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2. Kapitel

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Jenna stand im Badezimmer und starrte ihr Spiegelbild an. Sie hatte schlecht geschlafen und genauso sah sie auch aus. In ihren Träumen hatte sie der Schmerz in den Augen des Mannes verfolgt. Jen streckte sich selbst die Zunge heraus und griff zur Zahnbürste und Zahnpasta. Sie drückte viel zu viel aus der Tube und die Paste verteilte sich im Handwaschbecken. Man! Sie musste ihre Mutter anrufen! Jenna putzte sich die Zähne und starrte dabei weiter in den Spiegel. Wie es ihm wohl ging? Sie spuckte den Zahnpastaschaum ins Becken und spülte sich den Mund aus. Sie würde nachher ins Krankenhaus fahren.

In der Küche wartete Laura bereits am gedeckten Frühstückstisch.

„Na, ausgeschlafen?“, fragte sie und legte die Tageszeitung zur Seite.

Jenna schüttelte den Kopf, setzte sich und goss sich einen Kaffee ein.

„Ich habe gestern einen Mann angefahren“, sagte sie beiläufig, während sie sich ein Brötchen schmierte.

Als sie abbiss, schaute sie auf und sah, wie Laura sie mit großen Augen ansah

„Du hast einen Mann angefahren? Und das erzählst du mir mal ebenso nebenbei? Gehts dir gut? Ist dir was passiert? Ist ihm was passiert?“

Jen kaute, schluckte runter und trank von ihrem Kaffee.

„Jenna!“, fuhr Laura sie an, „würdest du mir jetzt bitte verdammt noch mal erzählen, was geschehen ist?“

Laura, die große Schwester und Aufpasserin war beinahe hysterisch.

„Mir geht es gut und dem Mann habe ich auch nichts getan, es war beim Ausparken, aber ...“ und Jen erzählte, was geschehen war.

"Oh mein Gott!“ Laura betonte jedes Wort. „Und was nun?“

„Und nun hat die Polizei meine Aussage und meine Personalien und wird sich bei mir melden, wenn noch irgendetwas ist“, antwortete sie. „Ich werde nachher ins Krankenhaus fahren.“

„Soll ich dich begleiten?“

Jenna schüttelte den Kopf, nein, sie wollte dort alleine hin.

Als Jenna die Klinik betrat, musste sie erst einmal überlegen, wo der Mann untergebracht worden war. Ehrlich gesagt hatte ihr der Schock so tief in den Knochen gesteckt, dass sie sich nicht mehr richtig erinnern konnte. Sie war mit dem Fahrstuhl gefahren, zwei Etagen. Also los, in den zweiten Stock. Dort angekommen lief sie einen kurzen Gang entlang und entdeckte den Wartebereich mit den Plastikbänken. Sie sah, ein paar Schritte entfernt, einen Tresen hinter dem eine ältere Krankenschwester über Papiere gebeugt, saß. Jen ging dorthin.

„Entschuldigen Sie bitte“, sprach sie die Schwester an die sofort ihren Kopf hob und sie anlächelte. „Gestern Abend wurde ein Mann hier hergebracht. Er war schwer verletzt und die Polizei wurde hinzugerufen.“

Die Frau nickte. „Darüber weiß ich Bescheid“, antwortete sie freundlich.

„Ich wollte mich erkundigen, wie es ihm geht.“

Die Krankenschwester neigte den Kopf ein wenig. „Sind Sie denn eine Angehörige?“

„Nein, ich habe ihn aber gefunden und her gebracht“, antwortete sie und ärgerte sich im selben Moment über ihre unüberlegte Antwort, nun würde sie sicher nichts erfahren.

„Ich mache mir natürlich Gedanken und möchte gerne wissen, wie es ihm geht“, versuchte sie die Situation zu retten.

Die Frau erhob sich von ihrem Stuhl und kam um den Tresen herum. Sie nahm Jen am Arm und zog sie ein Stück zur Seite.

„Ich darf Ihnen keine Auskunft geben, aber ich kann Sie verstehen. Es geht ihm nicht sehr gut. Die Schnittwunden am Oberkörper sind sehr tief und er hat viel Blut verloren. Er hat eine schwere Brandwunde an der Schulter, Verbrennungen sind eine heikle Angelegenheit, das Infektionsrisiko ist sehr hoch. Er hat heute Morgen das Bewusstsein wiedererlangt. Die Polizei war bereits bei ihm, aber er kann sich an gar nichts erinnern, an überhaupt nichts, er kennt nur seinen Vornamen. Die Polizei ist bemüht, seine Identität zu klären. Ich sage Ihnen das nur, weil er mir leidtut, er hat einiges durchgemacht.“

„Kann ich ihn sehen?“, fragte Jen, irgendwie war es ihr ein Bedürfnis.

„Tut mir leid, nein.“

Jenna senkte den Kopf.

„Sie sind keine Angehörige und er braucht Ruhe. Einige Untersuchungen stehen an. Aber wissen Sie was? Kommen Sie morgen noch einmal wieder, etwa zur selben Zeit. Ich habe Frühdienst bis 14.00 Uhr und werde sehen, ob ich etwas machen kann. Wenn ich mit den behandelnden Ärzten spreche und sie überzeugen kann, dass ein Besuch von Ihnen ihm vielleicht bei seinen Erinnerungen helfen kann, dann geht das vielleicht.“

Jenna bedankte sich und die Krankenschwester begab sich wieder hinter den Tresen. Jen war schon am Gehen, als ihr etwas einfiel, sie ging noch einmal zurück.

„Entschuldigen Sie, verraten Sie mir seinen Namen?“

In der U-Bahn, auf dem Weg zum Institut, kaute sie nervös auf ihren Nägeln herum. Sein Name war Danjal, ein sehr ungewöhnlicher Name und irgendjemand hatte diesem Mann ziemlich viele Schmerzen zugefügt. Krass, dachte sie, was mag der Grund dafür gewesen sein? Und er konnte sich an nichts mehr erinnern. Jen schaute auf ihre Uhr, Mist, sie war viel zu spät dran, hoffentlich nahmen es ihr die Jungs nicht übel.

In Gedanken ging sie durch, was für heute anlag. Sie hatten viel zu tun. Das Forschungsprojekt, für das sie den Zuschlag erhalten hatte, lief nicht wie geplant und sie waren in Verzug. Wenn sie nicht bald Ergebnisse lieferten, würde man ihr die Gelder streichen. Alles, wofür sie die letzten zehn Monate gearbeitet hatten, wäre für die Katz.

Der restliche Tag zog sich wie Gummi. Die Stimmung im Team war schlecht. Für die kommende Woche hatte sich ein Vertreter der Forschungskommission, die ihr die Gelder gewährt hatte, angemeldet. Jenna hatte gehofft mehr Zeit zu haben, aber vielleicht schafften sie es ja bis dahin doch noch ausreichend vorzuweisen.

Sie arbeiteten alle bis zum späten Abend und setzten sich dann auf ein Getränk zusammen. Anfangs hatten sie das häufiger getan, da hatten sie geglaubt genug Zeit zu haben. Matti und Lukas tranken ein Bier, Jenna hielt sich an einer Cola fest, sie wollte mit ihrem Auto nach Hause.

„Weißt du wie es dem Typen geht, den du gestern überfahren hast?“, fragte Sven und nahm einen Schluck aus seiner Flasche.

Sie schaute ihn böse an. „Ich habe ihn nicht überfahren“, gab sie gereizt zurück.

Er verdrehte die Augen.

„Ich habs nicht so gemeint, entschuldige.“

Jen schluckte. „Das geht mir ziemlich nah, was ist, wenn ich ihn doch schwerer verletzt habe, als er ohnehin schon war?“

„Hast du nicht“, ging Matthias dazwischen, „du hast seine Verletzungen gesehen, die hatte er eindeutig schon vorher. Vielleicht kann er ganz froh sein, dass er dir vors Auto gelaufen ist, wer weiß was sonst mit ihm passiert wäre.“

Ja sicher, Matti hatte recht, trotzdem!

„Es geht ihm nicht so gut. Er war wieder bei Bewusstsein, kann sich aber an nichts erinnern.“

„An gar nichts?“, fragte Sven.

Jenna schüttelte den Kopf. „An gar nichts, nur an seinen Vornamen.“

Sven hob die Augenbrauen. „Ist euch eigentlich aufgefallen, dass er verdammt gut aussieht?“, fragte er in die Runde. Sven war schwul und machte kein Geheimnis daraus, warum auch.

„Das hast du sehen könne bei all dem Blut?“, fragte ihn sein Bruder.

„Er hat nen wahnsinns Körper“, schmunzelte Sven und zwinkerte ihm zu.

War es ihr auch aufgefallen? Aus anatomischer Sicht war er perfekt, wie war das aus rein menschlicher Sicht? Sie atmete tief durch.

„Ich glaube darüber solltest du dir Gedanken machen, wenn er wieder gesund ist.“

Typisch Matti, dachte Jen, immer kontrolliert, voller Anstand und ganz sachlich.

„Irgendjemand muss auf jeden Fall ziemlich sauer auf ihn gewesen sein, wenn er seine Wut auf diese Art und Weise an ihm ausgelassen hat. Jen, vielleicht solltest du die Sache auf sich beruhen lassen und abwarten, was die Polizei über ihn herausfindet“, sagte er.

Es auf sich beruhen lassen, hämmerte es in ihrem Kopf. Irgendwie hatte sie es plötzlich eilig nach Hause zu kommen und mit Laura zu reden.

„Jungs“, sagte sie und erhob sich, „seid mir nicht böse, aber ich mag hier Schluss machen, ich bin kaputt.“

Sie verabschiedeten sich voneinander und Jenna eilte zu ihrem Auto, das seit gestern auf dem Parkplatz auf sie wartete.

Ihr Handy piepte und signalisierte ihr, dass sie eine Nachricht erhalten hatte, sicher ihre Mutter. Nicht jetzt, morgen! Beim Ausparken schaute sie sich noch gründlicher um, als nötig gewesen wäre, sie wollte nicht wieder jemanden anfahren.

„Ich kann mit Markus reden, wenn du willst“, sagte Laura, mit der sie im Jogginganzug auf dem flauschigen Teppich saß und noch ein Glas Wein trank. „Und dein Kollege ist scharf auf den Jungen?“

Jen nickte.

„Und du auch?“, fragte ihre Schwester.

„Laura, der Typ war kurz davor das Zeitliche zu segnen, glaube mir, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, als er da so blutüberströmt vor mir zusammengebrochen ist“, antwortete sie und wurde ganz leicht rot.

Laura schaute auf die Uhr. „So, ich muss jetzt schlafen, ich habe morgen einen Termin.“

Sie stand auf und brachte ihr Glas und die Flasche in die Küche. Jenna folgte ihr.

„Und du sprichst mit Markus?“, hakte Jen noch einmal nach.

Laura nickte und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

Elias war am Nachmittag aus Paris mit dem Flugzeug in Berlin Tegel gelandet. Der Zollbeamte hatte nicht schlecht geguckt, als er die Waffen in seinem Gepäck gefunden hatte. Elias hatte seine waffenrechtliche Genehmigung vorgelegt und durfte dann irgendwann passieren.

Eine schwarze Limousine hatte auf ihn gewartet und sofort zu den Lagerhallen gebracht. Dort hatte er sich das Unglück angeschaut. Der Geruch des Todes war widerlich. Überall war Blut und Männer, Brüder, die ihn aus toten Augen anstarrten. Bei Gott ja, sie hatten IHN unterschätzt. Warum waren sie so leichtsinnig gewesen?

„Ich hatte gehofft wir könnten auf dich und deine Dienste verzichten“, hatte der Älteste, der ihn begleitete, gesagt. Nein, auch wenn es ihnen lieber gewesen wäre, sie konnten es nicht.

Elias stand in dem Hotelzimmer, das sie für ihn gebucht hatten, sie wollten ihn nicht in ihren Räumlichkeiten beherbergen, er war keiner mehr von ihnen. Er spürte, dass das Zittern wieder anfing und der Schmerz kam. Nervös durchsuchte er seine Tasche, er musste sich beeilen, er konnte und wollte die Qualen nicht ertragen.

Nachdem sich sein Körper langsam wieder beruhigt hatte, legte er sich auf das Bett. Vielleicht, so hoffte er, würde er die Gelegenheit bekommen das zu Ende zu bringen, was er damals nicht geschafft hatte.

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