Читать книгу Scharfe Klingen (-Stadt) - Ruth Broucq - Страница 8
Gauner und Tagediebe
ОглавлениеUdo kam ihr gleich entgegen gestürmt, als sie das Sportcafe betrat.
„Na endlich. Wo warst du denn so lange? Ich brauche Geld. Also so geht das nicht. Ich bin im Brand und kann nicht weiter zocken, weil ich keine Kohle mehr in der Tasche habe. Das läuft demnächst anders. Gib!“ knurrte er missgestimmt.
Seine Ausdrucksweise war ihr zwar fremd, aber er ließ keinen Zweifel daran, dass er sich verausgabt hatte.
„Aber wieso? Du hattest doch bestimmt dreihundert Mark in der Tasche. Hast du das alles verspielt?“ war das für sie kaum vorstellbar. „Das geht doch nicht, Udo. Wir brauchen das Geld für eine Wohnung. Ein paar Sachen kann ich von Robert haben, aber nur fürs Wohnzimmer. Wir brauchen dann noch Küchen- und Schlafzimmermöbel, dazu reicht das, was wir haben, nicht einmal.“ Belehrte sie ihn vorwurfsvoll.
Ärgerlich schnauzte er sie hart an: „Quatsch jetzt nicht, wegen der Wasserflöhe. Gib was du bei dir hast. Ich hab Schulden zu bezahlen. Wir werden noch genug Geld für Möbel verdienen, noch haben wir ja gar keine Wohnung. Und notfalls kaufen wir gebrauchte Möbel. Meine Schränke werde ich auch von der Manuela abholen, damit kommen wir schon klar. Also gib Geld, alles was du bei dir hast! Nun mach, die Partie läuft noch!“ befahl er.
Geschockt starrte Ruth ihren Freund an, dann stotterte sie: „Ich habe tatsächlich das Meiste zu Hause gelassen. Ich habe nur Zweihundert mitgenommen und davon habe ich auch schon etwas ausgegeben.“
Verärgert verzog er das Gesicht und knurrte: „Scheiße! Also gut, muss ich meine Schulden morgen bezahlen, das ist nicht so tragisch. Also gib mir was du hast.“ Als laute Geräusche von Stühlen rücken zu hören war, ärgerte sich Udo: „So ein Mist, die Partie ist zu Ende. Jetzt kann ich heute meine Kohle nicht mehr zurück gewinnen. Tja, das hast du nun erreicht. Dann können wir ja gehen. Warte, ich sag eben Bescheid, dass ich morgen bezahle.“
Alle Männer, die aus der Spielecke aufgestanden waren, verteilten sich in dem großen Saal in mehrere Richtungen.
Ruth sah, dass Udo mit einem glatzköpfigen älteren Mann sprach, zu ihr rüber zeigte, worauf der Glatzköpfige nickte.
Dann kam Udo auf Ruth zu, nahm sie grob beim Arm und dirigierte sie zum Ausgang. „Jetzt gehen wir ins Landhaus, ein leckeres Steak essen, damit die wenige Kohle wenigstens unserem Magen zugute kommt. Ich habe Hunger.“ Dagegen hatte sie nichts einzuwenden.
„Sag mal, mir ist aufgefallen, dass immer die gleichen Leute im Sportcafe sind, und zwar zu jeder Tageszeit. Und alle zocken immer. Wann arbeiten die Leute denn, und woher haben die denn so viel Geld?“ fragte Ruth unterwegs.
Udo lachte laut auf, belehrte sie: „Dummchen, arbeiten? Die versauen sich doch nicht den Tag mit Arbeit. Nein, das sind alles kleine Gauner und Tagediebe. Die verdienen mit zocken oder anderen steuerfreien Tätigkeiten was sie brauchen.“
Verwundert wollte Ruth wissen: „Und wenn sie verlieren? Die können doch nicht immer gewinnen, oder? Du hast ja bisher auch nur verloren, jedenfalls habe ich noch nicht gesehen, dass du gewonnen hast. Woher nehmen die das Geld zum Leben? Und wieso nennst du die Leute Tagediebe?“
„Ich weiß es nicht genau, aber einige Mitternachtskaufleute sind dabei, Luden und Taschendiebe, und manche kriegen auch ihr Geld vom Arbeitsamt, oder Sozialamt. Aber ich nenne sie alle Tagediebe, weil sie alle nicht arbeiten sondern dem lieben Gott den Tag stehlen.“ Erklärte er schmunzelnd.
Ruth verkniff sich die Bemerkung, dass er sich dann also auch zu den Tagedieben zählen müsse, weil sie diese Bezeichnung für ihren Lebensgefährten nicht akzeptieren wollte. Obwohl man es den Männern keineswegs ansah, hatte Ruth sich schon gedacht, dass die Gäste des Sportcafes keine Otto-Normalverbraucher waren. Ihre Ausstrahlung war Ungewöhnlich. Zwar hatte sie sich die Männer nicht genau angesehen, aber ihr war aufgefallen, dass sie alle mit einer gelassenen Ruhe, je nach Spiel, gegen- oder miteinander spielten, und dabei eine Zufriedenheit ausstrahlten, die bemerkenswert war. Keine Eile oder Hektik war erkennbar, nicht einmal Ärger bei Verlust. Sie verhielten sich seltsam übereinstimmend, als sei es gesichert, dass der Ausgleich vorbestimmt war. Es machte den Männern Spaß, ja das war es wohl, es war nur Spaß. Konnte das der Grund sein? Dass diese Clique das Leben nicht ernst nahm? Dass sie aus Spaß gegen jede Regel verstießen, oder aus Respektlosigkeit?
Während des Essens berichtete Ruth von Roberts Entgegenkommen, und anschließend wollte sie die Zeitung aufschlagen, aber Udo stoppte sie: „Nein, pack die Zeitung wieder in deine Tasche. Das machen wir zu Hause, aber Morgen. Heute machen wir uns einen gemütlichen Abend mit viel Liebe.“
Strahlend nickte Ruth. An diesem Tag kam sie nicht mehr dazu in die Zeitung zu schauen, Udo wusste sie abzulenken.
Es wurde eine lange, heiße Nacht, die Ruth wieder in ihrer Ansicht bestärkte, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Der Montag fing eigentlich wie ein ganz normaler Arbeitstag an. Für den Nachmittag hatte Ruth sich zwei Telefonnummern, von Wohnungen, aufgeschrieben, die sie nachmittags anrufen wollte. Es schien ein vielversprechender Tag zu werden.
Während Udo im Bett geblieben war, beeilte sie sich ihre Werbetour so kurz wie möglich zu halten, dazu suchte sie sich ein Gebiet im nahegelegenen Gruiten bei Mettmann aus. Die Einfamiliehaus-Siedlung, in der ein Haus dem anderen ähnlich war, eignete sich bestens für unsere Werbung, weil die Häuser alle eine Fassaden-Renovierung dringend nötig hatten. Sie waren sicher eine Billig-Baureihe, denn der ehemals weiße Putz blätterte bei den Meisten stark ab.
Als Ruth die Frauen zu Hause abgesetzt hatte schwankte sie kurz, aber dann entschloss sie sich erst ins Büro zu fahren, bevor sie Udo abholte. Denn es war noch zu früh, um Kunden zu besuchen.
Der Chef schien auf Ruth gewartet zu haben, denn er stand im Empfangsbereich des Vorraumes und fiel gleich, mit einem Redeschwall, über sie her: „Gut das du kommst, Ruth. Ich habe einen Sonderauftrag für dich. Du musst morgen nach Nürnberg fliegen, und mein Auto bei Detewe abholen. Das bringst du mir dann nach Berlin. Und bei der Gelegenheit bleibst du mal zwei Wochen in Berlin und zeigst den dortigen Werbedamen mal wie erfolgreiche Werbung geht!“
Ruth fiel aus allen Wolken, lehnte spontan empört ab: „Was? Nein! Das mache ich nicht. Such dir dafür Jemand anders. Was soll ich denn in Berlin?“
Sauer zischte Meier: „Werbung machen, sagte ich ja eben. Die Frauen kommen mit unserer Werbung nicht klar. Die bringen fast keine Adressen rein, obwohl die täglich stundenlang unterwegs sind. Sagen sie jedenfalls. Du musst da mal Schwung reinbringen. Ja, und auf dem Weg kannst du mir doch mal eben mein Auto abholen, oder etwa nicht? Detewe hat da ein Autotelefon eingebaut, und ich brauche den Wagen in Berlin.“
„Dann mach das doch selbst!“ lehnte Ruth konsequent erneut ab.
„Ich habe hier noch zu tun, und auf dem Weg kannst du ja wohl eben das Auto abholen. Jeder andere würde sich freuen mal einen Stingray Corvette fahren zu dürfen. Nach Berlin musst du ja sowieso.“ Beharrte er auf seinem Auftrag.
„Nein, muss ich gar nicht!“ widersprach Ruth energisch.
„Doch, das musst du schon, wenn ich dir den Auftrag gebe. Denn, meine liebe Ruth, wir haben einen Arbeitsvertrag, den du ja unbedingt behalten willst, und in unserem Arbeitsvertrag steht, dass das Arbeitsgebiet von der Firmenleitung von Zeit zu Zeit neu festgelegt werden kann. Und ich verlege es jetzt nach Berlin. Für zwei Wochen. Das hast du doch sicher in dem Vertrag gelesen, nicht wahr? Also Widerspruch zwecklos. Ablehnung kommt einer Arbeitsverweigerung gleich und kann eine fristlose Kündigung zur Folge haben. Willst du das wirklich riskieren?“ trumpfte er zynisch grinsend auf.
Ruth schüttelte den Kopf und versuchte einen anderen Weg: „Ich denke nicht, lieber Bert, dass du damit durchkommen würdest. Denn ich bin verheiratet und habe Kinder, und mit einer Verlegung in ein so weit entferntes Arbeitsgebiet, schaffst du einen sozialen Missstand. Also vergiss mal dein Berlin.“
Meier lachte laut und zynisch als er seinen letzten Trumpf raus ließ: „Nein, liebe Ruth, den sozialen Missstand hast du gerade selbst geschaffen. Du hast dich von deiner Familie getrennt. Also, geh nach Hause, wo immer das jetzt auch sein mag, pack ein paar Sachen und sei morgen Vormittag um elf Uhr hier. Die Maschine geht um drei.“
Als er sah, dass Ruth noch zögerte, und er wohl befürchtete, dass sie es lieber auf einen Crash ankommen ließ, bot er ihr entgegenkommend an: „Damit du nicht weiter stur bleibst, hab ich mir gerade überlegt, dass ich dir zeige, wie viel Verständnis ich für deine Lage habe. Damit du dich nicht von deinem Udo trennen musst, spendiere ich ihm ein Ticket nach Berlin und lasse ihn morgen nachkommen. Ich habe ein schönes Apartment auf dem Kudamm, darin könnt ihr beide wohnen. Also? Noch Einwände?“
Sprachlos schüttelte Ruth den Kopf.
Draußen vor dem Büro traf Ruth auf Norbert Fuchs, der hielt sie mit der Frage auf: „Na, sehen wir uns übermorgen in Berlin?“
Erstaunt erkundigte sie sich: „Wieso? Kommst du auch dahin? Dann kannst du doch die blöde Karre in Nürnberg abholen. Da habe ich gar keine Lust zu. Ich bin doch nicht Meiers Dienstmädchen!“
Norbert lehnte grinsend ab: „Nee, mach du das mal besser, ich habe auch keine gute Erfahrung mit den Vopos.“
„Mit was? Wieso Vopos? Meinst du die Polizisten im Osten? Was hast du denn mit denen zu tun?“ verstand Ruth seine Antwort nicht.
Norbert lachte laut, erklärte: „Ach das hat er dir wohl nicht gesagt? Du musst doch durch die Zone fahren, und Meier denkt, dass du keine Probleme mit den DDR-Behörden kriegst. Ihn haben die doch letztens schon einmal über Nacht eingesperrt, weil er in seinem Mercedes das Autotelefon benutzt hat. Deshalb traut der sich doch nicht mit dem Stingray durch die Zone zu fahren. Also, lass ja das Telefon ausgeschaltet, sonst packen die dich auch in den Knast. Die Vopos sind da rigoros.“