Читать книгу Kind der Drachen – Licht oder Finsternis? - Sabine Hentschel - Страница 6

Ein Traum wird wahr

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Mein Leben hatte sich seit jenen vergangenen Tagen vollkommen verändert. Niemals hätte ich gedacht, dass ich mit diesem Mann aus meinen Träumen einst alles teilen würde. Das Schicksal selbst hatte mir das größte Geschenk gemacht, dass es für mich gab - Marces.

Seit den Ereignissen auf der Burg, den Reisen zu Sylra und den anderen Drachen waren einige Wochen vergangen. Ich saß an jenem Tag allein im Garten. Marces war bereits drei Tage zuvor nach Jena aufgebrochen, um sich um »unser« neues Haus, wie er es nannte, zu kümmern. Es sollte alles fertig sein, wenn ich ihm am nächsten Morgen folgte. Marces rief ein paar Mal am Tag an nur um meine Stimme zu hören und um sicherzugehen, dass ich kein Traum war, wie er meinte. Manchmal versuchte er bei jenen Telefonaten ein paar Details über das Haus auszuplaudern, aber ich blockte jedes Mal ab. Es sollte eine Überraschung sein, so hatten wir es ausgemacht. Ich wollte vorher nichts davon wissen. Auch wenn meine Vorfreude auf unser gemeinsames, neues Leben groß war, genoss ich noch eine Weile die Unbeschwertheit und Stille seines Gartens. Er war meine Höhle.

Ein Ort, an den ich mich zurückziehen konnte. Abgeschottet von der Außenwelt gab er einem ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit. Auch unser neues Haus sollte solch einen Garten besitzen. Dies war meine einzige Bedingung. Ich brauchte solch einen Ort. Ich brauchte diese Stille, um mich von meinem neuen Leben mit allen seinen Möglichkeiten ab und zu abschotten zu können.

All die Wege, die ich gehen konnte, all die Entscheidungen, die gefällt werden mussten. Das Leben in Jena, das Leben als Student, eröffnete so viel, dass es mir zunächst etwas Angst machte. Aber ich bewies den Mut mich diesem zu stellen. Ich wollte mein neues Leben voller Freude und Zuversicht beginnen.

Während Marces also unser Haus einräumte, traf ich erste Vorbereitungen für die Universität. Meine Anmeldung für Jena war soweit durch. Der Studentenausweis sowie erste Blöcke und Einführungsliteratur lagen schon bereit. Ich freute mich wahnsinnig. Endlich konnte ich meiner Leidenschaft für die Altertümer dieser Welt nachgehen und mein Archäologiestudium beginnen. Außerdem freute ich mich darauf neue Leute kennenzulernen und neue Erfahrungen zu sammeln. Da die Menschen hier nichts von meiner Vergangenheit wussten, konnte ich ganz unkompliziert an die Sache herangehen.

Neben den neuen Erfahrungen, die auf mich warteten, blieben da aber auch zwei alt bewerte – Kesy und Adrian folgten uns nach Jena. Kesy in ihr Psychologiestudium und Adrian zu den Informatikern. Sie bezogen eine gemeinsame Wohnung in unmittelbarer Nähe zur Universität. Nachdem ich den Großteil meiner Sachen am Abend zusammengepackt hatte legte ich mich zeitig schlafen. Der folgende Tag sollte aufregend genug werden, dafür brauchte ich viel Kraft.

In jener Nacht schlief ich unruhig in Marces’ Bett. Er fehlte mir. Seine Nähe war etwas Unersetzliches. Ich drehte mich mehrmals im Schlaf um bis ich etwas Ruhe fand und schließlich träumte:

Im Traum öffnete ich die Augen. Ein heller Lichtstrahl blendete mich. Ich blinzelte ein paar Mal, bis ich wieder etwas erkennen konnte. Zunächst sah beziehungsweise fühlte ich nur mit den Füßen. Der Boden, auf dem ich stand, war fest, etwas kalt aber angenehm. Teilweise etwas glatt. Als ich die Füße bewegte, knarrte es unter ihnen. Ich blickte nach unten und erblickte einen Holzfußboden. Dielen oder so etwas, ich war mir nicht sicher, was es war. Es füllte den gesamten Raum aus, bis zu den Wänden, die ihn jenem hellem Gelb gehalten waren wie Marces’ Wohnzimmer. Direkt vor mir erstreckte sich eine breite Fensterfront, durch die das Licht hereinfiel.

Ich lief auf sie zu und bemerkte, dass es sich um breite Türen handelte, weswegen ich sie direkt aufschob und hinaustrat. Draußen erstreckte sich über die gesamte Breite des Hauses eine kleine Terrasse, die auf hölzernen Stützen leicht über dem Niveau des Gartens in jenen hinausragte. Der Garten lief nach hinten in den angrenzenden Wald über. Im vorderen Bereich standen mehrere alte Bäume sowie vereinzelte Rosenbüsche. Bereits von der Terrasse aus konnte man sehen, dass er wie jener in Marces’ Haus verwinkelt und geheimnisvoll war. Allerdings nicht so durchdacht wie dieser, eher natürlicher, ländlicher. Wie ein kleiner, eigener, verworrener Wald. Ich musste etwas schmunzeln.

Dieses Haus ... Konnte es möglich sein, dass es unser Haus in Jena war? Hatte Marces es nicht abwarten können? Wollte er mir schon jetzt wenigstens einen Teil des Hauses zeigen? Ach – Marces.

In jenem Moment wachte ich auf.

Die Sonne ging draußen gerade auf. Er wusste, dass mir sein Garten fehlen würde. Wahrscheinlich hatte er mir genau, deshalb diesen Traum geschickt. Er wollte mir zeigen, dass ich auch in Jena meinen ganz persönlichen Platz haben würde.

Ich schüttelte den Kopf – Marces. Du konntest es aber auch nicht lassen, dachte ich. Er saß wahrscheinlich gerade im Wohnzimmer und lächelte in sich hinein. Oder wollte er meine Neugier wecken? Mich necken? Ich gestehe, er hatte es geschafft. Meine Aufregung bezüglich des Umzugs stieg. So sehr, dass ich nicht mehr schlafen konnte und dabei war es gerade mal um sieben. Viel zu früh, meiner Meinung nach, um schon aufzustehen. Ich schmiss mich zurück in Marces’ Kissen und drückte mein Gesicht hinein. Es roch nach ihm. Marces. Es klopfte.

»Miss! Sind Sie wach?«, sagte Partu leise.

Ich drehte mich zur Tür: »Partu? Ja, ich bin wach. Kommen Sie ruhig rein!«

Er öffnete die Tür und trat vors Bett: »Der Herr hat gesagt, ich solle nach Ihnen sehen. Er meinte, Sie seien schon wach und wir könnten losfahren« Wie bitte, dachte ich. Jetzt schon, es war doch grad so gemütlich im Bett. Ich setzte mich wieder auf. Er kannte mich doch zu gut. Er wusste, dass ich nach diesem Traum unmöglich wieder hätte einschlafen können. Gut, dachte ich, dass er wenigstens bis sieben gewartet hatte. Ich musste bei dem Gedanken daran, was andernfalls passiert wäre, schmunzeln. Allein der Gedanke, dass ich um drei Uhr morgens vorm neuen Haus gestanden hätte, war irgendwie komisch, verrückt und witzig zu gleich.

»Von mir aus!«, antwortete ich Partu: »Aber lassen Sie mich erst einmal langsam aus dem Bett kommen und anziehen.«.

Partu nickte mir zu: »Wünschen Sie noch zu Frühstücken? Der Herr meinte, Sie hätten wahrscheinlich keinen Hunger und ich sollte mir keine Mühe geben Sie zu überreden?«

Gute Frage, Hunger hatte ich in dem Moment eigentlich überhaupt nicht. Da hatte Marces wieder Recht gehabt. Andernfalls wer will schon freiwillig früh um sieben frühstücken, wenn der Bauch bis obenhin vollgestopft ist mit Aufregung, Erwartung, Freude und so weiter. Da war kein Platz mehr für Kaffee und Brötchen.

»Nein, danke Partu. Ich möchte nichts.« Partu nickte wieder und verließ das Zimmer. Ich quälte mich aus dem Bett. Richtig wach war ich trotzdem noch nicht. Vielleicht wäre ein Kaffee doch gar nicht so schlecht gewesen. Ich zog also mein Lieblingskleid an, ein blauer Sommertraum, und packte meine Klamotten zurück in meine Koffer. Mittlerweile befand sich mein gesamter Kleiderschrank in Marces’ Haus, womit die Kofferanzahl von einst einem auf acht gestiegen war. Wieso eine Person so viele Klamotten braucht?

Keine Ahnung. Aber ich liebe jedes einzelne Stück und kann mich einfach von nichts trennen. Andere würden sagen, das ist doch noch wenig. Nun ja, jeder wie er es für richtig hält. Außerdem muss ich dazu gestehen, dass ich meine komplette Schuhsammlung, mein absolutes Laster, bereits Marces bei seiner Abreise nach Jena mitgegeben hatte. Nachdem er mir versprochen hatte gut auf sie aufzupassen. Was wären wir Frauen nur ohne Schuhe! Nachdem ich alles zusammenhatte, lief ich die Treppe hinunter.

Partu stand bereits im Flur: »Kann ich Ihre Koffer holen lassen, Mademoiselle?«

»Ja!«, antwortete ich.

Partu winkte dem Fahrer und einem weiteren Mann zu. Ich schaute Partu etwas verwundert an. Partu und Marces’ Fahrer waren mir mittlerweile vertraut und ich hatte mich an ihre Anwesenheit gewöhnt, aber dieser Mann war mir gänzlich unbekannt. Partu schien meine Verwunderung zu bemerken: »Dieser Mann ist der Fahrer des Umzugswagens. Der Herr hatte noch ein paar Wünsche. sodass wir noch einige Sachen mitzunehmen haben und ich mir erlaubt habe dafür einen extra Wagen zu besorgen. Natürlich werden Ihre Koffer auch dort gut verstaut werden. Dafür Sorge ich höchstpersönlich!«

»Was sollen wir denn mitbringen?«, fragte ich.

»Nun, unter anderem die Vitrine aus dem Wohnzimmer und natürlich deren Inhalt. Gut verpackt versteht sich!«, antwortete er.

»Meine letzte Infusion.«, bemerkte ich.

»Ist auch dabei. Wenn Sie dann schon einmal im Mercedes Platz nehmen wollen wir sind gleich soweit!«, fuhr er fort und hielt mir die Tür zum Vorgarten auf.

»Danke, Partu!«, antwortete ich und nahm Ihm Mercedes Platz.

Die letzte Infusion. Wieso konnten wir sie nicht einfach hier lassen. Musste ich sie ständig vor Augen haben? Sollte ich mich ständig der Frage stellen, wann ich unsterblich werden wollte? Die nächsten Jahre sollten nur mir und Marces gehören, ohne irgendwelche Probleme und Sorgen der Unsterblichen.

Ich saß kaum zwei Minuten im Auto als Partu und der Fahrer einstiegen.

»Alles erledigt, wir können dann!«, sagte er zum Fahrer, der daraufhin losfuhr. Ich blickte zurück auf Marces’ Haus und verabschiedete mich leise.

Die Fahrt nach Jena dauerte fast vier Stunden, unter anderem wegen eines Staus, aufgrund eines umgekippten Lasters, an dem gerade so noch eine Spur vorbei geleitet werden konnte. Mir war die gesamte Zeit über so langweilig, dass ich mich mit Sudoku ablenkte und das zum frühen Morgen. Es war ja gerade mal um acht. Um elf erreichten wir endlich Jena, zumindest die Abfahrt auf die Schnellstraße, die ins Zentrum führt. Jedem, der sich in Jena auskennt, würde jetzt einfallen: Um elf auf der Schnellstraße, dass bedeutet nicht mehr schnell voran kommen, sondern Schneckentempo. Denn gegen Mittag ist auf der Schnellstraße die Hölle los. Was sich exemplarisch sicherlich auf andere Schnellstraßen in anderen großen Städten übertragen lässt. Man denke nur mal an Frankfurt, Leipzig oder Berlin. Nun, wir waren also gezwungen im Schneckentempo bis ins Zentrum zu huschen. Von dort aus ging es über die Bundesstraße Richtung Weimar wieder aus dem Zentrum hinaus zum neuen Haus. Versteckt hinter anderen Häusern und Villen, am Berghang westlich des in Jena überall bekannten Landgrafen erstreckte sich unsere neue Höhle der Zweisamkeit.

Kind der Drachen – Licht oder Finsternis?

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