Читать книгу Falsche Pillen - Sabine Karcher - Страница 5

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2. Kapitel

Lena stellte ihr halbleeres Glas auf die Theke und drehte sich zur Tanzfläche. Sie wippte mit ihrem Fuß im Rhythmus der Musik. Mit ihren fünfundzwanzig zählte sie hier schon zur älteren Fraktion. Der Cocktail schmeckte bitter und der Alkohol stieg ihr zu Kopf. Sie starrte ins Glas, als könnte sie darin Antworten auf ihre Fragen finden.

Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie wandte sich um.

Nicole.

Grinsend quetschte sich ihre Freundin neben sie. „Hast wohl jemand anderes erwartet?", brüllte Nicole ihr ins Ohr.

Lena zwang sich zu einem Lächeln.

Nicole fächelte sich Luft zu. „Ein Wodkalemon“, rief sie über den Tresen. Der Kellner nickte.

„Keine Lust zum Tanzen?“, fragte Nicole.

„Mir ist nicht danach.“ Sie betrachtete den Kratzer auf ihrem Fingernagel. Den Abend hatte sie sich anders vorgestellt. Aber die Sache mit ihrer Mutter ging ihr einfach nicht aus dem Kopf.

„Du sitzt schon die ganze Zeit nur hier herum.“ Nicole legte den Arm um Lenas Schultern. „Deiner Mutter geht es bestimmt bald besser.“

Lena nickte. Hier war nicht der richtige Ort, darüber zu reden. Sie hatte Nicole nur kurz erzählt, dass es ihrer Mutter schlechter ging. Die Sache mit dem gefälschten Arzneimittel wollte sie ihr in aller Ruhe anvertrauen.

Der Kellner stellte das Glas vor Nicole. Lena zog die dünne Papierschicht von ihrem Bierdeckel, faltete sie sorgfältig zusammen und schnippte sie über den Tresen. Sie hatte sich für diesen Abend sogar eine neue Bluse gekauft. Fast hundert Euro hatte sie dafür ausgegeben. Hätte sie dafür mal besser Mums Arzneimittel in der Apotheke geholt.

Nicole hob ihr Glas, prostete Lena zu und trank es zur Hälfte aus. Im Rhythmus der Musik wippte sie vor und zurück, grinste zur Tür, warf ihr Haar nach hinten. Lena musste schmunzeln, folgte ihrem Blick und entdeckte den Grund für Nicoles Verhalten. Dennis. Umringt von einer Schar Weiber. Das typische Alphatier, und das nicht nur, weil er ein blonder Schönling war mit seinem drahtigen Körper und dem Dreitagebart.

Wie ein Blitz traf sie der Gedanke. Dennis Finkel. Finkel! Ob der mit dem Besitzer von Fermesio verwandt war? Sie wartete, bis er bei der Tanzfläche war, dann stupste sie Nicole an. „Ist das nicht dieser Dennis Finkel?“

Ihr Blick verriet alles. Dennis war genau der Typ Mann, auf den Nicole abfuhr. Sie kringelte eine Strähne um den Zeigefinger und nickte. „Du müsstest ihn kennen. Geht er nicht in das Fitnesscenter, wo du jobbst?“

„Kennen ist zu viel gesagt, ich hab ihn ein paar Mal gesehen.“ Lena ließ ihr Glas kreisen und presste die Lippen zusammen. Der arrogante Schnösel war sich doch viel zu fein, um sich mit ihr abzugeben. Wahrscheinlich hatte er sie noch nicht einmal bemerkt. Aber das gehörte jetzt nicht hierher. „Hat er was mit dem Arzneimittelgroßhandel Fermesio zu tun?“

Freundschaftlich rempelte Nicole sie an und musterte sie dabei verwundert. „Du interessierst dich doch nicht etwa für ihn?“

„Wie kommst du darauf?“ Lenas Wangen glühten. „Hör mal. Wie du ihn anstarrst. Und dich nach seiner Familie erkundigst.“ Nicole runzelte die Stirn und machte das erste Mal an diesem Abend ein ernstes Gesicht.

„Wieso Familie?“

„Seinem Onkel gehört Fermesio.“

„Ne, da ... da ist nichts.“ Lena winkte ab und zwang sich zu lächeln. Zumindest nicht das, was du meinst, ergänzte sie in Gedanken.

„Dann ist ja gut.“ Nicole leerte ihr Glas. „Was ist, kommst du?“ Nicole stand auf.

„Wohin?“

Sie deutete auf Dennis. „Den Knaben seh ich mir mal genauer an.“

Lena schüttelte den Kopf. Wenn es nur nicht so verdammt schwer wäre, über den eigenen Schatten zu springen. Ihr Zeigefinger strich am Glasrand entlang.

Als wäre es das Normalste der Welt, schloss sich Nicole Dennis Clique an. Für sie war es das wohl auch.

Wie blöd konnte man eigentlich sein? Warum war sie nicht mitgegangen? Auf der Chromfläche der Theke spiegelte sich verzerrt ihr Gesicht. Einfacher hätte es nicht sein können. Neben Nicole wäre sie gar nicht aufgefallen, hätte so ganz nebenbei Dennis’ Bekanntschaft gemacht und könnte ihn bei der Gelegenheit über seinen Onkel aushorchen.

In einem Zug trank sie ihr Glas leer. Jetzt oder nie. Sie rutschte vom Barhocker, wobei sie gegen den Arm ihres Nachbarn stieß. „He, pass doch auf!“, schimpfte er.

Zu spät. Sein Glas schwappte über und die braune Flüssigkeit landete auf ihrer neuen Bluse.

„Verdammt!“ Sie sah an sich hinunter. Selbst bei diesem schummrigen Licht prangte der Fleck wie ein Orden auf ihrer Brust. Da half auch nichts, daran zu reiben. Sie musste ihn auswaschen.

Der Weg zur Toilette führte zwangsläufig an der Clique mit Dennis und Nicole vorbei.

„Lena! Super. Hast du es dir überlegt." Nicole strich eine blonde Strähne hinters Ohr und strahlte sie an.

Auch Dennis schien sie jetzt wahrzunehmen. Aber statt ihr in die Augen zu sehen, sie zu begrüßen, starrte er nur verächtlich auf den Fleck.

Und dann dieses Grinsen. Ehe sie etwas sagen konnte, fragte er: „Kennen wir uns nicht vom Fitnesscenter? Putzt du hier jetzt auch?“

Lenas Gesicht fühlte sich an, als hätte sie hohes Fieber. Diese Überheblichkeit, diese Selbstzufriedenheit, die dieser Lackaffe ausstrahlte, waren nicht zu überbieten. Typen wie der bekamen alles, was sie wollten. Es war kein Klischee, dass Reichtum glücklich und attraktiv machte. Sein dümmliches Grinsen gab ihr den Rest. „Bei der Masse an Scheiße, die du produzierst, wäre das hier dringend nötig", konterte sie und wollte weitergehen.

„Lena, was soll das?“ Nicole hielt sie am Arm fest.

Sie riss sich los. Was das sollte? Ihr wurde übel, sie ertrug diesen Typen keine Sekunde länger, sie musste weg. Mit großen Schritten steuerte sie auf die Toilettentür zu und zog sie auf. Trotz der lauten Musik hallte das Gelächter in ihren Ohren, bis sie endlich hinter ihr zufiel.

Das war ja super gelaufen.

Über das Waschbecken gebeugt, spritzte sie sich Wasser ins Gesicht, immer wieder und wieder. Was war sie für eine dumme Kuh! Wie konnte sie sich nur von diesem Kerl provozieren lassen? Sie hätte einfach lachen sollen.

Die Schminke lief ihre Wangen hinunter. Ihr Spiegelbild warf ihr eine verbissene Grimasse entgegen, forderte sie auf, sich durchs Haar zu fahren. Sie hatte keinen Kamm dabei, die Finger taten es auch, aber die verhakelten sich in einer Strähne.

Sie richtete sich auf, befeuchtete ein Papierhandtuch. Der Seifenspender war leer. Statt den Fleck zu entfernen, hinterließ das grüne Papier hässliche Spuren.

Der Abend war verpfuscht. Jetzt konnte sie auch gehen. Sie holte ihre Jacke und trat ins Freie. Bildete sie es sich ein oder grinsten die beiden Jugendlichen, die vor der Tür rauchten, verächtlich?

Kühler Wind blies ihr ins Gesicht, es nieselte und in ihren Ohren klingelte es von der lauten Musik. Sie schlang die Jacke fester um sich und ging in Richtung der Unterführung. Den Abend hatte sie sich weiß Gott anders vorgestellt, als mitten in der Nacht allein da unten durchgehen zu müssen, zumal die Lichter ausgefallen waren und es bestimmt nach Pisse stank.

Sie war noch nicht weit gekommen, da ließ eine vertraute Stimme sie aufhorchen. „Und die sind wirklich in Ordnung?" Im Schein der Straßenlaterne erkannte sie Dennis und Nicole in einer dunklen Hofeinfahrt. Dennis lehnte lässig an einem weißen Sprinter und bot Nicole etwas an.

Lena wich zurück und ging hinter einer Mülltonne in die Hocke.

„Klar, die sind aus dem Lager von meinem Onkel. Mit denen bist du absolut gut drauf. Und nebenbei hast du bestimmt sechs Stunden lang keinen Hunger. Für den Preis bekommst du sie sonst nirgends."

Von seinem Onkel. Super! Da hatte er das Zeug ja vom Richtigen. Genau das hatte sie sich gewünscht. Beweise. Aber doch nicht mit Nicole. Verflucht. Sie hätte sie einweihen sollen.

„Ich weiß nicht." Nicole zögerte.

„Du musst nicht, aber glaub mir, da entgeht dir etwas. Meine Kunden sind alle zufrieden.“

Lena ballte ihre Hand zur Faust. Lange hielt sie es in ihrem Versteck nicht mehr aus.

„Und die Dinger sind wirklich harmlos und machen auch nicht süchtig oder so?"

„Quatsch! Ich nehme das Zeug auch. Sieh mich an! Aber wenn du mit dir zufrieden bist..."

Das reichte. Die Lippen fest aufeinander gepresst, sog Lena Luft durch die Nase ein, stand auf, trat aus ihrem Versteck. „Nicole! Spinnst du! Weißt du, was da wirklich drin ist? Der redet doch nur Blech."

Dennis ließ die Pillen sichtlich nervös in der Jackentasche verschwinden. „Nicht die schon wieder", murmelte er, griff nach Nicoles Handgelenk und zerrte sie wie ein kleines Mädchen hinter sich her. „Dir würden sie jedenfalls nicht schaden."

„Nicole!" Lena packte das andere Handgelenk ihrer Freundin. „Warte! Was, wenn es Ecstasy oder sonst so ein Zeug ist?"

Nicole befreite sich ruckartig von beiden. „Seid ihr jetzt völlig verrückt geworden?“

Dennis schob Nicole zur Seite und stellte sich breitbeinig vor Lena, die Arme vor der Brust verschränkt. „Nicole ist alt genug. Sie braucht keinen Babysitter. Also verzieh dich."

Was bildete der sich überhaupt ein? „Aber du weißt, was gut für sie ist, ja? Als ob es dir um Nicole geht. Dich interessiert nur die Kohle!" Sie wich keinen Millimeter.

„Komm, die hat doch ’nen Knall." Er raunte es Nicole zu, allerdings laut genug, dass es nicht nur für Nicoles Ohren bestimmt sein konnte.

„Geh vor. Ich komme gleich“, sagte Nicole mit einem verliebten Augenaufschlag. Mein Gott, wie sie ihn anhimmelte.

Er zuckte mit den Schultern, ging aber.

Nicole legte den Arm um sie. „Lena, was sollte das? Ich dachte, du interessierst dich nicht für ihn.“

Lena starrte ihre Freundin entgeistert an. Glaubte Nicole allen Ernstes, es ging ihr um Dennis? „Nicole, bist du verrückt! Den Kerl will ich nicht mal geschenkt. Weißt du überhaupt, was das für einer ist?“ Sie befreite sich aus der Umarmung, packte ihre Freundin an den Armen und sah ihr in die Augen. Am liebsten hätte sie sie geschüttelt. „Er und sein Onkel sind Verbrecher.“

Nicole seufzte. „Lena. Du machst dich lächerlich. Ich habe keine Ahnung, wie du darauf kommst und ich will es auch nicht wissen. Wir sind hergekommen, um Spaß zu haben. Aber das ist für dich ja ein Fremdwort.“ Nicole strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich habe die Nase voll. Du bist schlimmer als meine Mutter, die ständig glaubt, mich vor dem Bösen der Welt beschützen zu müssen.“ Nicole wartete auf keine Antwort oder Rechtfertigung. Aus dem Nieseln war ein handfester Regen geworden. Ohne sich umzudrehen lief sie Dennis hinterher. Lena fehlte die Luft für die Worte, die ihr auf der Zunge lagen. Regentropfen rannen ihr übers Gesicht. Sie fragte sich, worüber sie mehr enttäuscht war: über Nicole oder über ihre eigene Unfähigkeit, zur rechten Zeit das Richtige zu sagen.

Falsche Pillen

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