Читать книгу Löwenfisch - Rudolf Trink - Страница 15

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7.

Zu seiner Wanderung brach Rumpler ziemlich früh auf, um nicht in die Mittagshitze zu geraten. Er parkte sein Auto unter einigen großen Bäumen, die zumindest teilweise Schatten versprachen, und machte sich an den Aufstieg. Rumpler ging sehr langsam, setzte ganz bewusst Schritt vor Schritt und blieb zwischendurch immer wieder stehen, um die Umgebung in sich aufzunehmen. Mehrfach hatte er ziemlich hohe Leitern zu überwinden, die ihm sein Alter bewusst machten. Es war ihm klar, dass es eher unwahrscheinlich war, die Plätze zu finden, an denen Anton Zargl seine Fotos gemacht hatte. Trotzdem war er teilweise erfolgreich.

Nach etwa einer halben Stunde kam er nämlich zu einem großen Stein, hinter dem ein Blütenpolster üppig blühte, mit der Intensität und Leuchtkraft der Bergpflanzen. Ein Blick auf seine Fotosammlung brachte Gewissheit. Das graugrüne Moos auf dem Stein und auch die Form des Steins selbst ließen keinen Zweifel offen. An dieser Stelle war Anton Zargl gestern um genau zehn Uhr sechzehn gestanden, nur etwa eine Stunde von seinem Tod getrennt. Rumpler besah sich die anderen Fotos. Drei davon waren zu späteren Zeitpunkten gemacht worden, zwei hingegen schon vorher. Er zog aus seinem Rucksack, der neben einem Wetterschutz auch eine Jause enthielt, sein neu eröffnetes Moleskine-Buch und zeichnete eine Zeitlinie, auf der er als Beginn den Zeitpunkt jenes Fotos markierte, dessen Motiv er eben entdeckt hatte. Für die Zeitpunkte der drei später entstandenen Bilder setzte er im entsprechenden Maßstab Querstriche auf die Zeitlinie und schrieb die jeweiligen Zeiten darunter. Die Abstände von sieben, zwei und neununddreißig Minuten zwischen den Fotos drei bis sechs lieferten zumindest einen vagen Hinweis für den weiteren Verlauf von Anton Zargls Wanderung, an dem sich Rumpler orientieren konnte. Die Stellen, an denen die Fotos vier und fünf gemacht worden waren, fand er trotz intensiver Bemühungen nicht, so wenig charakteristisch waren ihre Motive. Erst beim sechsten und damit letzten Bild war Rumpler wieder erfolgreich. Die Leitern und die Teufels Badstuben genannte felsige und durch die Feuchtigkeit etwas glitschige Stelle lagen zu seiner Erleichterung bereits hinter ihm. Der Weg verlief auf einem Grat, der auf der einen Seite steil abfiel und einen spektakulären Ausblick bot. Ein Blick auf Foto Nummer sechs brachte Gewissheit. Hier hatte Anton Zargl, wie schon Moser gesagt hatte, sein letztes Foto geschossen und hier war er wohl auch abgestürzt. Ein aus Ästen hergestelltes kleines Holzkreuz, neben dem einige halb verwelkte Blumen lagen, bestätigte Rumplers Vermutung. Er besah sich die Umgebung gründlich. Unter der Annahme eines Fremdverschuldens für Zargls tödlichen Absturz war davon auszugehen, dass sich ein möglicher Angreifer, der über dessen geplante Wanderroute Bescheid wusste, weil er seine E-Mails ausspioniert hatte, hier auf die Lauer gelegt hatte. Eine einzige Stelle erschien Rumpler dafür geeignet, eine kleine Mulde, die durch einige Sträucher und Steine einen passablen Sichtschutz bot. Die Entfernung bis zur Absturzstelle betrug nur etwa vier Meter. Das war nahe genug, um jemanden, der vielleicht ein Foto von der atemberaubenden Aussicht machen wollte, nach ein paar schnellen Schritten in die Tiefe zu stürzen.

Routinemäßig kontrollierte Rumpler das mögliche Versteck auf etwaige Spuren. Anders als in zahlreichen Kriminalromanen fanden sich dort aber weder verräterische Zigarettenstummel noch leere Getränkedosen oder Ähnliches. Auch die Bodenbeschaffenheit wirkte völlig unverdächtig. Nach einigen Eintragungen in seinem Moleskine-Buch samt Skizze des Absturzortes machte sich Rumpler wieder auf den Weg, der zu seiner Erleichterung deutlich einfacher verlief als der doch recht anspruchsvolle Aufstieg. Er war bereits sehr hungrig, hatte aber nicht an der Absturzstelle essen wollen. Erst nachdem er gut einen Kilometer zurückgelegt hatte, schaute er sich um und fand einen als Sitzplatz geeigneten Stein. Während er mit Genuss sein mit Wurzelspeck belegtes Brot aß, dazu noch Paprikastreifen und kleine, besonders aromatische Paradeiser, ließ er seinen Blick schweifen und genoss die Ruhe.

Plötzlich war er hellwach. Ohne dass er hätte sagen können, worum es sich handelte, hatte etwas für einen Sekundenbruchteil seine Aufmerksamkeit eingefangen. Er bewegte sich nicht und ließ nur seinen Blick in völliger Konzentration über die Umgebung gleiten. Dann sah er es. Es handelte sich um ein in Tarnfarbe gehaltenes Kästchen von etwa zehn mal zehn Zentimeter, das sich beim Näherkommen als ausgezeichnet versteckte, kaum sichtbare Wildkamera entpuppte. Interessant. Rumpler wusste, wie unwahrscheinlich es war, dass noch andere Wildkameras so nahe am Weg angebracht waren, dass sie vielleicht auch Wanderer mit ihrem Bildausschnitt erfassten, aber einen Versuch war die Sache allemal wert.

Etwa drei Stunden später gab Rumpler daher im zuständigen Gemeindeamt an, er hätte auf seiner Wanderung möglicherweise ein verendetes Tier gesichtet. Sicher wäre er sich freilich nicht, aber er würde doch gern mit dem zuständigen Jäger sprechen. Man gab ihm ohne Weiteres Namen und Telefonnummer. Der Jäger, ein gewisser Ferdinand Haller, bat Rumpler, ihn, wenn möglich, zwecks näherer Angaben kurz zu besuchen, was diesem sehr gelegen kam.

Haller wohnte in einem uralten Blockhaus mit kleinen Fenstern. Der Eingang war so niedrig, dass Rumpler sich bücken musste, um ins Haus zu gelangen, das innen einen interessanten Gegensatz von altertümlichen Gerätschaften, wie etwa gusseisernen Pfannen verschiedener Größe, und modernem Inventar bot. Das Internet-Zeitalter hatte ganz offensichtlich auch vor diesem Haus nicht Halt gemacht. Haller war ein groß gewachsener Mann von etwa dreißig oder fünfunddreißig Jahren mit dunkelblondem Haar und graugrünen Augen, die zu gleichen Teilen Ruhe und Aufmerksamkeit ausdrückten. Er setzte seine Worte sehr bedacht.

Rumpler erklärte ihm seine Notlüge hinsichtlich des verendeten Tiers und gab sich als pensionierter Kriminalbeamter zu erkennen. Auf seine Frage bezüglich der Wildkameras ging der Jäger zunächst überhaupt nicht ein,

„Sie kommen sicher wegen des Verunglückten. Ihre Kollegen waren ja gestern auch schon bei mir.“

„Wie haben Sie denn von dem Unglück erfahren?“

„Ich bin bei der Bergrettung. Gestern hab ich Bereitschaft gehabt und hab gemeinsam mit meinem Kollegen den Toten raufgeholt.“

„Ich versteh. Mich interessieren eigentlich Ihre Wildkameras.“

Haller blickte kurz auf. „Aha. Die Kameras.“ Dann sagte er wieder länger nichts.

„Am Weg.“

Wieder eine Pause. Dann plötzlich. „Da gibt’s schon was.“ Der Jäger zog eine Wanderkarte hervor und legte sie vor Rumpler hin.

„Das ist der Weg zu Teufels Badstuben. Die Kreuzeln da zeigen, wo ich meine Kameras hab. Eine davon, die dicht am Weg oben montiert ist, ist seit gestern Vormittag ausgfalln. Vielleicht hats wer gstohln oder ein vermeintlicher Tierschützer hats zerstört. Kommt immer wieder vor.“

Rumpler war enttäuscht. „Dann gibt’s also von der ausgefallenen Kamera keine Bilder mehr.“

„Hrmpfh.“ Während seines kleinen Grunzers machte sich der Jäger mit erstaunlicher Geschicklichkeit daran, seinen Laptop zu bearbeiten. „Schau ma mal. Ich hab das so eingrichtet, dass ich die Bilder immer gleich auf den Laptop krieg. Ich bin nur noch nicht dazukommen, dass ich sie mir anschau, weil gestern is es sehr spät worden.“ Nach einer kleinen Pause kam Hallers Erklärung. „Das Feuerwehrfest.“

„Ich versteh.“ Rumpler beugte sich in gespannter Erwartung vor. „Welche Kamera ist denn gestern ausgfalln?“

Der Jäger wies auf einen der markierten Punkte auf der Karte, der nach Rumplers Einschätzung nur ein paar Hundert Meter hinter der Absturzstelle lag. Auf dem Bildschirm erschienen einige Fotos, unter denen jeweils Datum und Uhrzeit angeführt waren. Zwei davon zeigten einen Dachs. Das letzte Foto war um zehn Uhr fünfzig übermittelt worden. Es zeigte die Beine eines Menschen, vermutlich eines Mannes. Die vom Knie abwärts sichtbare Hose war unauffällig, die Schuhe machten einen kräftigen, soliden Eindruck.

„Könnt ich das Bild haben?“

„Klar. Ich schicks Ihnen.“

„Vielen Dank.“ Rumpler gab ihm seine E-Mail-Adresse.

„Wenn ihr das Gfrast erwischts, dann schauts, dass es zahlt!“

„Machen wir. Könnten Sie mir bitte Bescheid geben, ob die Kamera entfernt oder ob sie zerstört worden ist?“

„Kein Problem.“

Nach Hinterlassen seiner Telefonnummer sowie der Warnung, mit niemandem über die Angelegenheit zu sprechen, verließ Rumpler das Jagdhaus.

Für den Beweis eines Fremdverschuldens am Tod Zargls war das Foto der Wildkamera eine viel zu dünne Suppe. Trotzdem war der zeitliche Zusammenhang auffällig. Unmittelbar vor Anton Zargls tödlichem Absturz hatte jemand die nahe beim Weg montierte Wildkamera erkannt und funktionsunfähig gemacht. Noch etwas beschäftigte Rumpler. Wildkameras waren in aller Regel nicht einfach zu entdecken und es bedurfte einer sehr genauen Beobachtungsgabe, um sie zu orten. Wenn also bei Zargls Sturz doch Fremdverschulden im Spiel war, dann handelte es sich wohl um jemanden, der sehr gründlich vorging. In Rumpler begann Sorge um Sonja zu keimen.

Auf der Heimfahrt erreichte ihn ein Anruf von Moser. Er hatte einen Beamten in die Wohnung geschickt, aber trotz gründlicher Suche war der Zettel mit dem Dreieck unauffindbar. Der Beamte hatte zur Sicherheit auch den Papierkorb kontrolliert, ebenfalls ohne Erfolg. Sogar Zargls Putzfrau hatte man befragt, die aber auf Stein und Bein schwor, die Zeichnung nicht gesehen zu haben. Der Zettel, den Sonja auf Pritzlers Schreibtisch gesehen hatte, war verschwunden.

Als er wieder zu Hause angekommen war, kontrollierte er den Posteingang seines Laptops. Der Jäger hatte ihm, wie versprochen, das Bild geschickt, samt einer Nachricht, dass die Kamera zerstört, aber nicht entfernt worden war. Rumpler wählte den Bildausschnitt so, dass die Schuhe des Unbekannten gut zu sehen waren, und zoomte sie so nah wie möglich heran. Aus dieser Perspektive waren sogar die qualitativ hochwertigen Nähte im oberen Randbereich der Sohlen gut zu erkennen, ebenso wie ein kleines, rautenförmiges Emblem, das einen Buchstaben, ein in das Leder der Raute eingeprägtes K oder R, umgeben von einer kreisförmigen roten Ziernaht, einschloss. Immerhin. Die Schuhe waren nach Rumplers Einschätzung alles andere als Massenware, vielleicht sogar eine Einzelanfertigung. Eventuell ergab sich hier ein Anknüpfungspunkt.

Er beschloss, Moser über seine Entdeckung zu informieren, und vereinbarte mit ihm für den nächsten Tag um neun Uhr ein Frühstück im Café Rathaus.

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