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Prof. Gunitz

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Ich setzte mich während der Mittagspause in die Cafeteria. Dort war es im Gegensatz zu draußen angenehm kühl. Das Thermometer stieg an jenem Tag bis auf 35 Grad Celsius. Eine unerträgliche Hitze. Es war nicht gerade verwunderlich, dass der Großteil der Plätze besetzt war. Nachdem ich etwas gegessen hatte, überflog ich die Liste der Handbücher. Ich vermutete, wohl nicht zu Unrecht, dass sie insgesamt ein Vermögen kosteten.

Während ich so darüber nachdachte, welche ich mir kaufen sollte und welche nicht, sprach mich ein Mädchen an: »Hallo, darf ich mich zu dir setzen?«

Ich nickte zustimmend. Sie war zierlich und klein, maximal 1,55 m. Ihre langen, dunkelblonden Haare waren leicht zusammengebunden.

»Ich wollte dich auch gar nicht stören, aber hier ist soviel los und es sind sonst keine Plätze mehr frei!«, sagte sie mit leiser Stimme.

»Ist schon in Ordnung. Lass es dir schmecken!«, antwortete ich, während ich sie weiter betrachtete. Sie hatte etwas Kindliches und irgendwie auch Süßes an sich.

»Danke! Das ist das erste Mal, dass ich hier esse!«, erklärte sie mir.

»Meins auch. Ich habe heute erst angefangen und du? Welches Semester bist du?«, fragte ich sie.

Das Mädchen zog ihre Jacke aus und hing sie über den Stuhl: »Erstes. Ist auch mein erster Tag. Und gar nicht so einfach. Alles so neu für mich.« Ich dachte an meine Ankunft heute Morgen.

An den Plan, den Pförtner und fragte sie schließlich: »Hast du den Wege-Plan verstanden?«

Sie blickte mich an und schmunzelte: »Du auch nicht? Ich bin fast verzweifelt!«

Ich musste lachen: »Puh. Noch jemand, dem es so geht. Zum Glück war der Pförtner so freundlich mir den Weg zum Hörsaal zu erklären. Aber wie ich gleich meinen Seminarraum finden soll, weiß ich auch noch nicht.«

»Du warst unten im großen Hörsaal oder?«, hakte sie nach. Ich nickte nur.

»Ich war schräg gegenüber in der Aula. Große Einführungsveranstaltung für Soziologen.«

»Hier gibt’s eine Aula!«, stellte ich verwundert fest. Sie nickte.

»Und was studierst du noch?«, fragte ich weiter.

»Soziologie und Geschichte!«, antwortete sie: »Ich hab gleich noch das Einführungsseminar für Geschichte!«

Ich grinste sie an: »Ich auch!«

Sie ließ fast die Gabel fallen: »Das gibt’s nicht.«

»Doch!«, bestätigte ich: »Ich bin übrigens Cara!«

»Freut mich!«, antwortete sie: »Ich heiße Kathrin!«

»Wollen wir zusammen zum Seminar gehen?«, fragte ich Kathrin.

»Gerne!«, antwortete sie, während sie schmunzelnd zugab: »Vier Augen finden den Raum schneller als zwei!«

Nachdem Kathrin gegessen hatte, gingen wir gemeinsam zum Seminar. Den Raum fanden wir schneller als gedacht. Er lag im zweiten Obergeschoss und war direkt über die Haupttreppe zu erreichen. Der Nachteil an dieser super Lage machte sich allerdings direkt im Anschluss bemerkbar. Der Raum war schon bis oben hin voll. Wir kämpften uns durch die Leute in eine der Fensterreihen, wo Kathrin noch zwei Plätze entdeckt hatte.

»Die wollen alle zum Seminar?«, stellte sie nebenbei ungläubig fest, und ohne, dass sie eine Antwort erwartet hatte, kam es von einem der anderen zurück: »Und die wollen alle ein Referat! Das werden wieder Kurzreferate bei der Anzahl.«

Kathrin sah mich etwas verwundert an, als er antwortete. Ich zuckte nur mit den Schultern. Hauptsache wir waren da, dachte ich mir. Aber es stellte sich heraus, dass das Ganze nicht so einfach war, wie ich gedacht hatte. Der Professor, ein Herr Dr. Gunitz, betrat mit einer eisigen Stimmung den Raum und schien bereits sichtlich genervt über die Tatsache, dass viel zu viele in sein Seminar wollten.

»Es freut mich, dass sie so großes Interesse an meinem Seminar haben. Aber das sind zu viele. Das werden wir jetzt direkt reduzieren. Maximal dreißig Leute will ich haben. Geht jemand freiwillig?« Im Raum herrschte eine Totenstille. Nur einer wandte sich nach einer kurzen Bedenkzeit zu Wort: »Aber wir müssen das Seminar doch besuchen. So steht es in der Studienordnung.«

Sichtlich erbost über diese Äußerung antwortete der Professor: »Schön, dass Sie die Studienordnung lesen können. Dann haben Sie doch sicherlich auch das Vorlesungsverzeichnis gelesen. Welches Ihnen, dass es neben meiner Veranstaltung noch zwei weitere gibt, die als Einführungsmodul konzipiert sind. Was denken Sie, wieso wir uns die Mühe machen, drei Seminare anzubieten.«

Er machte eine kurze Pause: »Damit wir ihnen ein ordentliches Arbeitsklima gewährleisten können! Also, wer will mein Seminar besuchen?« Alle im Raum hoben den Arm.

»Leute, so geht das nicht. Ich muss mir sonst dreißig Mann herauspicken und dann ist das Geheul groß! Arme wieder runter!« Wir folgten seiner Aufforderung. Bis auf Kathrin.

»Haben Sie mich nicht verstanden? Oder haben Sie eine Frage?«, sagte er, während er sich ihr zuwandte.

»Ich habe eine Frage!«, antwortete sie.

Er runzelte kurz die Stirn: »Dann fragen Sie mal!«

Kathrin holte tief Luft, ihr war etwas mulmig zu Mute: »Ich studiere im Kernfach Soziologie und habe aufgrund der Überscheidungen der Seminare keine andere Möglichkeit als Ihr Seminar zu besuchen.«

»Das ist doch mal ein ordentlicher Grund!«, antwortete er: »Wie heißen Sie?«

»Kathrin, Kathrin Werts.«, sagte sie schnell. Er nahm ein Zettel und schrieb ihren Namen auf: »Damit sind Sie Nummer eins. Hätten wir noch neunundzwanzig Plätze frei. Noch jemand dabei, der aufgrund anderer Veranstaltungen keins der anderen beiden Seminare besuchen kann? Und seinen Sie ehrlich! Ich kenne das Vorlesungsverzeichnis sämtlicher Studiengänge.«

Etwa die Hälfte im Raum fing auf einmal an ihre Sachen zu packen und ging. Damit waren noch gut 35 oder 36 Mann ihm Raum. Ich meldete mich wie die anderen. Der Professor redete weiter: »Das sind immer noch zu viele. Gut, fangen wir vorne an. Sonst wird das heute nichts mehr. Wie heißen Sie?«

Er wandte sich einem Mädchen in der ersten Reihe zu, dann jener daneben und so weiter. Ich war Nummer 19 auf seiner Liste. Kathrin und ich freuten uns riesig, dass wir es geschafft hatten. Nachdem er 30 Namen notiert hatte, schickte er den Rest raus: »Das war es. Für alle anderen tut es mir leid. Merken Sie sich, die in den ersten Reihen, haben immer die besten Plätze.«

Die restlichen paar Mann verschwanden etwas mürrisch aus dem Raum. »So, dann hätten wir das!«, er blickte kurz auf die Uhr: »Ich habe gleich noch einen wichtigen Termin. Ich sage Ihnen kurz, worum es geht, wie wir die Veranstaltung organisieren und dann verteilen wir die Referate. Als Erstes dürfte jedem von Ihnen klar sein, dass ich ständige Aufmerksamkeit und Mitarbeit fordere. Nicht unbedingt so wie in der Schule, sondern viel mehr erwarte ich von Ihnen, dass sie sich an den Diskussionen beteiligen. Das Seminar wird wie folgt ablaufen. Jeder von ihnen hält ein Einzelreferat, was eine Länge von 30 Minuten haben sollte, danach erfolgt die Diskussion und es können Fragen gestellt werden. Pro Sitzung kommen zwei Referate dran. In der nächsten Woche halte ich eine einführende Vorlesung, die Woche drauf hören wir die ersten Referate. Das Referat und die anschließend, spätestens bis Ende des Semesters abzugebenden Hausarbeiten, sind ausschlaggebend für die Endnote. Hat jemand noch Fragen?«

Da sich keiner meldete, fuhr er fort: »Ich gebe ihnen hier eine Liste, auf der Sie sehen, können, welche Referate gehalten werden sollen. Da ich kein Freund vom ständigen Gezanke um das beste Thema bin, gehen wir wie folgt vor. Jeder kennt seine Nummer in der Liste und dementsprechend erhalten Sie Ihr Referat. Unsere Frau Werts.«

Dabei sah er Kathrin eindringlich an: »Hat die Nummer eins in der Liste, also wird Sie das Referat, welches unter Nummer eins angeführt ist, halten. Ich denke, dass hat jeder verstanden. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und bis nächste Woche!«

Damit verschwand er aus dem Raum. »Scheiße!«

»Alter!« Konnte ich es im Raum hinter mir vernehmen. »Ey, der tickt doch nicht richtig. Weißt du, was für ein blödes Referat ich jetzt halten soll«, sagte der Junge hinter mir. Kathrin sagte gar nichts, sie war etwas perplex.

»Hey, du da vorn.«, rief einer. Ich drehte mich um, obwohl ich mir nicht sicher war, dass er mich meinte.

»Glückwunsch zur Nummer 19. Das ist das Beste von allem!«, sagte er zu mir, während er mürrisch den Raum verließ. Nummer 19.

Ich blickte auf das Blatt und überflog die Nummern. 17 ... 18 … 19. Da war es. Die Calvinisten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Es klang interessant. Aber war es wirklich das Beste? Aus meiner Sicht hatte jedes der aufgeführten Referate Vor – und Nachteile. Während ich den Zettel einpackte, fand Kathrin die Sprache wieder: »Gleich als Erste. Das ist doch nicht sein Ernst!«

»Scheinbar doch!«, antwortete ich: »Du schaffst das schon. Ich muss los! Ich werde abgeholt. Sehen wir uns morgen wieder?«

Kathrin sah mich an: »Vorlesung morgen früh?« Ich nickte zustimmend.

»Dann bis morgen!«, erwiderte sie.

Dann machte ich mich auf den Weg nach draußen. Da ich mir zu 90 Prozent sicher war, dass Partu den Wagen geschickt hatte, lief ich zum Ausgang beim Pförtner. Auf dieser Seite waren die einzigen Parkmöglichkeiten. Als ich aus dem Gebäude trat, fiel mir die Sonne ins Gesicht. Ich musste ein paar Mal blinzeln, bis ich Marces’ schwarzen Mercedes erblickte. Er stand fast direkt vor dem Eingang. Als der Fahrer mich sah, stieg er sofort aus und hielt mir die hintere Tür auf. Ich stieg schnell ein, weil mir die Blicke der anderen etwas unangenehm waren. Es kam wahrscheinlich nur einmal aller paar Monate vor, dass jemand von seinem eigenen Fahrer direkt vor der Uni abgeholt wurde. Trotz des unangenehmen Gefühls war ich Partu dankbar. Der Tag war so aufregend gewesen, dass ich doch etwas Ruhe brauchte.

Der Fahrer setzte mich an unserem Haus ab und fuhr direkt wieder davon. Ich wunderte mich zunächst etwas, da er normalerweise wartete, bis wir oder ich im Haus waren.

Aber als mir Partu die Haustür öffnete und sagte: »Willkommen daheim, Mademoiselle. Der Herr ist auf einen Geschäftstermin«, verstand ich es.

»Sie hätten den Fahrer nicht extra zu mir schicken müssen, wenn Marces Ihn braucht!«, antwortete ich. Partu schüttelte den Kopf: »Der Fahrer schafft das schon! Wollen Sie etwas essen?«

Ich schüttelte ebenso den Kopf und legte meine Tasche auf die Treppe: »Ich habe heute Mittag in der Cafeteria etwas gegessen. Ich warte bis Marces heimkommt, dann können wir gemeinsam essen.« Partu runzelte leicht die Stirn: »Tut mir leid, Mademoiselle. Aber der Herr meinte, er werde erst gegen um zehn zurück sein.«

Ich sah Partu verwundert an, obwohl ich an Marces dachte. Wieso hatte er mir nichts davon gesagt? Ich zog die Jacke aus und grübelte vor mich hin.

»Mademoiselle dürfen nicht böse sein. Der Anruf kam erst heute Mittag. Das Treffen sollte eigentlich erst in drei Wochen stattfinden«, sagte er, während er mir meine Jacke abnahm. Partu wusste scheinbar mehr als ich.

Was für ein Treffen?

»Vermutlich sollte ich mich nicht in seine geschäftlichen Dinge einmischen!«, sagte ich leise.

»Wie meinen Sie das, Mademoiselle?«, hakte Partu nach.

Er schien mich nicht verstanden zu haben.

»Nichts!«, sagte ich: »Machen Sie mir nur eine Kleinigkeit, so gegen sieben, das reicht mir. Ich werde mich erst einmal ein wenig in den Garten legen. Das schöne Wetter genießen!« Partu nickte: »Ich bringe Ihnen die Decke raus.«

Während ich meine Tasche in mein Arbeitszimmer brachte, breitete mir Partu die Decke im Garten aus. Es war noch immer keine einzige Wolke am Himmel zu sehen, als ich hinaustrat. Ich legte mich auf die Decke und beobachtete die Vögel. Zunächst jedenfalls, dann bemerkte ich die Kinder im Nachbargarten. Sie spielten Fangen. Zwei kleine Jungs und drei Mädchen, etwa im Alter vom sechs oder sieben Jahren. Ihre Eltern saßen auf der Terrasse und tranken Kaffee. Ich beobachtete sie eine ganze Weile. Wie sie hin- und herliefen. Lachten und schrien. Ich hatte mich auf der Heimfahrt so auf Marces gefreut, dass ich mir jetzt etwas einsam vorkam. Das Lachen der Kinder tröstete mich und so verbrachte ich den restlichen Abend allein.

Partu gab sich wie immer alle Mühe, mir alles Recht zu machen. Nachdem ich gegessen hatte, zog ich mich in unser Kino zurück, um etwas TV zu schauen. Bei meiner Mum stand der Fernseher immer im Wohnzimmer. Bei Marces sah man alles auf der Leinwand. Er mochte die kleinen Kasten nicht, wie er sie nannte. Die Leinwand gäbe ein ganz anderes Bild. Ich schaltete ein paar Mal durch alle Kanäle, was in diesem Fall eine Menge waren. Marces hatte ungefähr 300, davon waren meines Erachtens mindesten 100 teilweise und 50 absolut überflüssig. Aber Marces liebte die große Auswahl und hätte keinen, nicht einmal einen, wieder hergegeben. Da ich nichts wirklich Spannendes fand und absolut keine Lust auf Dokumentationen oder Sport hatte, beschloss ich schon einmal das Bett für uns anzuwärmen.

Was ich dabei nicht bedacht hatte, war wie müde mein Körper nach diesem Tag tagsächlich war. Kaum das ich zehn Minuten im Bett lag, schlief ich ein. Als ich in der Nacht kurz aufwachte, lag Marces dann endlich neben mir. Ich kuschelte mich an ihn und er nahm mich sanft in den Arm. Seine Wärme umhüllte mich sanft und wir schliefen wieder ein.

Kind der Drachen – Licht oder Finsternis?

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