Читать книгу Kind der Drachen – Licht oder Finsternis? - Sabine Hentschel - Страница 7
Der Ruhepol
ОглавлениеDer Fahrer bog in eine kleine Straße ein, ich drehte mich zum Fenster und schaute hinaus. Die Häuser, an denen wir vorbeifuhren, erstrahlten im sanften Sonnenlicht. Freundlich und einladend sprachen sie zu mir. Hießen mich willkommen in der neuen Umgebung. Sie machten mir Mut, dass der neue Anfang nur Gutes bringen würde. Dass meine Identität, meine andere Seite ein Geheimnis bleiben sollte.
»Wir sind da!«, sagte Partu, als der Fahrer vor dem steinernen Tor einer großen, weißen Villa stehenblieb.
»Das ist es?«, fragte ich.
»Ja, Mademoiselle!«, antwortete er und stieg aus. Ich folgte ihm. Die Sonne fiel direkt auf das Haus, sodass es zu glitzern begann. Es verzauberte mich, fing mich ein. Ich schloss die Augen, lauschte dem Wind, den Vögeln und dem Wald.
»Kommen Sie, Mademoiselle? Der Herr wartet sicherlich schon!«, fügte Partu an.
Ich seufzte kurz, bevor ich die Augen wieder öffnete und Partu ansah: »Ich komme schon, Partu!«
Er nickte mir zu, nahm ein paar Koffer aus dem Auto und schritt voran. Durch ein kleines Tor gelangte man in den kurzen Vorgarten des Hauses, der mit Rosen bestückt war. Rote Rosen, wie jene in Marces Garten, wundervolle Rosen. Dahinter erstreckte sich das dreistöckige Haus. Im mittleren reichte ein kleiner Balkon nach vorne hinaus. Wie jene der toskanischen Villen. Partu öffnete mir die Tür. Er besaß bereits seinen eigenen Schlüssel.
Marces kam uns aus dem Wohnzimmer sofort entgegengestürmt: »Maus! Da bist du ja endlich!«
Ich fiel ihm um den Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Das Gefühl wieder bei ihm zu sein. Seine Nähe, seine Liebe und Zuneigung wieder zu spüren, war das wundervollste. Meine Sehnsucht nach ihm wurde endlich wieder gestillt.
»Ich hab dich so sehr vermisst!«, sagte ich.
Marces küsste mich erneut.
»Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist. Das macht unser Heim endlich vollkommen!«, sagte er.
»Unser Heim!«, wiederholte ich.
Marces trat etwas zurück: »Alles OK?«.
»Ja!«, antwortete ich: »Das klingt nur so unglaublich. Du – Ich. Dieses Wir, das ist immer noch alles wie ein Traum.«
Ich schmunzelte: »Und jetzt dieses Haus, unser Haus. Es ist wundervoll.«
Marces streichelte mir mit seiner Hand sanft übers Gesicht: »Ich liebe dich!«
»Ich liebe dich auch!«, entgegnete ich: »Und ich freue mich auf unser gemeinsames Leben hier.«
Dann gab ich ihm erneut einen Kuss. Denn ich konnte nicht von ihm lassen. Mein Glück war unbeschreiblich schön. Ein Traum, der dahinschwebte. Wir standen noch eine Weile im Flur. Küssten uns und genossen die Zweisamkeit.
Bevor Marces mich schließlich an die Hand nahm, um mir den Rest des Hauses zu zeigen. Vom Flur aus gelangte man linker Hand direkt in die Küche die zum Vorgarten hinaus lag. Sie war hell und freundlich eingerichtet.
Die weißen Schränke passten zum Äußeren des Hauses. Durch die Küche oder den Flur trat man nach hinten ins Esszimmer wo Marces gerade seinen geliebten großen Esstisch aufstellen ließ. Der Raum erinnerte mich vollkommen an jenes in Marces’ Haus in Prag. An der Schmalseite des Esszimmers, eben so nach hinten ausgerichtet lag das Wohnzimmer, welches auch durch den Flur betretbar war. Es erstrahlte in dem leuchtenden Gelb, wie ich es im Traum zuvor gesehen hatte.
Ich grinste Marces an: »Den Raum kenne ich schon!«
Er lächelte zurück: »Dann weißt du ja auch sicherlich, wo es dahin geht!« Er deutete mit dem Finger auf die großen Glastüren. Ich schob sie auf, wie im Traum, und trat auf die wundervolle Terrasse.
»Ich hoffe, dir gefällt dein neuer Garten!«, sagte Marces. »Er ist wundervoll! Danke!«, antwortete ich. Vor mir erstreckte sich der Garten aus meinem Traum. Die Rosenbüsche blühten in der Sonne. Die Bäume wogen sich im Wind und mit ihnen eine kleine Schaukel.
»Die ist für dich! Damit du meine nicht vermisst!«, erklärte mir Marces, während er auf die Schaukel deutete.
Ich strahlte ihn an: »Für mich?«, und gab ihm einen Kuss: »Sie ist wundervoll!« Ich nahm kurz auf ihr Platz und schaukelte zwei, dreimal, bis Marces mich unterbrach: »Können wir unseren Rundgang fortsetzen?«
Ich nickte nur, weil ich vollkommen überwältigt war von den Eindrücken.
Wir traten zurück ins Wohnzimmer das von Partu und dem Helfer gerade mit den gelben Sofas aus Marces’ Haus bestückt wurde.
»Dort vorn ist mein Arbeitszimmer, ich dachte mir, dass dir das im ersten Stock lieber wäre!«, fuhr er fort, während er mir einen kurzen Blick in seinen Arbeitsbereich gewährte. Das Zimmer war ziemlich dunkel. Wahrscheinlich, weil es bis oben hin vollgestopft war mit dunklen Holzregalen, die Ordnerweise Papierkram beinhalteten. Das Zimmer lag vom Flur aus betrachtet direkt gegenüber der Küche und war deshalb genauso nach vorn hin ausgerichtet.
Nachdem ich mich im Zimmer umgesehen hatte, zog mich Marces an der Hand ins erste Stockwerk. Die Treppe im Flur war eher schmal, verlief aber in einer L-Form gleichmäßig in die anderen beiden Stockwerke. Die von der Raumaufteilung her dem Erdgeschoss ähnelten. Über der Küche lag ein Gästezimmer. Über Marces’ Arbeitszimmer, das Meinige. Er hatte es mit einem großen, breiten Schreibtisch aus Buche und ein paar Regalen ausstatten lassen.
»Ich hoffe, es gefällt dir. Wenn du noch irgendetwas brauchst, können wir ja noch etwas besorgen!«, sagte er und ich antwortete sofort: »Es ist perfekt so! Hell und warm zugleich. Und bisher weiß ich doch gar nicht, was ich alles brauchen werde. Ich denke, dass wird sich dann zeigen.«
Er nickte mir zustimmend zu und führte mich schließlich weiter. Über dem Ess- und Wohnzimmer erstreckte sich im ersten Stockwerk unser Schlafzimmer, das angrenzende Ankleidezimmer, wie Marces es nannte, ich würde es unseren Kleiderschrank nennen, und ein großes Bad.
»Ich hoffe, dass ist genug Platz!«, sagte er zu mir.
Als wir das Ankleidezimmer durch das Bad betraten.
»Wow!«, antwortete ich: »Das ist überwältigend! So viele Sachen habe ich doch gar nicht!« Ich grinste ihn an. »Noch nicht!«, fügte er hinzu: »Was nicht ist, kann ja noch werden!«
»Das klingt sehr gut!«, erklärte ich. Marces strahlte mich an. Er freute sich sichtlich darüber, dass es mir gefiel. Durch unseren Kleiderschrank traten wir ins Schlafzimmer. Marces hatte uns ein großes Himmelbett besorgt, das fast den gesamten Raum einnahm. Ich schmiss mich in die Kissen hinein, um es zu testen. Sie rochen nach ihm und so vergrub ich mein Gesicht in ihnen. Marces legte sich neben mich: »Was machst du da?«
»Die Kissen riechen nach dir. Da konnte ich nicht anders«, antwortete ich. Marces verzog das Gesicht. Ich schmunzelte und rutschte an ihn ran: »Besser?«
»Viel besser!«, sagte er. Ich schloss die Augen, genoss seine Nähe, fast wäre ich eingeschlafen.
Aber Marces hielt mich wach: »Hey! Nicht schlafen, wir haben noch ein Stockwerk vor uns und die zwei wunderschönen Balkons wollte ich dir auch noch zeigen!«
Ich drehte mich auf den Rücken, schaute die Decke an: »Ich mag nicht! Können wir nicht einfach liegen bleiben?«.
»Nichts da!«, sagte er und zog mich sanft aus dem Bett. Ich folgte ihm also weiter. Vor den Fenstern des Schlafzimmers und des Bads erstreckten sich zwei kleine Balkons, die in den Garten hinausragten. Ich konnte den Ausblick nur kurz genießen, weil mich Marces weiter ins zweite Stockwerk zog.
Dort lag über dem Gästezimmer im ersten Stockwerk Partus Zimmer. Über meinem Arbeitszimmer befand sich ein weiteres Gästezimmer. Dem gegenüber ein weiteres Bad sowie Marces’ geliebter Lounge Bereich und das Kino. Es passte gerade so alles unters Dach.
Marces setzte sich auf die breite Couch und sah mich an: »Gefällt es dir?« Ich drehte mich einmal im Kreis und schloss dabei die Augen.
Dann blieb ich vor ihm stehen und lächelte ihn an: »Es ist wundervoll! Einfach perfekt!« Marces nahm meine Hand und zog mich zu ihm auf die Couch. Ich nahm neben ihm Platz.
»Es freut mich, dass es dir gefällt!«, sagte er und küsste meine Stirn. Ich genoss seine Nähe und Wärme. Denn auch wenn wir schwiegen, erzählten unsere Herzen von der Sehnsucht, die wir beide die letzten Tage gehabt hatten.
»Ich lasse dich nie wieder solange allein!«, unterbrach Marces die Stille. Ich kuschelte mich noch enger an ihn und legte dabei meinen Kopf in seinen Schoß. Er streichelte mit seiner Hand über mein Gesicht.
»Ich liebe dich«, sagte er leise. Ich drehte mich etwas, um ihn anzusehen: »Ich will für immer bei dir sein!«
Marces küsste mich vor Glück. Seine Liebe gab mir den Mut in mein neues Leben zu starten. Während Marces seine Lippen wieder sanft von meinen löste, trat Partu ins Zimmer. Marces sah ihn an: »Was gibt es, Partu?«
»Mein Herr, da ist ein Anruf für Sie!«, antwortete er.
Marces nickte: »Gut, stellen Sie den Anruf in mein Arbeitszimmer durch!«, und wandte sich dann mir wieder zu: »Tut mir leid! Ich muss wohl wieder an die Arbeit!« »Ist schon ok!«, antwortete ich.
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn: »Deine Schuhe stehen noch in ihren Kartons verpackt im Ankleidezimmer. Ich habe mich nicht getraut sie auszupacken. Vielleicht willst du ja damit anfangen!«
Ich grinste ihn an und nickte zustimmend. Dann ging er mit Partu wieder nach unten. Ich folgte seiner Idee und lief ins Ankleidezimmer. Im hinteren Bereich standen übereinander gestapelt meine großen Kartons, in die ich vor ein paar Tagen meine Schuhe eingepackt hatte. Ein Schuhpaar nach dem anderen nahm ich behutsam aus den Kartons und verstaute sie im Schrank.
Marces hatte für sich bereits die linke Seite des Schrankes in Anspruch genommen. Weswegen ich die Schuhe zunächst in die rechte packen wollte. Als ich aber die Kartons etwas zur Seite schob, um zu sehen, ob dahinter auch noch Platz war, fiel mir auf, dass sich im mittleren Teil ein scheinbar eigens für mich eingebautes Schuhregal befand.
Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass Marces dieses nur für mich hatte anfertigen lassen. Nachdem ich alle Schuhe verstaut hatte, machte ich mich daran meine Koffer zu leeren, die Partu bereits ins Schlafzimmer hatte bringen lassen. Während ich noch dabei war den letzten Koffer auszuräumen, trat er in die Ankleide.
»Mademoiselle?«, fragte er.
»Ja, Partu?«, antwortete ich.
»Kann ich die leeren Koffer schon mitnehmen?«, sagte er, während er sie wieder verschloss.
Ich nickte ihm zu: »Der hier ist auch gleich leer. Ich habe mich schon gefragt, wo die leeren Koffer eigentlich hin sollen?«
»Auf den kleinen Dachboden, Mademoiselle. Ich bringe sie gleich alle nach oben!«, antwortete er, während er die letzten Koffer übereinanderstapelte.
»Soll ich Ihnen nicht helfen?«, fragte ich weiter.
»Nein, Mademoiselle. Ich mache das schon. Genießen Sie doch das schöne Wetter im Garten solange der Herr noch beschäftigt ist. Ich bringe Ihnen auch eine Decke und etwas zu Essen nach draußen, wenn Sie möchten!«, entgegnete er.
»Das klingt sehr gut, Partu! Danke!«, antwortete ich ihm und lief an ihm vorbei nach unten. Der Wind spielte noch immer mit den Bäumen, als ich in den Garten hinaustrat. Die sanften Bewegungen der Äste und Blätter unterbrachen von Zeit zu Zeit die Sonnenstrahlen, die auf mein Gesicht fielen. Ich setzte mich wieder auf die Schaukel und genoss für eine Weile die Ruhe und Stille.
Partu brachte mir währenddessen eine Decke und ein paar Leckereien nach draußen. Den restlichen Tag verbrachte ich voller Harmonie im Garten. Auf der Decke liegend betrachtete ich die vorbeiziehenden Wolken, die Bewegung der Bäume und die Vögel, die vereinzelt hin- und herflogen. Marces arbeitete den ganzen Tag, bis zum späten Abend. Erst als es allmählich dunkel wurde, kam er zu mir, um mich zum Abendessen zu holen.
Partu hatte sich viel Mühe gegeben.
Der Tisch war reich gedeckt. Das erste gemeinsame Abendessen im neuen Haus sollte etwas besonderes sein. Aber Marces und ich waren so müde, dass wir nicht sonderlich viel aßen. Stattdessen verschwanden wir zeitig ins Bett.
»Träum süß!«, flüsterte er mir ins Ohr, als er sich von hinten an mich kuschelte.
»Ich liebe dich!«, antwortete ich. Woraufhin er mir einen Kuss auf die Wange gab und ich langsam die Augen schloss. Ich war total müde.
Obwohl ich den ganzen Tag im Garten verbracht hatte, fiel erst in diesem Moment, eng umschlungen von Marces’ Armen, die Anspannung von mir ab.
Ich schlief ein und träumte wieder:
Ich stand in einer Kirche, die festlich geschmückt war. Durch die bemalten Fenster fiel ein sanftes Licht herein. Um mich herum mehrere hundert Leute. Die mir alle vollkommen unbekannt waren.
Ich blickte nach vorne zum Altar und da stand er – Marces.
In einem feinen Anzug mit einem strahlenden Lächeln streckte er die Hand nach mir aus. Als wollte er sagen – Komm. Aber ich zögerte. Irgendetwas hielt mich zurück.
Dann trat ein Priester neben ihn, deutete mit seiner Hand auf die Bibel in seinen Händen und sagte: »Willst du diesen Mann zu deinem Mann nehmen?«
Ich wusste im Innersten, wie dieser Satz weiter ging. Ich wollte antworten, aber ich tat es nicht.
Ich zögerte und wachte auf. Es war mitten in der Nacht. Marces schien noch immer zu schlafen. Zumindest bewegte er sich nicht. Ich blieb in seiner Umarmung liegen. Wieso hatte ich gezögert?