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7. Mittwoch

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Natascha hatte das Telefongespräch mit Mia beendet und kehrte zum Frühstückstisch zurück. Julia stellte gerade ihre Kaffeetasse hin.

„Entschuldige, dass es so lange gedauert hat. Das war Mia, sie wollte mir erzählen, dass Joshua morgen aus dem Krankenhaus entlassen wird.“

„Ah das ist schön“, antwortete ihr Julia.

„Mia hat gesagt, dass Richard schon seine Kontakte hat spielen lassen und es wird wohl darauf hinauslaufen, dass er eine gewisse Summe an eine gemeinnützige Organisation zahlen muss. Eine, die sich für Opfer des Straßenverkehrs einsetzt. Josh muss eine Therapie besuchen, die sich speziell mit Leuten beschäftigt, die betrunken Auto gefahren sind.“

„Gut denn so ganz ungeschoren sollte er nicht davon kommen, er hat schließlich Mist gebaut.“ Julia biss in ihr Schinkenbrötchen.

„So und nun erzähl, wie wars mit Adrijan?“

Toms Schwester wischte sich den Mund an einem Papiertuch ab und lehnte sich zurück. „Also an sich war es total schön, aber …“, sie sprach nicht weiter.

„Aber?“, hakte Natascha nach.

„Naja ich weiß auch nicht, da ist etwas, versteh mich nicht falsch, er ist total lieb und wundervoll. Wir haben Spaß miteinander, aber irgendetwas stimmt nicht mit ihm.“

„Aha und was?“

Julia lachte. „Du würdest mich für bekloppt halten.“

Tascha schaute sie an. „Das werde ich nicht, versuch es mir zu erklären.“

Natascha griff über den Tisch und fasste Jules Hände.

„Ich bin mir nicht sicher, was ich fühle, wenn ich mit ihm zusammen bin. Manchmal glaube ich“, sie lachte erneut auf, „es sind nicht meine Gefühle. Also schon meine Gefühle, aber so als wäre ich nicht diejenige die sie beherrscht. Und er hat die Nacht bei mir verbracht und heute Morgen war er verschwunden, einfach so, ohne eine Nachricht.“

„Vielleicht ist es ihm unangenehm, vielleicht ist er schüchtern und es ging ihm zu schnell.“ Natascha wusste, dass das eine ganz doofe Entschuldigung für das war, was dieser Kerl getan hatte, aber sie wollte Julia nicht so vor den Kopf stoßen.

„Ja genau, ich bin nicht blöd. Er hat mich abgeschleppt und ins Bett gelockt und dann ist er abgehauen.“

„Glaubst du das wirklich?“

Julia schüttelte den Kopf. „Um ehrlich zu sein nein. Er ist irgendwie nicht der Typ dafür, aber was soll ich denn davon halten.“

„Warte ab, vielleicht meldet er sich und hat eine plausible Erklärung dafür. Eigentlich hättest du doch heute zur Uni gemusst und er doch auch oder?“

Jule schüttelte den Kopf und biss noch einmal vom Brötchen ab. „Nein“, sprach sie mit vollem Mund, „wir haben beide heute keine Vorlesungen.“

Natascha schmierte sich endlich selbst ein Brötchen und trank einen Schluck Kaffee.

„Da ist noch etwas.“

Julia druckste herum, schien zu überlegen, ob sie es erzählen sollte oder nicht. Dann fasste sie sich ein Herz.

„Und jetzt wirst du mich für wirklich verrückt halten. Manchmal, wenn ich ihn anfasse, ist es, als würde eine grausige Kälte von mir Besitz ergreifen. So stelle ich mir die Kälte des Todes vor. Und manchmal ist da ein sonderbares Funkeln oder Glühen in seinen Augen, dann ist es, als würde er in mich hinein schauen. Und dann fühle ich mich, als würde ich fallen, ganz tief und niemand rettet mich und dann ist es vorbei und er ist da und alles ist wieder gut.“

Julia hatte schnell gesprochen, so, als hätte sie Angst, würde sie langsamer sprechen nicht mehr den Mut zu haben weiter zu reden. Nun schwieg sie und schaute betreten zu Boden. Natascha hatte ihr Brötchen noch in der Hand auf halbem Wege zum Mund. Sie saß da und starrte Toms Schwester sprachlos an. O Gott das konnte nicht sein! Tascha hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Was sollte sie sagen, um Julia zu helfen?

„Ich glaube nicht, dass du verrückt bist“, sagte sie schließlich leise. „Julia ich verstehe dich, ich weiß, was du meinst. Ich kann dir nicht sagen warum, du musst mir vertrauen. Ich werde versuchen dir zu helfen. Bitte frag nicht wie oder was ich meine, nimm es so hin. Lass uns zu Ende frühstücken und lass mich dann was erledigen. Geh in die Stadt, mach dir einen schönen Tag und warte, bis ich mich melde.“

Julia war einverstanden und beide aßen lustlos ihre Brötchen auf, dann verabschiedeten sie sich voneinander.

Natascha lief unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Eigentlich hatte sie ihren freien Tag ganz entspannt angehen lassen wollen. Ein nettes Frühstück mit Julia, vielleicht ein wenig Shoppen, ein gutes Buch am Nachmittag, schön mit Tom den Abend verbringen. Stattdessen erklärte Julia, sie habe einen Mann kennengelernt, der Natascha ganz stark an Caleb erinnerte. Kurzzeitig überlegte Tascha, ob es sich vielleicht sogar um Cale handeln könnte, verwarf dann aber den Gedanken. Caleb hatte grüne Augen, keine Blauen. Julia war ihm auf dem Ku´Damm begegnet, sie hätte ihn erkannt und Cale hätte seine Fähigkeiten auch besser verstecken können.

Sie selbst hatte damals auch etwas gemerkt, aber er hatte es lange Zeit aus ihrem Verstand löschen können. Nun hatte er sich weiter entwickelt, war noch mächtiger, beherrschte seine Fähigkeiten noch besser. Solche Fehler, wie sie Adrijan unterliefen, würden ihm heute nicht mehr unterlaufen. Gut es war nicht Caleb, aber es war jemand, der ihm sehr ähnlich war und der es nicht unter Kontrolle hatte. Sie brauchte Hilfe. Sie brauchte Cale! Aber der war sicher nicht mehr in Berlin, wahrscheinlich nicht einmal mehr im Land.

Sie hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde und Sekunden später stand Tom im Flur. Erstaunt ging sie zu ihm. „Hallo Schatz, was machst du denn schon hier?“

Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und zog seinen Mantel und die Schuhe aus.

„Ach ein furchtbares Wetter!“ Es schneite schon den ganzen Vormittag. „Wir hatten wieder einen Toten. Ich bin so was von durchgefroren und nass.“ Er zog ein Taschentuch aus seiner Hose und schnaubte sich die Nase. „Ich muss mich umziehen und vorher heiß duschen, dann bin ich auch wieder weg und du hast Ruhe vor mir.“

Er ging ins Schlafzimmer und zog sich aus, die Klamotten verteilte er strategisch im ganzen Raum. Als er unter der Dusche stand, leistete Natascha ihm Gesellschaft und setzte sich auf den Badewannenrand.

„Und hattest du Spaß mit Julia? Hat sie von ihrem neuen Freund erzählt?“, fragte er.

Tascha antwortete lediglich mit einem Hmmm.

„Das ist gut. Sonst was passiert?“

„Nein nichts.“ Sie überlegte, dann fügte sie hinzu: „Ach doch, Joshua kommt morgen aus dem Krankenhaus.“

„Hab schon gehört. Richard von Lahn hat sich mächtig für seinen Sohn eingesetzt. Aber er sollte diese Rehabilitationsmaßnahme nicht unterschätzen, das ist nichts für schwache Nerven. Vielleicht zeigt es ihm, wie dumm sein Verhalten war. Jemand sollte seinem Bruder Bescheid sagen.“ Natascha war erstaunt, glaubte sich verhört zu haben. „Was?“, fragte sie daher.

„Na ich denke jemand sollte Caleb Bescheid geben, dass es seinem Bruder wieder gut geht.“

„Wie kommst du jetzt darauf?“

„Immerhin wurde ihm die Schuld in die Schuhe geschoben, dann sollte er auch die gute Nachricht erhalten. Ich hatte das Gefühl, es ging ihm ganz schön an die Nieren. Was aber nichts daran ändert, dass ich ihn nicht leiden kann“, fügte er hinzu.

Was sollte das nun wieder? Unglaublich, Tom konnte Caleb nicht nur nicht leiden, er hasste ihn. „Na wenn du weißt wo er ist, dann könnte man das ja machen“, antwortete sie ironisch.

„Wenn er auf mich gehört hat, dann ist er noch irgendwo in Berlin.“

Tom drehte das Wasser ab und kam aus der Dusche. Er griff ein Handtuch, das Natascha über die Heizung gehängt hatte, und begann sich abzutrocknen. Sie starrte ihn an und er hielt in der Bewegung inne.

„Natürlich, gerade dir muss ich davon erzählen. Ich rede zu viel stimmts?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Es gab Probleme, er war darin verwickelt und ich habe ihn gebeten die Stadt nicht zu verlassen. Ich habe ihn auch um seine Hilfe gebeten. Mehr sage ich nicht, war eh schon viel zu viel.“

„Was für Probleme?“

Tom seufzte. „Ich glaube, dass diese Morde durch jemanden wie er einer ist, verübt werden und ich hatte gehofft er könne mir helfen, aber bisher habe ich nichts wieder von ihm gehört. Und jetzt hör auf, bitte, ich habe schon zu viel gesagt.“

Tascha nickte. „Möchtest du einen heißen Tee?“

„Oh ja, das wäre wunderbar.“

Er rubbelte sich die Haare trocken und sie ging in die Küche, um Wasser aufzusetzen.

Natascha konnte es kaum erwarten, dass Tom die Wohnung wieder verließ. Sie zermarterte sich die ganze Zeit den Kopf, wo sie Caleb finden könnte, wenn er noch in Berlin war. Sollte sie alle Hotels anrufen, um nachzufragen, ob er dort untergekommen war? Aber was, wenn er das Zimmer unter einem falschen Namen gemietet hatte und wie viele Hotels gab es in der Stadt, ganz zu schweigen von den zahllosen Pensionen. Unmöglich. Und Mia oder einen anderen von den von Lahns brauchte sie nicht zu fragen.

Tom kam aus dem Schlafzimmer und band sich gerade die Krawatte, als sie den Tee aufgoss, Pfefferminze aus frischen Blättern. Natascha musste bei dem Geruch an die alte Edda denken, deren Tod sie zu verantworten hatte, weil sie in ihr Leben eingedrungen war, herumgeschnüffelt hatte und Informationen über die Bewahrer gestohlen hatte. Jedes Mal, wenn sie den Duft von frischer Pfefferminze roch, war es wie Buße zu tun.

Tom lehnte sich an die Arbeitsplatte und nahm Natascha die Tasse mit dem dampfenden Tee aus der Hand. Vorsichtig trank er einen Schluck.

„Die Freundin von Caleb von Lahn ist von diesem irren Mörder umgebracht worden. Ich dachte das solltest du vielleicht doch noch wissen.“ Er stellte seine Tassen hin und gab ihr einen Kuss. „Ich liebe dich!“

„Ich dich auch“, flüsterte sie, dann musste Tom los.

Julia lief ziellos durch die Straßen. Alle Welt war unterwegs um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Sie hatte noch keine, aber das erschien ihr jetzt nicht wichtig. Sie war traurig, hatte geglaubt Adrijan würde etwas für sie empfinden, es schien aber nicht so zu sein, sonst wäre er doch nicht einfach verschwunden. Sie fragte sich, wie sie reagieren würde, wenn sie ihm in der Uni begegnete, das war schließlich nicht zu vermeiden. Hatte er ihr nur etwas vorgespielt und prahlte jetzt in diesem Moment vielleicht gerade vor seinen Freunden damit, wie er die doofe Kleine herumgekriegt hatte? Wie er sie mit der Masche des in sich gekehrten, zurückhaltenden Typen ihre Zuneigung erschlichen hatte? Und was war das, was sie an ihm beobachtet hatte, diese sonderbaren Gefühle, dieses Dunkle in ihm? Wie wollte ihr Natascha helfen? Julias Handy klingelte und als sie auf das Display schaute überlegte sie, ob sie überhaupt ran gehen sollte, sie tat es.

Natascha schloss mit zitternden Händen die Tür ihres kleinen Autos auf, Tom hatte es ihr zum Geburtstag geschenkt. Er hatte gehofft so würde sie die Angst vorm Fahren verlieren, doch der Wagen stand mehr in der Tiefgarage, als dass er gefahren wurde. Eine Schande eigentlich, aber sie konnte sich nur selten dazu durchringen ihn zu bewegen. Und nun, mitten im Dezember, bei Schnee und Eis, wollte sie es wagen. Oh Gott steh mir bei, dachte sie.

Vorsichtig und recht langsam fuhr sie die Straßen entlang, hin zu der alten Fabrik in der Hoffnung dort auf Caleb zu treffen. Es war heute gar nicht richtig hell geworden und Natascha fluchte leise vor sich hin. Sie hätte daran denken sollen eine Taschenlampe mitzunehmen, denn sie wusste, wie finster es im Inneren der Fabrik war. Nun schlich sie leise durch die große Halle. Sie wusste auch, dass es gefährlich für einen Menschen war, hier zu sein. Bei ihrem letzten Besuch waren sie von Wolfsmenschen angegriffen worden und jeder Schatten und jedes Huschen erschreckte sie umso mehr. Und dann spürte sie einen Arm, der sich um ihren Hals legt und sie unsanft nach hinten zog. Eine Hand legte sich auf ihren Mund und unterdrückte ihren Aufschrei. Ihr Kopf lehnte an der festen Brust eines Mannes und sie konnte dessen Herzschlag spüren und eine unglaubliche Kälte erfasste sie.

Es war Caleb, sie war sich ganz sicher, eigentlich hoffte sie es inbrünstig.

„Was hast du hier zu suchen“, flüsterte der Mann.

Natascha spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Er lockerte den Griff und nahm auch seine Hand von ihrem Mund, sodass sie antworten konnte.

„Ich wollte zu dir.“

Caleb drehte sie zu sich um, hielt sie aber weiterhin fest und schaute ihr in die Augen. Trotz der Dunkelheit konnte sie das Funkeln in seinen sehen.

„Warum?“, fragte er gefühllos.

„Ich muss mit dir reden.“

Cale zögerte. „Komm!“ Er griff ihren Arm und zog sie mit sich.

Sie gingen auf die Galerie, die als Bibliothek genutzt worden war. Hier und da drang ein wenig Licht durch die kaputten Fenster und Natascha konnte sehen, dass der Zerfall des Gebäudes stetig voranging und es war eisig kalt. Auf der Galerie standen ein paar Kerzen, die zum Teil komplett abgebrannt waren. Im Kamin glimmten die Holzscheite nur noch.

Caleb stellte einen umgestoßenen Sessel wieder auf die Füße und deutete Tascha an, sich zu setzen. Er ging zu dem Kamin, legte Holz nach und stand dann einfach nur da und plötzlich loderten die Flammen auf. Sie stoben hoch in den Abzug, dann beruhigte sich das Feuer wieder und brannte knackend und knistern vor sich hin. Nun setzte sich Tascha. Das, was Caleb eben getan hatte, war unheimlich und es schauderte ihr. Sie sah ein Lager aus Matratzen und Decken, daneben Calebs gepackten Seesack.

„Ich kann hier nicht länger bleiben, es ist zu kalt.“

Er drehte sich zu ihr um, blieb aber weiterhin stehen. Er hatte es schon wieder getan, hatte in sie hineingeschaut, Mistkerl!

„Wenn ich dich so ärgerlich mache, warum bist du dann gekommen?“

„Verdammt! Hör auf damit!“

Er nickte und schaute zu Boden.

„Nun sag mir, wieso du hierher gekommen bist und warum Tom dir gesagt hat, dass du mich hier finden würdest.“

Sie richtete sich auf und schnappte nach Luft, doch bevor sie etwas sagen konnte, fiel er ihr ins Wort: „Entschuldige, ich habs schon wieder getan.“

„Lass es einfach“, sagte sie kalt. „Und Tom hat sich lediglich verplappert. Er hat mir erzählt was mit Rika geschehen ist, das tut mir leid.“

Er zuckte mit den Schultern. „Wieder eine die meine Gesellschaft nicht überlebt hat.“

Er klang verbittert und da war dieses Gefühl der Zuneigung, die sie für ihn empfand, neben all der Wut, die sie auf ihn hatte.

„Naja und dann war klar, dass du irgendwo untergekommen sein musstest. Hotel oder Pension ist zu teuer und so gab es nur zwei Möglichkeiten, zwei Orte, zu denen du dich hingezogen fühlst, und dass du im Dom kampierst, war sehr unwahrscheinlich.“

Er lächelte.

„Wo wirst du hingehen, wenn du hier nicht mehr bleiben willst?“

„Ich weiß noch nicht. Wahrscheinlich doch in eine Pension, so ganz mittellos bin ich nicht.“

„Dann hatte ich Glück dich hier zu finden.“

„Ja und nun sag mir, was du willst.“

Er lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Tom hat eine Schwester, Julia. Sie ist für ihre letzten Semester zurück nach Berlin gekommen. Sie hat vorher in Süddeutschland studiert. Sie hat jemanden kennengelernt, ist frisch verliebt.“

„Das ist sehr schön für sie, aber es ist nicht der Grund, weshalb du hier bist.“

Tascha schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat Dinge erzählt, die ihr an ihm aufgefallen sind, seltsame Dinge. Cale, ich glaube er ist wie du.“

Sie hatte irgendwie mit einer anderen Reaktion von Caleb gerechnet, so etwas wie Erstaunen, Neugierde, Interesse. Stattdessen blieb er reglos stehen.

„Und? Ich bin nicht einzigartig.“

„Caleb er weiß sicher nicht, was er ist, du musst mit ihm reden, ihm helfen. Du musst ihm erklären, was er ist und wie er seine Fähigkeiten nutzen kann.“

„Warum Natascha, warum sollte ich das tun?“

„Weil es deine Aufgabe ist. Weil du selbst weißt, wie schwer es ist nicht zu wissen, warum Dinge geschehen, warum man anders ist.“

Caleb stieß sich von der Wand ab und kam auf sie zu. Sie stand auf, wollte nicht, dass er auf sie herab sah, was eigentlich Blödsinn war, weil er bei Weitem größer war als sie.

„Es ist nicht meine Aufgabe, ich bin kein Bewahrer mehr. Ich habe kein Interesse daran diesem Mann zu helfen, ich habe andere Sachen zu erledigen.“

„Was denn für Sachen? Dich zu verkriechen und in Selbstmitleid zu versinken, darüber, dass dir niemand gesagt hat, dass du der Sohn des Dunklen Fürsten bist? Darüber nachzudenken, wie du Richard und Elisabeth das Leben schwer machen kannst, weil sie dich in deinen Augen zu wenig geliebt haben?“

Er stand ganz dicht vor ihr und sie konnte sehen, wie seine Augen glühten. Als er sprach, flammte das Feuer im Kamin erneut auf. Der Wind rauschte unheimlich und es schien noch dunkler zu werden.

„Nein, den Mörder von Rika zu töten. Die zu töten, die uns vernichten. Ich muss mir klar darüber werden ob, ich zulassen soll, dass ich wieder zu demjenigen werden, der ich einmal war. Aber glaube mir das würdest du nicht wollen. Ich war nicht nett und freundlich sondern grausam und hart.“

„Also doch Selbstmitleid!“, sagte sie schnippisch und völlig unbeeindruckt von seiner Wut.

„Nein darüber bin ich hinaus. Ich bemühe mich eher mich unter Kontrolle zu halten.“ Er grinste böse. „Und bisher schaffe ich es, aber ich weiß nicht wie lange.“ Das Grinsen war verschwunden. „Sprich mit ihm, hilf mir und hilf Julia, tu es für mich.“

Sie griff seine Hand und hielt sie in ihrer. Caleb zog sie weg.

„Nein!“

„Gut! Dann eben nicht! Dann werde ich mich darum kümmern. Ich dachte wir wären Freunde, trotz allem was du mir angetan hast habe ich das wirklich geglaubt, aber es scheint ja nicht so zu sein.“ Sie drehte sich von ihm weg und ging.

Kurz bevor Tascha die Treppe erreicht hatte, blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu ihm um. Caleb stand noch genau dort, hatte sich nicht gerührt. Sein Körper war mehr eine Silhouette. Der rote Schein des Feuers verschmolz mit ihm, seine dunkle Aura war deutlich zu erkennen und Natascha hatte ein ungutes Gefühl und bekam Angst vor ihm. Sie sah ihn in der Gestalt des Dunklen Kriegers, Blut an den Händen, Tote zu seinen Füßen, ein Meer aus Leichen umgab ihn. Sie schluckte und mit zitternder Stimme sagte sie: „Da ist noch etwas, Joshua kommt morgen aus dem Krankenhaus.“

Dann rannte sie die Treppe hinunter, raus aus dem Gebäude, weg von dem Mann, den sie irgendwie immer noch liebte.

Julia traf sich mit Adrijan auf dem Breitscheidplatz vor dem Springbrunnen. Hin und hergerissen, was ihre Gefühle anging, beobachtete sie, wie er sich einen Weg durch die Menschen bahnte und auf sie zukam. Es schneite unaufhörlich und der Weihnachtsmarkt, der hier stattfand, verströmte seinen süßen Duft nach gebrannten Mandeln, Bratwurst und Glühwein. Der große Weihnachtsbaum der an der Gedächtniskirche stand war zugedeckt mit pudrigem Schnee und nur die Lichter glitzerten darunter hervor.

Als er vor ihr stand, wollte er ihr einen Kuss geben, aber Julia wich ein Stück zurück. Adrijans Augen wirkten so traurig und ihre Wut war schon beinahe verflogen, aber so einfach wollte sie es ihm nicht machen.

„Ich kann verstehen, wenn du sauer auf mich bist. Ich bin einfach weg ohne ein Wort. Aber in meinem Leben passieren gerade Dinge, mit denen ich noch nicht weiß umzugehen.“

Er wollte so gerne mit jemandem darüber reden, aber er konnte es nicht. „Als ich neben dir aufgewacht bin, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Alles ging so schnell mit uns. Denk nicht falsch von mir. Du bedeutest mir viel, ich habe mich in dich verliebt.“

Er sprach nicht weiter, schaute zu Boden und spürte, wie sich die Wut in Julia auflöste.

„Ich hätte mich gleich bei dir melden sollen, aber ich habe mich nicht getraut, habe bis jetzt gebraucht.“

Eigentlich war es wie in so vielen Nächten in den letzten Wochen gewesen. Adrijan war wach geworden und hatte über eine blutende Leiche gebeugt dagestanden, irgendwo in den Straßen Berlins. Er wusste nicht, wie er dort hingekommen war oder was geschehen war und er war davongeschlichen, bevor irgendjemand etwas hatte mitbekommen können.

Als er das Haus betreten hatte, in dem sich seine Wohnung befand, war er natürlich seiner Vermieterin Frau Weller im Hausflur begegnet. Sie hatte ihn neugierig beäugt. Er hatte es gerade noch so geschafft, seine blutverschmierten Hände in die Jackentasche zu stecken und den Kopf zu senken.

„Herr Schacht, die Miete für Dezember ist immer noch offen und ihr Briefkasten quillt schon über und wo treiben sie sich eigentlich die ganze Zeit rum? Wir sind ein anständiges Haus!“, hatte sie ihn angekeift. Und er hatte gespürt, wie die Wut auf diese alte Schachtel in ihm aufstieg und gespürt, wie etwas mit ihm geschah. Etwas hatte von ihm Besitz ergriff und er hatte aufgeschaut. In den Augen der Alten hatte er Entsetzen, Angst und Panik gesehen. Er hatte sich nichts mehr gewünscht, als dieser dummen Kuh die Hände um den Hals zu legen und zuzudrücken, so lange, bis sie keine Luft mehr bekam und nicht mehr keifen konnte.

Er war nahe dran gewesen seine Hände aus den Taschen zu nehmen, hatte beinahe schon gefühlt, wie er den letzten Atem aus ihr herauspressen würde, aber dann hatte er sich unter Kontrolle bekommen und die Wut war ein wenig abgeebbt und er hatte nur gesagt: „Lassen Sie mich bitte durch.“ Und war an ihr vorbei, hoch zu seiner kleinen schäbigen Wohnung gegangen, hatte sie einfach stehen lassen.

Den ganzen Morgen und Vormittag hatte er gegrübelt, darüber nachgedacht, was mit ihm geschah und ob er Julia anrufen sollte. Er wollte nicht alleine sein, hatte aber auch Angst gehabt, was passieren würde, wenn er sich unter Menschen wagte. Die Gefühle, die sich wie Stimmen in seinem Kopf, in seinem Körper ausbreitete, schwiegen, wenn er alleine war, dann spürte er nur seine eigenen Gefühle. Aber er mochte Julia, mehr als das, und er war ihr eine Erklärung schuldig. Aber wie sollte man jemandem etwas erklären, dass man selbst nicht verstand? Und wenn er ihr die Wahrheit sagen würde, was würde das für Folgen haben? Er hatte diese Morde nicht begangen, dessen war er sicher, er war zu so etwas nicht fähig. Aber konnte er sich da eigentlich so sicher sein? Gerade nach den Vorfällen mit der Kellnerin und seiner Vermieterin.

Nun stand er hier vor Julia und alles schien gut zu sein. Sie schaute ihn an und er konnte spüren, dass sie ihn auch liebte. Julia nahm ihn in den Arm und gab ihm einen Kuss, alles war gut.

Natascha war so was von stink sauer auf Caleb! Dieses arrogante Arschloch! Sie fuhr mit ihrem Auto auf die Stadtautobahn. Aber sie würde Julia und ihrem Adrijan helfen, jawohl!

Caleb stand noch auf der Galerie. Er hörte den Wagen von Natascha den Schotterweg entlang fahren und dann in der Ferne verschwinden. Zornig stieß er den Sessel, auf dem sie gesessen hatte gegen die Wand. Warum konnte sie es nicht lassen? Warum konnte sie ihn nicht in Ruhe lassen und warum musste sie ihre Nase immer in Sachen stecken, die sie nichts angingen?

Er löschte die restlichen brennenden Kerzen und das Feuer im Kamin. Dann griff er wütend seinen Seesack und ging die Treppe hinunter, durch die Hallen, hinaus zu dem Mietwagen, den er eigentlich schon hätte abgegeben müssen, aber er war eh von Rika gemietet worden. Caleb startete den Wagen und fuhr davon. Hinter ihm spritzte der Schotter auf.

Die Grauen Krieger

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