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Vorwort

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»Handeln ist heilender als Reden.«

Jacob Levy Moreno1

So viel steht fest: Führten Psychotherapeuten2 und Berater keine Gespräche mit ihren Klienten, könnten sie ihre Praxen in der Regel schließen. Ohne zu reden, geht’s nicht. Aber reicht Reden allein aus? Viele Vertreter der genannten Berufsgru ppen zweifeln inzwischen daran. Warum? Zugegeben, Reden kann Einsicht en vermitteln. Das ist keineswegs zu verachten. Doch ändern Menschen daraufhin ihr Erleben und Verhalten? Hören wir sie nicht oft genug sagen: »Eigentlich weiß ich ja, dass unangemessen ist, was ich gerade erlebe oder tue. Aber es geschieht trotzdem. Immer wieder tappe ich in dieselbe Falle.« So stellt es auch der Arzt, Psychotherapeut und Entwickler der hypnosystemischen Konzeption Gunther Schmidt fest. Nicht selten berichteten ihm Klienten in den Therapien oder Coachings, mehr als 300 professionelle Stunden an ihren Problemen gearbeitet, diese auch sehr gut verstanden und sich trotzdem nicht in der gewünschten Weise verändert zu haben (vgl. Schmidt 2014, S. 69). Humorvoll bringt der Arzt, Psychoanalytiker und Psychodramatherapeut Jochen Peichl diese bittere Erkenntnis in folgendem Witz auf den Punkt: Jahrelang sei ein Mann dreimal die Woche wegen Einnässens zur Psychoanalyse gegangen. Am Ende habe ihn ein Freund gefragt: »Na, hat’s geholfen, nässt du immer noch ein?« Worauf der Mann geantwortet habe: »Ja, schon, aber ich weiß jetzt, warum« (vgl. Peichl 201 5, S. 78). Soll verhindert werden, dass bei ent sprechenden Auslösern immer wieder der alte, unpassende Film abläuft, reicht es meist nicht, dem Betroffenen lediglich verbal zu deuten, aus welchem Grund dies ständig bei ihm geschieht. Ausgerechnet zwei Psychoanalytiker – Franz Alexander und Thomas Morton French – vertraten bereits 1946 diese Auffassung.3 Sie forderten deshalb, dass den Klienten korrigierende Erfahrungen ermöglicht werden müssten (vgl. Alexander a. French 1946, p. 22).4 Erfahrungen prägen unser künftiges Erleben und Verhalten in der Tat weit wirksamer als verbal vermittelte Einsicht en. Ein simples Beispiel mag das verdeutlichen. Wie viele Kinder berühren die heiße Herdplatte, obwohl sie eindringlich vor dieser Gefahr gewarnt worden sind? Wie viele von ihnen würden es wieder tun, nachdem sie selbst die bittere Erfahrung machten, sich an ihr verbrannt zu haben?

Wie der Altphilologe Ingemar Düring erklärt, war schon Aristoteles davon überzeugt, dass Wissen allein nicht genüge, um Menschen zu verändern (vgl. Düring 2005, S. 168). Darum galten ihm wohl auch die Dichter – und nicht die Philosophen – als die besten Lehrer des Volkes. Denn sie vermittelten Lernerfahrungen – Aristoteles verwendet dafür das Wort μάθησις (mathesis) (vgl. Poetik 1448b8). Allerdings nutzen auch sie dafür Worte. Reicht Reden zuweilen doch? Ganz bestimmt. Der Gebrauch der Worte begrenzt sich nämlich keineswegs auf den Transfer von Wissen. Durch sie hindurch kön nten zuweilen, so der Philosoph Georg Stenger, beschriebene Erfahrungen gewissermaßen auftauchen (vgl. Stenger 2006, S. 551). Worte in dieser Weise zu gebrauchen, ist nun geradezu die Spezialität der Dichter. Und nicht nur ihre. Hypnotherapeut en sind darin ebenfalls geübt. Mit ihren Worten lassen sich Menschen förmlich in Erfahrung en hineinzoomen. Diese Fähigkeit teilen sie mit den Dichter n. Sie ist nicht die einzige. Denn auch Hypnotherapeut en erschaffen Dramen. Der amerikanische Psychologe und Schüler von Milton H. Erickson, Jeffrey K. Zeig, sagt es ausdrücklich: Kliniker lernen mithilfe der Hypnose, erlebnisbasierte therapeutische Dramen zu kreieren, die die Veränderung fördern (vgl. Zeig 2015, S. 21). Um Menschen zu verändern, scheinen Aristoteles die Dramen sogar das wirkungsvollste Mittel überhaupt gewesen zu sein.

Wie effizient auf die Bühne gebrachte Dramen tatsächlich zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können, entdeckte Anfang der 1920er-Jahre der Arzt und Philosoph Jacob Levy Moreno wieder (vgl. Moreno 1946a, p. 1; ders. 1950, p. 2.) und legte damit den Grundstein für ein neues Therapieverfahren – das Psychodrama. Knapp zwei Jahrzehnte später begann er, es auch in Hypnose durchzuführen. Das war die Geburtsstunde des Hypnodrama s. Noch heute werden dabei Wirkprinzipien angewandt, die Aristoteles bereits in seiner Poetik beschrieben hat (vgl. Dietz 1996) – mit Erfolg.

Nun ließe sich einwenden, dass das Hypnodrama nur für Psychotherapeuten interessant sein dürfte, die zugleich auch Psychodramatiker und Hypnotherapeut en sind. Zweifellos stellt eine solche kombinierte fachliche Qualifikation die günstigste Ausgangslage zur Anwendung hypnodramatischer Technik en dar. Doch diese können tatsächlich ebenso in anderen Bereichen, beispielsweise bei Beratungs-, (Weiter-)Bildungs- und Trainingsangeboten, Supervisionen, Coachings, in der Personal- bzw. Organisationsentwicklung und Seelsorge genutzt werden. So gesehen mag es für jeden, dem Reden allein nicht reicht, gewinnbringend sein, dieses Buch zu lesen.

Sein Inhalt ist nicht vollständig neu. Wesentliche Teile wurden aus der inzwischen nicht mehr verlegten Vorgängerversion dieses Buches übernommen, die 2016 unter dem Titel Bühne des Lebens erschien. Sie wurde dahingehend überarbeitet, dass sich jetzt der Mittelteil mit den antiken Wurzeln des Hypnodramas befasst. Jener wird eingerahmt von zwei weiteren Kapiteln, die zum einen den konzeptuellen Hintergrund dieser Behandlungsmethode beleuchten und zum anderen Einblicke in ihre Praxis geben. Etwas salopp ausgedrückt, ließe sich also sagen, dass das vorliegende Buch nacheinander drei Fragen zum Hypnodrama beantwortet: »Was ist es?«, »Woher stammt es?« und »Wie wird’s gemacht?«. All jene, die die »biografische Kehre« des Hypnodramas nicht bis in die Antike nachvollziehen wollen, können das zweite Kapitel überspringen, ohne den roten Faden des Buches zu verlieren.

An dieser Stelle sei mir noch erlaubt, den Mitarbeitern des Carl-Auer Verlages – im Besonderem seinem Geschäftsführer Matthias Ohler und den Lektoren Dr. Ralf Holtzmann und Nora Wilmsmann – von Herzen zu danken, die sich dafür begeistern konnten, die Vorgängerversion dieses Buches in überarbeiteter und erweiterter Fassung neu aufzulegen, und die deren Fertigstellung mit hilfreichen Ideen und Anmerkungen tatkräftig unterstützten. Mein besonderer Dank gilt ebenfalls Veronika Licher, die dem Manuskript den letzten Schliff gegeben hat. Ria Schneider unterstützte mich durch nützliche Rückmeldungen. Zutiefst dankbar bin ich auch den vielen Klienten, die diesem Buch Seele eingehaucht haben, indem sie sich damit einverstanden erklärten, dass darin ihre Erfahrungen mit dem Hypnodrama – selbstverständlich unter anderen Namen – beschrieben werden.

Und nun viel Freude beim Lesen! Mögen hilfreiche Anregungen für die eigene Arbeit darin zu finden sein.

Ruth Metten Krefeld, im Januar 2021

1Zitiert nach Pörtner (1972, S. 128).

2Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wird nachfolgend durchgehend nur die männliche Form verwendet, die hier allerdings die weibliche Form ausdrücklich miteinschließen soll.

3»… intellectual insight alone is not sufficient …« (»… verstandesmäßige Einsicht allein reicht nicht aus …«) (Alexander a. French 1946, p. 67; Übers.: R. M.).

4Mit ihrem in der Psychoanalyse lange Zeit umstrittenen Konzept der korrigierenden emotionalen Erfahrung beziehen sich Alexander und French auf die Arbeiten von Sándor Ferenczi und Otto Rank (1925); s. a. Rank u. Ferenczi (1924).

Hypnodrama in der Praxis

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