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4. Sonntag
ОглавлениеEs war kurz nach Mitternacht und die Cafeteria hatte bereits geschlossen. Es gab aber ein paar Automaten mit gekühlten Getränken und abgepackten Snacks und auch einen mit Heißgetränken. Natascha steckte Geld in den Schlitz und entschied sich für einen Kaffee mit Milch und Zucker, dann zog sie einen Zweiten. Die heißen Becher in der Hand kehrte sie in den Wartebereich zurück. Sie setzte sich auf den Sitz neben Caleb und hielt ihm einen der Becher hin.
„Ich weiß, dass du keine Schuld hast, ich hab alles mitbekommen.“
Er öffnete die Augen und schaute sie an. Tascha bekam eine Gänsehaut, er war so schön, trotz der Narben, die sein Gesicht zeichneten und der Müdigkeit.
Er nahm den Kaffee. „Danke. Willst du nicht lieber wieder zu den anderen?“
Tascha schüttelte den Kopf. „Nein die sind nicht alleine, du schon.“
Er lächelte. „Die magst du, aber mich hasst du.“
„Ja, ja da magst du recht haben.“ Sie musste grinsen. „Aber was solls, zieht mich doch immer wieder zu dir.“
Sie schwiegen für einen Augenblick und Tascha versuchte Ihre Gefühle zu verbergen.
„Lass es sein, es klappt nicht. Aber keine Angst ich verrate es niemanden“, sagte Caleb trocken und Natascha wurde rot.
„Deine Freundin ist nett“, versuchte sie abzulenken.
Er schüttelte den Kopf. „Nein, ist sie nicht, aber ich habe keine Probleme mit ihr.“
„Ich habs gesehen.“
Sie trank einen Schluck. Widerliches Zeug, trotz des Zuckers und der Milch.
„Warum hat Josh den Streit angefangen?“
Natascha ignorierte die Blicke, die ihr die von Lahns zuwarfen.
Caleb zuckte mit den Schultern. „Er hat versucht mich zu erreichen, ich habe nicht reagiert.“
„Das ist alles?“
„Naja, er hat mich an seiner Firma beteiligt. Er hat von unserer Mutter Geld bekommen, das mir gehört hätte, ich wollte es aber nicht. Und Josh wollte es damit zurückzahlen. Leider ist der Anteil recht groß und er hat mich für eine Entscheidung oder Unterschrift benötigt und es war mir egal, weil ich damit nichts zu tun haben will. Da war er sauer, hat wohl einen Auftrag verloren dadurch.“ „Das Geld hast du gar nicht genommen oder?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, es ist noch alles auf dem Konto, auf das er es überweist.“
„Warum bist du zur Geburtstagsfeier gegangen?“
„Ich war eingeladen.“
„Und der wahre Grund?“
„Keine Ahnung, wollte mal sehen was die sagen, wenn ich da auftauche“, sagte er grinsend.
„Und warum bist du nach alledem hier?“
Er zögerte kurz, dann sagte ganz sachlich: „Er ist trotzdem mein Bruder, dass ihm etwas passiert wollte ich nicht. Ich kann spüren, wie es ihm geht und es fühlt sich nicht gut an. Ich werde verschwinden, wenn ich weiß, dass er in Ordnung ist und ich werde nicht zurückkommen. Nicht mal Mia möchte mich noch in ihrer Nähe haben aus Angst ich würde ihre kleine, heile Welt zerstören, die sie sich so krampfhaft aufrechterhält. Aber eines Tages wird es sich rächen, dass sie Josh nicht erzählt, was sie wirklich ist. Die Kinder werden sie verraten, aber das ist nicht mehr mein Problem.“
„Was hast du getan, seitdem das alles passiert ist?“
„Ich habe versucht mich aus allem raus zu halten. Ich bin kein Bewahrer mehr.“
„Ich dachte dem kann man nicht entkommen?“
Cale lächelte. „Was sollen sie denn machen? Mich zwingen? Die Zeit ist vorbei. Ich bin Illjans Sohn, ich bin ein dunkler Krieger, ich war ein Führer und ich bin mächtig. Ich kann mich wehren. Ich weiß nicht, wie es enden wird oder was ich tun werde, ich habe noch keinen Plan. Aber ich werde mich nicht mehr beherrschen lassen.“
„Du willst in die Fußstapfen deines Vaters treten?“
„Und was tun?“ Er klang amüsiert.
„Die Menschheit tyrannisieren!“
„Und sie mir Untertan machen!“ Er lachte auf. „Nein, ich glaube nicht. Das wollte ja nicht einmal Illjan. Ich will nur das, was mir zusteht.“
„Aber er war grausam.“
„Das bin ich auch.“
Sie schaute ihn an, lange, dann sagte sie: „Ich weiß.“
Er hatte sich verändert, sie konnte nicht sagen, ob es ihr gefiel.
„Was ist mit Damian?“, fragte sie.
„Was soll mit ihm sein? Er ist tot und das ist gut so. Wäre er es nicht, würde ich dafür sorgen.“
„Er war dein Freund, du hast ihm vertraut.“
„Ja und das war ein Fehler. So etwas wird mir nicht wieder passieren“, sagte er kalt.
„Caleb ...“
„Nein, es ist schon gut. Ich habe gelernt, dass es nichts bringt. Nicht mal meine Familie steht hinter mir, meine Freunde sind keine Freunde, sondern Feinde, es ist O.K.“
Er war verbittert und das machte ihn gefährlich. Seine Macht war so groß, dass er viel Unheil anrichten konnte.
„Keine Sorge ich mache nichts Unüberlegtes.“
Er war in ihre Gefühle eingedrungen.
„Danke für den Kaffee, aber du solltest jetzt zu Mia zurück, sie braucht dich.“
Ja vielleicht sollte sie das, er brauchte ja offensichtlich niemanden.
Eine halbe Stunde später erfuhren sie von einem Arzt, dass es Joshua gut ging. Er hatte einen komplizierten Schlüsselbeinbruch, der operativ behandelt werden musste, da Nerven und Blutgefäße verletzt worden waren, ansonsten Schnitt- und Schürfwunden. Man hatte ihn auf innere Verletzungen hin untersucht, konnte aber Entwarnung geben. Ein paar Tage würde er zur Beobachtung in der Klinik bleiben müssen, aber dann würde er wieder nach Hause können. Die Heilung würde schnell vonstattengehen. Alle waren erleichtert.
Natascha rief bei Tom an und erfuhr, dass es bei ihm noch dauern würde. Eine zweite Leiche war entdeckt worden, wahrscheinlich derselbe Täter, er musste zum Tatort. Sie vereinbarten, dass Tascha mit einem Taxi nach Hause fahren würde.
Elli ging zu Caleb, um ihm zu sagen, dass es Josh gut ging. Natascha beobachtete die beiden, auch Cale schien erleichtert, wenn er auch Distanz wahrte. Sie kam zurück, sie, Mia und Richard würden noch kurz bei Joshua rein schauen, dann zusammen nach Hause fahren. Natascha verabschiedete sich, es war spät und sie wollte in ihr Bett. Caleb war nirgends mehr zu sehen.
Sie fand ihn vor dem Krankenhaus. Er stand an die Wand gelehnt und rauchte eine Zigarette, seine Hand zitterte ganz leicht. Natascha lief erst an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, dann drehte sie jedoch um und ging zu ihm.
„Alles klar mit dir?“, fragte sie.
Seine Augen funkelten und er verzog das Gesicht schmerzvoll.
„Ja alles klar.“
Es hörte sich gequält an und sie schaute zu ihm auf.
„Na gut, dann leb wohl.“
Sie konnte es aber auch nicht lassen, verdammt!
„Hey warte!“, er rief ihr hinterher. „Soll ich dich mitnehmen?“
Sie zögerte, er stand plötzlich hinter ihr und sie glaubte ihn mit jeder Faser ihres Körpers spüren zu können. Natascha atmete tief durch und schloss die Augen. Sie sehnte sich nach seiner Berührung. „Warum nicht, danke“, presste sie heraus.
Gemeinsam gingen sie zum Auto.
Sie fuhren knapp 10 Minuten, dann hielt Caleb vor ihrem Haus. Unterwegs hatten sie kaum gesprochen. Natascha stieg nicht sofort aus.
„Eine Frage hätte ich noch, ist es jetzt besser für dich, da du weißt, wer dein Vater ist?“
Er zuckte mit den Schultern. „Schon, ich weiß zumindest, wo ich nicht hingehöre.“
Sie nickte. „Danke, dass du mich gefahren hast, pass auf dich auf.“
Er schaute sie an, ein wenig länger als nötig gewesen wäre.
„Mach ich, du auch“, antwortete er.
Als Caleb in die Straße einbog, in dem das Hotel lag, sah er die Streifenwagen und die zivilen Dienstwagen. Die Straße war abgesperrt und so ließ er den Mietwagen einfach in zweiter Reihe stehen. Hier stimmte definitiv etwas nicht, und es hatte mit ihm zu tun. Aber obwohl er das wusste, stieg er nicht wieder in das Auto ein und fuhr davon, er lief ein paar Schritte, bis er aufgrund der Sperre nicht mehr weiter kam.
Es waren nur wenige Schaulustige vor Ort, es war sehr spät und ein paar Leute hingen an den Fenstern und verfolgten den Polizeieinsatz von dort aus. Ein Mann vor dem Hotel zeigte auf Caleb, während er mit zwei Beamten sprach. Einer von ihnen schaute zu ihm herüber und er erkannte, dass es Tom war. Er kam auf ihn zu und bat ihn hinter die Absperrung zu kommen, Cale tat es. Dann zog Tom ihn an die Seite und sprach sehr leise: „Ihre Freundin wurde ermordet.“
Caleb atmete tief ein, scheiße, nicht schon wieder.
„Hören Sie von Lahn, Sie werden beschuldigt, etwas damit zu tun zu haben. Ich muss Sie befragen. Ich muss Sie eigentlich festnehmen und ich weiß, dass Sie sich der Festnahme mit Leichtigkeit entziehen könnten. Aber ich bitte Sie, tun Sie das nicht.“
Cale spürte Toms Angst, die Angst die er vor ihm hatte und die Eifersucht. Er bemühte sich es zu verbergen und sprach weiter: „Ich weiß auch, dass Sie bemüht sind, nicht allzu sehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu geraten, um Ihre wahre Identität zu schützen und damit auch die Menschen, an denen Ihnen etwas liegt. Ich bitte Sie mir zu vertrauen.“
Caleb wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Es wäre tatsächlich ein Leichtes gewesen in die Andere Ebene zu tauchen und zu verschwinden oder sich zu wehren, zu kämpfen oder zu manipulieren. Aber er würde sicher nicht gegen alle hier ankommen. Er war alleine und morgen würde sein Konterfei auf den Titelseiten der Tageszeitungen prangen.
„Ich brauche Ihre Hilfe. Dieser Mörder treibt seit drei Wochen sein Unwesen und ich denke es hat mal wieder was mit Ihres Gleichen zu tun. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt Sie abhauen zu lassen. Ich bin überzeugt, dass Sie nichts damit zu tun haben, auch wenn ich Sie nicht leiden kann, aber dann wäre da das Problem mit der Öffentlichkeit und diesem Typen da hinten.“
„Ich war es nicht, ich habe das Hotel heute Nacht nicht betreten.“
„Der Kerl behauptet etwas anderes.“
„Dann lügt er!“ Caleb wurde sauer.
„Er ist zu glatt, hat auf alles eine Antwort und er ist kein Mensch, hab ich recht?“
Dieses Wissen um die anderen Wesen bereitet Tom große Furcht.
Cale kniff die Augen zusammen und nickte. „Er ist einer von uns.“
Caleb fand sich wenig später in einem Vernehmungszimmer der Kriminalpolizei Berlin wieder. Er war ohne Handschellen und größeren Aufsehens von Tom hierher gebracht worden. Tom meinte, was er sagte. Er war noch alleine, wartete, die Zeit verging und so langsam merkte er die Müdigkeit. Und dann war da dieses nagende Gefühl wieder einmal einer Frau an seiner Seite den Tod gebracht zu haben.
Die Tür öffnete sich und ein großer, sehr kräftiger Kerl mit Glatze und rundem Gesicht, kam herein, dahinter Tom Neders. Der Dicke schmiss eine Akte auf den Tisch und setzte sich ächzend auf einen Stuhl, Caleb gegenüber, Tom daneben.
„Ich bin Kommissar Strechte, Neders kennen Sie ja“, brummte der Kerl unfreundlich.
Er schlug die Akte auf und entnahm ihr ein paar Fotos, die er Cale vor die Nase hielt und dann nebeneinander auf den Tisch legte.
„Das alles, sehen Sie das? Das alles waren mal fröhliche Menschen!“
Er tippte mit seinen knubbeligen Fingern nacheinander auf jedes einzelne Foto. Er zog ein weiteres Foto hervor, darauf war die Leiche von Rika zu sehen. Caleb zuckte zusammen, es ließ ihn nicht kalt sie so zu sehen.
Sie lag auf dem Bett, nackt, aus jeder Körperöffnung trat Blut und bildete unter ihr einen roten See, in dem sie zu schwimmen schien. Ihre Augen waren starr zur Decke gerichtet. Cale schluckte. Er warf einen Blick auf die anderen Bilder. Überall dasselbe, die leblosen Körper ließen ihn jedoch kalt, er hatte Schlimmeres gesehen, aber um Rika tat es ihm leid.
„Und warum zeigen Sie mir das? Ich dachte es geht hier um meine Freundin.“
„Die Sie umgebracht haben, so wie die anderen fünf. Sagen Sie mir, wie machen Sie das?“
Strechte lehnte sich weit über den Tisch.
„Was machen Sie mit denen, dass sie so qualvoll verbluten.“
Caleb funkelte ihn böse an. „Ich weiß nicht was sie von mir wollen, ich habe damit nichts zu tun, weder mit dem Tod von Rika noch mit dem der anderen!“
Der Dicke schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Fer Knall hallte in dem fast leeren Raum wider.
„Das reicht.“ Tom legte dem Kommissar die Hand auf die Schulter. „Herr von Lahn, in den letzten drei Wochen hatten wir vier Mordfälle. Heute Nacht waren es noch einmal zwei, einer davon ist Ihre Freundin. Die Opfer sind innerlich verblutet, nachdem ihnen sämtliche Blutgefäße geplatzt sind. Ein qualvoller und unerklärlicher Vorgang. Rika Treves ist die Einzige, die nicht auf der Straße ermordet wurde und der Mörder hat bisher niemals zwei Morde an einem Tag begangen. Er ändert seine Vorgehensweise. Es gibt einen Zeugen, der behauptet, er hätte Sie gesehen und, dass Sie etwas damit zu tun haben. Das bringt uns zu der Überlegung, dass Sie auch die anderen Taten begangen haben könnten.“
„Ich war es aber nicht. Ich kanns gar nicht gewesen sein, weil ich erst seit Donnerstagmittag in Berlin bin und auch Rika kann ich nicht getötet haben, weil ich gar nicht mit ihr ins Hotel gegangen bin. Ich habe sie lediglich davor abgesetzt und bin dann weiter gefahren“, zischte er Tom an.
„Wo waren Sie bis Donnerstag?“
„In Irland, ich bin mittags in Tegel gelandet.“
„Welche Fluggesellschaft?“
Tom machte sich Notizen. Caleb nannte ihm den Namen und sogar die Flugnummer. Tom riss den Zettel von seinem Notizblock ab und reichte ihn Strechte. „Hier, überprüfen Sie das!“
Der andere nickt und warf Cale noch einen abwertenden Blick zu, dann verschwand er aus dem Raum.
Calebs Augen glühten. Er hatte gut Lust Tom das Herz aus dem Leib zu reißen, so sauer war er, er fühlte sich verarscht.
„Was soll die Show? Was ziehen Sie hier ab? Das ist doch lächerlich, guter Cop beschränkter Cop?“ „Haben Sie das kleine Spiel durchschaut? Na gut Strechte ist ein sehr fähiger Mann, aber lassen Sie ihn im Glauben er würde die Rolle hier gut spielen.“ Tom lächelte. „Was ist nun mit der Tatsache, dass Sie angeblich gesehen wurden, können Sie sich das erklären?“
„Wenn Sie wollen, sage ich es noch mal, klar und deutlich. Ich war es nicht verdammt! Ich habe auch nicht die Fähigkeit so zu töten, ich kann das nicht.“
„Ich weiß, während der erste Mord gestern Abend begangen wurde, waren sie eh bei ihrem Vater. Das mit ihrer Freundin wäre aber möglich.“
Caleb wollte ihm ins Wort fallen doch Tom sprach weiter: „Ich weiß, dass Sie ein Killer sind, aber Sie töten nicht wahllos und diese Morde waren wahllos.“
Das er nicht wahllos tötete, stimmte nicht so ganz. Wenn er seinem Instinkt folgte, dann tötete er des Töten willens, er hatte es schon getan. Und wieso kam Tom darauf, dass diese Morde überhaupt wahllos waren? Vielleicht verfolgte der Mörder einen Plan, den nur er durchschaute. Aber Cale hielt den Mund, er musste hier raus und brauchte keine weiteren Probleme.
„Und warum haben Sie diesen Typen weggeschickt um meine Angaben zu überprüfen?“, fragte er stattdessen.
„Um ihn loszuwerden und Ihr Alibi zu untermauern. Hören Sie, bis er wieder kommt, müssen wir ein paar Sachen unter vier Augen klären. Haben Sie eine Idee, wer diese Morde auf diese Art und Weise begangen haben könnte? Ich bin mir sicher, ein Mensch hätte nicht die Möglichkeit so etwas zu tun.“
„Ich habe keine Ahnung, aber Sie sollten nicht unbedingt davon ausgehen, dass es sich nur um einen Mörder handelt.“
Tom musterte ihn. „Würden Sie mir sagen, wenn Sie etwas wüssten?“
Ein Lächeln umspielte Calebs Mund, nein, natürlich würde er das nicht tun, er würde die Sache alleine regeln.
„Gut, hab ich mir gedacht. Aber falls Sie etwas erfahren, weil Sie sich unter ihresgleichen umhören, wäre es sehr nett Sie würden mich davon in Kenntnis setzen.“ Auch Tom hatte ein Lächeln auf den Lippen und Caleb nickte.
„Was hat der Typ von der Rezeption gesagt?“
„Er sagt, Sie seien mit Ihrer Freundin so gegen Viertel vor zehn im Hotel eingetroffen und zusammen aufs Zimmer gegangen. Eine halbe Stunde später hätten Sie dann sehr eilig das Hotel wieder verlassen.“
„Und was lässt Sie glauben, dass der Mann nicht die Wahrheit sagt?“, fragte Caleb.
Tom atmete tief ein, dann antwortete er: „Ich kann Sie nicht leiden, das beruht auf Gegenseitigkeit, glaube ich. Aber bei mir hat das zwei Gründe und einer ist, dass ich durch Sie erfahren habe, dass es Dinge zwischen Himmel und Hölle gibt, von denen ich bis vor einiger Zeit keine Ahnung hatte, und auch jetzt lieber nicht hätte. Ich weiß, dass Sie ein exzellenter und lautloser Killer sind. Das soll kein Kompliment sein, im Gegenteil, ich verachte es, aber Natascha hat mir vieles erklärt und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich es so hinnehmen werde, so Sie mir nicht in die Quere kommen. Daher weiß ich aber auch, dass Sie niemals so dumm wären, sich so auffällig zu verhalten und diese Spuren zu hinterlassen. Außerdem hat mich an diesem Mann etwas gestört, er war zu glatt. Sie haben nicht unter Ihrem Namen im Hotel eingecheckt, sondern unter dem Namen Ihrer Begleiterin. Obwohl der Mann gerade seinen Dienst angetreten hatte, wusste er genau, wer Sie sind. Begründet hat er es damit, dass er Ihren Vater kennt. Dieser habe seiner Gemeinde Geld für die Modernisierung der Kirche zukommen lassen. Ich weiß jedoch, dass Sie sich aus solchen Dingen raushalten und ich weiß auch, dass Sie die Öffentlichkeit meiden. Sie treten nicht oder kaum in Verbindung mit der Familie von Lahn auf, viele wissen nicht einmal, dass Richard von Lahn zwei Söhne hat. Aber dieser Mann kannte Sie angeblich. Er war es auch, der die Leiche gefunden und uns gerufen hat. Eine Angestellte des Hotels hatte bemerkt, dass Wasser unter der Tür auf den Gang lief. Frau Treves wollte wohl ein Bad nehmen und hatte keine Gelegenheit mehr dazu gehabt.“
Kommissar Strechte kam zurück, in der Hand einen Stapel Computerausdrucke. Mürrisch setzte er sich an den Tisch und gab die Papiere an Tom weiter, der einen Blick darauf warf und nickte.
„Er ist wirklich erst Donnerstagmittag in Berlin gelandet. Ich habe mich bemüht die Passagierlisten der letzten vier Wochen zu bekommen, aller Flüge, die gelandet sind. Er taucht nirgends auf, aber das hat nichts zu heißen. Das sind nur die aus Tegel, Schönefeld steht noch aus und außerdem könnte er unter anderem Namen gereist sein mit einem gefälschten Ausweis oder sonst was angestellt haben.“
„Kommissar Strechte, gehen wir mal davon aus, Herr von Lahn reist mit seinen richtigen Papieren, immerhin ist er ein unbescholtener Bürger und Sohn eines sehr angesehenen und einflussreichen Unternehmers.“
Strechte lachte auf. „Na unbescholten ist so eine Sache. Ich habe ihn mal durch das Programm laufen lassen, hier!“ Er gab Tom weitere Zettel.
„O.K., Besitz von Marihuana, mit 15, fahren ohne Führerschein mit 16, Erregung öffentlichen Ärgernisses unter Alkoholkonsum mit 16, ah, Schlägerei mit 16 und 17 Jahren. Nun gut, kein Mord.“ Er grinste. „Keine Anklage, keine Verurteilung, Papa?“ Die Spitze konnte sich Tom nicht verkneifen.
Cale schmunzelte. „Könnte sein.“
„Gut, fassen wir zusammen; während des ersten Mordes waren Sie zur Geburtstagsfeier Ihres Vaters, es gibt so an die 120 Gäste, die das bezeugen könnten.“
Tom sagte nicht, dass er einer der Gäste war und er hatte sicher seinen Grund.
„Wie gings weiter?“
„Ich hatte einen Streit mit meinem Bruder, woraufhin wir die Party verlassen haben, es muss so gegen ...“ Er schaute zu Tom rüber.
Der überlegte, sie waren nach Caleb und Rika gegangen, es war nach halb zehn.
„Sie sagten vorhin gegen halb zehn.“
Caleb nickte, Tom hatte verstanden, dass er die genaue Uhrzeit nicht wusste, und war eingesprungen. Er spürte die Abneigung von Strechte und die finsteren Gedanken, denen dieser nachhing. Er war bemüht sich zu verschließen, nichts von alledem in sich hineinfließen zu lassen. „Ja gegen halb zehn sind wir gegangen. Wir haben etwa 20 Minuten bis zum Hotel gebraucht, da hab ich Rika abgesetzt. Ich hatte keine Lust mit rein zu gehen und wollte deshalb weiter.“
„Wo wollten Sie hin?“, hakte der Kommissar nach.
„Ich weiß nicht. Eigentlich wollte ich in einen Club, in den ich früher gegangen bin, aber der hat nicht mehr geöffnet.“
Er schaute zu Tom herüber. Das Raven hatte nicht mehr aufgemacht, nachdem Damian von ihm getötet worden war.
„Wo fuhren Sie stattdessen hin?“ Tom schaute ihn an.
„Ich bin gar nicht so viel weiter gekommen. Meine Mutter hat mich angerufen und mir erzählt, dass mein Bruder einen Autounfall hatte. Ich bin sofort ins Krankenhaus.“
Strechte ergriff das Wort: „Wann kamen Sie dort an?“
Bei allen Göttern, als ob er ständig auf die Uhr schauen würde. Cale hatte keine Ahnung. Tom zog sein Handy aus der Tasche und drückte auf eine Taste, dann schaute er auf das Display und murmelte: „22:47 Uhr.“
Dann schaute er Caleb durchdringend an. Dieser öffnete seinen Geist. Er sah, wie Tom im Krankenhaus ein Telefongespräch entgegen nahm und sich von Natascha und seiner Familie verabschiedete. Dann, wie sie sich auf dem Gang begegneten und grußlos aneinander vorbeiliefen. Es waren Toms Erinnerungen an den Abend und Caleb verstand, was er ihm mitteilen wollte.
„Es muss so kurz vor elf gewesen sein.“
„Um Viertel nach zehn hat sie der Kerl von der Hotelrezeption gesehen, um halb eins ist er mit einer anderen Angestellten in das Zimmer gegangen. Sie hatten genug Zeit.“
Kommissar Strechte triumphierte. Caleb starrte den Mann an und überlegte, was er am besten mit ihm anstellen sollte. Es passte wirklich alles, wer auch immer das inszeniert hatte, hatte es gut gemacht.
„Ich habe getankt“, sagte Caleb gedankenverloren. „Ich habe getankt, gleich nachdem ich vom Raven weg bin.“
Er fingerte in seiner Hosentasche herum.
„Ich habe die Quittung, hier.“
Er reichte Tom einen kleinen Zettel.
„22.16 Uhr, die Tankstelle in der Bornholmer Straße. Der Nachtportier war sich ganz sicher ihn um 22.15 Uhr gesehen zu haben. Würde sagen der Mann lügt.“
„Oder er hat sich in der Zeit geirrt.“
Tom guckte seinen Kollegen schief an.
„Sie wollen wohl unbedingt Herrn von Lahn die Sache in die Schuhe schieben.“
„Neders, ich möchte einen gemeingefährlichen Mörder von den Straßen Berlins holen.“
„Herr von Lahn, ich denke Sie können gehen, aber Sie sollten, wenn es Ihnen möglich ist, die Stadt nicht verlassen. Und wir werden uns noch einmal mit diesem Kerl vom Hotel unterhalten.“ Kommissar Strechte brummte etwas vor sich hin und verließ den Vernehmungsraum. Tom Neders schaute ihm kopfschüttelnd hinterher.
„Der arme Kerl, ich kann ihn ja verstehen.“ An Caleb gewandt sagte er: „Es ist mein Ernst, bleiben Sie in der Stadt und sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas erfahren, bitte.“
Er reichte ihm die Hand. Caleb zögerte, dann reichte er ihm seine.
„Ach noch etwas, ich habe diese Passagierlisten nur überflogen, aber mir ist etwas aufgefallen, vor drei Wochen ist ein Passagier aus Rom in Berlin gelandet. Ein Herr Jarik Dravic, wenn Sie es nicht waren, dann hat jemand ihren wahren Namen benutzt.“
Cale starrte ihn an.
„Ich sagte doch, ich habe viel über Sie erfahren.“
„Ich werde meine Augen offen halten.“
„Das sollten Sie wohl. Ich begleite Sie hinaus.“
Caleb spürte die Erleichterung Toms, dass er seinen Rivalen endlich verabschieden konnte. An der Tür wandte sich Caleb an den Oberkommissar: „Was ist mit meinen Sachen? Alles, was ich besitze, ist in einem Seesack im Hotel gewesen?“
Tom schaute ihn beinahe mitleidig an. „Wenn Sie noch einen Augenblick Zeit haben, ich werde mich erkundigen, wo die Sachen sind, die die Spurensicherung aus dem Hotel mitgenommen hat. Warten Sie hier.“
„Moment, ich habe noch ein Problem.“
Tom verharrte in seiner Bewegung.
„Ich habe den Mietwagen in zweiter Reihe vor dem Hotel stehen lassen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er noch dort ist?“
„Die ist gering“, antwortete Tom. „Warum?“
Caleb zögerte, dann sagte er etwas leiser: „Ich habe mein Schwert da drin, unter dem Fahrersitz und“, er zögerte abermals, „meine Pistole.“
Es war doch zum graue Haare kriegen mit diesem Typen. Da schleppte er ein halbes Waffenarsenal mit sich herum und dann ließ er den Kram zurück.
„Immerhin habe ich sie euch nicht unter die Nase gehalten. Das wäre auch nicht viel intelligenter gewesen oder? Und ich habe dafür gesorgt, dass sie niemand entdeckt, aber ich brauche sie, vor allem das Schwert.“
Der Kerl wusste, was er gedacht hatte. Tom rief sich ins Gedächtnis, mit wem er es hier zu tun hatte.
Er atmete tief ein und seufzte: „Ich werde mich erkundigen, warten Sie hier.“
Neders hatte es geschafft ihm seinen Seesack zu besorgen und er hatte auch raus gefunden, wo der Wagen stand. Er war abgeschleppt und zwei Straßen weiter abgestellt worden. Jetzt saß Caleb neben Tom in einem Dienstwagen, er hatte sich angeboten ihn dorthin zu fahren.
„Darf ich Sie etwa fragen? Oder brauch ich das gar nicht, weil Sie sowieso wissen was ich denke?“ „Ich kann keine Gedanken lesen.“ Cale starrte auf die Straße, während er sprach. „Wenn Sie so viel über mich zu wissen glauben, dann sollten Sie auch das wissen“, sagte er barsch.
„Oh Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, antwortete Tom pikiert.
„Ich kann Ihre Gefühle empfinden und Ihre Erinnerungen sehen, ich kann in Ihre Seele schauen. Aber glauben Sie nicht, ich würde das ständig machen. Ich kann meinen Geist verschließen und ich tue es, sonst wäre es nicht zu ertragen.“
„Schon gut, tut mir leid.“
„Fragen Sie, was wollen Sie wissen?“
Tom räusperte sich. „Sie sind der Sohn eines der reichsten und einflussreichsten Männer Europas und alles, was Sie besitzen haben Sie in diesem Seesack?“
„Ja, alles, was ich besitze ist da drin. Ich bekomme kein Geld von meinem Vater und habe nichts von seinem Ansehen. Besitz interessiert mich nicht, hat es noch nie und ich würde auch nichts von ihm nehmen.“
„Wenn Ihnen Besitz noch nie etwas bedeutet hat, wieso haben Sie vor Tausenden von Jahren Menschen getötet, um ihnen ihre Ländereien zu nehmen?“
„Ich war ein Söldner und ich habe getötete um des Töten willens und weil es mein Job war.“
Die Antwort gefiel Tom nicht. Der Mann zweifelte an der Entscheidung, die er getroffen hatte, überzeugt zu sein, Cale wäre unschuldig.
„Ich habe das nicht getan!“, betonte Caleb daher nochmals.
Tom nickte nachdenklich.
Sein Schwert und die halbautomatische Waffe lagen noch unter dem Vordersitz, Caleb war erleichtert. Das Schwert war sein Begleiter seit so langer Zeit. Er verabschiedete sich von Tom, dankte ihm sogar. Er konnte den Mann ebenso wenig leider wie dieser ihn, aber er war ein guter Kerl.
„Wenn Sie sich um den Typen vom Hotel kümmern, seien sie vorsichtig“, sagte Neders, als sie sich die Hände schüttelten, Caleb grinste. Und als er schon im Begriff war in den Wagen zu steigen, fügte Tom hinzu: „Bitte, halten Sie sich von Natascha fern.“
Cale hielt in der Bewegung inne und schaute den Mann an, ohne etwas zu erwidern, dann trennten sich ihre Wege.
Caleb beobachtete, wie Hauptkommissar Tom Neders davon fuhr und wusste, dass dieser hoffte, ihn nie wieder zu sehen. Er startete das Mietfahrzeug und wendete, dann fuhr er zum Hotel.
Er betrat das Mehrfamilienhaus. Die Beleuchtung im Treppenhaus funktionierte nicht, aber er benötigte kein Licht. Caleb hatte seine wahre Gestalt angenommen und war in die Andere Ebene getreten. Alles um ihn herum hatte einen violetten Farbton angenommen und niemand der so früh unterwegs war, würde ihn bemerken.
Er hatte die Frau an der Rezeption des Hotels beeinflusst und so erfahren, dass der Angestellte, der ihn bei der Polizei belastet hatte, nach dem Vorfall nach Hause geschickt worden war. Sie hatte ihm aus der Angestelltenkartei dessen Adresse herausgesucht. Nun war er hier um sich Genugtuung zu verschaffen.
Am Fahrstuhl hing ein Schild mit der Aufschrift. „Außer Betrieb!“ Aber auch das war ihm gleichgültig, er nahm die Treppe. In der zweiten Etage fand er auf einen Klingelschild den Namen, den er suchte. Er machte sich am Türschloss zu schaffen und ohne viel Aufwand ließ es sich öffnen, der Bewohner hatte die Tür nur zu gezogen. Cale ging in die Wohnung und schloss die Tür leise.
Er verschaffte sich einen Überblick über die räumlichen Gegebenheiten. Flur, kleine Küche, Bad, Wohnzimmer und eine Tür, die vermutlich zum Schlafzimmer führte. Es herrschte absolute Stille, aber weit entfernt dämmerte bereits der Morgen, er konnte es spüren.
Er fand den Mann im Schlafzimmer, vollkommen angekleidet lag er auf dem Bett und schlief traumlos. Cale beobachtete ihn. Er nahm die Gefühle des Mannes in sich auf und suchte in dessen Seele nach seinen Ängsten. Er fühlte seine eigene Macht, so groß und wartend, wartend darauf hinausgelassen zu werden, benutzt zu werden, sich entfalten zu dürfen. Aber bei diesem Mann würde er sie nicht brauchen, er war ein schwaches Wesen, nur ein Handlanger, nicht von Bedeutung.
Calebs Augen funkelten, glühten, schienen alles in sich verschlingen zu wollen, die violetten Linien seiner Adern zogen sich als feines, pulsierendes Geflecht über seinen ganzen Körper. Seine Tätowierungen schienen zu leben, sich zu bewegen. Der Mann schlug die Augen auf und wollte schreien, doch kein Ton drang über seinen Lippen.
Als Caleb erledigt hatte, weswegen er gekommen war, verließ er das Wohnhaus genauso unauffällig, wie er es betreten hatte. Die Leiche des Mannes lag mit gebrochenem Genick im Flur der Wohnung. Da er die Stadt nicht verlassen würde, was nichts damit zu tun hatte, das Neders ihn darum gebeten hatte, sondern eher damit, dass er hier noch einiges zu erledigen hatte, brauchte er einen Unterschlupf. Seine Wahl fiel auf die alte Fabrik.
Während der Fahrt dorthin dachte er darüber nach, was er von diesem Wesen erfahren hatte und wie unbefriedigend die Informationen gewesen waren. Er war nicht der Mörder von Rika, das war Caleb klar gewesen, als er in die Seele des Mannes eingedrungen war. Er wäre gar nicht mächtig genug gewesen eine Furie wie sie zu überwältigen und er hatte auch nicht die Gabe auf diese Art zu töten. Vielmehr war er nur ein kleiner Handlanger gewesen. Ein Angestellter des Hotels, zufällig ein Anderes Wesen, dem ein Mann Geld dafür geboten hatte, 200,- €, Rikas Leben war nicht mehr wert gewesen, dass er ihn benachrichtigte, wenn Rika ins Hotel zurückkehrt und die Hintertür offen lassen sollte.
Dass die Frau ermordet werden sollte, hatte er nicht geahnt und Caleb wusste, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Und dann gab es noch einmal 100,- € dafür, dass er behauptete, Caleb von Lahn sei mit der Frau ins Hotel gegangen und hätte es alleine gegen Viertel nach zehn wieder verlassen. Selbst, nachdem er erfahren hatte, was mit dieser Auskunft bezweckt werden sollte, hätte er, so hatte er gesagt, so viel Angst vor diesem Mann gehabt, dass er lieber an der Lüge festgehalten habe als der Polizei die Wahrheit zu sagen.
So sehr Cale auch versucht hatte Informationen über den unbekannten Mann in den Erinnerungen des Hotelangestellten zu finden, er hatte es nicht geschafft, da waren keine. Er hätte beinahe gelacht, 300,- € für die Zerstörung zweier Existenzen, so viel waren sie beide also wert.
Als er den Schotterweg zur Fabrik entlangfuhr, spürte er die Anwesenheit der Geister der Vergangenheit, aber sie würden ihm nichts tun, das wusste er, sie hatten zu viel Angst vor ihm.