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Kapitel 5

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Auch Jakob konnte kaum Schlaf finden. Aus Angst, dass er verschlafen könnte, sah er dauernd aus dem Fenster, um am Stand des Mondes abzuschätzen, wie spät es war. Schließlich stand er leise auf. Er zog einen Mantel über und wickelte sein Bündel, welches aus den Essensresten, dem Trinkhorn und den Pfeilen bestand, in zwei warme Decken und schnürte sich das Ganze auf den Rücken. Dann holte er seine Armbrust, die er neben seiner Lagerstatt versteckt hielt, und hängte sie sich an einem Band über die Schulter.

Jakob verließ auf Zehenspitzen das Gesindehaus. Er konnte die Burg nicht durch das Haupttor verlassen, weil ihn die Wachen sonst bemerkt hätten. Deshalb schlich er hinter den Ställen, wo zum Glück noch alles ruhig war, zu einer kleinen Pforte zwischen den Palisaden, die im Belagerungsfall als Fluchtweg dienen konnte. Es ging von dort aus steil bergab und er schlitterte fast hinunter. Um auf den Weg zum Wald zu gelangen, musste er sich in östliche Richtung seitlich an der Bergnase entlang hoch bewegen, bis er nach dem Burggraben wieder auf den Bergrücken klettern konnte.

Er blieb im Schatten eines Busches stehen und blickte vorsichtig hoch. Der Weg lag in Blickrichtung der Wachen. Diese liefen von Zeit zu Zeit über den gewaltigen Wehrgang, um sicherzustellen, dass sich keine ungebetenen Gäste näherten. Als er gerade los wollte, entdeckte er einen der Männer und musste in seiner Position verharren. Der Wachposten ging langsam bis zum äußersten Ende der Anlage und spähte über den Übungsplatz in Richtung Wald. Er blieb eine Weile stehen, bis er seinen Gang fortsetzte.

Als Jakob sich gerade erheben wollte, drehte sich der Wachmann noch einmal um. Jakob hielt die Luft an und blieb wie erstarrt stehen, doch der Wachmann sah ihn nicht und wandte sich wieder um. Jakob wartete einen Moment, dann rannte er schnell los.

Nach kurzer Zeit erreichte er den Wald. Er kletterte durchs Unterholz, wo er nur langsam vorankam. Dornen stachen ihm durch die Kleidung ins Fleisch. Er riss sich seine Hosen leicht auf. Die Strecke bis zu den Felsen kam ihm in der Dunkelheit sehr lange vor. Hoffentlich hatte er sich nicht verlaufen. Er musste sich näher am Weg halten. Zum Glück schien der Mond, sodass er die Wege daran erkennen konnte, dass er ein dumpfes Licht sah, wenn er zum Himmel aufblickte.

Als er den Weg gefunden hatte, beschloss er auf diesem zu bleiben. Es dauerte nicht mehr lange, bis er den großen Felsen erreichte. Vorsichtig, damit er nicht abrutschte, kletterte er hinauf. Oben angekommen legte er eine Decke auf den Boden und machte es sich darauf bequem. Mit der zweiten Decke, die er mit Blättern tarnte, deckte er sich selbst zu. Pfeil und Bogen legte er in Position. So musste er nun warten, bis die Jagdgesellschaft eintraf. Falls er einschlafen würde, würde er sicher von dem Bellen der Hunde und den Rufen der Jäger rechtzeitig geweckt werden.

Zur gleichen Zeit, als Jakob noch durch den Wald irrte, wurde Simon von Walther geweckt.

„Wach auf Simon! Guten Morgen!“

Er rüttelte Simon an den Schultern. Dieser kam nur langsam zu sich.

„Was ist denn los Walther, müssen wir wirklich schon aufstehen?“

„Komm schon, du weißt doch, warum wir so früh raus müssen und mach nicht einen solchen Lärm. Es muss keiner mitkriegen, was wir vorhaben!“

Simon schlüpfte aus dem Bett und zog schnell seine Jagdkleidung über. Er packte den Sauzahn, den er, wie Walther ihm geraten hatte, unter seiner Schlafstatt versteckt hatte. Die beiden gingen über den Hof zu den Pferdeställen und sattelten zwei Pferde. Simon nahm sich seinen schwarzen Hengst und Walther nahm mit einer älteren gemächlichen Stute vorlieb, die er öfters zum Ausreiten benutzte. Die Stute würde ihn gewiss nicht abwerfen und ließ sich bei der Jagd sicher gut im Wald verstecken.

Sie warteten, bis die Wache sich auf den Weg zum Bergfried machte, um die ganze Gegend zu überblicken. Dann führten sie die Pferde zum Burgtor, öffneten es vorsichtig und brachten die Tiere zu dem großen Busch auf dem Übungsplatz, banden sie an und befestigten ihre Waffen an den Satteltaschen.

„Lasst uns zum Morgenmahl gehen, damit niemand etwas merkt.“

„Ich bin gespannt, ob ich es wirklich schaffen kann, ein Tier mit dem Sauzahn zu erledigen! Das war wirklich ein guter Plan, Walther. Ich hätte dir so etwas gar nicht zu getraut. Danke, dass du mich mitnimmst, obwohl ich in letzter Zeit nicht gerade nett zu dir war.“

„Ist schon gut, Simon! Außer dir wäre wohl niemand so verrückt, mir zu folgen!“

Walther lachte innerlich schallend, wenn Simon nur wüsste, wie das Ganze enden würde!

Er stützte sich auf seinen Gehstock und so gingen die beiden zurück in die Burg und begaben sich zum Rittersaal. Langsam erwachte der Burghof. Ritter, Jäger und Grafen ließen sich blicken, Knechte, Mägde und Pagen eilten herum und trafen Vorbereitungen für die kleine Morgenmahlzeit und die Jagd.

Im Rittersaal waren Walther und Simon die Ersten.

„Lass uns schnell etwas essen und dann verschwinden. Wir nehmen uns noch Proviant mit.“

Graf Philipp erschien ebenfalls.

„Guten Morgen Simon, du bist wohl schon ganz in Jagdstimmung und ich dachte schon, du würdest verschlafen.“

„Guten Morgen, Vater, ich muss noch ein paar Vorbereitungen treffen, Walther hilft mir dabei. Wir müssen leider schon aufbrechen, bestell Mutter liebe Grüße von mir.“

Simon und Walther erhoben sich; bevor Philipp noch etwas entgegnen konnte, trat Graf Augustin zu ihm und verwickelte ihn in ein Gespräch. So konnte er den beiden nur erstaunt nachsehen. Was die wohl jetzt noch erledigen mussten? Es waren doch schon alle Vorbereitungen getroffen.

Die beiden Vettern indes gingen wieder durch das Tor und winkten der Wache munter zu. Niemand konnte sie noch aufhalten. Sie nahmen ihre Pferde und ritten gemächlich den Weg zum Wald und folgten der Jagdroute. Da sie von Anfang an den breiten Weg benutzten, hatten sie nicht solche Probleme wie Jakob. Sie kamen gut voran und umrundeten schließlich den großen Felsen. Kurz darauf erreichten sie das Gebüsch, wo sie warten würden.

„Ich steige hier ab. Du führst die Pferde über den Hang dort drüben und bindest sie an. Dann kommst du wieder zu mir, es wird nicht mehr lange dauern, bis die Jäger kommen“, sagte Walther.

„Ich werde mich beeilen“, entgegnete Simon und brachte die beiden Pferde weg. Walther spähte zum Felsen hinüber, er kniff die Augen zusammen, doch er konnte nichts erkennen. Hoffentlich war Jakob da. Nervös kaute Walther auf seiner Unterlippe. Es dauerte eine Weile, bis Simon zurückkam.

Dieser kauerte sich gespannt neben Walther.

„Ich hoffe, es geht gleich los und es klappt, damit sich der ganze Aufwand auch gelohnt hat. Ich bin auf Vaters Blick gespannt, wenn er sieht, wie mutig ich bin!“

Gemeinsam warteten sie auf die Jäger.

Währenddessen hatte sich im Burghof die Jagdgesellschaft versammelt. Die Ritter, Grafen und Knappen saßen mit Pfeil und Armbrust bewaffnet auf ihren Pferden, die Taschen voll Proviant. Die Jäger trugen Lanzen und standen mit ihren Hunden bereit. Margareta sah durch die Reihen der Männer und versuchte Simon ausfindig zu machen, doch sie sah ihn nirgends. Sie wollte ihm noch Glück wünschen. Auch Philipp hielt nach ihm Ausschau. Wo mochte Simon nur bleiben? Sie konnten nicht länger warten, gleich würde es dämmern.

„Lasst uns losziehen bis zur Schneise!“, befahl Philipp und der Zug aus Edelmännern, Jägern und Hunden setzte sich in Bewegung. Die Hunde waren noch angeleint und zerrten ihre Herren aufgeregt hinter sich her. Sie versuchten, mit der Nase dicht am Boden die Witterung der Tiere aufzunehmen. Von Zeit zu Zeit war ein aufgeregtes Winseln zu hören. Die Reiter trabten mit ein wenig Abstand hinter den Jägern her. Als sie den Wald erreichten, dauerte es nicht mehr lange, bis sie zu der Schneise kamen, wo sie sich um Philipp versammelten.

Bruder Hubertus, der neben dem Grafen stand, sprach seinen Segen für die Jagd aus.

Dann ergriff Philipp das Wort: „Grafen, Ritter, Knappen und Jäger! Hiermit eröffne ich die Jagd! Möge derjenige mit den meisten Treffern gewinnen! Jäger los und Weidmannsheil!“

„Weidmannsdank!“, antworteten die Männer und bliesen in die Jagdhörner. Im gleichen Moment begann es zu dämmern und die Schützen machten sich auf den Weg zu ihren Positionen entlang des Fernwechsels.

Die Treiber und Hundeführer gingen langsam mit den laut bellenden Hunden los. Es dauerte nicht lange, bis die Hunde die ersten Tiere aufspürten. Von Kleintieren wie Hasen und Kaninchen wurden sie gleich wieder weggezerrt. Die Edelleute waren hinter Schwarzwild her. Ein Auerhahn wäre auch annehmbar.

Die Hunde nahmen die Fährte einer Wildschweinrotte auf und trieben die Tiere aus ihrem Einstand im Unterholz. Die Rotte, die aus fast zwanzig Tieren bestand, machte sich wütend auf den Weg durch den Wald. Die laut bellenden Hunde und lärmenden Jäger trieben die Wildschweine immer weiter. Ein Hund verbiss sich sogar im Fell eines Keilers und dieser rannte mit dem Hund im Schlepptau mit großer Geschwindigkeit weg. Die Schützen warteten bereits. Es war an der Zeit, dass man die Hunde bremste, damit sie nicht von den Pfeilen der Schützen getroffen wurden. Aus diesem Grund hatten früher die Grafen von Homburg mit einem Sauzahn gejagt, doch da dies sehr riskant für die Jäger war und so mancher einem wilden Keiler zum Opfer gefallen war, hatte man sich dazu entschlossen, lieber mit der Armbrust zu jagen.

Derweil lag Jakob in seine Decken gehüllt auf dem Felsen. Es fror ihn und die Knochen taten ihm weh. Er hatte von dem Brot und dem Braten gegessen und einen Schluck aus seinem Trinkhorn genommen. Da es nun hell war, konnte er bis zu den Büschen sehen, wo Walther und Simon warteten. Er hatte Simons Rücken genau im Visier. Von Zeit zu Zeit nahm er seinen Bogen und zielte auf Simon. Wenn nur schon alles vorbei wäre und er endlich seine unbequeme Stellung aufgeben könnte. Er hatte mehrere Äste so drapiert, dass ihn von der Jagdgesellschaft niemand sehen konnte, sogar dann nicht, wenn er sich ein wenig aufrichten würde, um besser mit zielen zu können. Sein Arm begann zu kribbeln, er machte sich Sorgen, dass die drei Pfeile, die er dabei hatte, nicht reichen würden. Hoffentlich ging kein Schuss daneben. Er musste seinem Herrn unbedingt diesen Gefallen tun, denn was würde aus ihm werden, wenn Walther ins Kloster müsste? An Walthers Seite, mit ihm als zukünftigem Grafen von Homburg, müsste er sich nie mehr um seine Zukunft Sorgen machen. Er wäre engster Vertrauter eines Grafen und könnte tun und lassen, was er wollte.

Jakob drehte den Kopf. Er hörte die Jäger näher kommen und bezog Position mit eingelegtem und gespanntem Pfeil und nahm Simon ins Visier.

Walther und Simon hielten sich ebenfalls bereit und duckten sich in den Büschen, damit die Jäger sie nicht sahen. Nun kamen die ersten Wildschweine um den Felsen geschossen. Hunde und Jäger hetzten hinter ihnen her. Sie stürzten ins Tal und Simon nahm den Sauzahn in die rechte Hand hob ihn hoch und stürmte los. Vor dem Teich wurde die Flucht der Tiere, die noch übrig waren, jäh gebremst.

„Schnell, Simon versuch eins zu treffen! Beeil dich!“, feuerte Walther seinen Vetter an und bewegte sich selbst gleichzeitig weiter nach links Richtung Hang, wo er hinkend im Unterholz verschwand. Simon hetzte mit angespanntem Blick auf einen Keiler zu und ließ den Sauzahn auf das Tier nieder krachen, als gerade die ersten Ritter um den Berg kamen, um die letzten Tiere zu erlegen. Doch da traf Simon ein Pfeil und durchbohrte die linke Seite seines Rückens. Simon zuckte zusammen und sank mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden.

Es dauerte einen Moment, bis die Männer die Situation richtig erfassten und sahen, dass einer der ihren niedergeschossen worden war und mit einem Pfeil im Rücken auf der Erde lag.

Graf Augustin zügelte sein Pferd und stieg ab. Er beugte sich zu dem Mann hinunter und drehte ihn zur Seite. Mit Entsetzen erkannte er den Sohn des Grafen. Er berührte seinen Hals, um zu fühlen, ob sein Herz noch schlug.

„Oh Gott, Simon ist tot! Der Sohn des Grafen wurde von einem Jagdpfeil getroffen!“

Die Neuigkeit ging wie ein Lauffeuer durch die Reihen der Männer, die bestürzt innehielten und keinen Gedanken mehr an das Wild verschwendeten.

Graf Philipp näherte sich bestürzt der Stelle, an der sein Sohn lag. Er konnte einfach nicht glauben, was er da sah. Sein einziger Sohn lag am Boden mit einem Pfeil im Rücken! Sein Blut tränkte den Waldboden und alles Leben war aus ihm gewichen. Philipp wurde ganz blass; er sah von einem Augenblick zum anderen um Jahre gealtert aus.

„Brecht die Jagd ab!“, befahl Philipp niedergeschlagen. Er stieg vom Pferd und beugte sich zu Simon hinunter. Er zog den Pfeil aus seinem Rücken und drehte ihn herum. Eine Träne lief ihm über die Wange und er schloss die Augen seines Sohnes. Philipp sah sich um und entdeckte wenige Meter weiter den Keiler mit dem Sauzahn und konnte eins und eins zusammenzählen. Mithilfe Augustins lud er Simon auf sein Pferd. Er steckte den Pfeil in die Satteltasche und nahm die Zügel des Pferdes, um seinen Sohn nach Hause zu geleiten. Die Edelleute stiegen ebenfalls von ihren Pferden ab und schlossen sich mit ernsten und traurigen Mienen dem Grafen an. Den Jägern gab man den Befehl mithilfe des Fuhrmanns die bereits erlegten Tiere einzusammeln und zur Burg zu bringen.

Als der Zug der Edelleute mit Philipp an der Spitze in der Burg ankam, hielten die zurückgebliebenen erstaunt inne. Margareta, die gerade mit Sophie und Agatha auf dem Weg zum Rittersaal war, sah erstaunt hinüber. Was machten die Jäger schon hier? Warum ritten sie nicht und warum sagte keiner ein Wort? Von einer bösen Vorahnung erfasst rannte Margareta über den Burghof und sah, dass einer der Männer über Philipps Pferd lag. Sie trat näher und erkannte entsetzt die Kleidung ihres Sohnes.

„Was ist passiert? Ist er etwa tot?“, fragte sie fassungslos. Sie sah nur Philipps sprachlosen Blick und sein kreideweißes Antlitz und stürzte sich auf Simon. Sie schlang ihre Arme um ihren Sohn und begann laut zu schluchzen.

„Was ist nur passiert?“

Philipp trat zu Margareta und zog sie von dem Leichnam weg. Er drückte sie an sich.

„Es war wohl ein Unfall. Simon wurde bei der Jagd von einem Pfeil in den Rücken getroffen.“

Die Edelleute verharrten in betretenem Schweigen.

Das Mal der Burgherrin

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