Читать книгу Hypnodrama in der Praxis - Ruth Metten - Страница 19

1.3.2Was bringt die Hypnose dem Psychodrama?

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Erinnern wir uns kurz daran, wie Moreno das Hypnodrama entdeckte (siehe Abschnitt 1.3). Rein zufällig soll es geschehen sein, und zwar in einem Moment, als er mit den psychodramatischen Technik en zunächst nicht weiterkam. Seine Hauptspieler in litt damals unter sexuellen Wahnvorstellungen und Albträum en. Jede Nacht wurde sie vom Teufel heimgesucht, der mit ihr schlief. Eine quälende und peinliche Angelegenheit, nicht wahr? Wer wollte sich damit schon freiwillig konfrontieren? Noch dazu auf der Bühne, vor anderen? Niemand dürfte es wundern, dass Moreno zunächst vergeblich versuchte, sie dazu zu bringen, ihre Erinnerungen in Szene zu setzen. Doch dann wurde er sehr befehlend. Dem konnte sie sich offenbar nicht widersetzen. Sie fühlte sich gezwungen, ihm zu entsprechen, was ihr nur gelang, indem sie ihr Monitoring ausblendete, »vergaß«, dass sie vor anderen agierte und mit wem sie es wieder zu tun bekam. Wollte sie Moreno Folge leisten, blieb ihr kein anderer Weg, als sich ganz auf ihre Albtraumwelt zu fokussieren – d. h. in Hypnose zu gehen. Auch die traumatisierten Soldaten, die Enneis im Zweiten Weltkrieg behandelte, konnten ihre Abwehr gegen eine neuerliche Bewusstwerdung ihrer furchtbaren Erlebnisse aufgeben, indem sie in Hypnose gi ngen. In beiden Fällen wirkte die Hypnose – um es mit Morenos Worten auszudrücken – wie ein psychologischer Starter (vgl. Moreno 1950, p. 6; vgl. Enneis 1950, p. 12).

Enneis präzisiert diesen Effekt, indem er erklärt, dass die Hypnose den Patienten im Hypnodrama von vielen hinderlichen Barrieren und störenden Einmischungen des eigenen Ichs befreie. Sein Bestreben, zwei Rollen aufrechtzuerhalten – sich also während des eigenen Spiels auch von außen als kritischer Beobachter zu erleben –, werde geschwächt und es sei seinerseits nur noch ein Minimum an Ausweichen und Abwehr spürbar (vgl. Enneis 1950, pp. 12, 52; vgl. Sanders 1977, p. 373). Wie diese Aufrechterhaltung von zwei Rollen durch Hypnose umgangen werden kann, zeigt das folgende Fallbeispiel.

Ein 24-jähriger Klient – nennen wir ihn Emil – wird von einer Gruppenteilnehmerin ausgewählt, die Rolle ihres Vaters zu übernehmen. Darin soll er ihr zu Unrecht Vorwürfe machen und sie lautstark als egoistisch und verantwortungslos beschimpfen. Das fällt dem Klienten sichtlich schwer. Er spricht zwar die ihm vorgegebenen Worte aus, wirkt dabei jedoch zurückhaltend, zögerlich, unsicher. Der Leiter nimmt ihn daraufhin zur Seite und thematisiert die beobachteten Schwierigkeiten. Das stimme, bestätigt der Klient. Er nehme sich zurück, um nicht anzuecken, nichts Dummes oder Verletzendes zu sagen. Ob er sich denn erinnere, irgendwann in seinem Leben schon mal so richtig wütend gewesen zu sein, fragt ihn der Leiter. Ja, als Kind habe er sich einmal furchtbar über seinen kleinen Bruder aufgeregt, weil der ständig mit seiner Trompete rumgetutet habe – trotz der von ihm wiederholt ausgesprochenen Bitte, es nicht zu tun. Schließlich sei er wutentbrannt zu seinem Vater gelaufen und habe ihn aufgefordert: »Mach, dass er aufhört!« Der Leiter bittet den Klienten daraufhin, seine Augen zu schließen und noch einmal der Emil von damals zu sein …, zu fühlen, wie dieser furchtbar wütend auf seinen Bruder sei, … und jetzt zu seinem Vater zu laufen und von ihm zu verlangen, dass er etwas unternehme, damit sein Bruder aufhöre. Es sei hilfreich, wenn Emil dieses »Mach, dass er aufhört!« auch tatsächlich ausrufe. Genau das tut Emil – sogar wiederholt. Daraufhin bittet ihn der Leiter, nun mit dieser Wut die Rolle des Vaters zu spielen, was ihm diesmal – wie von der Teilnehmerin gewünscht – gelingt. Nach Spielende erklärt der Klient der Gruppe, sich anfänglich in seiner Rolle immer gefragt zu haben, »Ist das okay so?«, »Wirke ich komisch?«, »Rede ich zu laut?«. Er habe den Vater gespielt und sich gleichzeitig dabei beobachtet, in der Erwartung, etwas falsch zu machen, sich zu blamieren. Mit dem wütenden Emil sei es ihm möglich gewesen, den Kritiker außen vor zu lassen, hundert Prozent bei der Sache zu sein.

Darin besteht ein Vorteil, den das Hypnodrama gegenüber dem Psychodrama hat. Blockaden und Hemmungen lassen sich hier leichter umgehen (vgl. Supple 1977, S. 224 f.; vgl. Greenberg 1977a, S. 237; vgl. Sanders 1977, S. 374). Denn in Hypnose entfällt das Monitoring, das Gewahrwerden dessen, was geschieht, aus der Perspektive eines distanzierten Beobachters (siehe Abschnitt 1.3.1). Damit erübrigen sich meist Hemmungen, weil nicht mehr realisiert wird, dass das Spiel vor anderen stattfindet. Der Klient kann ganz in seiner Rolle aufgehen (vgl. Supple 1977, p. 224). Auch werden in Hypnose »konkurrierende« Welt en ausgeblendet. Problemtrancen (vgl. Schmidt 2015, S. 45), die die spielerische Darstellung blockieren könnten, treten währenddessen nicht in Erscheinung. Denn wie für Highlander, so gilt auch in Hypnose: Es kann nur einen – respektive eine – geben.24 Wir können uns nicht zugleich bewusst auf zwei oder mehr hypnotische Welt en fokussieren. In einer »drin« zu sein, bedeutet, die anderen verlassen zu haben. Wie hilfreich sich das im Psychodrama auswirken kann, mag das folgende Fallbeispiel verdeutlichen.

Eine 52-jährige Klientin – nennen wir sie Henriette – wird von einem Gruppenmitglied ausgewählt, in der Aktionsphase der Psychodrama-Sitzung die Rolle ihrer Mutter zu übernehmen. Sie stimmt dem zu. In der nachfolgend gespielten Szene geht es darum, dass die etwa 8-jährige Tochter eine Stunde verspätet von der Schule nach Hause kommt, weil sie draußen noch Freundinnen getroffen und darüber die Zeit vergessen hat. An der Tür wird sie von ihrer Mutter mit harschen, vorwurfsvollen Worten in Empfang genommen und ohne weiteren Kommentar zum Hausarrest für den Rest des Tages auf ihr Zimmer geschickt. Von Henriette, die in der Gruppe bisher sehr durchsetzungsstark in Erscheinung trat, ist bekannt, dass sie selbst in ihrer Kindheit unter einer von ihr als herrisch erlebten Mutter gelitten und beständig gegen diese rebelliert hat. Mühelos übernimmt sie im Spiel die Rolle der Mutter der Mitpatientin. Hingegen tut sie sich in einer anschießenden zweiten Szene sehr schwer, eine verständnisvolle Mutter zu verkörpern, die nachvollziehen kann, dass man zusammen mit seinen Freundinnen schon mal die Zeit vergisst, die ihrer Tochter aber auch zeigt, wie viel Sorgen sie sich gemacht hat, und gemeinsam mit ihr überlegt, wie künftig zu verhindern ist, dass so etwas noch einmal passiert, dass die Tochter ihr beispielsweise kurz Bescheid sagt, wenn sie sich verspäten wird. Immer wieder weicht sie davor aus, gegenüber ihrer Tochter Gefühle der Sorge und Angst zum Ausdruck zu bringen, indem sie ihrem eigenen Spiel eine komische Note gibt, über die alle herzhaft lachen müssen. Wie alle Teilnehmer der Gruppe, so ist auch die Klientin bereits in Selbsthypnose geübt. Die Sitzung wird kurz unterbrochen, um ihr – begleitet durch den Leiter – die Gelegenheit zu geben, in Hypnose ganz in die Rolle der besorgten Mutter zu gehen. In ihrem nachfolgenden Spiel erscheint sie wie verwandelt. Sie lehnt nicht mehr lässig am Türrahmen, sondern öffnet ihrer Tochter, sichtlich erleichtert darüber, sie zu sehen, mit den Worten die Tür: »Kind, wo warst du, ich habe mir solche Sorgen gemacht!« Sie äußert Verständnis für die Verspätung der Tochter, macht ihr aber auch deutlich, in welcher Not sie sich befunden hat. Die Tochter erklärt, nicht gewollt zu haben, dass sie sich sorge, und verspricht, künftig Bescheid zu sagen, wenn es bei ihr später werde.

Erst in Hypnose gelang es der Klientin, ihre Abwehr zu umgehen und die zuvor humorvoll umschiffte Rolle zu verkörpern. Auch bei ihr wirkte sie also wie ein Starter. Doch das war nicht ihr einziger Effekt. Im abschließenden Erfahrungsaustausch berichtete Henriette, dass ihr in der Rolle der verständnisvollen Mutter etwas klar geworden sei. Bislang habe sie ihre Gefühle immer weggedrückt, um einen klaren Kopf zu bewahren, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Doch sie könne sie auch zulassen, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren. Das habe sie gerade erlebt. Gefühle zu zeigen, sei sogar wichtig, um Probleme gemeinsam zu lösen.

Was lehrt uns dieses Beispiel? Die Hypnose ist im Hypnodrama definitiv mehr als ein Starter. Sie unterstützt den therapeutischen Effekt des Psychodrama s. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Schon Enneis sprach davon, dass es infolge der Hypnose zu einer stärkeren Katharsis komme (vgl. Enneis 1950, pp. 12–14). Denn dem Klienten falle es dabei leichter, seine Gefühle auszudrücken (vgl. Enneis 1950, p. 13). Auch zeige er auf diese Weise eine größere Spontaneität und Kreativität (vgl. Enneis 1950, p. 13). Beides befähige ihn dazu, Rollen zu spielen, die er ansonsten verweigert hätte (vgl. Enneis 1950, p. 14), und angemessener zu interagieren (vgl. Enneis 1950, pp. 13, 53). Ja, der Klient könne überdies im Hypnodrama Einsicht en gewinnen, auch wenn es ihm nicht gelänge, sie in Worte zu fassen (vgl. Enneis 1950, pp. 13, 53). Henriette aus dem Fallbeispiel vermochte selbst das.

Hypnose wirkt also auch effektverstärkend auf das Psychodrama. Das ist verständlich. So absorbiert, wie wir dabei sind, schirmt sie uns weitestgehend von allen inneren und äußeren Störreizen ab, die dazwischenfunken und damit den therapeutischen Effekt untergraben könnten. Deshalb fällt es uns in Hypnose auch leichter zu lernen (vgl. Halsband 2004, S. 21, 26; 2006, pp. 474, 477; 2009, S. 14; Halsband u. Herfort 2007, S. 18; Halsband et al. 2009, pp. 196 f., 205).25 Ein Phänomen, das Enneis ebenfalls bemerkte (vgl. Enneis 1950, p. 53).

Nun gut. Die Hypnose ist bereichernd für das Psychodrama. Doch wie kommt sie hinein?

Hypnodrama in der Praxis

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