Читать книгу Kein Frühling für Bahar. Mehr als eine Hamburger Migrationsgeschichte - Sabine Adatepe - Страница 6

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Hochzeit im Dorf

Als der Anruf aus Deutschland kam, war ich in den Gärten draußen vor der Stadt. Am nächsten Tag blieb ich trotz des geballten Protests der Familie zu Hause, um Arifs Anruf nicht zu verpassen. Was wollte der ehemalige Nachbar von mir, nachdem er sechs Jahre lang nichts von sich hatte hören lassen? Erinnerte er sich plötzlich an sein Versprechen, mir einen Job auf der Werft zu besorgen, auf der er malochte, drüben in Alamanya?

Es hätte vieles leichter gemacht, wenn es vor Jahren so geklappt hätte, wie wir verwegenen, jungen Männer es uns im Dorfteehaus ausgemalt hatten: Arif, Burhan und Mustafa gehen als Vorhut und versorgen anschließend uns 15-20 arbeitswillige, kräftige, junge Männer aus der Nachbarschaft ebenfalls mit Jobs im gelobten Land. Bis dahin würden wir uns um ihre Felder kümmern, die Frauen und kleinen Kinder unterstützen, die im Dorf sehnsüchtig auf Nachricht aus der Fremde warteten. Bei Arif hatte es nicht lange gedauert, bis er seine junge Frau und den kleinen Sohn nachgeholt hatte. Wie der ehemalige Bauer aus der türkischen Schwarzmeerregion das Leben als Schweißer auf einer Werft an der Elbe meisterte, war mir unbegreiflich geblieben. Bei jedem Besuch im Dorf erschien mir Arif ausgemergelter, härter, verhärmter. Aber er kam mit immer größeren Autos, brachte Geschenke mit, die selbst den Bürgermeister der nahen Kreisstadt erblassen ließen, und Fadime, seine Frau, ging von Mal zu Mal mehr aus der Form und war von Mal zu Mal mit funkelnderem Geschmeide behangen. Stets war ich hin- und hergerissen zwischen Bewunderung, Neid, Bedauern, dass es für mich nie geklappt hatte mit so einem Job, und Erleichterung, Freude darüber, dass ich in der Heimat, bei der Familie, hatte bleiben können, wo wir uns mehr schlecht als recht über Wasser hielten, aber immerhin alle zusammen waren. Irgendwann waren Arifs Besuche seltener geworden, dann waren sie ganz ausgeblieben und seit sechs Jahren hatte er es nicht einmal mehr für nötig gehalten zu telefonieren. Bis gestern.

Alo? Nihat? Ja, grüß dich! Wie geht’s denn so, wie läuft’s im Dorf?“

Aleyküm selam, Arif …“ Der Deutschländer wusste nicht mal mehr, wie man sich standesgemäß grüßte! Und als ich ausführlich vom Dorf, von der Familie und auch von Arifs Verwandten hier zu erzählen begann, unterbrach er mich sehr schnell und fragte, ob die ganze Familie noch im Dorf sei.

„Willst du mich auf den Arm nehmen? Wo soll die denn sonst sein? Du hast uns ja nicht nach Alamanya holen wollen …“

„Genau darüber wollte ich mit dir reden. Also, Fadime und ich haben uns gedacht, wir kommen jetzt in den Sommerferien mal wieder mit der ganzen Familie rüber. Was meinst du?“

Seit wann fragte mich der Mann nach meiner Meinung? Bevor ich entsprechend flapsig reagieren konnte, fuhr er schon fort: „Damit die Kinder sich dann nicht langweilen, wollte ich fragen, ob deine Tochter und die Kinder auch noch bei dir im Dorf sind …“

Da fragte der Mann doch tatsächlich nach meiner Tochter! Hatte er vorher nach meiner Frau gefragt? Wohl kaum, das hätte ich ihm auch nicht geraten. Wie kam er dazu, nach Hüsniye zu fragen?

Hüsniye war schon achtzehn, ich hätte sie gern längst unter der Haube gehabt, aber mein ältester Sohn Feridun war noch zu klein, um vollwertig mitzuarbeiten. Außerdem wurde in letzter Zeit stärker kontrolliert, ob die Kinder ihrer Schulpflicht nachkamen. Bis er aus dem Gröbsten heraus war, konnte ich auf Hüsniye nicht verzichten, da musste sie eben aufs Heiraten und ich auf eine Schwiegerfamilie und Enkelchen warten. Klar war sie noch im Dorf. Was ging das Arif an? Oder … Ja, das musste es sein: Arifs Sohn war nur wenig älter als meine Tochter. Es war üblich, dass besorgte Eltern in Alamanya ihre Söhne lieber mit gesitteten Mädchen aus dem Heimatdorf verheirateten, als ein fremdes Mädchen aus Deutschland aufzunehmen, eine „Deutsche“, wie sie hier abschätzig genannt wurde. Immerhin wechselte ein Mädchen bei der Heirat normalerweise in die Schwiegerfamilie über, da wollte man sicher sein, wen man sich ins Haus holte. Vor allem musste das Mädchen wissen, wie man sich benimmt, musste mit anpacken können und zwar, ohne groß den Mund aufzureißen. Die deutschen Mädchen, also die in Deutschland aufgewachsenen, türkischen Mädchen, hatten nichts als ihr Vergnügen im Kopf, da war meine Hüsniye schon etwas anderes. Da hätte ich auch gleich drauf kommen können.

Beim nächsten Anruf von Arif fragte ich ihn nach seinem Sohn und mir schien, als hörte ich über die Tausende von Kilometern hinweg den Stein von seinem Herzen fallen. Das war ein Gespräch nach seinem Geschmack. Der Junge arbeite wie sein Vater auf der Werft und verdiene sogar noch mehr als er selbst, ein fescher, junger Mann, Arif lachte, da müsse man als Vater schon darauf achten, dass der sein Geld am Wochenende nicht in Kinos oder andere ungehörige Amüsierkisten stecke. Ja, Turan würde mitkommen im Sommer, ja, vielleicht würde das der letzte Urlaub mit der ganzen Familie gemeinsam im Dorf sein, Nihat wisse doch, wie schwierig es sei, die Jugend an der Kandare zu halten, wenn sie erst einmal flügge geworden war.

Als ich mir hinsichtlich Arifs Absichten sicher war, sprach ich nach einem guten Abendessen das Thema bei Melek an.

Ellerine sağlık, Gesundheit deinen Händen, Frau. Kann deine große Tochter dir eigentlich mittlerweile das Wasser reichen, was deine Kochkünste betrifft?“

Erstaunt blickte Melek mich an, sagte aber nur: „Afiyet olsun, wohl bekomm’s“, während sie den Tisch abräumte. Als dann dampfend der blutrote Tee auf dem Tisch stand, schickte sie die Kinder aus dem Raum, setzte sich aufs Sofa, zog die Beine unter den Körper, wie sie es liebte, und nahm den Faden auf: „So, Männe, rück raus, wer hat um ihre Hand angehalten?“

„Hoppala, Frau, wie kommst du denn darauf?“

„Nun sag’s schon! Oder hast du sie schon versprochen, ohne auch nur ein Wort mit mir darüber zu wechseln?“

„Das würde ich nie tun, das weißt du doch!“

„Komm, komm, ich kenn’ dich. Also ist es Müller Orhan, der sie für seinen Ältesten will? Ach, erzähl einfach, mit wem du heute Karten gespielt hast…“

Melek war nicht in allen Dingen die Hellste – Gott sei Dank –, aber was diese und manch andere häusliche und familiäre Dinge anbelangte, hatte sie einfach einen sechsten Sinn, auch wenn sie mit Orhan natürlich völlig daneben lag.

„Arif hat angerufen …“

„Arif? Der Alamancı, der hier immer mit geliehenen, dicken Autos rumprotzt? Sag mal, wie lange ist es her, dass der sich hier hat blicken lassen? Wie alt ist sein Turan jetzt?“

„Also…“

„Das hast du also gar nicht gefragt. Aber du willst deine Tochter einfach so in die Fremde gehen lassen, wie?“

„Äh, nun, wenn sie…“

„Lass mal, ich red’ selbst mit ihr. Moment, wann kommen Fadime und Arif denn? Bringen sie den Bengel mit? Soll die Verlobung gleich stattfinden oder wollen sie erst noch verhandeln?“

Die Frau verschlug mir die Sprache, was nicht oft passierte. Schon deshalb nicht, weil wir nicht besonders häufig miteinander redeten. Ich zog die Gesellschaft der Männer im Teehaus vor und sie schwatzte tagein, tagaus mit den Nachbarinnen. Sie hatte ihre Welt und ich meine. Nur von Zeit zu Zeit gab es Themen, die sozusagen weltenübergreifend behandelt werden mussten. Wie jetzt.

Wir einigten uns darauf, nun gut, Melek beschloss, Hüsniye verstärkt zur Hausarbeit heranzuziehen. Das Mädchen sollte nicht mehr in die Gärten oder auf die Felder mitgehen. Wenn eine Heirat bevorstand, war es besser, sie nicht länger allzu freigiebig überall herumzuzeigen. Außerdem musste sie wohl noch einiges lernen über Haushaltsführung, Kindererziehung oder was weiß ich, welche Dinge Mütter ihren Töchtern in solchen Situationen beibringen.

Ob meine Frau mit dem Mädchen redete, sie gar nach ihrer Meinung über die bevorstehende Verlobung fragte? Tja, da bin ich überfragt. Ich hatte nun einmal ihr diese Angelegenheit in die Hand gegeben, da wäre es nicht richtig, mich weiter einzumischen. Ohnehin wissen Frauen doch viel besser, was in solchen Fällen zu tun ist.

Kein Frühling für Bahar. Mehr als eine Hamburger Migrationsgeschichte

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