land, gnädiger Herr!“

Der Ritter von Rimburg zuckte die Achseln.

„Mag sein!“ sagte er. „Ich erwarte jeden Augenblick ein neues Pferd, um hinüber zu dem Vizegrafen Mont-Crocq auf sein Schloss zu reiten . . .“

Der Wirt riss die Augen auf.

„Zu dem Herrn Vizegrafen? Da müssen Euer Gnaden sich nach Versailles bequemen! Der Herr Vizegraf lebt am Hof. Er hat alle Schlösser und Güter an den Generalpächter Meister Yvernat verpfändet. Soweit Ihr seht, saugt Meister Yvernat das Land aus und treibt dem Bauern die letzte Rub aus dem Stall!“

„Und das Schloss Crocq?“

„Steht leer, Herr . . .“ Ein Zögern in der heiseren Kehle des Wirts. „Wenn nicht Meister Yvernat vielleicht für Gäste sorgt. Ich weiss es nicht. Ich will lieber den Bösen am Schwanz zupfen als mit Meister Yvernat ein Hühnchen pflücken. Er steckt mit allerhand Volk unter einer Decke und braucht sich um die Gesetze nicht zu kümmern. Denn es gibt weit und breit keine Parlamentsrichter und keinen Strassenmarschall, den er nicht bestochen hat!“

In tiefem Nachdenken kehrte der Ritter von Rimburg in die Wirtsstube zurück. Dort zog ihn der freimütige, blondbärtige Bürgersmann alsbald von neuem in das Glaubensgespräch.

„. . . wenn der Mensch keinen eigenen Willen hat, sich zwischen Bösem und Gutem zu entscheiden“, versetzte er eifrig, „so ist es ihm vorbestimmt, ob er sündigen wird oder nicht! Er ist nicht mehr verantwortlich für das, was er tut. Denn er muss es ja tun! Also kann er auch nicht dafür gestraft werden!. Wo aber bleibt dann die Hölle? Herr — das ist eine verzwickte Frage. Nach mancher schlaflosen Nacht weiss ich heute noch nicht, soll ich den Jansenisten oder den Jesuiten beitreten!“ Er rückte seinen Stuhl. „Doch ich muss meines Wegs weiter! Gehabt Euch wohl!“

Draussen klapperten die Hufe seines Pferdes. Adrian von Rimburg schaute dem biederen Bürgersmann nach.

„Er sollte sich um seinen Kram kümmern, statt um so ernste Dinge wie die Gnadenwahl!“ sagte er.

„Nun, Herr: sein Geschäft ist ernst genug!“

„Was treibt er?“

Der Wirt schwieg einen Augenblick. Dann sagte er:

„Es ist der Scharfrichter von Auxerre!“

Und mit einem Blick durch das Fenster:

„Er biegt an der Wegecke ab. Er reitet nach dem Schloss Mont-Crocq. Das hat dort nichts Gutes zu bedeuten!“

An dem schon fernen Henker galoppierte ein junger Knecht vorbei. Er führte ein Handpferd am losen Zügel. Er hielt vor der Herberge. Er stieg ab und verbeugte sich linkisch und treuherzig.

„Der Herr Vizegraf bittet den Herrn Ritter unter sein Dach!“

Adrian von Rimburg warf dem Burschen einen Beutel mit Silbermünzen vor die Füsse.

„Der Kaufpreis für die beiden Gäule! Vollwichtige Livres von Tours!“ sagte er. Er schwang sich in den Sattel und jagte, das Handpferd rechts neben sich am Halfter, in der Richtung nach Paris davon, und hinter ihm verhallte der Ruf des Wirts.

„Ihr habt zwei Rosse zum Wechseln, gnädiger Herr! Euch holt keiner ein!“

Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683

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