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Kapitel 6
ОглавлениеEs war ein grauer, trister und kalter Novembertag, als sich der Trauerzug langsam den Berg hoch zum Kloster Wörschweiler bewegte. Er wurde vom Abt des Klosters angeführt, der die Trauergesellschaft zusammen mit seinen Mönchen am Fuße des Klosterberges in Empfang genommen hatte. Hinter ihm folgte der Chor der Mönche, der Psalme und Responsorien erklingen ließ. Sie führten Prozessionskreuze und Fahnen mit sich und schwenkten Weihrauchgefäße und Rauchpfannen. Dann folgten die Sargträger, welche zu sechst die Totenbahre mit dem Sohn des Grafen trugen. Philipp und Margareta führten die Trauergäste an, die zahlreich zur Beerdigung ihres Sohnes erschienen waren.
Margareta ging wie in Trance auf Philipp gestützt und nahm die Welt durch ihren Schleier aus Tränen kaum war. Als vor wenigen Tagen Philipp mit ihrem toten Sohn nach Hause kam, war für sie eine Welt zusammengebrochen. Ihr einziges Kind, der Erbe der Burg – tot! Sie konnte es immer noch nicht fassen.
Nach dem Unfall hatte man Simons Leichnam in seine Kammer gebracht und aufs Bett gelegt. Grete und Johanna zogen ihm die schmutzige Jagduniform aus, wuschen ihn und legten ihm ein Leinenhemd an.
Bruder Hubertus betete für die Seele des Toten. Da dieser ohne Letzte Ölung und ohne den Segen des Herrn gegangen war, waren besonders viele Gebete notwendig, damit seine Seele in das Himmelreich aufsteigen konnte.
Philipp ließ einen Boten zum Kloster Wörschweiler schicken, damit man Abt Stephanus verständigte, denn er wollte, dass dieser seinen Sohn in der Klosterkirche beerdigte.
Da Gräfin Margareta von ihrer Trauer wie gelähmt war, regelten Haushofmeister Ulrich und Johanna alles Weitere.
Man meldete den Vorfall dem Schultheiß, der noch am gleichen Tage auf die Burg kam. Philipp schilderte ihm den Vorgang und reichte ihm den Pfeil, den Simon getroffen hatte. Mithilfe der Liste von Bruder Hubertus ermittelten sie, dass der Pfeil, welcher mit einem schwarzen Ring gekennzeichnet war, von Ritter Gerald, einem Gefolgsmann des Grafen Egbert stammte. Die Grafen konnten bezeugen, dass Gerald bei denen war, die auf die letzten Tiere kurz vorm Teich geschossen hatten. Gerald wurde vor den Schultheiß zitiert.
„Ritter Gerald, Euer Pfeil hat den jungen Herrn getroffen, ist das richtig?“
„Ja, Schultheiß, es scheint so.“
„Als Ihr geschossen habt, habt Ihr da nicht gesehen, dass ein Mann in Schussrichtung gestanden hat?“
„Nein, ich habe nur auf die Wildschweine geachtet und habe gar niemanden gesehen. Es ist mir ein Rätsel, wie ich Simon treffen konnte.“
„Aber du musst doch irgendetwas bemerkt haben?“, meldete sich der Graf.
„Nein, ich habe geschossen und plötzlich lag Simon da. Ich weiß gar nicht, ob es auch genau die Richtung war, in die ich gezielt habe.“
„Willst du etwa abstreiten, dass dein Pfeil Simon getroffen hat?“
„Nein, ich kann es nur nicht begreifen!“
Man befragte die anderen, doch niemand hatte genau gesehen, wie es sich zu getragen hatte.
Graf Philipp ließ nach Walther rufen.
„Wo bist du so früh mit Simon vor der Jagd hin und wo wart ihr, als es losging? Ich habe euch gar nicht mehr gesehen.“
„Simon hatte sich in den Kopf gesetzt, dass er unbedingt ein Wildschwein mit dem Sauzahn erledigen wollte, weil er bei seiner ersten Jagd als Held dastehen wollte. Ich habe versucht ihn davon zu überzeugen, dass das viel zu gefährlich sei, aber es war unmöglich. Er hat sich einfach nicht davon abhalten lassen und deshalb sind wir schon vor euch aufgebrochen und haben am Weiher gewartet.“
„Warum hast du mich nicht verständigt? Ich hätte ihn gezwungen es nicht zu tun!“, brauste Philipp auf.
„Ich wollte ihn nicht verärgern, weil wir gerade erst Freunde geworden waren“, erklärte Walther und senkte den Kopf.
„Aber warum bist du überhaupt mit ihm gegangen?“
„Ich dachte, wenn ich dabei wäre, könnte ich ein wenig auf ihn achtgeben.“
„Mit deinem Bein?“
„Manchmal vergesse ich, dass es nicht mehr so geht wie früher.“
„Warum warst du dann nicht neben Simon, als er getroffen wurde? Man hat von dir nichts gesehen.“
„Als ich gemerkt habe, dass ich Simon nicht zur Vernunft bringen kann, habe ich mich zurückgezogen, um rechtzeitig aus der Laufrichtung des Wildes zukommen.“
„Du hättest ihm wenigstens Deckung geben können!“
Philipp, der immer auf Simons Heldenmut stolz gewesen war, glaubte nun zu wissen, wie sich alles ereignet hatte. Er besprach sich mit dem Schultheiß. Auch wenn Ritter Gerald nicht vorsätzlich gehandelt hatte, sollte er trotzdem eine Strafe für die Tötung des Grafensohnes bekommen. Der Schultheiß verurteilte Ritter Gerald zu einer Bußzahlung von zwanzig Schilling.
Gerald musste schlucken. Da musste ihm wohl Graf Egbert unter die Arme greifen, damit er diese Summe aufbringen konnte.
Philipp beendete das Verhör und zog sich zurück. Hätte Walther ihm doch nur Bescheid gesagt! Wenn er gewusst hätte, dass am Weiher jemand wartet, hätte er die Jäger davon abgehalten, dort unten zu schießen! Aber jetzt war alles zu spät und er konnte Walther nicht dafür bestrafen.
In der Nacht wurde die Totenwache gehalten und am nächsten Morgen traf Abt Stephanus ein. Er sprach Philipp und Margareta sein Beileid aus und bedauerte den Vorfall sehr. Der Abt sah nach dem Toten und segnete ihn aus, dann begab er sich auf den Rückweg, um die Beisetzung im Kloster vorzubereiten. Der Tote sollte, wie schon andere Grafen von Homburg, im Querhaus der Klosterkirche bestattet werden. Der Totengräber hatte bereits begonnen eine Öffnung vorzubereiten. Ein Steinmetz wurde beauftragt, die Grabplatte herzustellen, die das Grab später abdecken sollte.
Der Trauerzug, begleitet von den Gesängen des Chores und den Segnungen des Abtes, passierte das Klostertor und die Glocken begannen zu läuten, als sie in die Klosterkirche Einzug hielten. Der Leichnam wurde im Kirchenschiff aufgebahrt und der Sakristan zündete vier große Kerzen an. Der Abt hielt die Totenmesse und Simon wurde zu dem offenen Grab getragen und unter Besprenkeln mit Weihwasser und Beräuchern mit Weihrauch in seine letzte Ruhestätte gelegt. Der Abt bedeckte den Toten mit etwas Erde. Wieder wurde eine Messe gelesen.
Margareta verließen alle Kräfte. Sie sackte zusammen und Philipp konnte sie gerade noch auffangen. Margareta hatte seit dem letzten Morgen, an dem sie vom Tode ihres Sohnes erfahren hatte, fast nichts mehr gegessen. Johanna und Grete führten die Burgherrin zu einem Wagen. Die Gesellschaft verabschiedete sich vom Kloster und brach auf Richtung Homburg. Dort brachte man Margareta in die Kemenate, während sich die Trauernden zur Totenfeier in den Rittersaal begaben.
Im großen Saal nahmen die Gäste Platz. Außer den Grafen, die zur Jagd gekommen waren, kamen auch noch andere, um von Simon Abschied zu nehmen, auch viele Leute aus dem Dorf waren gekommen und nahmen an den niederen Tischen Platz.
Karl aus Zweibrücken war mit seiner Gattin angereist. Er wandte sich an Philipp: „Es tut mir so leid, was mit Simon geschehen ist. Vor nur wenigen Tagen waren wir hier und haben mit ihm gelacht und Pläne für seine Zeit in Zweibrücken geschmiedet und jetzt ist alles vorbei!“
„Ich kann es auch kaum glauben und Margareta geht es gar nicht gut. Ich hoffe, dass sie sich bald wieder fängt“, entgegnete Philipp.
Karls Frau Marlene erhob sich: „Ich werde mal nach Margareta sehen. Sie tut mir so leid.“
Als Marlene gegangen war, kam Walther herein und setzte sich an die Tafel des Grafen. Er machte ein ernstes und trauriges Gesicht.
Abt Stephanus, der ebenfalls mit zur Homburg gekommen war und nicht weit entfernt von ihm saß, begrüßte ihn und fragte: „Na, Walther, wirst du im Frühjahr endlich zu uns kommen?“
Noch bevor Walther antworten konnte, schaltete sich Philipp ein: „Abt Stephanus, verzeiht uns bitte, dass wir unsere Pläne noch einmal überdenken müssen. In der jetzigen Lage werden wir Walther wohl auf der Burg brauchen, wo unser einziger Sohn und Erbe verstorben ist. Walther ist immerhin der Sohn meines Bruders.“
„Ich verstehe“, entgegnete der Abt, „doch ihr müsst auch an uns denken. Wir haben schon fest mit den Merburger Ländereien gerechnet. Eigentlich können wir nicht ohne Entschädigung darauf verzichten.“
Philipp runzelte die Stirn. Mit einer solchen Habgier und Unverfrorenheit der Klosterbrüder hatte er nicht gerechnet. Doch der Verlust seines Sohnes hatte seinen Kampfesgeist gebrochen, sodass er nur resignierend erklärte: „Ihr sollt die Merburger Ländereien trotzdem bekommen, aber dafür schuldet ihr uns einen Gefallen und haltet immer einen Platz für Walther frei.“
„Wir wissen Eure Großzügigkeit sehr zu schätzen, werter Graf“, erwiderte Stephanus und senkte ehrerbietend den Kopf.
Walther, der das Gespräch mit angehört hatte, atmete erleichtert auf. Der Plan war aufgegangen! Als ihn der Graf mit dem Schultheiß verhört hatte, dachte er schon, dass Philipp so wütend auf ihn wäre, dass er ihn von der Burg jagen würde, weil er Simon begleitet hatte. Doch nun sah doch alles ganz anders aus! Umso mehr musste er sich zusammennehmen und den Schein wahren. Was seine Freude ein wenig trübte, war die Tatsache, dass das Land seines Vaters trotzdem ans Kloster fiele, doch ein großer Teil der ursprünglichen Merburger Besitztümer gehörten ohnehin schon zur Homburg, was den Verlust wieder schmälerte.
Indes Walther sich über seine neue Zukunft heimlich freute, war Marlene bei Margareta angekommen. Diese lag in ihrem Bett und blickte abwesend an die Decke. Marlene ließ sich neben dem Bett der Gräfin auf einem Schemel nieder und umschloss ihre Hand.
„Margareta, es tut mir so leid, was würde ich nur dafür geben, um dir deinen Schmerz ein wenig zu erleichtern!“
Marlene begann leise zu schluchzen und verbarg ihr Gesicht in der Bettdecke.
„Keine Mutter sollte je ihr Kind verlieren!“
Margareta strich Marlene leicht über den Kopf und die beiden Frauen verharrten in ihrer Trauer, bis Grete eintrat und einen Krug mit frischem Wasser hereinbrachte.
„Herrin, wenn ich irgendetwas für Euch tun kann, sagt mir Bescheid. Ich bin immer für Euch da.“
„Ist schon gut Grete, du kannst gehen“, murmelte Margareta schwach. Grete verließ leise das Zimmer. Ihre Herrin tat ihr unendlich leid. Sie war zwar erst seit wenigen Jahren auf der Burg, doch sie hatte die Grafenfamilie lieb gewonnen. Sie waren nicht so überheblich, wie andere hohe Herren, die sie kennengelernt hatte. Außerdem waren sie zu ihrem Gesinde immer gerecht und stellten keine unmöglichen Forderungen. Vielleicht würde Margareta doch noch einmal schwanger werden. Noch war sie nicht zu alt dafür.
Am Abend traf sich Walther mit Jakob auf seinem Zimmer.
„Siehst du Jakob, unser Plan ist aufgegangen! Der lästige Simon ist aus dem Weg geschafft und Philipp hat dem Abt gesagt, dass ich doch nicht ins Kloster komme. Der gierige Hund hat gleich darauf bestanden, dass er die Merburger Ländereien trotzdem bekommt und Philipp hat ihm, ohne etwas entgegen zusetzen, nachgegeben. Aber was kümmert mich das, es bleibt noch genug!“
„Lasst uns das bei einem Becher Wein feiern, Herr! Doch vergesst nicht, vorsichtig zu sein! Niemand darf je auf den Gedanken kommen, dass wir etwas mit dem Unfall zu tun hatten. Ich bin nur froh, dass uns niemand gesehen hat und dass sich der Schultheiß so leicht täuschen ließ.“
Jakob schenkte zwei Becher Wein aus und die beiden prosteten sich zu.
„Ich glaube, Philipp wird mich als Erben hinnehmen. Nur Margareta müssen wir jetzt noch auf unsere Seite kriegen. Ich glaube, bei ihr wird es schwieriger, aber das werden wir auch noch hin bekommen! Prost Jakob! Auf unseren gelungenen Plan!“
Wieder prosteten sich die beiden zu. So ging es eine Weile weiter, bis Jakob betrunken ins Gesindehaus torkelte und Walther sich auf sein Bett fallen ließ und einschlief.