Читать книгу Kind der Drachen – Licht oder Finsternis? - Sabine Hentschel - Страница 9
Ein neuer Anfang
ОглавлениеTrotz der Gedanken um den Traum schlief ich noch einmal ein. Am nächsten Morgen weckte mich Partu: »Mademoiselle! Sie müssen langsam aufstehen. Sie kommen sonst zu spät!«
Ich öffnete die Augen und drehte mich im Bett ein paar Mal um, bevor ich ihm antwortete: »Ich stehe gleich auf!« Dann blickte ich auf Marces’ Betthälfte. Er war nicht mehr da. Als hätte Partu meine Verwunderung darüber bemerkt, sagte er: »Der Herr arbeitet bereits. Er wollte Sie nicht wecken! Was möchten sie frühstücken?«
»Ein Brötchen, das reicht. Nur nicht so viel!«, antwortete ich, während Partu aus dem Zimmer verschwand, rappelte ich mich auf und zog mich an. Eigentlich wollte ich direkt zu Marces, um ihm einen Guten Morgen zu wünschen, aber Partu hielt mich zurück: »Der Herr telefoniert gerade! Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Ja!«, antwortete ich etwas überrumpelt: »Sagen Sie ihm einen guten Morgen von mir und dass ich ihn liebe!«.
Partu nickte und bat mich mit einer Handbewegung ins Esszimmer. Ich aß nur eine Kleinigkeit, bevor ich mich auf den Weg zur Universität machte. Die Sonne fiel mir ins Gesicht, als ich aus dem Haus trat.
»Miss!«, rief Partu mir hinterher.
Ich drehte mich um: »Ja, Partu?«
»Soll ich Sie zur Universität bringen lassen?«, fragte er. »Nein, danke Partu! Ich werde bei dem schönen Wetter zur Uni laufen«, antwortete ich. Partu nickte und ging zurück ins Haus, während ich durch das Tor trat und die Straße entlang Richtung Stadtmitte lief. Die Universität besaß mehrere Gebäude, die in der gesamten Stadt verteilt waren. Für den Anfang hatte ich zunächst einige Seminare und Vorlesungen im Hauptgebäude, das im Stadtzentrum etwa fünfzehn Minuten von unserem Haus entfernt lag.
Das alte Gebäude wurde nach dem Abriss des Jenaer Schlosses genau an jener Stelle erbaut. Ich hatte bereits in den Ferien einige Nachforschungen darüber angestellt in welchen Räumen meine Veranstaltungen stattfanden, war allerdings nie weit gekommen, da der Lageplan und die farbigen Erklärungen mich mehr verwirrten als das sie mir halfen. Deshalb wollte ich es vor Ort versuchen. Was sich im nach hinein als wenig clever herausstellte.
Ich lief also unsere kleine Straße und dann die großen Fernverkehrsstraße hinunter, vorbei an den großen Villen, der Klinik und dem Botanischen Garten, der im sanften Licht erstrahlte bis zum Hauptgebäude.
Bereits von außen konnte man die verwinkelte Anlage der Zimmer und Wege erkennen. Nun gut, dachte ich mir. Versuchen wir es einfach mal. Da am großen Eingang keinerlei Hinweise zu finden waren lief ich einmal gerade aus durch, an der langen Pinnwand vorbei, auf die andere Seite. Dort, im zweiten Eingangsbereich, hing eine große Tafel oder besser gesagt ein riesiger Wege-Plan. Eine Art Wegweiser mit verschiedenen Farbwegen, für die verschiedenen Ebenen und Treppen. Bei vier Etagen und mehreren verschiedenen Treppenaufgängen, die teilweise in Bereiche führten, die man nur über diese eine erreichen konnte, eine sehr hilfreiche Idee.
Während ich den Plan studierte, murmelte ich vor mich hin: »Zimmer 026, das muss doch hier irgendwo sein!« »Junges Fräulein!«, rief mir eine Stimme von hinten zu. Ich drehte mich um und sah einen Mann in Anzug, der aus einem kleinen Raum direkt neben der Eingangstür trat.
»Entschuldigen Sie, suchen Sie etwas?«, fragte er mich. »Ja!«, antwortete ich etwas irritiert: »Zimmer 026.«
Der Mann nickte und lächelte mich an: »Da sind Sie schon dran vorbeigelaufen. Zimmer 026 ist der große Hörsaal, gleich rechts vom anderen großen Eingang.« Dann deutete er mit der Hand auf eine Tür, die uns gegenüber, durch den Hof hindurch zu sehen war.
»Dort drüben ist es. Aber lassen Sie sich ruhig Zeit. Die Veranstaltung vor Ihnen ist noch drin, bis Dreiviertel.« »Danke!«, entgegnete ich und lief den Weg zurück, den ich gekommen war, zu der Tür, die er mir gezeigt hatte. Dort setzte ich mich auf die Fensterbank der Tür gegenüber. Im Raum waren Stimmen zu hören. Gut, warte ich eben noch ein wenig, dachte ich mir. Während ich so in Richtung Tür blickte, wurde mein Puls immer schneller. Äußerlich war ich zwar die Ruhe selbst, innerlich machte mein Herz rasende Sprünge – vor Aufregung.
Mehrmals blickte ich daher auf die Uhr. 41, 42, 43 … dreiviertel. Ende. Ich schaute wieder zur Tür, aber da tat sich nichts. Müsste die Veranstaltung jetzt nicht zu Ende sein? Ich drehte mich ein paar Mal zu allen Seiten um, wo sich mittlerweile einige andere versammelt hatten, wohl alle samt nun Kommilitonen von mir. Einige schienen vertieft in Aufzeichnungen oder Pläne, andere starrten wie ich in der Gegend umher. Ich traute mich allerdings nicht einen von ihnen anzusprechen und seufzte stattdessen.
Während ich mich wieder der Tür zuwandte, trat ein Mädchen neben mich. Sie war etwa in meinem Alter, maximal ein paar Jahre älter. Ihre langen, blonden Haare fielen ihr über die Schultern nach vorn und betonten ihre blauen Augen.
»Darf ich dich kurz stören?«, fragte sie mich.
Ich schaute sie an: »Ja!«
»Ich bin auf der Suche nach dem richtigen Raum, diese Wegweiser sind ja einfach grässlich. Hier soll irgendwo die Vorlesung zur Einführung in die Archäologie stattfinden, aber ich kann den blöden Raum nicht finden!«, antwortete sie.
Schmunzelnd gab ich ihr eine Antwort: »Die findet hier statt. Ich will auch in die Vorlesung. Du studierst also auch Archäologie?«
Das Mädchen lächelte mich an: »Oh! Danke. Ja, ich hab grad angefangen. Du auch?« Sie unterbrach kurz, als wollte sie mir Zeit lassen um etwas zu sagen, redete dann aber doch gleich weiter: »Ich bin übrigens Lana.«
»Freut mich dich kennen zu lernen. Ich bin Cara!«, sagte ich.
»Cara, hübscher Name und bestimmt sehr selten. Ich hab den Namen vorher noch nie gehört!«, erklärte sie mir.
Ich schmunzelte: »Danke! Woher kommst du?«
Lana blickte mich etwas überrascht an: »Von ziemlich weit her!« Dann grinste sie: »Nun ja, vielleicht nicht ganz so weit. Meine Familie, beziehungsweise meine Oma und meine Mutter, lebt in Hamburg. Ich bin dort zur Schule gegangen und wollte eigentlich auch dort zum Studium gehen, aber irgendwie bin ich jetzt hier gelandet. Witzig nicht?«
Was sollte ich darauf antworten. Ich wollte zu einem Satz ansetzen, aber da redete sie schon weiter: »Ich rede wie ein Wasserfall, sagen meine Freunde immer. Also unterbrich mich bitte, wenn es zu viel wird.«
»Kein Problem! Ich rede manchmal auch ohne Punkt und Komma!«, fügte ich an. Lana lächelte mich an. Noch bevor wir weiter erzählen konnten, öffnete sich die Tür und der Raum leerte sich.
»Also, wollen wir reingehen?«, fragte sie.
»Ja, lass uns reingehen!«, antwortete ich. Wir begaben uns zusammen in den Raum, suchten uns einen Platz weiter vorn und warteten. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass es mittlerweile schon zehn nach war, denn kaum das wir saßen, trat der Professor in den Raum und begann mit seinen Vorbereitungen.
»Wie hieß er noch gleich?«, fragte mich Lana. Ich zuckte mit den Schultern. Darauf hatte ich bei der Vorbereitung gar nicht geachtet. Ein Mädchen, das direkt hinter uns saß, flüsterte uns zu: »Dr. Schmidt!«
Lana drehte sich kurz zu ihr um: »Danke!«
Dann notierte sie auf ihrem Block: Vorlesung, Einführung in die klassische Archäologie – Dr. Schmidt.
»So, jetzt kann es losgehen!«, sagte sie, während sie sich wieder zu mir drehte. Ich schmunzelte sie nur an, weil mir keine Zeit mehr blieb. Der Professor schloss gerade die Tür und es wurde still im Raum. Die Vorlesung war sehr interessant. Dr. Schmidt gab uns zunächst einen Einblick in die Archäologie und ihre Aufgabenfelder, erklärte uns dann den weiteren Ablauf der folgenden Vorlesungen und was er sich für den Abschluss so vorstellte. Die Vorlesung sollten alle am Ende des Semesters mit einer zweistündigen Klausur abschließen. Nachdem er sich ausführlich zu den Prüfungsmodularitäten geäußert hatte, gab er uns eine Liste mit wichtiger Literatur, die man nebenbei lesen sollte, und eine mit Handbüchern, die jeder zu Hause haben sollte. Außerdem legte er fest, dass sich unverzüglich alle das Lehrbuch zuzulegen hätten. Ein Grundwerkzeug für das Archäologiestudium, wie er dreimal betonte. Lana fing leise an zu kichern, als er beim dritten Mal auch noch den Zeigefinger erhob: »Sie müssen dieses Buch kaufen! Daran führt kein Weg vorbei!«, flüsterte sie mir leise mit verstellter Stimme zu. Ich musste mich total zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.
Als er plötzlich sagte: »Ja, was gibt es denn?«, blieb mir fast das Herz stehen, weil ich dachte, er meinte mich. Aber das Mädchen hinter uns hatte sich gemeldet, um eine Frage zu stellen. Ich versank fast unter der Bankreihe vor Erleichterung.
»Welche Ausgabe hätten Sie denn gern?«, fragte sie.
Der Professor, sichtlich erstaunt, dass sich schon jemand vorbereitet hatte, antwortete: »Bitte nehmen Sie die diesjährige Ausgabe. Sollten Sie bereits eins besitzen, das vom vorigen Jahr stammt, ist das auch nicht weiter tragisch.« Das Mädchen hinter uns sagte nichts mehr, stattdessen schrieb sie irgendetwas auf ihr Blatt. Lana runzelte die Stirn, als wollte sie mir sagen, was macht das für einen Unterschied. Die restliche Vorlesung über berichtete Dr. Schmidt uns von den Anfängen der Archäologie und den ersten Ausgrabungen, wobei er stets jene herausragend lobte, für die er sich selbst interessierte. Nachdem er seine Vorlesung beendet hatte, wünschte er uns allen noch einen wunderschönen Tag und verschwand.
Während Lana und ich zusammenpackten, diskutierte das Mädchen hinter uns noch mit ihrer Freundin oder Banknachbarin.
»Das war ja wieder so was von klar, dass er nur die nennt. Seine Lieblinge immer schön in Vordergrund rücken«, sagte sie, während ihr ihre Nachbarin ins Wort fiel: »Das sind aber auch die größten und schönsten. Ich weiß überhaupt nicht, was du hast. Ich teile seine Meinung!« Lana stupste mich sanft am Arm und deutete mir an, dass wir lieber gehen sollten. Ich folgte ihrer Aufforderung. »Oh, Mann. Die streiten sich tatsächlich darüber, welche Ausgrabung schöner ist?«, sie fing fast an zu lachen, als sie das sagte.
»Vielleicht sind wir in drei Jahren auch so!«, erwiderte ich. Lana blieb erschrocken stehen: »Bloß nicht! Wenn das passiert, erschlag mich mit dem Lehrbuch!«
Ich musste lachen: »Dann steht am nächsten Tag in der Thüringer Zeitung: Studentin erschlägt Freundin mit Lehrbuch!«
»Das wäre die Schlagzeile!«, fügte Lana an.
Ich schüttelte den Kopf: »Unglaublich!«
Während wir uns langsam vom Hörsaal wegbewegten, fragte sie mich: »Was hast du als Nächstes?«
Ich kramte in meiner Tasche und holte den Stundenplan raus.
»Mittagspause. Wollen wir was essen gehen?«, antwortete ich.
Lana schüttelte den Kopf: »Tut mir leid. Ich hab jetzt Kunstseminar. Die sind immer von 12 bis 14 Uhr.«
»Ach so!«, antwortete ich: »Das wusste ich nicht. Mein Geschichtsseminar ist erst um zwei.«
Lana schmunzelte wieder: »Na ja, du hast ne Mittagspause und musst dafür bis um vier hierbleiben. Ich hab jetzt Seminar und geh dann heim.«
Ich nickte zustimmend: »Bis um vier. Zum Glück werde ich abgeholt, sonst wäre ich erst um halb fünf zu Hause.« Ich wusste, dass Partu es sich nicht nehmen lassen würde, mir den Fahrer zu schicken. Wenn er mich schon nicht hatte, hinbringen lassen dürfen, würde er zumindest darauf bestehen, dass man mich abholte. Und da er meinen Stundenplan, um den er mich vor ein paar Wochen gebeten hatte, bereits fein säuberlich in der Küche aufgehängt hatte, wusste er genau, wie lange ich heute hatte.
»Du wirst abgeholt?«, hackte Lana nach. Sie war sichtlich neugierig geworden.
»Ja!«, antwortete ich zunächst kurz. Ich musste erst darüber nachdenken, was ich sagen sollte: »Ich wohne zusammen mit meinem Freund in einem kleinen Häuschen, Richtung Weimar raus zu. Sein Fahrer hat heute nichts zu tun, deshalb kommt er mich abholen.«
Lana fiel fast die Kinnlade runter: »Ihr habt einen eigenen Fahrer? Wie cool ist das denn.«
Ich wurde etwas rot: »Es ist Marces’ Fahrer nicht meiner!«
»Marces ist dein Freund, nehme ich an!«, hakte sie nach. Ich nickte nur.
»So einen Freund hätte ich auch gerne. Schickes Haus, Fahrer … Habt ihr noch was?«, sagte sie schmunzelnd, während sie sich unser Haus vorzustellen schien.
»Nein!«, sagte ich und verschwieg absichtlich Partu.
»Darf ich mal vorbeikommen?«, fragte sie schließlich.
»Natürlich! Du bist jederzeit willkommen!«, antwortete ich.
»Klasse!«, sagte sie daraufhin und zückte einen Stift sowie ein Stück Papier: »Ich schreib dir meine Handynummer auf, dann können wir uns auch mal außerhalb der Uni treffen!«
Sie zerriss das Papier in der Mitte und schrieb auf die eine Hälfte ihre Nummer.
»Hier ist meine!«, den anderen Zettel hielt sie mir entgegen: »Schreib mir deine doch auf das andere Stückchen!«
Ich nahm ihr den Zettel mit ihrer Nummer ab und schrieb ihrer Aufforderung folgend die meine auf das andere.
»Super!«, sagte sie, als sie mir den Zettel abnahm, währenddessen schlug die Uhr im Haus um.
»Oh, ich muss los! Wir sehen uns dann morgen im Seminar!«, rief sie mir noch zu, während sie verschwand.