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Auf dem Weg zum Jaktvarvsplan kam sie am Revier vorbei. Der gewaltige Gebäudekomplex lag vor ihr wie die ehelichen Besitztümer nach einer Scheidung – verlassen, aber verkrampft durch so übersteigerte unrealistische Hoffnungen, durch so viel falsch investierte Zeit, dass Monika sich abwenden musste. Zwischen ihr und der Wache gab es keine Verbindung mehr. Eilig ging sie weiter, während sie überrascht feststellte, dass sie sich schämte, wie ein hinterhältiger Liebhaber oder eine treulose Ehefrau.

Als sie den Jaktvarvsplan erreichte, bemerkte sie, dass ihre Schultern sich senkten. Sie hatte das Gefühl, einen Ort zu betreten, an dem die Kräfte der Ruhe wohnten. Die Kastanie mitten auf dem Platz erschien ihr heilig und kraftvoll, ein Baum, der in einer anderen Kultur mit Opfergaben behängt worden wäre, mit Öl oder Butter einbalsamiert, bis die Rinde glänzte. Die letzten Reste der winterlichen Eishügel umgaben die kleine Rasenfläche um den Baum. Es knirschte unter ihren Füßen, als sie sie überquerte, ehe sie sich wie gewohnt mit dem Rücken an den Baum lehnte und zu Mikaels Haus hinaufsah. Zu Mikaels und Patriks Haus. Die beiden hatten die magische Schwelle zwischen dem Leben als Singles und der Zweisamkeit überschritten. Die magische Schwelle, die immer höher zu werden schien, je mehr Zeit verging.

Das Haus schien geradezu zu strahlen – es war kürzlich in einem freundlichen Hellgelb gestrichen worden, ein typisches Haus aus den dreißiger Jahren, inspiriert vom Bauhausstil und für Monikas Geschmack wunderschön.

Die Haustür bestand aus so viel Glas, wie die damalige Technologie hatte verarbeiten können, hinter der ein klassischer schwarzweiß karierter Steinboden zu sehen war. Monika fand, dass der Eingang Stil hatte, ohne protzig zu wirken, ebenso wie die glänzenden hellgrauen Wände im hellen Treppenhaus. Sie stieg die vier Treppen hoch, langsam und aufmerksam, und freute sich darüber, dass sie ihr verletztes Bein benutzen konnte. Dass ihr bester Freund hier wohnte, war fast, als wohne sie selber hier, und sie fuhr mit den Fingerspitzen über die saubere, glatte Wand, als wolle sie sie begrüßen oder ihre Beziehung wieder aufleben lassen.

Sie klingelte. Mikael machte auf, und alles war genauso wie immer, doch als sie ihn umarmte, fiel ihr auf, dass sich sein Duft oder aber der Geruch der Wohnung verändert hatte. Monika hatte sich schon gefragt, ob er sich wohl eine neue Frisur oder einen Schnurrbart zulegen würde, um diese neue Lebensphase zu markieren. Das hatte er nicht getan. Sein blondes Haar war zur selben Standardpolizeifrisur geschnitten wie immer. Trotzdem sah er verändert aus. Neue Gefühle spiegelten sich auf seinem Gesicht wieder. Sie hatte es immer schon schön gefunden, aber jetzt war es offen und zugänglich, verletzlicher und unendlich anziehend. Es war ein wenig beängstigend.

Auch die Diele sah anders aus. Mikael hielt in seiner Umgebung stets Ordnung, als Gegengewicht, wie er sagte, zu der Unordnung, die sein Berufsleben prägte. Nun stand ein Karton an der Wand, und die Garderobe war hoffnungslos überladen. Der Teppich lag schief.

Mikael verschwand in der Wohnung.

»Setz dich schon mal, wir müssen nur kurz aufräumen«, rief er ihr über die Schulter hinweg zu.

Jetzt war sie also ein Gast, ein echter Gast, jemand, der untätig auf dem Sofa wartet, während die Gastgeber in der Küche beschäftigt sind. Besser, sie gewöhnte sich gleich an diesen neuen Status.

Sie erkannte das Wohnzimmer fast nicht wieder. Über dem Sofa war Mikaels gerahmtes Plakat durch ein riesiges abstraktes Gemälde ersetzt worden, das den gesamten Raum dominierte. Es war geometrisch und auf warme Weise organisch. Monika blieb davor stehen und versank in der bunt gemischten Sammlung von Figuren, zwischen denen das Auge vergeblich nach vertrauten Formen suchte – ein Blatt, nein, kein Blatt. Ein von oben gesehener Käfer? Nein, kein Käfer. Eine Knospe, eine Larve, eine Schneeflocke? – Nein. Hier wurde Leben geschildert, aber ein anderes Leben, eines, das abstrakt und zugleich so konkret war, dass es unvorstellbar erschien, diese Geschöpfe oder Formen nicht auch in der Natur finden zu können.

Monika war fasziniert und überwältigt.

Auch die Farben waren überraschend – hier fand sich Hellblau neben dunkelstem Blutrot, Orange neben Bleigrau. Das Licht kam von nirgendwoher, einige der Figuren schienen von innen her erleuchtet zu sein. Wäre das Bild ein Musikstück, müsste es ein ohrenbetäubendes sein.

Patrik – denn das hier musste Patriks Werk sein – hatte einen neuen Maßstab in das Zimmer eingeführt. Einen Maßstab, der Mikaels Zuhause ansonsten unzulänglich und banal aussehen ließ. Für einen Moment hasste Monika Patrik dafür, ehe ihr klar wurde, dass dies einen Teil seiner Anziehungskraft ausmachen musste.

In diesem Augenblick kamen sie zusammen aus der kleinen Küche, Patrik und Mikael, mit Kaffee, dicht gefolgt von einer hoch gewachsenen, schlanken Frau mit üppiger roter Mähne.

Patrik schien Monika umarmen oder auf die Wange küssen zu wollen, aber offenbar hatte ihre Körpersprache ein falsches Signal gegeben, denn er hielt inne und begnügte sich mit einem Lächeln.

»Hallo. Willkommen im Chaos! Das hier ist Eloïse, meine Schwester. Oder genauer gesagt, Halbschwester, daher der Name. Keine Frau würde ihr eines Kind Patrik und das andere Eloïse taufen. Meine Eltern heiraten beide in regelmäßigen Abständen, deshalb habe ich jede Menge Halbgeschwister, aber Eloïse ist meine Lieblingsschwester, hab ich Recht, Eloïse?«

Eloïse nickte. Ihre blasse, sommersprossige Haut ließ vermuten, dass ihre Haarfarbe echt war. Monikas erster Eindruck war der von aufgestauter Energie. Die Luft um diese Frau wirkte geladen, fast elektrisch, und ihre Bewegungen waren zurückhaltend, als würden gigantische Kräfte entfesselt, sowie sie sich entspannte. Ihr breites Lächeln entblößte die perfekten Zähne, die reiche Menschen als Entschädigung für eine mit Zahnklammern verbrachte Kindheit erhalten.

Mikael setzte sich und sah Patrik an, ehe er sich Monika zuwandte. Seine Züge waren immer noch weich vor Verliebtheit.

»Heute haben wir etwas zu feiern und etwas zu bedauern. Was möchtest du zuerst hören?«

»Die schlechte Nachricht.«

»Wir haben ein Angebot auf eine Wohnung in Kungsklippan abgegeben und gerade erfahren, dass wir sie nicht bekommen. Ja, und damit ist die gute Nachricht ja eigentlich keine Überraschung mehr. Wir wollen zusammenziehen. Nicht nur auf diese provisorische Weise zusammenwohnen, du weißt schon, man hängt seine Bilder an irgendeine Wand, bekommt ein paar eigene Garderobenfächer, stellt seine Zahnbürste ins Glas . . . nein, jetzt wollen wir Ernst machen – wir kaufen zusammen eine Wohnung, richten sie zusammen ein, nehmen zusammen ein Darlehen auf und fangen ganz von vorn an.«

Mikaels Lachen war strahlend und offen, Patriks eher vorsichtig, und Eloïse beobachtete sie alle hinter einem freundlichen kleinen Lächeln, das nichts verriet.

Monika wusste nicht, was sie sagen sollte. Die beiden wollten den Jaktvarvsplan verlassen? Sie wollten diese Wohnung aufgeben, die ihr immer als Juwel unter den Behausungen erschienen war?

Als habe er ihre Gedanken gelesen, breitete Patrik die Arme aus.

»Wir brauchen Platz. Wir brauchen ein Gästezimmer und ein Arbeitszimmer und einen wunderschönes großes Wohnzimmer. Wir brauchen Platz für unsere Bilder.«

Natürlich wirkte das große Bild ein wenig zu groß für den Raum, wie ein Fisch in einem zu kleinen Aquarium.

Monika musterte ihn überrascht. Für ihre Begriffe war die Wohnung groß genug für zwei oder sogar für drei Bewohner. Für die meisten Leute war eine solche Wohnung ein unerfüllbarer Wunschtraum, während sie für Patrik einfach zu eng war.

Eloïse deutete auf die Kaffeetassen.

»Hilf dir doch zu einer Tasse Kaffee.«

Ihre Stimme war leise und doch kraftvoll.

Patrik verdrehte die Augen.

»Eloïse spricht vier Sprachen fast wie eine Einheimische. Aber eben nur fast. Auf Schwedisch sagt man das nämlich nicht so.«

Eloïse nahm die Kritik gelassen zur Kenntnis.

»Monika hat sicher verstanden, was ich sagen wollte.«

Sie plauderten über Wohnungen und Immobilienpreise, und niemand fragte, ob Monika vielleicht etwas auf dem Herzen hatte.

Sie war hergekommen, weil sie mit einem anderen Menschen über Olzén und sein Buch reden musste, überlegte sie. War sie bereit, über sich zu sprechen, darüber, was in ihrem Leben vorgefallen war und noch immer vorfiel, und zwar nicht nur mit Mikael, sondern auch mit Patrik, den sie kaum, und mit Eloïse, die sie überhaupt nicht kannte? Das wäre eine ganz neue Erfahrung. Sie stellte fest, dass sie es satt hatte, ihre Mutter zu verschweigen. Sie wollte den Gesprächen über Mütter nicht mehr ausweichen, wollte keine Energie mehr damit verschwenden, sich Babs vom Leib zu halten.

Außerdem brauchte sie hier keine Schweigepflicht zu beachten, sie riskierte weder die Gefährdung einer Ermittlung noch ein Dienstvergehen.

Wollte sie darüber sprechen? Ja. Traute sie sich? Sie musste es einfach.

»Mir ist etwas Seltsames passiert«, begann sie.

Drei fragende und freundliche Augenpaare richteten sich auf sie.

»Was würdet ihr sagen, wenn ihr eine Fallstudie läst, die von eurer Mutter handelt?«, fragte sie.

Alles schwieg, und Monika zog das Buch aus der Tasche.

»In diesem Buch taucht eine Frau namens Fräulein F. auf, die bei dem Autor in Therapie oder Analyse war. Sie stammt aus genau denselben Familienverhältnissen wie meine Mutter, hat dieselbe komplizierte Schulkarriere hinter sich – nicht viele werden hintereinander von zwei Schulen geworfen, die erste in den USA und die andere in der Schweiz. Und mit fünfunddreißig starb Fräulein F., genau wie meine Mutter. Und damit nicht genug – der Autor behauptet, sie sei ermordet worden.«

Noch immer schwiegen die anderen. Aber Monika konnte sich nicht über die mangelnde Aufmerksamkeit ihres Publikums beklagen, denn allem Anschein nach waren sie damit beschäftigt, die Fakten zu verarbeiten.

»Wie ist deine Mutter gestorben?«, fragte Eloïse schließlich.

»Bei einem Autounfall. Das hab ich jedenfalls immer geglaubt – sie wurde auf einem Zebrastreifen überfahren, und weder der Wagen noch der Fahrer konnte jemals gefunden werden.«

»Streng genommen kann sie also die Frau aus dem Buch sein?«

»Ja.«

Und mit einem Mal erschien Monika diese Möglichkeit gar nicht mehr so abwegig.

Niemand lachte sie aus, niemand schien ihre Reaktion auf Olzéns Text für übertrieben oder makaber zu halten.

»Ich habe zuerst meinen Vater gefragt, aber der weigert sich rigoros, über sie zu sprechen. Immerhin hatte ich den Eindruck, dass er von diesem Buch wusste, was vielleicht bedeuten kann, dass Fräulein F. und Babs ein und dieselbe sind. Ich weiß aber auch, dass eine Therapie teuer ist, und Babs hatte nie Geld, was wiederum dagegen spricht.«

Sie ließ sich im Sessel zurücksinken. Wenigstens er fühlte sich wie immer an, was bei all den neuen Eindrücken eine gewisse Erleichterung darstellte.

»Ich weiß einfach nicht, wie ich mit dieser ganzen Sache umgehen soll.«

Mikael, der als Einziger wusste, welches Chaos Babs hinterlassen hatte, sagte nachdrücklich: »Natürlich musst du versuchen, dir Klarheit zu verschaffen. Es wird sowieso Zeit, dass du mit deiner Beziehung zu deiner Mutter ins Reine kommst.«

»Die ist doch tot!«

»Deshalb kannst du trotzdem mit deiner Beziehung zu ihr ins Reine kommen.«

Monika lächelte. Inzwischen fühlte sie sich leichter, leichter und erleichtert.

»Ich habe den Autor angerufen, weil aus Niels nichts herauszuholen war. Wir sind morgen verabredet, dann werde ich wohl erfahren, ob er Babs behandelt hat und warum er ihren Tod für ein Verbrechen hält.«

Eloïse schüttelte den Kopf.

»Wenn er deine Mutter behandelt hat, wird er wohl kaum darüber reden.«

»Sie meint, dass er nicht über eine Patientin sprechen wird, oder was, Eloïse?«, übersetzte Patrik

Eloïse sah beleidigt aus.

»Das hab ich doch gerade gesagt.«

»Nein, aber das hast du gemeint.«

»Warum glaubst du, dass er nichts sagt? Er hat doch über sie geschrieben, falls sie es ist«, meinte Monika.

»Das ist immer schwer. Ich habe einmal versucht, mir meine eigene Krankenakte zu besorgen. Es gab einen Wahnsinnsaufstand, aber bekommen habe ich sie trotzdem nicht.«

»Ich muss mich eben bemühen. Sicherheitshalber habe ich mich als Journalistin ausgegeben . . .«

Monika erzählte von Olzéns Geheimnummer und von der abweisenden Frau bei der Analytiker-Vereinigung.

Patrik musterte sie beifällig.

»Das war nicht dumm. Aber wenn er sich weigert, muss es doch noch andere Leute geben, die du fragen kannst. Hatte sie keine Freundinnen, die du aufsuchen könntest?«

»Nicht dass ich wüsste. Ich kann mich aber noch erinnern, dass sie im letzten Jahr in einer Anwaltskanzlei gearbeitet hat. Im Strandvägen. Der Name hatte irgendwas mit Stein zu tun . . . Granit, nein, ich glaube, Granat.«

Eloïse erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und schaltete den neuen Computer ein, den Monika bisher noch nicht bemerkt hatte.

»Die haben doch sicher eine Homepage.«

Patrik schüttelte den Kopf und schaute Monika kläglich an.

»Ich muss wohl noch einmal für sie um Entschuldigung bitten. Eloïse hat noch nie begriffen, warum man auf den Startschuss warten sollte.«

»Hier ist sie! Strandvägen 5 A. Anwaltskanzlei Granat & Hamid.«

Die drei traten hinter Eloïse und starrten auf den flachen, großen Bildschirm, auf dem die elegante, nüchterne und Vertrauen einflößende Fassade zu sehen war, die Granat & Hamid der Welt zukehrte. Ein menschliches Gesicht war nirgendwo zu erkennen, stattdessen bildete der üppig dekorierte Eingang zum Strandvägen 5 A den Hintergrund der geschickt aufgebauten Startseite. Die Firma per Internet zu besuchen sollte offenbar so sein wie ein realer Besuch. Vermutlich kostete diese Adresse ein Vermögen, was bedeutete, dass man sie bis zum Äußersten ausnutzen musste.

Eloïse klickte zu »Mitarbeiter« weiter.

»Wann ist deine Mutter noch mal gestorben?«

»1978.«

Eloïse klickte zurück und ging zur Firmengeschichte über.

»Das hier ist schon besser. Die Firma wurde 1976 von Erik Granat gegründet, geboren 1930. 1989 wurde Anwalt Émile Hamid, Jahrgang 1954, Teilhaber.«

Ein altes Foto aus dem Jahr 1976 zeigte einen lächelnden Erik Granat – einen eleganten Mann von sechsundvierzig mit rundem Kopf und dünnen, rötlichen Haaren. Neben ihm stand Émile Hamid, zweiundzwanzig, wie Monika rasch überschlug. Er war einen Kopf größer als Erik Granat, gut gewachsen und perfekt gekleidet, mit einem übermütigen Lächeln, als habe er bei der Verteilung der irdischen Güter immer in erster Reihe gestanden und beabsichtige nicht, dafür um Entschuldigung zu bitten.

Monika betrachtete Émile genauer. Ein schöner Mann, mit einem Gesicht, dessen Linien allesamt sanft geschwungen waren – Augenbrauen, Nase, Wangen, Lippen, der Fall der dunklen Haare.

Mikael horchte auf, als der Name Émile Hamid fiel.

»Émile Hamid? Die alte Tunte?«

»Davon steht nichts auf der Homepage. Kennst du ihn?«

»Er ist schon seit den Siebzigern Stammgast in sämtlichen Schwulentreffs. Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt.«

»Weißt du etwas über ihn?«

»Er hat Geld wie Heu.«

»Sonst noch was?«

»Charmant, wenn er will, ansonsten ziemlich anstrengend, was meistens der Fall ist.«

»Woher kommt er?«

»Ursprünglich aus dem Libanon, glaube ich. Angeblich aus reichem Haus. Vielleicht ein schwarzes Schaf, das weit weg geschickt worden ist, um nicht noch mehr Schaden anzurichten.«

Monika und Eloïse bemerkten Patriks flüchtigen Blick, der fragte, woher Mikael so genau über Émile Bescheid wusste, ob er einer von Émiles jungen Gespielen gewesen sein könnte. Monika versuchte in Patriks Gesicht zu lesen – wenn er auf Mikaels Vergangenheit eifersüchtig war, hatte er weiß Gott ein abendfüllendes Programm vor sich.

Eloïse hatte sich inzwischen weitergeklickt.

»Seht mal! Swedish Ethiopian Childrens Fund. Wird von der Firma Granat & Hamid geleitet, das wusste ich ja gar nicht. Als ich klein war, hatten wir über die ein Patenkind!«

Monika lächelte.

»Wir auch, ein kleines Mädchen. Ich stellte mir immer vor, sie sei meine Schwester.«

Eloïse hatte ein großes Foto des Aufsichtsrates gefunden, eine Vertrauen erweckende Gruppe gut angezogener, älterer Herrschaften. Der Vorsitzende schien ein pensionierter Industriemagnat zu sein, groß, mit silbernen Haaren, den Monika aus zahllosen Berichten in Zeitungen und Fernsehen kannte.

Émile Hamid war für das Unternehmen verantwortlich. Er lächelte herzlich und bot eine Mitgliedschaft per Internet an, für zweihundertfünfzig Kronen pro Monat, am liebsten per Bankeinzug. Dann folgten die üblichen Fotos kleiner schwarzer Kinder und die üblichen Danksagungen an die Paten.

Eloïse druckte Monika die Startseite mit Adresse und Telefonnummer aus.

»Jetzt weißt du immerhin, an wen du dich wenden kannst, wenn dein Psychologe nicht mit der Sprache rausrücken will. Und schreib dir auch meine Nummer auf, ich hab sie auf der Rückseite notiert. Melde dich, wenn ich dir irgendwie helfen kann, das meine ich ernst.«

Eloïse begleitete Monika in die Diele. Als sie sich den Schal um den Kopf wickelte, hob Eloïse in gespielter Verzweiflung die Hände.

»Das geht doch nicht!«

Mit einer leichten Berührung, wie Monika sie noch nie gespürt hatte, legte sie ihr die Hand auf die Schulter. Sie duftete nach einem trockenen, leicht würzigen Parfüm.

»Warte.«

Eloïse nahm Monikas andere Schulter und drehte sie so um, dass sie einander gegenüber standen. Monika erstarrte, unsicher, was hier von ihr erwartet wurde. Hatte sie irgendein subtiles Signal übersehen? Erwartete Eloïse einen Kuss auf die Wange, und könnte sie sie wirklich dazu zwingen? Oder wollte Eloïse sie küssen? Eloïse blickte Monika konzentriert und ernst ins Gesicht, sah ihr in die Augen, forschend und gelassen zugleich. Ihre Augen funkelten golden und grün, und ihre Haut war so blass, dass sie fast durchsichtig wirkte.

Doch Eloïse küsste sie nicht, sondern nahm Monikas Schal und lockerte ihn ein wenig. Der Schal schien sich in den Händen der Schlangenbeschwörerin in eine Schlange zu verwandeln, war erfüllt von deren Vitalität. Schließlich legte Eloïse ihn um Monikas Gesicht, band einen lockeren Knoten und arrangierte die herabhängenden Enden.

»Sieh mal.«

Sie schob Monika vor den Dielenspiegel. Und Monika sah ihr Gesicht weich umrahmt von dem scheinbar in der Flucht gefangenen Schal.

Hinter ihr stand Eloïse, groß und kraftvoll.

»Deine Mutter hat es wohl nicht mehr geschafft, dir beizubringen, wie ein Schal gebunden wird.«

Und damit nahm sie ihn behutsam von Monikas Kopf und reichte ihn ihr.

»Versuch es selber.«

Doch Monika wollte nicht, sondern versuchte, den Schal zusammengeknüllt in ihre Manteltasche zu stopfen, aber Eloïse hinderte sie mit einem freundlichen und aufmunternden Lächeln daran.

»Jetzt mach schon.«

»Ich kann nicht.«

»Irgendwo musst du anfangen. Komm schon.«

Monika brachte die Kraft nicht auf, ihr zu widersprechen. In Eloïses Händen war der Schal fügsam gewesen, während er sich in ihren eigenen steif und unkooperativ anfühlte.

Eloïse wollte sich offensichtlich nicht geschlagen geben.

»Fass ihn ganz locker an, behandel ihn so, wie du selbst behandelt werden möchtest.«

Monika lockerte ihren Griff ein wenig und ließ den Schal in ihren Händen ruhen.

»Großartig. Schon viel besser! Ich höre erst auf, wenn du das automatisch machst, geschmeidig und schön. Denk an Ballett. Denk an Schwan. Denk an Liebkosung.«

Ballett! Graziöse Frauen in weißen, zarten Kleidern. Frauen, die sich anmutig in die wartenden Arme der Männer fallen ließen. Frauen, die hochgehoben wurden, furchtlos und vertrauensvoll.

Wenn das Ballett ein Pol ist, dann bin ich sein Gegenpol, dachte Monika, sprach es aber nicht laut aus. »Denk an Ballett« – da könnte sie auch gleich an Mars oder Pluto denken.

Eloïse legte ihre weißen Hände auf Monikas, lenkte Monikas Hände in weichen, langsamen Bewegungen, und zusammen arrangierten sie den Schal.

Kaum hatte Monika das Haus verlassen, zog sie daran, bis er wie gewohnt um ihren Kopf saß.

Auf dem Heimweg überlegte sie sich, dass die Frage nach Babs als potenzieller Patientin und potenziellem Mordopfer ein neues Gewicht erhalten hatte, da auch Mikael, Patrik und Eloïse es für sinnvoll hielten, sich ein Bild der Ereignisse von damals zu machen. Das war eine Bestätigung, die Monika beruhigte, und als sie nach Hause kam, schlief sie sofort erschöpft ein.

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