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1.1.1Greift Moreno die Katharsis von Freud und Breuer auf?

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In den Jahren 1880 und 1881 entdeckte der Wiener Arzt Josef Breuer eine neue Behandlungsmethode, als er die hysterische Störung einer seiner Patientinnen zu heilen versuchte. Ihr Fall wurde später von ihm unter dem Pseudonym Anna O. berichtet (Breuer u. Freud 1895, S. 15–21). Die neuartige Technik, mit der es Breuer gelungen war, ihre Symptomatik zum Abklingen zu bringen, nannte er Katharsis. Für die Namensgebung werden ihm wohl seine Kenntnisse in Altgriechisch und sein Philosophiestudium zupassgekommen se in. Zunächst ließ es Breuer mit der kathartischen Methode bei seinem Erfolg im Fall der Anna O. bewenden. Etwa ein Jahrzehnt später konnte allerdings der Wiener Arzt und Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, sein Interesse daran erneut wecken und ihn dazu bewegen, sie gemeinsam mit ihm zu erforschen. Bereits 1893 präsentierten sie ihre Ergebnisse im Zentralblatt für Neurologie unter dem Titel Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene – vorläufige Mitteilung.9 1895 folgten dann die Studien über Hysterie (s. Breuer u. Freud 1895).

Doch was ist unter der darin beschriebenen kathartischen Methode zu verstehen? Freud erklärte dazu in einem Vortrag, den er am 11. Januar 1893 in der Sitzung des »Wiener med. Club« hielt, dass sie einem der heißesten Wünsche der Menschheit entgegenkomme, nämlich dem Wunsch, etwas zweimal tun zu dürfen. Wenn jemand ein psychisches Trauma erfahren habe und ihm verwehrt gewesen sei, darauf genügend zu reagieren, lasse man ihn bei dieser Behandlungsmethode das Gleiche ein zweites Mal erleben, jetzt aber in Hypnose, und nötige ihn dazu, die Reaktion zu vervollständigen, sich nun des Affekts der Vorstellung zu entledigen, der früher sozusagen eingeklemmt gewesen sei.10

Die kathartische Methode befreit also von Affekten, die eingeklemmt waren, weil nicht genügend auf sie reagiert werden konnte. Das wird nun in Hypnose nachgeholt. Der Betroffene bekommt auf diese Weise eine zweite Chance, seine Reaktion auf den Affekt zu vervollständigen und sich dadurch seiner zu entledigen. Was dabei geschieht, wird deshalb von Breuer und Freud nicht nur Katharsis, sondern auch Abreaktion genannt (vgl. Freud u. Breuer 1925b, S. 179). Beide vergleichen es metaphorisch mit dem Aufschließen einer versperrten Türe (vgl. Freud u. Breuer 1925b, S. 212).

Im Fall Barbara geschah im Prinzip das Gleiche. Nur ereignete sich die Abreaktion dort nicht auf einer Bühne in der Innenwelt, zu der die Hypnose Zugang verschaffte. Vielmehr stand eine solche hier in der Außenwelt des Stegreiftheaters. Wo auch immer die Bühne verortet sein mag, ihre Bretter bedeuten jedenfalls eine Welt, 11 in der eingeklemmte Affekte – Moreno spricht von Konfliktsituation en – auf eine unschädliche Weise abreagiert bzw. ausgespielt und ausgelebt werden können. Dadurch gelinge es, so auch der Psychodramatiker Eberhard Scheiffele, sich von nicht ausgedrückten Emotion en zu befreien, ohne befürchten zu müssen, andere hiermit zu verletzen (vgl. Scheiffele 2008, p. 152). Das Betreten der Bühne öffnet, um im Bild von Breuer und Freud zu bleiben, sozusagen eine versperrte Tür, um sich »einen der heißesten Wünsche der Menschheit« zu erfüllen, nämlich den, »etwas zweimal tun zu dürfen« und jetzt »die Reaktion zu vervollständigen« (Freud u. Breuer 1925a, S. 11). Als Freud seiner Zuhörerschaft am 11. Januar 1893 die kathartische Methode erklärte, war Moreno nicht einmal vier Jahre alt. Die Entwicklung seines Psychodramas lag noch vor ihm. Später wird er dessen Effekt als eine wahnsinnige Passion beschreiben, eine Aufrollung des Lebens im Schein, die nicht wie ein Leidensweg wirke, sondern den Satz bestätige, dass jedes wahre zweite Mal die Befreiung vom ersten sei (vgl. Moreno 1988, S. 89; vgl. Moreno 1924, S. 77).

Die Übereinstimmung mit den von Freud gewählten Worten ist verblüffend. Beide reden davon, dass etwas ein zweites Mal erlebt werde und dadurch befreiend wirke. Und es gibt noch einen weiteren Punkt, in dem Moreno und Freud konform gehen: die Bewertung des Effekts der Katharsis. So wenden Breuer und Freud in ihren Publikationen zur kathartischen Methodee inschränkend ein, dass diese nur vorübergehend entlaste, weil sie die Bedingungen unbeeinflusst lasse, die den eingeklemmten Affekt en ursächlich zugrunde lägen. Sie wirke symptomatisch, aber nicht kausal. Anstelle der beseitigten Symptome könnten folglich wieder neue entstehen (vgl. Freud u. Breuer 1925b, S. 186; 1925a, S. 24). Auch Moreno sieht in der Katharsis keinen kurativen Behandlungserfolg, sondern lediglich »eine vorbeugende Maßnahme gegen das ›irrationale Handeln‹ im Leben selbst« (Moreno 1988, S. 60; vgl. Moreno a. Moreno 1959, p. 98).

Der Vergleich macht es deutlich: Moreno hat mit seinem Katharsisbegriff auf die Wortbedeutung bei Breuer und Freud zurückgegriffen. Ganz in ihrem Sinne versteht er sie als ein Ausspielen, ein aktives und strukturiertes Ausleben, das zwar nur vorübergehend, nichtsdestotrotz sehr effektiv von Affekt en befreit, die zu irrationalem Handeln führen können. Doch das ist nicht das Einzige, wozu Morenos Katharsis in der Lage ist …

Hypnodrama in der Praxis

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