Читать книгу Kein Frühling für Bahar. Mehr als eine Hamburger Migrationsgeschichte - Sabine Adatepe - Страница 8
Оглавление4
Ins neue Land
Als die Kleine zwei wurde, meldete ich ein Auslandsgespräch an. Bahar war mein erster Enkel, sie war ein süßes Ding, aber sie war auch ein Mund mehr zu stopfen und Geld hatte ihr Vater nur ganz am Anfang geschickt. Auch das nur mosernd. Arifs Familie hatte sich von der Heirat Unterstützung im Haushalt für Fadime erhofft. Fadime ging arbeiten, da war die junge Schwiegertochter, die sich noch nicht auskannte und ohnehin keine Ansprüche stellen würde, die ideale Lösung, hatte man sie doch aus ihrem Dorf am Ende der Welt ins gelobte Land geholt. Es hatte dann länger gedauert, als die Familie sich ausgerechnet hatte. „Was kann ich dafür, wenn das Konsulat Probleme mit der Familienzusammenführung macht? Man kann eben erst ein Jahr nach der Heirat ein Visum beantragen“, hatte Turan geklagt und mehr wütend denn bedauernd die Schultern hochgezogen.
Für diese Umstände hatte jeder Verständnis. Es war auch allgemein bekannt, dass es ein offizielles Papier vom Standesamt geben musste, um den Antrag überhaupt stellen zu können. Ich raufe mir noch heute die Haare bei dem Gedanken, wie unbedarft wir waren. Wie konnten wir zulassen, dass im ersten Sommer nur wenige Tage nach der Verlobung schon der Imam geholt wurde? „Die jungen Leute sollen sich kennenlernen“, hatte Arif augenzwinkernd gesagt und die Einwände der Frauen in der Familie beschwichtigt. Welche Art von Kennenlernen er meinte, wurde mir erst später klar. Offenbar ein abgekartetes Spiel zwischen Vater und Sohn und wir im Dorf wurden übertölpelt, ließen uns übertölpeln. Imam-Heirat galt vor den modernen türkischen Gesetzen nicht. Obwohl wir alle das wussten, bestanden wir nicht auf dem Standesamt. Die Kinder sahen sich ja kaum. Dachten wir. Im April darauf kam dann Bahar zur Welt. Und wir saßen mit der Schande im Schoß mitten im Dorf. Die Tochter mit Kind, aber unverheiratet. Alle wussten von der Imam-Heirat, die Älteren im Dorf hatten sich selbst nie anders als vor dem Imam getraut. Aber dazu gehörte eine große Familienfeier, bei der die Familien zusammenkamen, die ganze Gegend beide Parteien kennenlernen konnte und bei der das junge Paar Geschenke erhielt, die der Braut ein Auskommen sicherten, auch wenn der Mann danach zum Militärdienst ging. Denn das war das übliche Prozedere. Damit der junge Mann nicht auf dumme Gedanken kam und nach dem Dienst fürs Vaterland garantiert ins Dorf zurückkehrte, wurde er kurz vor der Einberufung verheiratet. Selbst wenn er anschließend wider Erwarten nicht den Weg ins Dorf zurückfand, war die Braut nicht unversorgt und, was wichtiger war, im Stand der Ehe.
Arif hatte die Hochzeitsfeier vertagt, mit der Tür ins Haus zu fallen, sei nicht seine Art, die Kinder sollten sich doch erst einmal verständigen, was sie im Verlauf des Jahres ja brieflich oder telefonisch tun könnten. Im nächsten Sommer würde dann groß Hochzeit gefeiert. Ich hätte ein Machtwort sprechen müssen, es ging schließlich um meine Tochter. Das versäumte ich in jenem ersten Sommer damals, wie auch bei späteren Gelegenheiten.
„Arif, hast du deine Schwiegertochter und deine erste Enkelin hier bei uns im Dorf vergessen?“
„Nihatçım, ich bitte dich, wir sind ja fast täglich bei der Behörde, um diese leidige Warterei endlich zu beenden.“ Arifs Stimme klang gequält, was auch an der schlechten Telefonleitung liegen konnte. Er zögerte. „Ich dachte, du freust dich, dass das Mädchen euch noch ein bisschen zur Hand gehen kann, dein Feridun ist ja kaum fünfzehn…“
„Arif, was meine Tochter mir in der Wirtschaft nützen könnte, frisst mir die Enkelin vom Kopf.“ Mir stand nicht der Sinn nach höflichem Geplauder. Das Telefonat war teuer genug. „Die Kleine ist gerade zwei geworden, zwei Jahre haben wir für sie gesorgt. Das ist nur recht und billig. Doch so allmählich sollte meine Tochter zu ihrem Mann und die Kleine zu ihrem Papa kommen …“ Als Arif nicht gleich antwortete, schob ich nach: „Oder gibt es da irgendetwas, was ich wissen sollte?“ Auch ich liebte es nicht, mit der Tür ins Haus zu fallen, das war einfach ungehörig. Doch mein dünür ließ mir keine andere Wahl.
„Nihatçım, Brüderchen, wo denkst du hin? Du kennst ja die deutsche Bürokratie nicht…“
„Ich kenne die türkische zur Genüge und schlimmer kann die deutsche kaum sein.“
„Ihr Dorfburschen glaubt immer, die ganze Welt kreise nur um euch…“
Oho, jetzt kam wieder das Lied von uns Hinterwäldlern. Ein Hamburger Werftarbeiter war uns zurückgebliebenen Schwarzmeerbauern um Lichtjahre voraus, dachte er. Die Deutschländer vergaßen, dass sich auch in unserem Land die Welt weiterdrehte. Auch hier hatte sich mehr verändert, als beim Alten geblieben war. Das mochte uns passen oder nicht. Aber dass eine Frau mit Kind zu ihrem Mann gehörte, galt früher wie heute.
„Arif, was hältst du davon, wenn ich mal eine Rechnung aufmache. Ab dem zweiten Geburtstag der Kleinen pro Woche, sagen wir, 500 Lira…“
Ein Laut wie ein Schluchzen, es konnte auch ein unterdrücktes Lachen sein, am anderen Ende der Leitung.
„Oder auch 500 Lira pro Person, also mal zwei. Das lass ich vom Dorfschulzen abzeichnen und dann könnt ihr euch ja aussuchen, wie ihr’s zahlen wollt…“
Arif schien sich gefangen zu haben. „Nihatçım, was sind das denn für Töne? Hast du zu viel getrunken?“
„Ich steh’ in der Post, ruf mich zurück!“, schnitt ich ihm das Wort ab, auch wenn mir ein so rüder Ton schwerfiel.
Er rief natürlich nicht zurück.
„Lass uns eine Woche warten, dann ruf’ ich ihn mal an“, schlug Bekir später im Teehaus vor. „Oder wir bitten gleich Mustafa.“ Mustafa war Dorfschulze, seit Jahren, jünger als die meisten von uns, gebildeter, er hielt auf Distanz, aber er war hochgeachtet, vielleicht gerade deshalb. Ja, ihn könnte ich bitten, diesen Anruf für mich zu tätigen.
Melek war glücklich, ihre Tochter bei sich zu haben, sie kümmerte sich weder um das Gerede noch um die Mehrarbeit, die durch Hüsniyes eingeschränkte Mitarbeit und das Kind verursacht wurden. Sie träumte davon, wie eine Henne mit der ganzen Familie zusammenzuglucken. Frauen sind da irgendwie anders. Als sie erfuhr, dass ich die Männer des Dorfes mobilisiert hatte, um unsere Tochter endlich zu ihrer Schwiegerfamilie zu schicken, schimpfte sie, fluchte, wütete länger und erbitterter, als ich erwartet hatte. Für Argumente war sie nicht zugänglich. Typisch Frau. Das Machtwort, zu dem ich mich Arif gegenüber nie durchgerungen hatte, sprach ich gegen Frau und Tochter aus. Wobei Hüsniye merkwürdig gleichgültig schien. Ob sie bei uns blieb oder nach Alamanya ging, schien ihr egal zu sein. Gut, dass bei den jungen Leuten von Liebe nicht die Rede sein konnte, war nachvollziehbar. Niemand erwartete etwas Derartiges. Liebe kam mit der Zeit. Das war bei Melek und mir nicht anders gewesen. Das heißt … Von Liebe hatte ich nie gesprochen, es hatte sich nie die Frage gestellt, ob unsere Ehe glücklich war. In unserer Generation hatte niemand danach gefragt. Neumodischer Kram, den Fernsehen und Illustrierte verbreiteten. Wichtig war, dass Mann und Frau sich vernünftig die Wirtschaft teilten, dass es im Alltagsleben nicht zu größeren Reibereien kam, dass die Frau sich den Entscheidungen des Mannes fügte. Ich hielt mich nicht für einen Tyrannen und glaube, auch Melek tat das nicht. Sie hatte Entscheidungen von mir nie infrage gestellt. Dass sie sich manches Mal nicht gefügt, sondern geradezu entgegengesetzt gehandelt hatte, hatte ich, wenn überhaupt, erst im Nachhinein und auf Umwegen erfahren – und meist stillschweigend hingenommen. Nun, ich gebe zu, es war kaum je zu meinem Nachteil. Aber ihr gegenüber musste ich das ja nicht unbedingt zugeben. Ich glaube nicht einmal, dass sie so etwas erwartete. Es hätte meine Autorität untergraben.
Nun aber lehnte sie sich gegen meinen Beschluss, das Mädchen nach Deutschland zu schicken, auf.
„Es ist ein Segen, dass das Mädchen noch hier ist“, sagte sie eines Abends, nachdem sie die Kinder aus dem Zimmer geschickt hatte. Ein untrügliches Zeichen, dass sie mit mir reden wollte. So selten das vorkam.
Ich zog nur die Augenbrauen hoch, hielt es aber nicht für nötig, den Blick von den Nachrichten ab- und ihr zuzuwenden. Sollte sie sagen, was sie zu sagen hatte, am Ende würde Hüsniye doch gehen.
„Es kann nur einen Grund dafür geben, dass es angeblich bis heute nicht gelungen ist, ein Visum für sie zu bekommen.“
„Und der wäre?“ Nun hatte sie doch meine Neugier geweckt.
„Turan hat eine andere.“
Ruckartig drehte ich ihr den Kopf zu. Sie lächelte triumphierend. Und ein bisschen bekümmert.
„Wie kommst du darauf?“
„Vor drei Jahren hatten die es eilig, den Bengel zu verheiraten. Im Dorf, mit einem sittsamen Mädchen von hier. Verliebt war der Junge schon damals nicht.“ Auf meinen ungnädigen Blick hin schüttelte sie den Kopf. „Nein, das ist nicht so wichtig, ich weiß. Aber er ist in der Fremde aufgewachsen. Da denken die jungen Leute anders.“ Mit dem ausgestreckten Arm wies sie auf den Fernsehapparat. „Das können wir ja täglich hier sehen. Du nimmst es wahrscheinlich nicht wahr, aber ich sehe auch, was für glänzende Augen Hüsniye kriegt, wenn die Seifenopern laufen. Ja, die jungen Leute wollen heute anders leben als wir.“
Sie zog die Nase hoch. Ungläubig starrte ich sie an. Meine Frau, die kaum drei Jahre zur Schule gegangen war, meine Melek, war das wirklich sie, die da soziologische Weisheiten von sich gab?
„Du brauchst mich gar nicht so anzusehen! Was ich nicht in der Schule lernen konnte, hat mich das Leben gelehrt. Man braucht nur Augen und Herz offen zu halten…“
Oha. Es war Zeit, einzulenken oder das Thema zu wechseln.
„Nehmen wir also an, Turan hat da eine Freundin…“
Sie unterbrach mich: „Und wenn er längst verheiratet ist?“
„Ach was! Aber gut, lass ihn eine Freundin oder auch Frau haben. Was bedeutet das für uns?“
„Die Frage ist doch, was das für unsere Tochter heißt!“, widersprach sie mir aufgebracht. „Stell dir nur mal vor, wenn sie dort leben würde! Bei einem Mann, der sie nicht liebt, in einer Familie, in der sie die Drecksarbeit machen darf, aber ansonsten nur stört. Und das Kind! Baharchen ist erst zwei. Jemand muss sich um sie kümmern. Wir wissen ja nicht mal, in welchen Verhältnissen Fadime und Arif dort leben …“
Gott, die Frau erstaunte mich wirklich. Wo hatte sie denn so etwas her: „Verhältnisse“!
Doch sie ließ mir keine Zeit zum Staunen. Offenbar hatte sie ein Ventil geöffnet und ließ nun heraus, was sich lange aufgestaut hatte, womöglich hatte sie mit den anderen Frauen im Dorf darüber gesprochen, hatte auch Mütter gefragt, deren Kinder schon in Alamanya lebten, hatte sogar mit Hüsniye geredet. Daran mochte ich gar nicht denken.
„Wie denn nun, soll sie etwa hierbleiben mit dem Balg?“
„Balg?“ Sie schrie auf, sprang vom Sofa. Nein, das konnte nicht meine ruhige, fügsame Melek sein, hier war eine Furie eingezogen, ohne dass ich es bemerkt hatte. „Balg? Bahar ist deine Enkeltochter. Sie wurde in Ehren geboren, ihre Mutter hat sich nichts zuschulden kommen lassen! Der Vater des Kindes ist es und du, auch du bist es, ihr seid es, die euren Pflichten nicht nachkommt!“
„Wie jetzt?“ Wollte ich das auf mir sitzen lassen? Wollte ich mich auf eine Diskussion einlassen?
„Wenn man ein Kind macht, muss man sich darum kümmern. Das gilt für unseren Schwiegersohn Turan ebenso wie für dich, denn Hüsniye ist deine Tochter …“
Welch eine Logik! Irgendwie schwer zu widerlegen.
„In Ordnung.“ Die Sache musste ein Ende haben. „Beim nächsten Telefonat frage ich Arif, ob er die Imam-Ehe annullieren lassen will. Aber wenn nicht …“ Ich holte tief Luft. „Wenn nicht, dann setze ich ihm die Pistole auf die Brust, dann muss er Frau und Kind holen. So schnell wie möglich.“
* * *
Es dauerte dann noch geschlagene zwei Jahre, bevor meine Tochter nach Deutschland ging. Ob Meleks Befürchtungen zutrafen, haben wir nicht erfahren. Denn wer sagt, dass all das, was später geschah, nicht schon damals begonnen hatte?
Nach der standesamtlichen Eheschließung im Sommer, nachdem Bahar zur Welt gekommen war, ließen weder Arif und Fadime noch ihr werter Herr Sohn sich erneut im Dorf blicken. Wirklich traurig war ich darüber nicht. Wenn Hüsniye hierbleiben würde, konnten wir kein zweites Kind gebrauchen. Sie war 23, als Turan sie zu sich holte. Oder besser, als Arif sie und die Kleine zur Familie nach Hamburg mitnahm. Von Hamburg war allerdings nie die Rede. Sietas hieß es zuerst und Neuenfelde, dann Wilhelmsburg. Kaum hatten wir gelernt, den einen Namen auszusprechen, kam schon ein neuer. Ich war nie drüben, aber den Erzählungen nach schien es sich um Dörfer bei Hamburg zu handeln. Am Hafen oder im Hafen. Ja, lag denn diese Stadt nicht am Meer?
Von Hüsniye war dazu nichts zu erfahren bei den wenigen Malen, die sie anrief. Sie weinte nur, wollte ihre Mutter sprechen, brachte vor lauter Geheule aber kaum ein Wort heraus. Sie kannte nur die Wohnung, es dauerte Monate, bis sie zum Einkaufen vor die Tür kam. Melek weinte ebenfalls. Das war die Zeit, als ich einen Telefonanschluss ins Haus holte. Die meisten Nachbarn hatten längst einen. Jetzt brauchten auch wir ihn. Sollte Melek mit tränenverschmiertem Gesicht durchs Dorf zur Post und zurück nach Hause eilen und uns ins Gerede bringen, zum Gespött machen? Da waren mir die paar Hundert Lira im Monat lieber. Hatte Melek sich dann wieder beruhigt, konnte sie den Nachbarinnen immer noch erzählen, wie gut die Tochter es in diesem Wilhelmsburg Milhelmsburg getroffen hatte. Glaubte sie vielleicht, die anderen Mütter sprächen die Wahrheit, wenn sie ihre Söhne und Töchter in Alamanya über den grünen Klee lobten? Was rede ich von Deutschland? Welche Mutter, wo auch immer auf der Welt, hält sich denn an reine Tatsachen, wenn sie über ihre Kinder redet? Waren die Blagen klein, beschwerten die Mütter sich über die Mühen mit ihnen; kaum gingen sie zur Schule, waren die Rotznasen plötzlich Musterschüler. Vor der Heirat wurde ausgiebig über die Sorgen mit der Suche nach geeigneten Ehepartnern getratscht, nach der Heirat hatten die kaum der Pubertät entwachsenen jungen Leute, mit denen die Eltern schon lange nicht mehr fertig wurden, dann auf einmal die ideale Partie gemacht. Und waren erst herzallerliebste, superkluge Enkel da …
Lug und Trug, wo man hinschaute! Na ja, ob auch andere Aspekte zur Sprache kamen im endlosen Palaver der Frauen, wusste ich ebenso wenig wie die anderen Männer. Fragte man die Frauen, wovon sie denn den lieben langen Tag wieder geredet hatten, hieß es nur: „Havadan sudan … Über Gott und die Welt …“ Wie sollten wir Verständnis für die Frauen und ihre Welt aufbringen, wenn sie uns nichts erzählten?
„Du solltest mal mit Arif sprechen“, schlug Melek eines Abends vor.
„Hayrola?“
„Da sind ein paar junge Frauen in der Nachbarschaft, die wollen meine Tochter in einen Deutschkurs mitnehmen, aber die Familie erlaubt das nicht.“
„Die werden ihre Gründe haben.“
„Wie kannst du so ungerecht sein!“ Melek brauste auf. „Du ahnst ja nicht, was das Mädchen da leidet!“
„Nun, sie gehört jetzt zur Schwiegerfamilie. Das ist das Los aller Frauen, wenn sie erst verheiratet sind. Es sei denn …“
„Genau, es sei denn! Es sei denn, sie verlassen ihren Mann und gehen ins Elternhaus zurück. Ja, es sei denn, die eigene Familie, sprich der eigene Vater, nimmt das Mädchen wieder auf!“ Vor Aufregung verschluckte sie sich. Bevor sie weitersprudeln konnte, ging ich dazwischen.
„Beruhig dich doch, wer spricht denn gleich von sowas.“
„Ich, ich spreche von sowas! Weil ihr Männer ja die Augen vor sowas verschließt.“
Huch? Wann hatte man mir so etwas erzählen wollen und ich hätte mich davor verschlossen? Wenn hier jemand ungerecht war, dann…
„Hör zu, du rufst heute Abend Arif an!“ Das kam im Befehlston. Soweit ging Melek sonst nie. Es schien ihr ernst zu sein.
„Und was, bitte, soll ich ihm sagen?“
„Du fragst ihn einfach, wie weit deine Tochter mit dem Deutschlernen sei.“
Mit der Tür ins Haus fallen, uff, und das mir.
„Da war doch diese Sendung vor ein paar Tagen. War das nicht ein Minister, der sich beschwerte, dass die Türken in Deutschland kein Deutsch lernen?“
„Ja, Gott, dann sollen die sich doch um ihre Türken kümmern. Was glaubst du wohl, was Arif sagen wird, wenn…“
„Und wenn die Mütter kein Deutsch lernen, dann schaffen die Kinder die Schule nicht.“ Melek schnitt mir schon wieder das Wort ab. Die Programme über emanzipierte Frauen im Fernsehen sollten verboten werden.
„Ach, übrigens …“ Der Wechsel im Tonfall war so ohrenfällig, dass ich nicht umhin kam, ihr in die Augen zu sehen.
„Was denn?“
„Halt deinen Groschen für den Übermittler der frohen Botschaft bereit!“
„Ich verstehe nicht…“
„Männer!“, sie machte eine abwertende Handbewegung, grinste dabei aber verschmitzt. Ihre Wut schien verraucht, als sie gnädig fortfuhr: „Dein erster Enkelsohn ist unterwegs!“
„Na sowas…“
Sollte ich mich darüber freuen? Würde ich den Jungen jemals zu Gesicht bekommen? War die Ehe meiner Tochter gerettet?
„Ich will meinen Frohe-Botschaft-Groschen!“
Melek lachte, wie sie schon lange nicht mehr gelacht hatte.
„Den kriegst du, wenn das Kind geboren ist!“