Читать книгу Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683 - Rudolf Stratz - Страница 6

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„Und so gewann ich durch Gottes Gnade die Insel Malta und segelte von da nach Tarent und ritt hierher nach Rom!“ schloss der Ritter von Rimburg seinen. Bericht.

Vor ihm, in einem der weitläufigen Ahnensäle thronte in Purpurfalten der Herr des Palastes, der Rardinal Fürst Chigi, und neben ihm zur Linken im satten Rot der Eminenzen andere Kirchenfürsten und zugleich Fürsten von Geblüt der Ewigen Stadt, die Barberini, die Ludovisi, und zu seiner Rechten hager, streng mit spitzem Graubart, der Grossmeister des Malteserordens in langem, schwarzem, mit Zobelpelz gesäumtem Mantel und darunter der roten Weste mit dem achteckigen weissen Kreuz. Und um die geistlichen Grossen herum war der marmorgepflasterte kühle Saal voll von schwarzen Röcken eleganter junger Abbaten, farbigen Kopftüchern über weissgepuderten, mit schwarzen Schönheitspflästerchen beklebten Frauenwangen, goldbrokatenem und strohfarbenem und himmelblauem Modeprunk der Kavaliere. Ein hoher Adel lauschte dem, was dieser heissblütige, kriegserfahrene Malteser aus eigenem Augenschein, eindringlicher als es irgendein anderer hätte können, von gemeiner, nahender Türkennot meldete.

Er selbst war jetzt nicht mehr der zerlumpte Sklave in der Barbarei, nicht mehr der blutbespritzte Ritter im Mittelmeer. Die Bartwildnis war geschwunden. Seine gebräunten, länglichen, leidenschaftlichen Züge zeigten den Spitzbart, der um diese Zeit den Männern in ganz Europa ein kriegerisches und abenteuerliches Aussehen verlieh. Darunter faltete sich ein viereckiges Spitzenhalstuch über einer goldbraunen Samtjacke mit weiten, weissen Spitzenärmeln, ebensolche Pluderhosen bauschten sich ihm am Knie über den silbergrauen Strümpfen und goldbraunen Schnallenschuhen.

Die Diener reichten Platten mit Früchten und Zuckerwert herum, und der Purpurträger Fürst Chigi wandte sich zu den Priestern, den Damen, den Herren von Welt.

„Verzeiht das geringe weisse Fayence der Teller und Schüsseln! Mein und der andern Kardinäle Tafelsilber bat sich in Guldenstücke für den Kaiser zur Verteidigung Wiens gewandelt.“

„Wo ich jetzt durch Italien kam“, rief feurig der Ritter von Rimburg, „da trugen die Ratsherren in den Städten die Spendelisten für den Türkenkrieg von einem Haus zum andern. Frauen und Mönche sammelten auf den Plätzen. Die Kirchenglocken läuteten zu den Prozessionen. Die Landstrassen waren voll von Wallfahrerzügen! Ziegenhirten und Bauern öffneten in den Dörfern ihre Lederbeutel!“

Während er sprach, wandte er unwillkürlich wieder die Augen halb von den hohen Herren der Kirche ab und zu einer jungen Dame, die bescheiden seitwärts mit im Schoss gefalteten Händen auf einem niederen Polsterschemel sass. Seine Gebanntheit durch die schöne Fremde fiel schon auf. Die weltlichen Abbates im Hintergrund tuschelten erheitert mit den enggeschnürten Fräulein in weitgebauschten Röcken.

„Die fahrende Marquise aus Versailles hat es dem fremden Herrn angetan!“

„Er soll sich hüten! Diese Rose ward nicht im Himmel gepflückt!“

„Im Gegenteil! Das war des Teufels Meisterstück!“

„Wer ist diese Frau?“

„Ihr habt noch nicht von ihr gehört, Monsignore?“ sprach ein junger Abbate, dessen Tonsur nicht recht zu seinem weltkundigen und galanten Lächeln passte. „Die Marquise Quinette von Giou ist unvermählt, obgleich sie wohl schon Mitte der Zwanzig zählt, und, wie ihr seht, durch ihr Äusseres von der Vorsehung dazu bestimmt, Männern, die nicht so heilig sind wie wir, den Kopf zu verdrehen!“

„Sie ist verführerisch — in der Tat! . . .“

Quinette von Giou schien zu merken, dass von ihr die Rede war. Aber sie war offenbar daran gewöhnt. Sie sass harmlos da und blickte still aus ihren klugen schwarzen Augen auf Adrian von Rimburg. Ein kunstvolles Gewirr von geringelten und gewickelten Locken und Löckchen umwehte im leisen Luftzug ihr weissgepudertes, feines, schmales Marquisengesicht, mit den dichten schwarzen Augenbrauen und den blutrot gemalten Lippen, die ein kaum merkliches Lächeln umspielte. Geheimnisvoll, unergründlich der Aufschlag ihrer langen, dunklen Wimpern zu dem deutschen Ritter vor ihr.

„Er hat ja keine Ordensgelübde abgelegt!“ sprach der menschenkundige Abbate belustigt.

„Nochmals: Wer ist sie?“

„Es ist schwer zu sagen, Monsignore, ohne sich den Mund zu verbrennen. Denn immerhin — sie ist eine Marquise von altfranzösischem blauem Blut. Ihr Vater — die Mutter starb schon, als sie ein Kind war — ist bettelarm — ist ein Spieler — hm — er gewinnt merkwürdig oft — ein Schmarotzer an der Tafel der grossen Herren in Versailles, aber immerhin — er ist ein Marquis. Er darf beim Morgenempfang des Königs in der Ochsenaugenkammer erscheinen!“

„Und was tut die Marquise hier in Rom?“

„Sie wird es uns nicht verraten!“ sagte der Abbate. „Es ist seit Jahren kein dunkler Handel in Paris — seit der Enthauptung der Giftmischerin, der Brinvilliers, den Zaubereien der Madame Voisin — wo sie nicht irgendwo im Hintergrund auftaucht. Der Herzog von Montmorency und Marschall von Luxemburg gilt mit dem Teufel im Bund. Er ist vom Hof verbannt. Aber er ist noch mächtig genug, seine Hand über Quinette von Giou und ihre Freunde, die Alchymisten, die Goldmacher und Geisterbeschwörer von Paris zu halten!“

Quinette von Giou fächelte sich sanft mit dem winzigen Straussenfächer Kühlung. Sie hatte graziöse, höfisch gezierte Bewegungen einer Dame der grossen Welt. Sie war von Gestalt mittelgross, zart und zierlich gewachsen und, seltsam für ihre Jugend, in schwarze Seide gekleidet, die mit tiefem weissem Spitzenausschnitt ihre schlanke Taille umschloss und sich am Rock rechts zu hohen Falten bauschte. Eine Stirnschleife von der sumpfähnlichen, gelbgraugrünen Modefarbe: „Kranker Spanier!“ beschattete fast unheimlich das kluge, lebhafte Gesicht.

„Also eine Abenteurerin!“ sprach der Prälat.

„Wenn — dann eine vornehme! Sie steht auf gutem Fuss mit den Prinzen und Prinzessinnen, den vielen natürlichen Kindern Ludwigs des Vierzehnten, und mit seinen vielen jetzigen und früheren Mätressen. Man ist nicht so zimperlich am Hof von Versailles. Aber allerdings — wo die Marquise von Giou ist, da sind auch Abenteuer! Sie hat sicher auch hier einen geheimen Auftrag. Aber wir wollen hören, was der Ritter von Malta weiter meldet! Gott schenkte ihm die Gabe des Worts!“

„Er spricht wahrhaftig mit feurigen Zungen!“

Adrian von Rimburg stand vor den Kirchenfürsten in Purpur. Heiss flackerten seine Augen.

„Wenn ich so braungebrannt bin wie ein Mohr“, rief er, „dann ist es, weil mich der Hauch der Hölle versengt hat! Ich habe die Hölle sich öffnen sehen zum Aufbruch wider die Christenheit! Es ist nicht das erste Mal! Vor mehr als tausend Jahren schlugen auf den Katalaunischen Feldern Römer, Germanen, Gallier Schulter an Schulter die furchtbare Schlacht gegen Attila und seine Hunnen und retteten das Abendland. Was wäre geschehen, hätten damals die Gallier sich mit den Horden Asiens verbündet und ihnen die Tore der Christenheit geöffnet? Ein Flammenmeer hätte das Ende der christlichen Welt bedeutet! Die Hunnen hätten ihre Rosse nicht nur an der Donau — nicht nur hier am Tiber — nein — auch an der Seine getränkt!“

„Auch an der Seine!“ wiederholte stürmisch Adrian von Rimburg und blickte dabei wieder, er mochte wollen oder nicht, auf die still dasitzende, rätselhaft lächelnde Marquise aus Paris. „Und immer wieder durch die Jahrhunderte schlagen wir in Europa wider Asien die Katalaunische Schlacht, da drüben am Ende Europas, wo das heilige deutsche Reich und das Königreich Polen für Europa Wache halten!“

„Fürchterlicher als je feit der Katalaunischen Schlacht“, endete er leidenschaftlich, „fährt jetzt der Drache aus Asien heran! Wir können ihn nur vom Goldenen Stuhl werfen, wenn wir alle, die an unsern Herrn und Heiland glauben, uns zu Blutbrüdern und Gotteskämpfern einen — mit den Deutschen, mit den Polen auch das mächtige Frankreich und sein grosser König!“

„Und was sagt die Marquise von Giou als Französin dazu?“ frug in der Stille, die den Worten des Maltesers folgte, von rückwärts der galante junge Abbate und beugte sich über das schwarze Lockengewirr vor ihm.

„Ich kenne Quinette von Giou von Paris her!“ flüsterte ein anderer Abbate dem Monsignore zu, „Sie werden leichter unten auf dem Fischmarkt am Kapellenplatz einen schlüpfrigen Aal in den Händen behalten, als diese Frau bei einer unzweideutigen Antwort fassen!“

Die Marquise von Giou hatte einen Augenblick überlegt. Jetzt sagte sie mit einem sibyllinischen Lächeln:

„Sie fragen mich als Französin! Auch Ihre Majestät die Königin Casimire von Polen ist eine Französin!“

„Das wissen wir, Madame!“ rief erhitzt der Ritter von Rimburg. Es waren die ersten Worte, die er mit ihr wechselte.

„Ich kenne in Versailles den Herrn Vater der Königin, den Marquis Lagrange d’Arquien!“

„Sie weichen der Antwort aus!“

„Ich will nicht klüger sein als die Gemahlin des Königs Johann Sobieski in Warschau!“ sprach Quinette von Giou lächelnd.

„Und wenn ich Sie doch frage, Madame, was Sie von den Welthändeln halten?“ Adrian von Rimburg liess die Augen nicht von dem schmalen, feinen, weissgepuderten Antlitz der Marquise. Sie blickte hinüber nach den Eminenzen und dem Grossmeister und den vielen Priestern hinter ihnen.

„Wir sind hier halb in der Kirche!“ sagte sie. „Die Frau schweige in der Kirche!“

„Auch, wenn man sie bittet zu reden?“ versetzte der Kardinal Chigi. Quinette von Giou neigte ehrfurchtsvoll den dunklen schönen Kopf.

„Ich bin nicht nur eine Französin! Ich bin eine Frau. Eine Frau wünscht kein Blutvergiessen! Ich bin überzeugt: Jedermann in Frankreich — von meinem erhabenen König abwärts — ersehnt nur den Frieden auf Erden!“

Ich wollte, ich könnte mit dieser Unschuldsmiene heucheln!“ raunte der elegante junge Abbate zu dem Monsignore.

„Wenn aber der Antichrist keinen Frieden gibt, Madame, so muss sich Ihr König Ludwig der Vierzehnte entscheiden! Wird er Europa retten helfen oder nicht? Sie kommen von seinem Hof. Sie kennen dort die Stimmung!“

„Ich verstehe nichts von Kriegsdingen. Ich werde heute mittag noch in St. Peter auf den Knien für den Frieden beten!“ Die Marquise antwortete es, halblaut vor Ehrerbietung, dem kardinal. „Mehr kann eine Frau nicht tun!“

„Ich möchte diese Frau nicht zum Feind haben!“ sprach der Abbate zu dem Monsignore. „Da steht sie eben auf und rafft ihre schwarze Schleppe.“

„. . . und verschwindet unauffällig, während sich die Kardinäle mit dem Malteser unterhalten!“

Auch Adrian von Rimburg verabschiedete sich nach kurzer Zeit mit tiefer Verbeugung vor den Eminenzen und sich weltmännisch verneigend vor der Schönen Welt im Saal. Er stülpte sich in der Vorhalle die breite Krempe des mit Goldschnur besetzten silbergrauen Huts über das unruhig bewegte, spitzbärtige Antlitz und nahm den langen, mit Elfenbein besetzten Bambusstock, den er zum Galanteriedegen an der Seite trug. Er schritt die prunkvolle breite Freitreppe des Palastes Chigi hinab und trat in den Barockhof. In dem dunkelgrünen Lorbeergebüsch, das ihn nach der Höhe hin abschloss, lächelten unter Palmen und Zypressen kleine weissmarmorne Liebesgötter erwartungsvoll dem Ritter entgegen, wie er mit ungestümen Schritten auf Quinette von Giou zutrat.

„Sie gaben mir einen Augenwink, Ihnen zu folgen“, versetzte er gedämpft.

Die Marquise stand zart und schlank in ihrer schwarzseidenen, weitgebauschten Robe vor der Silbersäule eines Springbrunnens. Sie erwiderte nichts.

„Warum, Madame?“ Es klang atemlos.

Quinette von Giou blieb immer noch stumm. Sie sah ihn nur an. Und er sie. Die Amoretten schmunzelten. Das Plätschern des Wassers klang durch die Stille. Die Stimme Adrians von Rimburg stockte, als er frug:

„Was haben Sie mir zu sagen?“

„Dass ich Sie bewundere! Sie sind ein Mann!“

„Deren gibt es viele!“

„Hier in Rom, in der Stadt der Kirchen und der Priester, hat ein Krieger nicht solch ein Gewicht!“ sagte die Marquise. „Aber wir Franzosen sind Kinder des Ruhmes. Wir ehren den Helden. Euer Grossmeister selbst erzählte, ehe Sie kamen, von der Tapferkeit, mit der Sie im Mittelmeer fochten!“

„Es ist sehr gnädig von Seiner Eminenz!“

„Wie gross, muss Ihre Standhaftigkeit in der Gefangenschaft gewesen sein!“

„Sie liegt hinter mir!“

„Ich darf Ihnen das alles sagen!“ Quinette von Giou trat vertrauensvoll, mit fromm gefalteten Händen, einen Schritt näher. „Denn es hat ja keine Folgen. Sie haben, wenn Sie jetzt auch weltliche Tracht tragen, Enthaltsamkeit gelobt. Sie sind ein Mönch in Waffen!“

„Ich bin kein dienender Malteser Bruder von Gelübde, sondern von dieser Welt! Ich war nur ein freiwilliger Hilfsritter auf Zeit!“

„Dann hätte ich Ihnen das nicht sagen dürfen!“ Die Marquise aus Versailles wich verwirrt und erschrocken ein paar Schritte zurück. „Mein Herz war so voll. Ich bitte Sie: Betrachten Sie es als nicht gesprochen!“

„Das kann ich nicht!“ Die dunklen Augen des Ritters von Rimburg glühten.

„Hätte ich gewusst, dass wir Frauen für Sie nicht ein Blendwerk des Teufels sind . . .“

„Ich habe seit Jahren kaum eine Frau gesehen!“ sprach Adrian von Rimburg. „Auf den Maltesergaleeren, auf denen wir gegen die Ungläubigen kreuzten, gab es keine und in der ägyptischen Gefangenschaft erst recht nicht. Sie sind die erste Frau, der ich seit langem wieder begegne . . .“

„Und nicht die letzte!“ Quinette von Giou sagte es in einem leisen, fast schmerzlichen Ton. „Es wird Ihnen ein Leichtes sein, mich und das Gespräch zu vergessen. Bitte — tun Sie es als Edelmann und seien Sie verchwiegen!“

Sie schien sich zu bezwingen, als sie doch wieder näherkam und ihm die Hand zum Kuss reichte. Dann schritt sie leichtfüssig auf die Sänften zu, die in der Torwölbung des Palastes warteten, und befahl, während sie in einen der Kasten schlüpfte, den beiden Trägern:

„Haltet an der Schweizerwache vor dem Vatikan!“

Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683

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