Читать книгу Das Mal der Burgherrin - Sabine Müller - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеMargareta erwachte in den frühen Morgenstunden. Draußen war es noch dunkel, doch sie konnte nicht mehr einschlafen. Vorsichtig schlich sie sich aus dem Bett, um ihren Gatten nicht aufzuwecken. Sie ging in das Ankleidezimmer, wo auf der Anrichte bereits frisches Wasser stand und wusch sich ein wenig ab. Die Gräfin betrachtete sich im Spiegel; trotz ihrer dreiunddreißig Jahre sah sie immer noch jung und frisch aus. Der einzige Makel war ein lindenblattförmiges, braunes Mal unter ihrem linken Schlüsselbein. Philipp sagte immer es wäre wie ein Siegel, an dem er sie jederzeit erkennen könnte. Schon ihre Mutter zierte ein solches Mal, ihr Sohn Simon hingegen hatte es nicht geerbt. Im Sommer trug sie immer einen dünnen Schal, der die Stelle verbarg. Sie rief nach ihrer Zofe. Eine junge Frau mit braunen Haaren, in das schlichte braungraue Gewand der Dienerschaft gekleidet, kam herbeigeeilt.
„Guten Morgen Herrin, habt Ihr gut geschlafen?“
Die Zofe half Margareta in ein dickes blaues Wollkleid.
„Nehmt Platz, ich mache Euch die Haare.“
Margareta setze sich auf einen Schemel und ließ sich die Haare kämmen und flechten.
„Hast du gesehen, Grete, ob die Herrschaften aus Zweibrücken schon aufgestanden sind? Sie wollten zeitig aufbrechen.“
„Der Herr und die Dame haben sich schon angekleidet und packen gerade ihre Sachen zusammen, Herrin.“
„Das ist gut, dann können wir uns bei der Morgenmahlzeit noch verabschieden.“
Die Zofe steckte die Zöpfe der Gräfin hoch und setzte ihr eine weiße Haube auf. Dann legte sie ihr einen weißen gestrickten Schal um den Hals.
„Heute Morgen kommt ein Tuchhändler hoch zur Burg. Er will mir seine Stoffe zeigen. Für den Winter können wir noch einiges gebrauchen, damit wir neue Kleidung stricken und nähen können. Simon hat einen ordentlichen Schuss gemacht, er braucht unbedingt noch ein paar neue Sachen.“
„Das werden sich die Edelfrauen bestimmt auch ansehen wollen.“
Mittlerweile war Philipp ebenfalls erwacht. Sein Kammerdiener half ihm beim Ankleiden, dann trat er auf Margareta zu und küsste sie. Er liebte seine Frau sehr. Margareta war Philipps zweite Gemahlin, seine erste Frau Cornelia war im Kindbett zusammen mit ihrer Tochter gestorben. Lange kam er nicht über diesen Verlust hinweg. Doch dann heiratete er vor fünfzehn Jahren die damals achtzehnjährige Margareta von Ochsenstein. Es dauerte eine Weile, bis er das Vertrauen der jungen Frau gewonnen hatte, doch mit den Jahren wurden sie ein wirklich glückliches Paar. Leider hatte Gott ihnen nur ein Kind geschenkt.
Sie begaben sich gemeinsam auf den Weg zu der kleinen sechseckigen Kapelle, die sich südlich des Palas auf der Unterburg befand. Der Innenraum war weiß gekalkt, das Fenster auf der Ostseite hatte hübsche bunte Glasscheiben und davor befand sich ein kleiner Altar mit einem goldenen Kreuz. An der Westwand stand ein Weihwasserbecken. Beim Eintreten bekreuzigten sie sich. Bruder Hubertus wartete bereits und begann gleich mit der Morgenandacht. Nach deren Beendigung gingen sie in den Rittersaal.
Das Auftragen der Morgenmahlzeit war bereits in vollem Gange. Auch die Zweibrücker kamen gerade herunter.
„Guten Morgen. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen.“
„Ja, danke. Guten Morgen.“
„Es ist schade, dass ihr nicht noch ein paar Tage länger bleiben könnt. Die Jagd und das anschließende Festmahl hätten euch bestimmt gefallen.“
„Das tut uns auch leid, aber Karl muss zurück zu Graf Walram.“
Die Pagen hatten nur zwei Tische gedeckt. Das Gesinde speiste morgens in der Küche und im Gesindehaus und aß dort auch eine Kleinigkeit zu Mittag. Nur abends wurde ein gemeinsames Mahl im großen Rittersaal abgehalten. Sie stellten nun frischgebackenes Brot, Butter, Käse und Äpfel auf den Tisch und reichten dazu Milch und verdünnten Wein.
Nach dem Essen erhoben sich die Gäste und verabschiedeten sich von Margareta und Philipp.
„Richtet Simon noch Grüße von uns aus. Wir freuen uns auf ihn. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.“
„Das hoffen wir auch, kommt gut heim, auf Wiedersehen!“
Die Zweibrücker begaben sich zu ihren Gefolgsleuten und brachen auf.
Margareta nahm sich einen Apfel. Sie hatte gehofft Simon an der Tafel zu treffen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln, doch dieser schlief noch, genauso wie die anderen Ritter. Nachdem sie den Apfel gegessen hatte, wandte sie sich an Philipp: „Ich gebe Johanna noch ein paar Anweisungen, was sie alles im Tal besorgen soll. Gleich kommt der Tuchhändler mit seinen Stoffen.“
„Ich lass dem Fuhrmann sagen, dass er den Zweispänner für die Hauswirtschafterin richtet.“
„Danke, ich gebe ihr Bescheid.“
Sie erhob sich und verließ ebenfalls den Saal. Dann trat sie auf den Hof. Es dämmerte gerade und Margaretas Blick wanderte über die Burganlage, die immer mehr zum Leben erwachte. Sie bestand aus einer Oberburg, die auf einem Felsplateau errichtet worden war, und einer Unterburg, die sich ein Stück tiefer, um den Felsen herum gruppierte. Auf dem Plateau befand sich der schmale, lange Palas mit den Gemächern von Simon, Walther, Bruder Hubertus und den Rittern. Auch Gäste wurden dort untergebracht und es gab einen Baderaum. Knappen und Pagen schliefen im Dachgeschoss. An den Palas schloss sich im Westen ein breiterer Bau an, in dem sich im Erdgeschoss der Rittersaal und im Obergeschoss die Kemenate der Grafenfamilie sowie Margaretas privates Gemach befanden.
Ein weiteres Gemach stand leer. Es gehörte Philipps Halbbruder, Ludwig von Saarwerden. Dieser war der Sohn von Philipps Vater Friedrich II. und seiner ersten Frau, die kurz nach dessen Geburt verstarb. Ludwig kämpfte 1278 für König Rudolf von Habsburg in der Schlacht von Dürnkrut. Er war einer von sechzig Rittern, die in der Schlacht unter Führung von Ulrich von Kapellen auf dem Marchfeld die entscheidende Wendung brachten. Die Mannen Ottokars von Böhmen wurden in die Flucht geschlagen, obwohl diese zahlenmäßig überlegen waren, und König Rudolf konnte seinen Thron behaupten. Wie viele, die sich in der Schlacht besonders hervorgetan hatten, erhielt auch Ludwig eine Lehensburg in Österreich.
Nach der Schlacht zog er mit seiner Gemahlin Biella von Saarbrücken auf seine neue Burg. Er verzichtete auf alle Rechte an der Homburg.
Margareta überquerte den Oberhof, welcher durch eine Mauer mit Zinnen begrenzt wurde, und stieg die Treppe zur Unterburg hinunter. Dort befanden sich gleich an den Felsen angebaut Marstall und Küche. Gegenüber erhoben sich Gesindehaus und Schmiede, die an die nördliche Mauer angrenzten.
Östlich an das Felsplateau schloss der hohe Bergfried an, in dem sich das Turmgemach des Grafen befand und von dem aus man die ganze Gegend sowie die Via Regalis, die große Heerstraße, überblicken konnte. Auf der Turmspitze wehte eine Fahne mit dem Wappen der Grafen von Homburg – ein weißer Löwe auf blauem Grund – im Wind. An den Turm schlossen die Schildmauer und der tiefe Halsgraben an, welche die Bergnase nach Osten sicherten.
Im Süden vor der kleinen Kapelle befanden sich Keller und Waffenkammer. Im Westen lagen die Stallungen für die Hühner, Kühe und Schweine sowie ein Garten, in dem Gemüse und Kräuter angebaut wurden und ein paar Apfelbäume wuchsen. Dort war die Anlage nur von Palisaden begrenzt, da der anschließende Hang so steil war, dass man keine Mauer benötigte.
Auf dem Unterhof trotteten ein paar Jagdhunde. Nebel und Dunst stiegen von der Burg in Richtung Tal ab. Der Gestank nach Tieren, insbesondere Schweine, Mist und Rauch hing über dem Burghof.
Margareta schlang ihren Schal fester um sich und begab sich in die Küche, wo sie die Hauswirtschafterin Johanna antraf.
„Johanna, Fuhrmann Berthold fährt dich gleich hinunter ins Tal, damit du die Bestellungen für die Jagd aufgeben kannst.“
„Wie Ihr wünscht, Herrin.“
Johanna knickste und ging hinaus auf den Hof, wo bereits der Zweispänner wartete, und nahm auf dem kleinen Karren Platz. Die Pferde setzten sich in Bewegung. Sie fuhren durch das Burgtor, den Bergrücken entlang, bis sie zu dem steilen Weg gelangten, der den Berg hinunter Richtung Dorf führte. Berthold musste den Bremshebel ordentlich ziehen und die Pferde sehr langsam traben lassen, damit sie von dem Wagen nicht den Berg hinunter getrieben wurden. Auf dem Berghügel, der früher von einem Buchenmischwald umgeben war, wuchsen nur noch Gräser und Sträucher und ein paar vereinzelte Bäume. Die übrigen Bäume waren zahlreichen Rodungen zum Opfer gefallen.
Die kleine Siedlung erschien in ihrem Blickfeld. Um einen großen Platz, auf dem sich ein Brunnen befand, gruppierten sich mehrere Häuser. Nur das große Wirtshaus und das Haus des Steinmetzes waren aus Steinen gemauert. Schultheiß, Bäcker, Krämer und Wundarzt hatten strohgedeckte Fachwerkhäuser mit Steinsockel. Um diese besseren Häuser siedelten sich die einfachen Hütten der Burgmannen an, die, wenn sie nicht gerade für den Grafen arbeiteten, einfachen Handwerken, wie Drechseln, Weben, Töpfern oder Schuhe flicken nachgingen. Weiter unten, am Erbach, der munter dahin plätscherte, befand sich das Haus des Metzgers.
Drei Mägde standen an einem Brunnen und unterhielten sich. Neugierig blickten sie zu dem Zweispänner. Der Karren hielt schließlich vor dem Haus des Krämers. Berthold sprang herunter und half Johanna beim Absteigen. Diese klopfte sogleich an die Tür des Ladens und trat ein.
„Guten Morgen, Johanna.“
„Guten Morgen. Ich möchte ein paar Dinge für die Drückjagd bestellen. Die Sachen musst du für morgen richten. Berthold holt sie in der Frühe bei dir ab.“
„Dann sag mir, was ihr braucht.“
„Wir brauchen drei Krüge Honig, vier Fässer Wein, sechs Krüge Met und ein Fass Salzheringe.“
„Morgen früh steht alles bereit.“
Johanna verabschiedete sich von dem Krämer und fuhr mit Berthold weiter zu dem Bauernhof östlich des Ortes. Das Gebiet um die Homburg herum bestand hauptsächlich aus unfruchtbarem Bruch mit Schilfgräsern. Nur auf höher gelegenen Flächen war Ackerbau möglich.
Das Gehöft, welches schon von weitem zu sehen war, war ein Lehen der Burg und hieß Naunhof. Dort ließ sie ebenfalls Dinge für die Jagd richten, in erster Linie Gemüse wie Rüben, Karotten, Kohl, und Nüsse aber auch Schinken und ein Schwein zum Braten. Bei so vielen Gästen mussten zu den Lehnabgaben noch Dinge hinzugekauft werden.
Kurz vor Mittag kehrten Johanna und Berthold zurück.
In der Zwischenzeit war der Tuchhändler eingetroffen und Margareta und die Edelfrauen hatten sich die Stoffe angesehen.
Nach einigen Verhandlungen erwarben sie grünen, braunen, hellblauen, weißen und beigen Stoff und dazu noch Wolle und Garn. Nun würden die Frauen an den kalten Wintertagen eine Beschäftigung haben.
Margareta beschloss nach Simon zu sehen und machte sich auf den Weg zum Ritterübungsplatz, der sich östlich vor der Burg befand. Dort angekommen entdeckte sie ihn gleich. Simon war mit ein paar Rittern zu Gange. Auch Walther war dabei und machte eine scherzhafte Bemerkung zu seinem Vetter. Er wirkte nicht so verbittert wie sonst. Vielleicht würden die beiden doch noch Freunde werden. Aber ganz traute sie Walther nicht über den Weg. Er war so übellaunig und verschlossen. Man konnte es ihm nicht verdenken, bei allem, was er durchgemacht hatte. Trotzdem war sie froh, dass er nach dem Winter endlich ins Kloster gehen würde.
Als Simon sie erblickte, lächelte er kurz in ihre Richtung. Die Gräfin sah eine Weile bei den Übungen zu. Sie war sehr stolz, als sie sah, wie Simon so geschickt mit dem Schwert umgehen konnte.
Als sie zurück zur Burg ging, fragte sie in der Küche die Köchin, eine ältere, rundliche und gutmütige Frau namens Berta, wann das Essen fertig sei.
„Der Eintopf ist bald gar, werte Gräfin.“
Margareta stieg hinauf in den Bergfried zu Philipps Turmgemach, um ihn zum Essen abzuholen. Sie klopfte an und trat ein.
„Na, wie war dein Morgen?“
„Ganz gut. Habt ihr Stoffe herausgesucht?“
„Ja, ich kann Simon ganz neu einkleiden. Kommst du mit zum Essen?“
„Das ist ein guter Vorschlag.“
Im Rittersaal hatten sich Ritter und Knappen einschließlich Simon und Walther bereits eingefunden, als der Graf und die Gräfin eintraten. Das Training an der frischen Luft hatte sie hungrig gemacht. Sie unterhielten sich angeregt. Margareta nickte ihnen lächelnd zu. Sie nahmen am Kopfende der Tafel Platz und der Mönch sprach einen Segensspruch. Das Mahl wurde eröffnet. Die Pagen verteilten das Essen und schenkten Getränke aus. Die Ritter aßen begierig von dem warmen Eintopf und tranken verdünnten Wein dazu. Alle sprachen von der bevorstehenden Jagd und wie man es am besten anstellen sollte, „König der Jagd“ zu werden, denn dieser bekam nicht nur das beste Stück des Bratens, sondern auch noch ein Fass Wein. Auch Simon malte sich seine Chancen aus, was Philipp aber belächelte, weil er nicht glaubte, dass ein Vierzehnjähriger, der noch nicht einmal Knappe war, zu so etwas fähig sein sollte. Bei der Jagd waren sehr erfahrene Jäger zugegen.
Als das Mittagsmahl zu Ende war, beschloss Margareta sich mit den Edelfrauen der Burg in ihren privaten Gemächern zu treffen, um zu planen, was für die Jagd noch zu richten sei.
Sie gingen den ganzen Ablauf durch. Am Vortag der Jagd würden im Laufe des Nachmittags die Gäste eintreffen. Es kamen vier Grafen und höhere Herren zusammen mit ihren Gattinnen, Rittern und Gefolgsleuten. Abends würden sie dann gemeinsam speisen. Die Edelleute würden in den Gästekammern des Palas schlafen. Ritter und Gefolge müssten bei den Knappen auf dem Dachboden und im Gesindehaus untergebracht werden. Vielleicht müsste auch jemand im Wirtshaus übernachten. Das Mahl würde nicht zu lange dauern, da die Jagd vor Sonnenaufgang eröffnet werden sollte. Nach der Jagd würden die Tiere ausgenommen, Felle gehäutet und das Fleisch, welches für abends bestimmt war, gerichtet werden. Die Reste sollten zu Schinken, Wurst und Pökelfleisch verarbeitet werden. Einen Teil durften die Grafen mitnehmen, aber der größte Teil blieb auf der Homburg. Abends würde ein Festmahl abgehalten werden, auf dem der „König der Jagd“ gefeiert werden würde. Sie hatten sogar ein paar Gaukler bestellt, die für ausreichend Unterhaltung sorgen sollten. Am darauf folgenden Tag würde die Gesellschaft wieder aufbrechen.