Читать книгу Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683 - Rudolf Stratz - Страница 9
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ОглавлениеKönig Ludwig der Vierzehnte von Frankreich speiste öffentlich in seinem Schloss zu Versailles.
Der Sonnenkönig sass allein in einem purpurdamastenen Lehnsessel an einem Tisch inmitten des Tafelsaals zwischen dem Jagdkabinett und seinem Arbeitszimmer. Mächtiges dunkles Gelock seiner erst vierzig Jahre umwallte ihm wie eine Löwenmähne bis weit über die Schultern das bartlose, mit Vorsatz vor den Augen der Menschheit in die Majestät eines olympischen Gottes gebannte Herrscherantlitz, auf dem ein unbändiger Wille zur Macht mit schrankenloser Sinnlichkeit sich zu einem satten Jenseits von Gut und Böse einte. Sein weisser Straussenfederhut, sein Elfenbeinstock und Seidenbandschuhpaar lagen auf dem Taburett neben ihm. Verschwenderische Goldstickerei verdeckte die Scharlachfarbe seines bis zu den Knien reichenden, mit goldener Schärpe gegürteten Schossrocks. Unter den hohen weissseidenen Strümpfen schimmerten die breiten Schnallenschuhe aus goldenem Leder und mit roten Absätzen.
Der Oberstmarschall hatte dem König die goldene Schale mit lauem Orangenblütenwasser zum flüchtigen Eintauchen der Fingerspitzen, der Oberstkämmerer das Batisthandtuch zum Abtrocknen gereicht. Mit wichtiger Miene, unter der Last seiner dreissig Ahnen, hielt der Vorschneider sein Messer bereit. Der hochadelige Oberküchenmeister stand dahinter, gebieterisch den Saal überblickend wie ein Feldherr die Schlacht. In langer Reihe trugen die adeligen Cadets die Schüsseln heran und überreichten sie den bedienenden Kavalieren, blaublütige Kammerherren gaben hurtig den Wein im Goldpokal auf goldenem Tablett wie einen Löscheimer beim Brand von Hand zu Hand. Schwärme von Höflingen in Gold- und Silbergala huschten. Im Hintergrund nach dem Marmorhof hin drängten sich die Lakaien und Trabanten.
Hausgarden von Versailles — aus den Adelskompanien der Musketiere, der Gendarmerie, der Ritter — säumten den Kaum gegen die Saalwände bin. Dort reihten sich die Glücklichen, die zuschauen durften, wie es dem Sonnenkönig schmeckte, und zwischen den silberweissen, purpurnen, apfelgrünen Fältelröcken der Damen und dem Tressenprunk der Kavaliere stand, in Hoftracht wie sie, in kurzem Schultermantel, bebänderter Jacke und Wadenstrümpfen, der Malteserherr Adrian von Rimburg und schaute zu, wie Ludwig der Vierzehnte den vierten Teller Suppe löffelte.
Der Höfling, der ihn hineingeleitet, trug den vielbeneideten blauen, rotgefütterten Rock der auserwählten Sechzig, die jederzeit um den König weilen durften.
„Verzieht hier, wenn es beliebt, bis der Herzog Philippus von Vendôme, an den Euer Empfehlungsschreiben lautet, das Schloss betritt! Ich werde Euch dann gleich dem Herrn Malteserprior der französischen Zunge melden!“ sprach er geschäftig und eilte davon. Adrian von Rimburg blieb und sah, wie der Sonnenkönig mit den Fingern ein Stück Fasan nach dem andern von der Schüssel nahm — nicht ohne die weiten Spitzenstulpen seiner Ärmel einzutauchen — es in den Händen hielt und die Keule benagte. Ein Rebhuhn erschien auf der Tafel. Ein grosser Teller mit Salat. Ein Hammelwürzfleisch. Ludwig der Vierzehnte liess von allem nichts übrig. Ehrfurchtsvolle Blicke der Zuschauer verfolgten in der tiefen Stille des Saals die vielen Gänge. Die Wohlgerüche unzähliger Essenzen brüteten über dem Diamantengeglitzer der Herzöge und Herzoginnen, Markgrafen und Markgräfinnen, Grossen Herren und ihrer Gemahlinnen. Aber durch die dicken Parfümwolken schlug doch zuweilen ein moderiger und übler Hauch ihrer seit den Kinderjahren nie gewaschenen Körper, deren gepuderte und geschminkte Gesichter überhaupt nicht, die Hände höchstens alle Wochen einmal mit einem Finkennäpfchen Wasser in Berührung kamen.
Die Marschkolonne der adeligen Speisenträger hatte jetzt Ludwig dem Vierzehnten zwei grosse Scheiben Schinken herangebracht. Der Herrscher verzehrte auch sie und sah sich nach einer Ragoutschüssel um. Eben, als die Cadets mit Obst und Konfitüren liefen, drängte sich der Höfling, im rot gefütterten Ehrenkleid, durch die Dünste von Rosenöl und ungepflegter Haut der Hofgesellschaft und flüsterte Adrian von Rimburg zu:
„Die leidigen Hugenottenhändel halten den Herrn Prior von Vendôme in Paris zurück! Es kann einige Stunden währen, bis Seine Gnaden hier einpassieren! Vielleicht lustwandelt Ihr inzwischen in den Gärten!“
Unermesslich erstreckten sich die Zieranlagen von Versailles mit ihren Taxushecken und Terrassen, Grotten und Teichen, steinernem Göttergewimmel und silbernen Springbrunnensäulen vor den Augen des Ritters vom Rhein, winzig wie Kinderspielzeug erschienen ihm dagegen in der Erinnerung alle die werdenden Nachahmungen des Parks von Versailles, die er an so manchem deutschen Fürstenhof gesehen, und zugleich wie ein Sinnbild der Macht des vierzehnten Ludwig über die Seele so vieler deutscher Grossen.
„Hier wohnt die Macht!“ schrien die Quadern des ungeheuren, im Vorjahr fertiggestellten Prunkschlosses von Versailles, das in seiner steinernen Majestät seinem Erbauer, dem Allerchristlichsten König, glich. Die Macht des einen Sonnenkönigs gegenüber dem Rattenkönig von viertausend Reichsfürsten, Reichsgrafen, Reichsständen, Reichsstädten, Reichsrittern jenseits des Rheins.
„Die Macht der Waffen! Der gallischen Waffen!“ — blitzte es von den langen Stossdegenscheiden, flatterte es von den Schlapphutfedern der Edelleute der königlichen Haustruppen, an den Portalen des Palasts. Und diese Handvoll Adelskompanien war nur ein Gleichnis für die zahllosen Kriegsvölker Ludwigs des Vierzehnten in den Niederlanden und am Rhein. Es gab zur Zeit in Europa nur noch eine zweite ähnliche Welt in Waffen — ging es Adrian von Rimburg durch den Kopf —, das Aufgebot dreier Erdteile des Islam wider Wien. Wenn der eine. Heerbann von Westen, der andere von Osten der Kaiser bedrohte, dann wehe Wien! Dann war Wien verloren! — das sah ein Kriegsmann wie Adrian von Rimburg — und mit ihm das Heilige Römische Reich! . . . Helft Wien! Rettet Wien, das Bollwerk der Christenheit! Eine leidenschaftliche Ungeduld wetterleuchtete auf den gebräunten, spitzbärtigen Zügen des Maltesers, während er in dem Waffenhof vor dem Schloss zwischen den Marstallgebäuden auf und ab ging: ich muss bei dem König von Frankreich Gehör finden, ehe die Sendboten des Sultans den Empfangssaal betreten!
Unwillkürlich musste er in seiner Erregung über einen Geck lächeln, der in Mitte einer Gruppe adeliger Stutzer von Versailles stand. Der kümmerliche Mensch trug Perlenringe in den Ohren, diamantenbesetzte Armbänder, schwarze Schönheitspflästerchen auf der Stirne. Sein flohbraunes Jäckchen war so kurz, dass sich darunter drei Handbreit sichtbar das rosa Spitzenhemd bauschte. Er schien so, als seien ihm die Hosen gerutscht. Aber er hatte gar keine Beinkleider an, sondern einen „Rheingraf“ — einen himmelblauen, weitschlotternden Hosenrock in Form eines Weiberkleids, der bis zu den Knien reichte, und dazu über den Schultern einen ärmellosen feuerfarbenen Mantel.
Der Modenarr bemerkte den belustigten Blick des Ritters. Er trippelte auf hohen Absätzen, herausfordernd die Rechte am Goldgriff des Degenkreuzes, vor ihn hin.
„Missfalle ich dem Herrn?“
„Ich kann nicht sagen, dass der Herr mir gefällt!“
„Dann schaue der Herr anderswohin!“
„Es mag gestattet sein, so viel Schneiderkunst zu bewundern!“
„. . . aber nicht unverschämt zu belächeln! Merke er sich das!“
„Merke der Herr, dass er zu einem Edelmann spricht, dem die Klinge locker sitzt!“
„Mir auch! Wird mir eine Entschuldigung nach Kavaliersbrauch zuteil?“
„Die erwarte ich von dem Herren!“
„Also ein Gang auf Stossrapiere, wenn’s beliebt!“
Der deutsche Ritter zog aus dem Jackenfutter die kartoffelgrosse, silberne Taschenuhr, deren dünne Goldkette sich zweimal um seinen Hals schlang. Er blickte auf den kunstvoll ziselierten Zeiger und dann auf den schlaffen Laffen vor ihm, und sagte trocken:
„Ich habe gerade noch Zeit, den Herrn zu erledigen, wenn der Ort nicht zu weit von hier liegt!“
„Beliebt mir zu folgen!“ rief einer aus der Gruppe der Kavaliere. Der ganze Trupp setzte sich um den rechten Flügel des Schlosses herum nach den Gärten zu in Marsch. Die Herren umher sahen ihm mit lässigem Interesse, die Damen mit sanfter Neugier nach. Das kam jeden Tag vor, dass sich ein paar Edelleute mit ihren Freunden zu einem Ehrenhandel seitwärts in die Büsche von Versailles schlugen.
Auf dem „Grünen Teppich“, einem letzten, von Zierhecken eingefassten Rasenplatz, zwischen Zopfpark und anstossender Waldwildnis, entledigte sich Adrian von Rimburg ebenso wie der Pfau vor ihm seines Schultermantels, wickelte ihn in losen Falten als Stossfang um den linken Arm und lüftete seine Klinge.
„Seien die Herren ohne Sorge um ihren Freund!“ sprach er. „Ein Flohstich in den rechten Arm wird genügen!“
Er hatte eben noch Zeit, sich in Kampfstellung zu werfen. Durch die Spitzenkrause hart neben der Halsschlagader zischte ihm die feindliche Waffe, fuhr blitzschnell zurück, suchte in einem Wirbel von Finten das Herz des Deutschen. Wie der Teufel sprang ihn der à la mode an. Das Gesicht des Weichlings lachte unheimlich verzerrt, um den Gegner zu verwirren. Sein blutroter Mantel flatterte. Stich um Stich zuckte in tödlicher Fechterkunst darunter hervor.
Und plötzlich sah im Tanz der Rapiere der Ritter von Rimburg in den Einöden der Auvergne sein vergiftetes Pferd alle Viere von sich strecken, sah den Scharfrichter von Auxerre nach dem Schloss drüben reiten und sah auf dem Petersplatz in Rom den feierlichen Schwarzkünstler Caretto mit seinem Zweikampf auf Giftpillen. Und er begriff: dieser Handel hier ist ein neuer Anschlag des Theopompo. Er hat mir, in der Maske eines Narren, die leckerste Klinge von Paris auf den Hals geschickt.
Die gefährlichsten ersten Augenblicke der Überraschung waren vorbei. Der Ritter Rimburg wusste jetzt, mit wem er es zu tun hatte. Er sprang federnd nach rechts und links, er drehte sich mit flatterndem Mantel, er streckte sich weit vor zum Ausfall, er wich behend zurück. Aber es gelang ihm immer nur, die Meisterstösse des andern abzufangen, nicht dem roten Teufel drüben auch nur die Haut zu ritzen, der wie ein Wirbelwind in seinem weiten Hosenrock ihn umhüpfte, und schon fühlte er mählich seinen Arm erlahmen.
Zwei blanke Degen fuhren plötzlich von der Seite her in das Klirren der Klingen, und trennten die beiden Kämpfer. Zwei Hofkavaliere standen da und der eine sprach streng:
„Stecken die Herren die Waffen ein und lassen den Handel ruhen! Es ziemt sich nicht für die Augen unserer hohen Dame!“
„Wir hielten uns hier am Waldrand für ungestört!“ sprach einer der Edelleute finster.
„. . . und doch gibt Ihre Hoheit auf ihren Spaziergängen dem frei gewachsenen Wald den Vorzug vor den Alleen von Versailles! Sie befiehlt den Herren, Frieden zu halten und sich zu entfernen!“
Die Kavaliere blickten nach dem Fusspfad, der aus dem Dickicht herausführte. Der eine murmelte verbissen zwischen den Zähnen.
„Die Pfälzerin . . .“
„Wollen der Herr sich des gebührenden Titels der Frau Herzogin von Orléans, der Schwägerin unseres allergnädigsten Königs Ludwigs des Vierzehnten, bedienen!“
„Sie ist doch die Tochter des Pfalzgrafen bei Rhein!“ sagte der Edelmann. Er und die andern zuckten die Achseln. Sie wandten sich nach der Richtung des Wegs, beugten mit einer tiefen Reverenz des Oberkörpers das rechte Knie, lüfteten mit einem umständlichen Schwung die Federhüte fast bis zur Erde und schritten in steifer Grandezza davon.
Lieselotte von der Pfalz sah ihnen nach. Sie war eine junge Frau von einunddreissig Jahren, in einem grauseidenen Morgenmantel, einen derben Spazierstock in der Hand. Ihr Antlitz war länglich und regelmässig, mit einer langen geraden Nase und still aufsässig geschürzten Mundwinkeln. Das kleine Gefolge hielt sich ehrerbietig zehn Schritte hinter der Gemahlin Monsieurs, des Bruders des Königs. Nur eine junge Kammerdienerin stand zu ihrer Linken und hielt ein mächtiges, spitzenbesetztes Sonnendach über das Kopftuch der Heidelberger Prinzessin, unter dem zu beiden Seiten die reichen Ringellocken hervorquollen.
„Den Messieurs haben wir ihr Divertissement sauer eingetränkt, meine liebe Jungfer Gundel!“ sprach Lieselotte von der Pfalz auf Deutsch zu dem frischen blonden Mädel im einfachen blauen Rock und weissen Umhängemäntelchen, die zu ihrem klaren hübschen Gesicht und ihren lustigen blauen Augen passten.
„Mir wär’s recht, wann sich alle Franzose — den König und Monsieur ausgenommen — gegenseitig ihre Bratspiess durch den Leib renne täte“, sagte die Jungfer Gundel, „statt dass sie uns unsern lieben Rhein verwüste!“
„Red nicht davon! Da kommt mir gleich das Flennen greulich an!“ Lieselotte von der Pfalz betrachtete den Ritter auf der Wiese. „Guck mal den da an, Gundel! Der scheint mir kein Franzos!“
„Ein abgedankter deutscher Hilfsritter von Malta!“ flüsterte herantretend untertänig der eine Hofkavalier.
„Schad, dass er sellen Modeaff nicht mehr auf Deutsch hat zur Ader lasse könne!“ Das runde Gesicht der Gundel mit der zierlichen Stupsnase war betrübt. Die Herzogin Lieselotte seufzte.
„Ich bin auch als noch gut deutsch und will alles gut deutsch herausbekennen!“ sagte sie. „Aber man wird durch all die Leut am Hof kreuzlahm wie ein alter Hund. Es kommt einem mählich schon Blei ins Quecksilber von früher . . .“
„Ach — wenn man an Heidelberg denke tut . . .“
„Da tut einem das Herz weh! Aber das sag ich nur dir . . . Du bist nicht wie sonst die Kammerweiber! An dir hab ich ein Seelenmensch! Warum steht der deutsche Herr alleweil noch da?“
„Der ist hier fremd! Der weiss nicht mehr, wie’s zum Schloss retour geht!“
„Spring hin, Gundel, und weis’ unsern Landsmann zurecht.“
Der Ritter von Rimburg hatte nicht weiter auf den Weg geachtet, als er sich raschen Schritts inmitten der welschen Kavaliere auf den Kampfplatz begab. Dort wollte er flinker, als man ein Paternoster betete, dafür sorgen, dass das Männchen im Hosenrock für die nächsten Wochen den rechten Arm in der Schlinge trug, und nach Erledigung dieses ritterlichen Handels mit den Edelleuten in heiterem Geplauder durch die Gärten nach dem Schloss zurückkehren. Jetzt war es gut, dass durch das Gewirr von Laubengängen, Teichen, Statuenreihen, Wasserkünsten, Heckenwänden die blonde, frische Gundel ihn führte. Der Mund stand der Jungfer der Herzogin Lieselotte nicht still. Sie schien Adrian von Rimburg mehr wie eine Vertraute, als eine einfache Kammerdienerin ihrer Herrin.
„Ach — ich bin so froh, dass ich mal wieder unscheniert deutsch schwätze kann, Herr Ritter von Malta!“ sagte sie, während sie leichtfüssig zu seiner Linken schritt. „Ich kann die Franzose in den Tod nicht leide!“
„Worin haben es die Franzosen bei der Jungfer verfehlt?“
„So arg dreckig sind sie!“ rief die Gundel. „Glaube Sie, die täte sich wasche? Lieber noch ein Buttelche Parfum darauf gegosse! Das Wasser fürchte sie wie die Sünd! Oh, mei! Die Sünd fürchte sie ja nicht! Die treibe’s wüst! Meine Frau Herzogin ist die einzige am Hof, denk ich, die mit gutem Gewissen in den Beichtstuhl trete kann!“
„Da hat die Jungfer, die ja so hübsch ist, wenigstens ein gutes Vorbild!“
„Elfebeinstäbche habe die hohe Dame in der Hand“, fuhr die Gundel hitzig fort, „damit kratze sie sich die Läus’ am Kopf, um nicht die schöne Löckche durcheinander zu bringe! Seidenspitzen und Goldborten habe sie über und über. Aber dazwischen krabbeln die Flöh! Bei uns daheim steht in jedem Handwerkerhaus am Samstagabend ein Schaff mit warmem Wasser. Aber gucket mal das riesige Schloss auf der Terrasse an, Herr Ritter! Glaubt Ihr, da gäb’s eine Badewanne? Ich bin nur ein einfaches Bürgerkind! Aber mir graust’s vor den feinen Herre und Dame!“
„Ich wollte, ich hätte vorhin eine so scharfe Klinge geführt, wie jetzt die Jungfer eine scharfe Zunge!“
„Das hab ich von der Frau Herzogin! Die nimmt kein Blatt vor den Mund! Wisse Sie: Wir sind bei Hof arg unbeliebt — die Madame Royale selber und wir alle, die zu ihr halte! Manchmal hocke wir beisamme und heule, wann wir zugucke müsse, wie sie hier in Pracht und Herrlichkeit lebe, und unterdes brennt der Rhein lichterloh. Wann die Franzose bloss nicht auch noch nach Heidelberg komme!“
„Stammt die Jungfer von dort?“
Die Gundel nickte.
„Mein Grossvater ist jetzt noch Hofkellerschreiber im Heidelberger Schloss. Zu dem ist seiner Zeit ein wandernder Wiener Küfergesell gekomme und hat meine Mutter geheiratet und ist viele Jahre gebliebe und hat beim Herrn Pfalzgrafen als Fassbinder geschafft. Und ich und andere Schlosskinder haben oft mit dem Prinzessche Lieselott gespielt, wenn sie auch fünf Jahr älter war als ich!“
„Daher steht Sie bei der Frau Herzogin so in Gunst!“
„So lang, als ich auf dem Schloss war! Ich war schon ein halbgewachsenes Jüngferche, wie mein Vater mit uns nach Wien zurück ist, weil dort seine Eltern gestorben waren. Seit hundert Jahren sind dort die Pernfuss bürgerliche Fabzieher an der Freijung, Das Zunftrecht hat mein Vater übernommen. Da habe wir in Wien gelebt. Vor einem Jahr hat die Frau Herzogin Lieselott ein widerspenstiges französisches Kammermensch wegjage müsse. Da hat sie an mich gedacht und mich hierher komme heisse!“
Die hübsche blonde Gundel Pernfuss blieb Stehen und sah den Ritter fest aus ihren hellen blauen Augen an.
„Aber ich bleib nicht mehr lang in Versailles!“ sagte sie entschlossen.
„Wo will die Jungfer hin?“
„Ei, nach Wien, Herr!“
„Das möcht ich der Jungfer nicht raten! Da droht mehr Gefahr, als sie vielleicht weiss!“
„Ja gerad deshalb!“
„Der Grosstürke kommt mit Macht . . .“
„Und meine Eltern sind in Wien!“
„Wien wird von den Janitscharen berannt werden!“
„Und ich soll nicht bei meine Eltern sein und die Türkennot mit ihnen teile?“ frug die junge Gundel atemlos. „Ich kenn meinen Herrn Vater! Der ist, wann der Gottesfeind anruckt, mit seinen Gesellen der erste auf der Schanz! Wir Weiber könne auch helfe. Wir könne heiss Wasser und siedend Pech richte zum Runterschütte und die Blessierte versorge und Stückkugeln nach vorn schleppe! Da soll ich hier aus dem welsche Affekaste zugucke, mit den Händen im Schoss? Sell kann ich nicht!“
„Und wie kommt die Jungfer hin?“
„Ich hab mir was gespart! Ich schlag mich schon durch, auch durch die Kriegsvölker am Rhein! Ich komm schon noch zurecht nach Wien, um den Türke von der Bastei eine lange Nas’ zu mache!“
Sie gingen weiter. Der Ritter von Rimburg sagte:
„Wenn die Grossen alle so dächten wie Ihr, Jungfer Pernfuss, dann stände es besser um die betrübte Christenheit!“
„Mein Vater schreibt mir als: Die Mächtigen sind arg dumm! Die bitten den Bösen aus dem Erdteil Asien her zu Gast und wissen nicht, was sie tun!“
„Weiss Gott: sie wissen nicht, was sie tun!“ wiederholte Adrian von Rimburg. „Ihr habt ganz recht, Jungfer Pernfuss. Aus Euch spricht des Volkes Stimme, und Volkes Stimme ist Gottes Stimme: Wien muss deutsch bleiben! Ist Wien nicht mehr deutsch, dann bricht das Abendland zusammen! Da sind wir beide eins, Ihr und ich! Die Sorge um Wien führt auch mich nach Versailles und führt mich jetzt vor das Antlitz des Königs!“
Die beiden hasteten, als gelte es jetzt schon, die Kaiserstadt zu retten. Sie erreichten den grossen Ehrenhof vor dem Palast von Versailles. In langen Reihen rollten da die vier- und sechsspännigen Karossen mit den Würdenträgern dieser Welt zur Audienz bei Ludwig dem Vierzehnten. Der Ritter von Rimburg sah auf den Kutschenschlägen die Wappen aller Gesandten von Europa. Er sah die Wappen der geistlichen und weltlichen Grossen des Abendlands, und er sah darunter auch viele, allzuviele Schilder grosser und kleiner deutscher Herren. Er sah zwischen steigenden Löwen die beiden Lachse der Grafen Salm, die gespreizten Adlerchwingen der vier am französischen Hof weilenden Grafen Fürstenberg, und wieder wurde ihm bang um das Deutsche Reich und um das deutsche Wien.
Viel Kriegsadel aus aller Herren Ländern — Portugiesen, Schweden, Spanier, Neapolitaner —, der bei dem Sonnenkönig Heeresdienst wider den Kaiser suchte, stand umher und sah mit Staunen, wie der Edelmann dem schlichten Kammermädchen die Hand drückte.
Ihr seid ein tapfer Ding, Gundel Pernfuss!“ sagte er. „Viel Glück auf den Weg nach Wien! Für uns beide!“
Er eilte dem Höfling in rotgefüttertem blauem Ehrenrock entgegen, der ihm schon von ferne winkte und zurief:
„Euer Gönner, der Prior von Vendôme, fährt eben ein! Der Vetter des Königs selbst wird Euch vor den Thron geleiten!“