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Kapitel 7

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Einige Wochen, nachdem Simon zu Grabe getragen worden war, zog wieder Alltag in die Burg ein. Der Winter hatte sich des Landes bemächtigt und überall lag hoher Schnee. Die Fenster der Burg waren fest verschlossen und mit dicken Tüchern verhangen. Nur am Morgen ließ man frische Luft ein. Auf dem Burghof lag hoch Schnee und zwischen den einzelnen Gebäuden hatte man Wege freigeschaufelt. Die Tiere waren in den Ställen, wohin sich auch die Gaukler zurückgezogen hatten, als der Schneefall Anfang Dezember einsetzte. Eigentlich war nicht geplant, dass das fahrende Volk über den Winter bleiben sollte, doch nach den Ereignissen auf der Jagd hatten Philipp und Margareta nicht die Kraft sie einfach wegzuschicken. So mussten diese nun auch durchgefüttert werden. Im Gegenzug unterhielten sie die Tafel am Abend mit traurigen Weisen. Lustige Lieder, oder Trinklieder und Tänze duldete Margareta nicht. Dafür betrübte sie der Tod ihres Sohnes zu sehr.

Nach der Morgenmahlzeit traf sich Margareta mit den Edelfrauen in ihrem Gemach. Sie wollten ihre Näharbeiten fortsetzen. Nach langer Überwindung hatte sie sich dazu entschlossen, aus den Stoffen, die eigentlich für Simon bestimmt waren, ein neues Wams für Philipp zu nähen, sowie Wams und Hosen für Walther. Der hatte bei dem Brand vor einem halben Jahr alles verloren und trug die alten Sachen von Simon auf, die ihm nicht so gut passten.

Mittlerweile hatte sie sich zwar an Walther gewöhnt, konnte ihn aber einfach nicht in ihr Herz schließen, etwas an seiner Art, vor allem wie er manchmal das Gesinde umherhetzte, missfiel ihr.

Margareta hängte die Tücher von den Fenstern ihres Gemachs ab, damit genug Licht für die Näharbeiten hereinkam. Sie sah, dass es wieder zu schneien begonnen hatte. Die weißen Schneeflocken tanzten über den Dächern der Burg.

„Heute werde ich mit dem grünen Stoff beginnen. Ich glaube, es bleibt noch ein großes Stück übrig. Möchte jemand von diesem Stoff?“, fragte Margareta die vier Edelfrauen.

Hannelore, die Frau von Ritter Thomas meldete sich als Erste: „Das ist wirklich ein sehr schöner Stoff, Herrin. Thomas hat etwas zugenommen, seine Hose ist an einer Naht aufgeplatzt, als er sich gebückt hatte, um seine Schuhe an zuziehen. Ich habe sie wieder gestopft, aber weiter ist die Hose trotzdem nicht.“

„Das heißt, sie kann jederzeit wieder platzen und das könnte leicht peinlich werden, wenn er vor dem Grafen stehen würde“, machte sich Mabilia über Thomas lustig. „Eigentlich hätte mir der Stoff für Rupert auch gut gefallen, aber ich glaube, dein Mann hat die neuen Hosen wirklich nötiger.“

„Mir ist auch schon aufgefallen, dass Thomas ganz schön zugenommen hat! Er schlägt abends auch ordentlich zu, immer hat er den Teller vollgeladen. Vielleicht solltest du in die Hosen Abnäher einfügen, damit er sie weiterstellen kann, falls er noch mehr zunimmt“, merkte Eleonore an.

„Ach, im Frühjahr, wenn er wieder mehr Bewegung hat, wird das schon wieder“, entgegnete Hannelore.

Margareta, die ihren eigenen Gedanken nach gehangen hatte, drehte sich zu den Frauen.

“Ach, was würde ich nur darum geben, wenn ich bis zum Frühjahr deutlich zugenommen hätte.“

„Ihr wünscht Euch wohl unbedingt ein Kind, Margareta, aber das kann man nicht herzaubern. Wenn es Gottes Wille ist, werdet Ihr noch eins bekommen, aber wenn nicht, müsst Ihr Euch mit Walther abfinden“, erklärte Mabilia.

„Ich habe mal gehört, dass die Kräuterfrau, die hier öfters durch die Gegend kommt, ein Mittel hätte, welches einem erleichtern würde schwanger zu werden“, sagte Hannelore und legte ihre Näharbeit kurz nieder. Sie beugte sich vor zu den Edelfrauen und flüsterte ihnen zu: “Ich habe sogar gehört, dass Gräfin Lieselotte, die viele Jahre auf ihr erstes Kind warten musste, nur mit ihrer Hilfe schwanger wurde.“

Margaretas Augen begannen hoffnungsvoll zu leuchten.

„Jemand soll mir diese Frau herschaffen! Wisst ihr, wo sie zu finden ist?“

„Sie wohnt, glaube ich, in einer Hütte im Kirkeler Wald, nahe der dortigen Burg und heißt Magdalena, wird aber von allen nur Leni genannt“, antwortete Hannelore.

„Hoffentlich hört es auf zu schneien, damit morgen gleich jemand dorthin kann. Ich werde Rudolf, Bertas Mann, hinschicken. Er stammt aus der Gegend und kennt sich gut im Kirkeler Wald aus.“

Margareta lächelte zum ersten Mal seit Wochen. Die Edelfrauen sahen sich erleichtert an. Mabilia betete in Gedanken, dass die Kräuterfrau erfolgreich sein würde und Margareta, die seit vierzehn Jahren nicht mehr schwanger geworden war, endlich noch einmal guter Hoffnung wäre. Die Trauer, die die Gräfin befallen hatte, bedrückte den ganzen Hof. Es wurde Zeit, dass wieder etwas Freude in die Homburg einkehren würde.

Am nächsten Morgen machte sich Rudolf auf den Weg Richtung Kirkel. Der Schnee war hart gefroren, sodass er gut vorwärtskam, ohne in der weißen Masse zu versinken.

Er trug zwei Mäntel übereinander, einen wollenen Gugel und dicke Fäustlinge. Damit er besser durch den Schnee kam, hatte er sich ovale Bretter an die Füße gebunden. Zudem stützte er sich mit zwei großen Stöcken ab. Auf der einen Seite war er froh, dass er die Gräfin wieder lächeln gesehen hatte, aber auf der anderen Seite fluchte er, weil sie ihn bei diesem Wetter in die Kälte geschickt hatte.

Rudolf zog den Gugel fester um den Hals. Der weiße Hauch seines Atems war in der kalten Luft zu sehen. Im Gegensatz zu gestern schneite es heute nicht. Er ging über den Bergrücken und bog dann nach Norden Richtung Dorf ab. In dem Flecken war alles ruhig. Aus den Kaminen der Häuser sah man den Rauch der Feuer aufsteigen. Die Fenster und Türen waren fest verschlossen und die Leute hatten ihre Schweine mit ins Haus genommen, damit diese nicht frieren mussten und mithalfen, die Räume aufzuwärmen. Zwischen den einzelnen Häusern hatte man Wege freigeschaufelt.

Rudolf verließ die Ortschaft und begab sich auf den Weg in Richtung Südwesten. Sogar die Sonne ließ sich blicken. Es war ein schöner Wintertag und je länger er unterwegs war, desto besser wurde seine Laune.

Vielleicht würde ihm die Wanderung durch die gefrorene Sumpflandschaft, die sich zwischen der Homburg und dem Kirkeler Wald erstreckte, auch gut tun.

Er wanderte über die flache Ebene, die sobald im Frühjahr das Tauwetter einsetzen würde, überflutet wäre. Zur Linken erstreckte sich der Ort Beeden mit der Kirche und rechts sah er Limbach liegen, wo gleich die Mühle folgte, in der die Bauern der Gegend ihr Getreide mahlen ließen. Sein Weg führte ihn noch ein gutes Stück über die Ebene, bis er endlich zum Wald kam. Der Wald gehörte zum Vierherrenwald, der diesen Namen trug, weil hier vier Grafen Rechte und Besitze hatten. Das waren die Grafen von Homburg, Saarwerden, Kirkel und Blieskastel, wobei der Graf von Homburg das Sagen hatte. Rudolf schlug einen Weg ein, der durch ein Tal führte. Links und rechts von ihm erhoben sich gewaltige Bäume. Irgendwann musste er steil bergauf gehen, was bei dem Schnee nicht so einfach war. Er rammte die Holzränder seiner Schuhbretter in den Schnee, damit er nicht abrutschte. Als er endlich den Gipfel erreicht hatte, war er schweißgebadet. Er machte eine kurze Pause und trank von dem Wasser aus seinem Trinkhorn, welches er sich mitgenommen hatte. Nur weil er sich das Horn unter den Mänteln direkt auf den Körper gebunden hatte, war das Wasser nicht gefroren. Er nahm mehrere Bissen Brot und begab sich dann frisch gestärkt den steilen Weg bergab. Das war fast noch schwieriger als bergauf, weil er mit seinen Brettern dauernd rutschte und aufpassen musste, dass er nicht hinfiel.

Kurz vor Mittag erreichte er endlich die Hütte der Kräuterfrau und klopfte an die hölzerne Tür.

„Leni, hier ist Rudolf. Ich habe mal in Kirkel gewohnt, meine Eltern waren Zeitler hier. Ich komme im Auftrag der Gräfin Margareta von Homburg. Öffne bitte die Tür!“

Im Haus hörte man, wie jemand die Riegel zur Seite schob. Eine Frau, die die vierzig noch nicht überschritten hatte, mit einem freundlichen, aber blassen Gesicht blickte ihm entgegen. Eine rotbraune Strähne guckte unter ihrem Kopftuch hervor. Sie trug ein braunes, wollenes Gewand.

„Was willst du hier mitten im Winter? Ist deine Gräfin etwa krank? Ihr habt doch in eurem Tal selbst einen Doktor oder hat der Mal wieder zu tief in den Krug geguckt?“

„Die Gräfin hat doch ihren fast erwachsenen Sohn verloren und ist jetzt ganz verzweifelt. Sie wünscht sich ein neues Kind, einen Erben. Eine der Edelfrauen hat ihr erzählt, dass du ein Mittel hättest, welches ihr helfen könnte, genau wie bei Gräfin Lieselotte.“

„Gräfin Lieselotte war kinderlos, weil sie eine Entzündung im Unterleib hatte. Nachdem diese Entzündung abgeheilt war, konnte sie ein Kind empfangen. Aber wenn nicht irgendwelche körperlichen Beschwerden an der Kinderlosigkeit schuld sind, kann nur Gott helfen.“

„Das kannst du der Gräfin selbst sagen, sie erwartet dich bis spätestens heute Abend.“

„So etwas ist doch kein Notfall, kann das nicht warten, bis es wieder etwas wärmer ist? Will sie eine arme Frau wie mich bei diesem Wetter wirklich durch die Gegend hetzen?“

„Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, als mit zukommen. Das ganze Gesinde auf der Burg ist schon ganz verzweifelt, weil die Gräfin so unglücklich ist. Die Aussicht auf eine neue Schwangerschaft hat ihr wieder Hoffnung gegeben. Außerdem wartet eine große Belohnung auf dich.“

„Also gut, ich werde mich fertig machen, aber lass uns zuerst zu Mittag essen, damit wir gestärkt durch die Kälte gehen können. Der Eintopf kocht schon.“

„Das ist eine gute Idee. Ich kann ohnehin etwas Warmes gebrauchen!“

Rudolf setzte sich an den Tisch und Magdalena schenkte Gemüseeintopf aus, in dem ein paar Fleischreste schwammen. Rudolf löffelte begierig die warme Suppe. Die Bewegung an der frischen Luft hatte ihn hungrig gemacht. Als sie fertig waren, räumte Magdalena das Geschirr weg und packte ihre Sachen. Sie zog einen zwar warmen und pelzbesetzten, aber leicht abgenutzten Mantel über. Sie hatte ihn einmal von einem Grafen geschenkt bekommen, zum Dank dafür, dass sie seiner Frau das Leben gerettet hatte. Dann hängte sie sich ihren Beutel um, in dem sie verschiedene getrocknete Heilkräuter, Salben, Seife, Stoffläppchen, Tücher, eine Kerze, sowie ein kleines sauberes Messer und eine Pinzette aufbewahrte. Sie legte eine Brotkruste hinein und füllte ihr Trinkhorn. Über ihr Kopftuch zog sie eine wollene Mütze und dann nahm sie sich Handschuhe, Schal und zwei Stöcke zum Abstützen. Auch sie befestigte an ihren Schuhen ein Paar ovale Bretter.

Nun begaben sich die beiden auf den Weg zur Homburg. Der Rückweg kam Rudolf kürzer vor, wahrscheinlich, weil er nun jemanden zum Unterhalten hatte. Magdalena erzählte ihm Geschichten aus seiner alten Heimat. Es machte ihn glücklich von längst vergessenen Leuten aus seiner Kindheit zu hören.

„Seit wann bist du nicht mehr in Kirkel?“

„Seit fünfzehn Jahren, so lange kenne ich meine Berta schon.“

„Übst du im Homburger Wald auch das Zeitlerhandwerk aus?“

„Nein, ich bestelle den Garten auf der Burg und kümmere mich um die Hühner, Kühe und Schweine. In den ganzen Jahren, die ich schon dort bin, konnte ich mich nie über meine Herrschaften beschweren und auch der junge Simon war mir ans Herz gewachsen. Sein Tod hat mich sehr getroffen.“

„Das kann ich mir vorstellen. Wer würde denn Herr der Homburg werden, wenn der Graf keinen Sohn mehr bekäme?“

„Wahrscheinlich dieser Walther von der Merburg. Ich habe gehört, dass sein Vater Dietrich ein ganz schön strenges Regiment geführt hat und das Gesinde oft auspeitschen ließ. Walther scheint mir auch nicht besser zu sein. Da könnten wir uns auf etwas gefasst machen!“

Es begann zu dämmern, als Rudolf und Magdalena auf der Homburg ankamen. Im Rittersaal wartete die Gräfin bereits ungeduldig. Sie kam den beiden entgegen.

„Na, da seid ihr ja endlich, ich dachte schon euch wäre auf dem Weg etwas zugestoßen! Vielen Dank, Rudolf, dass du Magdalena hergebracht hast. Du kannst jetzt gehen und dich ausruhen. Berta hat sich schon Sorgen gemacht.“

Magdalena knickste vor der Gräfin und trat näher.

„Rudolf hat mir von Eurem Problem erzählt, werte Gräfin. Ich weiß aber nicht, ob ich Euch wirklich helfen kann.“

„Lass uns erst einmal in die Kemenate gehen. Dort können wir das Ganze in Ruhe bereden.“

Magdalena folgte Margareta durch das Treppenhaus. Die Gräfin wies Magdalena an, an einem kleinen Tisch Platz zu nehmen und bat Grete etwas zu trinken zu bringen.

„Ich habe gehört, dass du Gräfin Lieselotte nach langer Kinderlosigkeit zu Nachwuchs verholfen hast.“

„Das ist zwar richtig, aber Lieselotte litt an einer starken Entzündung im Unterleib, die ich mit verschiedenen Kräutern heilen konnte und danach konnte sie Kinder empfangen.

Kommt Eure monatliche Blutung regelmäßig und wie lange dauert sie ungefähr an, Herrin?“

„Meine Blutungen kommen regelmäßig und sind so stark, wie bei jeder anderen auch, denke ich.“

„Leidet Ihr unter Schmerzen im Unterleib?“

„Eigentlich nicht.“

„Ich werde Euch untersuchen, aber ich bezweifle, dass ich Euch unter diesen Umständen helfen kann. Lasst mir von Eurer Zofe eine Schüssel mit frischem Wasser bringen und ein paar saubere Tücher.“

Margareta rief Grete und ließ sie die Sachen bringen. Die Kräuterfrau legte ein Tuch auf das Bett und wusch sich die Hände gut mit Seife aus ihrem Beutel. Dann bat sie die Gräfin, sich hinzulegen. Sie schob die Röcke beiseite und tastete den Unterleib ab.

„Ich kann nichts Ungewöhnliches entdecken. So wie es aussieht, seid Ihr vollkommen gesund. Ich kann keinen Grund erkennen, warum Ihr nicht noch ein Kind gebären solltet. Verkehrt Euer Mann noch regelmäßig mit Euch?“

„In den letzten Jahren ist es etwas seltener geworden, aber ich kann mich nicht beklagen.“

„Achtet darauf, dass er vor allem knapp zwei Wochen nach dem Beginn Eurer Blutung mit Euch verkehrt. Ich gebe Euch eine Teemischung. Von der sollt Ihr täglich drei Becher trinken. Ansonsten kann nur Gott Euch helfen.“

Magdalena gab der Gräfin einen Beutel mit einer Mischung aus Frauenmantelkraut und Schafgarbe, die sie öfters bei Frauenleiden empfahl. Margareta sah ein kleinwenig enttäuscht aus. Sie hatte so gehofft, dass die Kräuterfrau ihr helfen könnte. Aber sie würde die Ratschläge auf jeden Fall befolgen, vielleicht hatte sie doch Glück.

„Vielen Dank für deine Hilfe.“

Margareta reichte Magdalena einen kleinen Beutel mit Münzen.

„Lasst uns nun hinuntergehen zum Essen. Du kannst heute Nacht hier schlafen. Johanna zeigt dir eine Kammer und morgen früh wird Rudolf dich wieder heimgeleiten, nicht, dass dir unterwegs noch etwas passiert.“

Das Mal der Burgherrin

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