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12. Kapitel

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Der Westflügel war frisch renoviert, der Parkettboden geschliffen und versiegelt. Ein dicker Läufer, passend zu dem Teppich in der Eingangshalle, dämmte die Schritte. Es roch nach Kunststoffkleber und Tapetenkleister. Die halbhoch vertäfelten Wände waren ebenfalls abgebeizt, ausgebessert und neu lackiert worden. Darüber verkleideten flaschengrüne Tapeten die Wände.

Auch hier hingen ausgestopfte Tiere. Ein Seeadler, ein Bussard, ein Habicht und ein Falke, aber auch kleinere Vögel wie ein Eichelhäher, eine Drossel und sogar zwei Zaunkönige zierten die Wände. Über der Tür zum Bad waren zwei Schwalben so drapiert, als flögen sie aufeinander zu. Die eine trug einen kleinen Ast im Schnabel, als würden sie sich ein Nest bauen, in dem sie aus niemals gelegten Eiern niemals gezeugte Jungen aufziehen wollten.

Der Flur war breit und schien endlos lang. An seinem Ende hatte Nolan vor einigen Jahren einen Aufzug installiert, mit dem man in die oberen Etagen gelangte. Aus Rücksicht auf Zelma, die Angst hatte, steckenzubleiben, verfügte er zusätzlich über eine Notstromversorgung. Im ersten Stock lagen die Schlafzimmer der Bewohner, die Räume im zweiten Stock wurden nicht mehr bewohnt. Hier im Erdgeschoss befand sich auf der linken Seite das Jagdzimmer. Direkt dahinter lag ein großes Bad, in das Nolan nachträglich eine Sauna installiert hatte. Gegenüber dem Jagdzimmer war das Büro. Der Computer nebst Drucker und die Aktenordner wirkten deplatziert zwischen den antiken Möbeln. Hinter dem Büro lud der Blaue Salon zum Ausruhen ein. Ein elektrischer Kamin hatte erst vor Kurzem den mannshohen Schacht abgelöst, der eine ganze Wagenladung Holz benötigt hatte, um diesen Raum zu wärmen.

Der prächtigste Raum lag am Ende des Flurs. Durch eine Glastür betrat man hier den Wintergarten, die Orangerie. Nolan hatte hier ein Kunstwerk geschaffen, indem er Panoramafenster in die dicken Mauern setzen ließ, die einen fantastischen Blick auf die Landschaft und den Himmel boten.

Der Ostflügel war spiegelgleich zum Westflügel erbaut worden. An der linken Seite des Flurs, gegenüber der Bibliothek, befand sich der Speisesaal, an dessen langem Tisch fünfzig Personen dinieren konnten. Aber die Zeit der großen Feste war längst vorbei. Hinter dem Speisesaal gelangte man in das Damenzimmer. Hier hielten sich die Frauen zum Plaudern auf, während die Männer im gegenüberliegenden Herrenzimmer kubanische Zigarren rauchten und sich an schottischem Whisky labten. Das Herrenzimmer grenzte direkt an die Bibliothek. Schloss im Westflügel der Wintergarten den langen Flur ab, war es hier die Küche. Zur Aufbewahrung von Vorräten war eine Speisekammer abgeteilt, in der stets Schinken und Würste von der Decke hingen, als Jeremy noch ein Kind gewesen war.

Erst jetzt fiel Jeremy auf, dass sie allein zu sein schienen. Das war ungewöhnlich. Sicher war schon zu Lebzeiten Zelmas das Personal beständig abgebaut worden. Trinale warf mit dem Wald und der Landwirtschaft einfach nicht mehr so viel ab wie noch vor zwanzig Jahren. Außerdem waren Modernisierungen und Renovierungen nötig gewesen. War aber wirklich überhaupt niemand der Bediensteten, die zum Teil in dritter Generation hier lebten und arbeiteten, mehr da? Er würde Nolan gleich danach fragen. Zuerst wollte er sich im Bad dem Wohlgefühl der Erleichterung hingeben.

Vorsichtig hob er die bestickte weiße Gardine an, die das Badezimmerfenster dekorierte, welches für Licht und Luft im Raum sorgte.

Wussten die Rabenvögel schon, dass er hier war?

Vorsorglich hatte Jeremy kein Licht gemacht. Er wollte den Mistviechern ihr Versteck auf keinen Fall verraten. Als er sah, dass die Ahornbäume, die an dieser Seite standen, schwarz von den Tieren waren, wurde Jeremys Hoffnung schlagartig im Keim erstickt, unbehelligt im Schutz der Dunkelheit an sein Auto zu kommen, in dem sein Handy lag. Nolan sagte zwar, dass er keinen Empfang haben würde, doch wusste Jeremy, dass dieser überhaupt kein Handy besaß. Außerdem hatte sich Nolan seit Zelmas Tod so weit zurückgezogen, dass er auf sämtliche Kontakte zur Außenwelt verzichtete. Ein verhängnisvoller Entschluss

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