Читать книгу Falsche Pillen - Sabine Karcher - Страница 9

Оглавление

6. Kapitel

Wolfgang war nicht zu Hause. Dennis öffnete den Medizinschrank, der eine große Auswahl an Arzneimitteln enthielt. Alles stand thematisch geordnet in Reih und Glied, wie es sich eben für einen Arzneimittelgroßhändler gehörte. Er nahm gleich zwei Schmerztabletten. Für die geschwollene Lippe holte er eine Kühlkompresse aus dem Gefrierschrank, dann legte er sich aufs Bett. Langsam ließ der Schmerz nach. Er dachte an Lena. Die hatte doch ein Rad ab. Bildete sie sich allen Ernstes ein, er würde Wolfgang hinterherspionieren?

Aber wenigstens würde sie vorläufig nicht zur Polizei gehen, das verschaffte ihm etwas Zeit. Im Moment fühlte er sich wie ein Krieger, den die Gegner von allen Seiten gleichzeitig attackierten, der nicht wusste, an welcher Front er sich zuerst wehren sollte. Zweifelsfrei stand fest, dass er etwas unternehmen musste. Nur was? Er drehte die Kühlkompresse um, legte sie auf die Lippe und schloss die Augen. Die Gedanken schwirrten ihm nur so durch den Kopf. Bilder der toten Nicole und von Knolle jagten vorbei, dann sah er wieder Lena vor sich. Ihr dämliches Grinsen, als sie ihn gefunden hatte. Was bildete die sich überhaupt ein?

Warum war sie so versessen darauf, Wolfgang etwas anzuhängen? Auf ihn müsste sie wütend sein, nicht auf Wolfgang. Egal. Sollte sie doch ihren Rachefeldzug alleine führen.

Aber was, wenn sie Recht hatte? Ganz gleich, was er von ihr hielt, entweder hatte jemand ihnen etwas untergemischt oder mit den Kapseln war etwas faul.

Er stand auf. Er musste raus, etwas unternehmen, ganz gleich was.

Das Seitenfenster heruntergekurbelt, fuhr er durch die Stadt. Fahrtwind kühlte sein Gesicht.

Im „Seven-up“ war nicht viel los. Zwei Teenies verrenkten sich auf der Tanzfläche, ein Pärchen knutschte in der Kuschelecke und am Tresen lehnte ein älterer Mann in einer speckigen Lederjacke. In dem Licht sah er aus, als könnte er Bud Spencer doubeln. Bestimmt ein Penner, der sich ein Bierchen erbettelt hatte.

Dennis war froh, dass Frank und die anderen nicht da waren. Jacks Wut war bestimmt noch nicht verraucht. Besser, seine Freunde kriegten davon nichts mit. Er rückte einen Barhocker zurecht und setzte sich, weit entfernt vom einzigen Gast an der Theke. Noch immer taten ihm bei jeder Bewegung Bauch und Rippen weh. Hoffentlich war es schummrig genug, dass keiner seine Verletzungen im Gesicht bemerkte.

Jack kam aus der Küche, mit einer Zigarette zwischen Zeigefinger und Mittelfinger.

„Ein Bier – ne, doch lieber eine Cola“, entschied Dennis.

Jack legte die Kippe im Aschenbecher ab, beugte sich zu Dennis vor und schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Eins sage ich dir. Noch mal machst du keine solche Sauerei.“

„Schon gut.“ Dennis zückte seinen Geldbeutel, legte einen Fünfzig-Euroschein auf die Theke und zwinkerte. „Fürs Putzen.“

Jack beugte sich weiter nach vorn und packte ihn an den Schultern. „Ich meinte die Sauerei mit den Pillen. Das Zeug taucht in diesem Laden nicht noch einmal auf. Verstanden?"

Dennis nickte, auch wenn er sich noch immer keiner Schuld bewusst war. Jack ließ ihn los und steckte den Geldschein in die Hosentasche. „Du lässt dich in den nächsten Wochen besser nicht mehr hier sehen. Kapiert?“

Dennis strich sich das Haar nach hinten. Als ob er der einzige wäre, der hier irgendwelches Zeug vertickte. Aber im Moment hatte er keine Lust auf eine Diskussion. Der Laden kotzte ihn sowieso an. „Hast du Knolle gesehen?“

Jack zapfte eine Cola und stellte das Glas auf den Tressen. „Vergiss es. Von dem stammte das Zeug nicht. Der war gestern nicht hier." Er nahm seine Zigarette, drehte sich um und ging wieder nach hinten.

„Was hast du mit Knolle zu tun?" Das Bud-Spencer-Double setzte sich auf den Hocker neben ihn. Er war etwas älter als Wolfgang. Vielleicht lag es aber auch am Vollbart und dem bläulichen Strahler, der auf ihn gerichtet war.

„Nur ein kleiner Rat.“ Er hob sein Glas, als wollte er mit Dennis anstoßen. „Halt dich fern von ihm und seinem Kumpel. Das, was die machen, ist eine Nummer zu groß für ein Würstchen wie dich." Dann schlürfte er den Schaum ab.

Auch wenn er sich im Moment wie eine durchgedrehte Mettwurst fühlte, gab das noch niemandem das Recht, ihn Würstchen zu nennen. Mit zusammengekniffenen Augen sah er den Alten an. „Was wissen Sie über die beiden?"

„Du bist Finkels Neffe.“

Der Typ überrascht ihn immer mehr. Woher kannte der ihn? Ausgerechnet heute tauchte er auf, sprach ihn auf Knolle an.

„Laufen die Geschäfte deines Onkels gut?“

„Was geht Sie das an?“

„Schau dir deine Partner gut an, bevor du dich auf sie einlässt. Dein Onkel ist da nicht so wählerisch.“ Der Alte grinste. Es war jedoch kein überhebliches Grinsen. „Nicht jeder ist für diese Geschäfte geeignet. Und mancher holt sich mehr als bloß ein paar Schrammen."

Dennis musterte den Unbekannten genauer. Für einen Penner waren seine Schuhe und der Bart zu gepflegt. Auch die Lederjacke sah nicht wie Secondhand-Ware aus, obwohl sie schon etwas aus der Mode war. Polizei?

„Warst du gestern dabei, als die Kleine umgekippt ist? Das Zeug verbreitet sich wie eine Seuche in der Stadt. Lass die Finger davon!" Der Mann trank sein Glas leer und stand auf. „Sie ist zwar die erste, die daran gestorben ist, aber den anderen ist es auch nicht besonders gut bekommen.“

Ein Bulle, überlegte Dennis, würde ihn verhören, nicht warnen. „Sie sind nicht zufällig hier, oder?“

Der Mann sah ihn seltsam an. Er lächelte. „Ich wollte dich kennenlernen - und dich warnen.“

„Warum?“

„Das spielt keine Rolle.“ Ohne weitere Worte verließ er den Club.

Dennis sah ihm hinterher, war unfähig etwas zu sagen oder ihn aufzuhalten. Er bekam eine Gänsehaut. Die Warnungen waren zwar überflüssig, er wollte mit Knolle sowieso nichts mehr zu tun haben, aber jetzt wurde er das Gefühl nicht los, dass das schwieriger war, als er befürchtet hatte. Sollte er mit Wolfgang darüber reden? Immerhin war er seit vielen Jahren wie ein Vater für ihn und hatte ihm schon aus so mancher Patsche herausgeholfen. Aber dann müsste er zugeben, dass er ihn bestohlen hatte. Und so wie der heute Morgen drauf war, nahm er das nicht einfach so hin.

Dennis drückte auf den Garagenöffner, das Tor fuhr hoch. Wolfgang hatte seinen Mercedes so weit in der Mitte geparkt, dass er korrigieren musste, um in die Lücke zu passen. Zum Aussteigen musste er sich regelrecht aus der Tür quetschen.

Aus Wolfgangs Arbeitszimmer hörte Dennis Stimmen. Die Tür stand einen Spalt weit offen.

Er blieb abrupt stehen. Hatte er jetzt schon akustische Halluzinationen? Er lauschte. Nein, es war keine Halluzination. Er musste sich irren, es musste eine ähnliche Stimme sein. Neugierig stupste er mit dem Zeigefinger die Tür etwas weiter auf. Weit genug, um den Hageren und Knolle zu erkennen.

Dennis wich zurück und drückte sich an die Wand. Er hatte sich nicht geirrt. Was um alles in der Welt bedeutete das? Er hatte doch geliefert, warum mussten sie ihn verpfeifen?

Das Gespräch im Arbeitszimmer war inzwischen lauter geworden. „Und dann fahrt ihr Idioten die Ladung auch noch gegen einen Baum! Wenn ihr wenigstens die Frachtpapiere mitgenommen hättet, aber nein, dafür seid ihr zu blöd", brüllte Wolfgang.

Dennis horchte auf. Hier ging es überhaupt nicht um ihn.

„Mit den Papieren können sie nichts anfangen. Noch weiß niemand, wer unser Auftraggeber …", versuchte Knolle Wolfgang zu besänftigen, aber der Hagere unterbrach ihn: „Die Polizei interessiert bestimmt, was es mit der verunglückten Lieferung auf sich hat.“

„Wollt ihr mich erpressen?“

„Wir müssen untertauchen. Dazu brauchen wir Knete", erwiderte der Hagere nüchtern.

„Etwa als Belohnung dafür, dass ihr die Sache vergeigt habt?“

„Wir können auch hier bei dir untertauchen. Ein paar Tage halten wir es locker aus.“

„Ich habe nicht genug Geld hier", antwortete Wolfgang barsch.

„Dann wirst du es beschaffen. Wir kommen morgen wieder."

„Aber nicht hierher. Wir treffen uns morgen um 23 Uhr am Fischweiher. Am Steg. Wisst ihr, wo das ist?"

„Ja", sagte Knolle.

„Verschwindet jetzt!"

„Wenn du versuchst uns reinzulegen, bist du auch dran", drohte der Hagere.

Dennis konnte gerade noch rechtzeitig in sein Zimmer huschen, wo er die Tür hinter sich anlehnte.

Das war die Härte. Wolfgang machte mit diesen Typen krumme Geschäfte und ihn motzte er an, weil er ein paar Packungen auf eigene Rechnung verkauft hatte. Nicht zu glauben, wie schnell sich Probleme lösen konnten. Wenn Wolfgang ihm blöd kam, würde er ihn einfach an diesen Besuch erinnern. Und was die beiden Typen betraf, die war er jetzt ohnehin los, da sie offenbar untertauchen mussten.

Kaum waren die Männer weg, hörte er Wolfgang im Flur telefonieren. „Wir haben ein Problem … Nein, morgen um 23 Uhr am Fischweiher. Du musst …"

Den Rest verstand er nicht mehr, da Wolfgang wieder im Arbeitszimmer verschwand und die Tür hinter sich schloss.

Am nächsten Morgen betrat Dennis pfeifend die Küche und goss sich einen Kaffee aus dem Automaten ein. Diese Nacht hatte er richtig gut durchgeschlafen. „Guten Morgen.“

„Morgen.“ Wolfgang blätterte in der Zeitung.

„Du hattest gestern Besuch?", fragte Dennis so beiläufig wie möglich und setzte sich zu ihm an den Tisch. Es kostete ihn Mühe, seine Schadenfreude zu verbergen.

Wolfgang sah auf und musterte ihn. „Ja." Er hatte dunkle Ränder unter den Augen.

„Was wollten die beiden?"

Wolfgang legte die Zeitung zur Seite. „Nichts Wichtiges. Sie waren von einer Spedition und wollten Geld für eine Lieferung, die nie angekommen ist." Nervös strich er sein Haar nach hinten. „Ist dein Auto repariert?"

„Die Rechnung liegt in meinem Zimmer.“ Von wegen Spedition, dachte Dennis. Er nahm sich ein Stück Zeitung, überflog die Schlagzeilen auf der ersten Seite und blätterte weiter. Ein Artikel sprang ihm in die Augen: "Warnhinweis!- Falsche Pillen!"

Zehn Todesfälle und zahlreiche schwerwiegende Zwischenfälle werden dem Nahrungsergänzungsmittel Slim attac zugeschrieben. Die Dunkelziffer wird auf über 100 Fälle geschätzt. Auch einige bislang ungeklärte Autounfälle infolge von Kreislaufversagen werden auf die Einnahme dieses Präparates zurückgeführt.

Das Produkt, das überwiegend über Fitnessstudios und Internetshops vertrieben wird, enthält nach Angaben des Untersuchungsamtes Amphetamine. Der Wirkstoff ist ungleichmäßig auf die Kapseln verteilt, was zu unterschiedlichen Reaktionen führt.

Wegen laufender Ermittlungen gibt die Polizei keine weiteren Auskünfte zu den Hintergründen.

Dennis’ Mund fühlte sich trocken an, seine Hand zitterte. Das war doch das Präparat, das er für seinen eigenen kleinen Handel abgezweigt und dann auch Nicole gegeben hatte.

Er legte das Blatt auf den Tisch und deutete auf den Artikel. „Führt ihr das Zeug auch?" Die Frage war überflüssig, denn es mussten die Packungen sein, die sein Onkel als gestohlen registriert hatte. Trotzdem war er auf seine Reaktion gespannt.

Wolfgang beugte sich über die Zeitung. Nach einer Weile schob er sie weg und sagte: „Meinst du, ich kenne bei zigtausend verschiedenen Präparaten jedes einzelne?" Er stand auf und hatte es mit einem Mal sehr eilig.

Dennis trank einen Schluck Kaffee. An der Sache war mächtig was faul. Zu dumm, dass er keine Packung mehr hatte.

Falsche Pillen

Подняться наверх