Читать книгу Löwenfisch - Rudolf Trink - Страница 8
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1.
Herbert Eisenreh war nervös. Die letzten Wochen hatten an seinen Nerven gezehrt. Er brauchte seinen Job. Immer hatte er gedacht, er wäre für den Chef unentbehrlich. Plötzlich war dann der Neue aufgetaucht, vom Chef persönlich in die Firma geholt. Trotz seines Ärgers hätte er dem Chef nicht drohen sollen, aber das war nicht mehr zu ändern. Und jetzt noch dieser verfluchte Auftrag. Eine Zustellung bei Nacht und starkem Regen, in einer gottverlassenen Gegend. Eisenreh fuhr vorsichtig. Zu langsam durfte er aber auch nicht sein, weil er für die Übergabe eine genaue Zeitangabe bekommen hatte. Eine Ungenauigkeit konnte er sich bei seinen Kunden nicht leisten. Nur noch acht Kilometer. Der Asphalt glänzte tückisch, manchmal kam der Wagen leicht ins Rutschen. Gegenverkehr gab es zum Glück keinen.
Plötzlich hatte er vor seinem inneren Auge das Bild eines Autounfalls, ein völlig zertrümmertes Wrack. Eisenreh riss sich zusammen. Er wusste, dass er in Gefahr war, aber er durfte sich nicht gehen lassen. Er hatte noch etwas zu erledigen. Ein Gedanke beruhigte ihn. Falls ihm wirklich etwas zustoßen sollte, war da immer noch sein Freund, der Fuchsl, dem er das Dokument mit seiner Geschichte gezeigt hatte. Der Fuchsl hatte diesen Journalisten mitgebracht und der würde dafür sorgen …
Verdammt! Wieder eine enge Kurve. Dann plötzlich, aus dem Nichts, diese entsetzlich starken Scheinwerfer, direkt vor ihm. Unwillkürlich schloss er wegen der unerträglichen Helligkeit die Augen und verriss den Wagen so stark nach rechts, dass er gegen die Leitschiene knallte, sie halb durchbrach und an der Kante zwischen Böschung und Steilhang hängen blieb. Noch bevor Eisenreh überhaupt realisiert hatte, was geschehen war, spürte er, wie sein Wagen sich wieder in Bewegung setzte, mit unwiderstehlicher Gewalt über die Kante geschoben wurde und den dahinter liegenden Steilhang hinabstürzte. Ein Gedanke an seine Schwester zuckte durch sein Hirn, dann war alles dunkel.
Der schwere Geländewagen oben auf der Straße wendete, der Fahrer leuchtete mit einem starken Suchscheinwerfer in die Tiefe und sah schließlich das auf dem Dach liegende völlig zertrümmerte Wrack. Erledigt. Er entfernte die an der mächtigen Stoßstange seines Wagens festgezurrten dicken Gummimatten, verstaute sie im Kofferraum und verließ den Unfallort.
Als der Unfallwagen am nächsten Tag entdeckt und die Leiche des Lenkers ärztlich untersucht wurde, war der entsprechende Drogentest positiv. Hinweise auf Fremdverschulden gab es keine. Somit wurde Herbert Eisenreh als einer der zahlreichen Verkehrstoten des laufenden Jahres zunächst zu den Akten und schließlich zu Grabe gelegt.
Reinhard Pritzler war glücklich, zum ersten Mal seit langer Zeit. Er fühlte sich stark genug, von dem Zeug wegzukommen, und er würde mit dem Berti nach Afrika reisen. Endlich hatten sie Geld, von dem Journalisten, der dem Berti seine Geschichte abgekauft hatte, und sie würden noch mehr Geld bekommen, wenn sie veröffentlicht war. Genug für eine richtige Safari, mit den big five – Löwen, Leoparden, Büffeln … Schon vor Jahren hatten sie sich in einem Geschäft, das auf Abenteuerreisen spezialisiert war, einzelne Ausrüstungsgegenstände gekauft: Tropenhelme, Moskitonetze, ein Fahrtenmesser, einen Kompass. Er holte die Sachen aus seinem Kasten, legte sie neben sich aufs Bett und befühlte sie mit seiner Rechten. Sie waren ihm völlig vertraut, die Farben und Formen, jede kleine Unebenheit, die Beschaffenheit der Oberflächen. Unzählige Male hatte er dieses Ritual schon durchlaufen. Gleichzeitig fiel sein Blick wie zufällig auf den kleinen Beistelltisch, auf den er die Spritze gelegt hatte. Eigentlich hätte er sie gleich wegwerfen sollen, aber so war es ja noch besser. Endlich konnte er sich selbst wirklich beweisen, dass er es ernst meinte. Sein Verkäufer hatte ihm heute das Zeug angeboten wie jedes Mal, und als er ihm erklärt hatte, er habe nicht genug Geld, hatte er ihm eine Spritze geschenkt. Er hatte das nicht erwartet. Eigentlich nett von ihm. Aber nicht notwendig. Obwohl … nach den Aufregungen der letzten Zeit hatte er sich eine kleine Entspannung verdient und es gab einen Grund zum Feiern. Dieses eine Mal würde ihn schon nicht umbringen. Er griff nach der Spritze, setzte sich die Nadel an den Arm, zögerte noch kurz und fühlte dann, wie sie eindrang. Ein vertrautes, wohliges Gefühl breitete sich in ihm aus. Herrlich würden sie sein, die Abende in Afrika, gemeinsam mit dem Berti, mit unglaublichen Sonnenuntergängen, die die Savanne in allen Farben aufleuchten ließen. Plötzlich fühlte er eine heftige Übelkeit. Die Sonne leuchtete immer stärker, erst orange, dann blutrot, sie begann zu kreisen, schneller und schneller und wurde schließlich grellweiß. Pritzlers Traum riss ab.
Der nächtliche Besucher öffnete ohne Beschädigung und beinahe lautlos das technisch schwache Schloss der Wohnungstür. Er sah sich kurz um, nahm Pritzlers schlaff herabhängende Linke in die latexbehandschuhte Hand und fühlte seinen Puls. Es hatte geklappt. Kein weiterer Handlungsbedarf, nur noch eine Erfolgsmeldung an den Chef.
Anton Zargl atmete auf. Geschafft. Er war schon länger nicht auf der Rax gewesen und der Aufstieg war doch anstrengender gewesen, als erwartet. Endlich hatte er die unangenehme Stelle mit dem seltsamen Namen Teufels Badstuben und mit ihr auch seine Sorgen hinter sich gelassen. Während des Aufstiegs hatten sie ihn noch gequält, er hatte an seinem Erfolg gezweifelt, obwohl oder sogar weil die Geschichte, an der er dran war, einfach großartig war, für einen Journalisten eine Gelegenheit, wie man sie wohl nur einmal im Leben bekam. Vielleicht zu groß für ihn, wie der riesige Marlin, der für den alten Fischer in Hemingways Der alte Mann und das Meer eine zu große Beute gewesen war. Jetzt war plötzlich alles anders, die Zweifel waren verflogen. Ihm war klar, er würde es schaffen. In seinem Kopf war der Artikel schon fertig und Zargl malte sich aus, wie er, der so oft von den Kollegen mitleidig belächelt worden war, sie alle überflügeln würde. Die Kurzatmigkeit, die ihm zuvor noch zu schaffen gemacht hatte, war wie weggeblasen. Oben am Grat angekommen, genoss er den freien Blick. Er fühlte sich unbesiegbar. Allen würde er es zeigen, allen. Er musste diesen wunderbaren Moment mit einem Foto festhalten.
Zargl hörte noch das schwache Geräusch hinter sich, konnte es aber nicht zuordnen. Als er sich umdrehen wollte, war es schon zu spät. Der wuchtige Stoß traf ihn genau zwischen den Schulterblättern und ließ ihn ins Bodenlose stürzen.
Der Angreifer zog einen Feldstecher aus dem Rucksack. Zargls zerschmetterter Kopf stand in einem völlig unnatürlichen Winkel zu seinen Schultern. Es hatte bestens geklappt. Jetzt war auch der Dritte tot und damit die Gefahr gebannt. Obwohl – da waren noch die Frauen. Die Schwester vom Eisenreh konnte was wissen und vielleicht auch die andere. Er würde sich darum kümmern.