Читать книгу See des ewigen Lebens / Maxi II - Sabine Teyke - Страница 3
I
ОглавлениеDer lange kalte Winter ist endlich vorbei, es ist unser zweiter in diesem Land.
Vor ein paar Tagen sind wir das erste Mal wieder richtig hinausgegangen.
Davor immer nur die zwei Mauslängen zum Wasser, um unseren Durst zu stillen.
Die Sonne fühlt sich eindeutig wärmer an und die Pflanzen zeigen erste winzige Triebe. Beatus will gleich seine Runde machen, seine Sammelleidenschaft hat natürlich im Winter gelitten, als Ersatz sozusagen, hat er Pflanzenkunde unterrichtet, keiner kennt sich da besser aus als Beatus.
Berti und Activa sichten die Vorräte, es ist überraschend viel übrig, mehr als gedacht. Man kann sie den ganzen Tag, fröhlich plaudernd, beim Umschichten und Herumtragen von Nahrung, beobachten. Sie sind ganz in ihrem Element.
Mutter hat sich überraschenderweise im Winter wieder erholt, keiner weiß warum, denn vor dem Winter verließ sie kaum noch ihr Nest, höchstens um zu trinken.
Inzwischen ist sie zwölfhundertsechzig Tage alt, für eine wilde Maus ein langes Leben. Die meisten sterben vor ihrem achthundertsten Lebenstag. Sie schiebt es auf die langen Spaziergänge, die sie täglich im Erdbau gemacht hat, aber mehr ist aus ihr nicht herauszubekommen.
Ich freue mich natürlich, wir alle haben uns große Sorgen um sie gemacht, kann es aber nicht verstehen. Sie wirkt richtig vital. Und merkwürdigerweise auch wieder jünger, so etwas ist doch nicht möglich, oder? Ich stelle mir vor, dass MUS ihr vielleicht geholfen hat, aber wie? Da Mutter nichts weiter dazu sagt, beschließe ich selbst den Erdbau zu erforschen. Wir sind bis jetzt nie weiter als zu den ersten zwölf Erdhöhlen gekommen, es bestand nie ein Anlass dazu.
Benedikte zuckt neben mir zusammen, erstarrt kurz.
„Du musst immer weitergehen, Mama.“ Sagt sie dann. Kann sie Gedanken lesen, oder meint sie etwas ganz anderes, etwas, dass nichts mit der Erforschung des Erdbaus zu tun hat? Als Orakel sagt sie sehr oft Sachen, die man nicht so richtig einordnen kann, erst in bestimmten Situationen, ergibt alles einen Sinn.
Ich lege diese Weissagung in meinem Gedächtnis ab, und gehe kurz zu Berti ins Lager.
„Wie lange reicht das Essen eigentlich noch, Berti?“
Er hebt den Kopf und lächelt mich an.
„Ah Maxi, noch mindestens dreißig Tage. Wir haben es tatsächlich geschafft, bevor es zu kalt wurde, sehr viele Lebensmittel einzulagern. Obwohl wir deutlich mehr Leute waren, als letzten Winter. Ich bin sehr zufrieden.“ Ich danke ihm und verschwinde im Erdbau, dessen Eingang gleich neben der großen Vorratskammer liegt.
*
Tara und Karl hatten ihre Höhle nach dem Winter, erst gestern, wieder offiziell geöffnet. Sie saßen draußen vor dem Eingang in der milden Frühlingssonne und unterhielten sich.
„Diesmal haben wir uns alle selbst übertroffen im Herbst, die Nahrung hat bis jetzt gereicht, und ein paar Tage kommen wir auch noch aus damit, dank Dir Karl, Du hast Dich wirklich angestrengt, das zu organisieren. Das hätte ich nie von Dir gedacht.“ Tara lächelt Karl freundlich an. Der windet sich ein bisschen, Lob glaubte er nicht verdient zu haben.
„Danke, dass Du das so siehst, es stimmt, ich habe mich bemüht. Aber ich sehe das alles als Teil meiner Buße an.“ Karl hatte damals nichts unternommen, als die Stadt von den Menschen zerstört worden ist, es belastete ihn immer noch. Tara winkte ab.
„Ich finde, Du hast bewiesen, dass Du in einer Gemeinschaft einen wichtigen Beitrag leisten kannst, das ist wichtig, es nutzt allen...“
In diesem Moment ertönte ein lautes Geräusch, das beide zusammenzucken ließ. Eine der Maschinen setzte sich in Bewegung und kam direkt auf sie zu.
Panisch rannten Tara und Karl in den Bau, um die Anderen zu warnen.
Kaum waren sie im Eingang verschwunden, bebte die Erde, das Eingangsloch wurde wie von Geisterhand verschüttet, und im Bau rieselte überall Erde herab. Dann gab es zwei laute Schläge, die den ganzen Bau erschütterten und dann nichts mehr. Die plötzlich einsetzende Ruhe erschreckte sie genauso, wir vorhin der Lärm. Alle drängten sich schutzsuchend um Tara und Karl. Was war passiert? Karl versuchte zum Eingang zu kommen, aber der Gang war verschüttet, sie waren eingeschlossen.
*
Normalerweise gehe ich geradewegs in meine kleine Erdhöhle, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Dort meditiere ich oder unterhalte mich mit Scio, meinem persönlichen Geist und Freund. Obwohl das nicht nötig wäre, er lebt sozusagen in meinem Kopf und ist immer und jederzeit erreichbar. Heute lasse ich meinen Lieblingsplatz links liegen und gehe weiter, tiefer in den Erdbau hinein.
Die Eingangslöcher der einzelnen Wohneinheiten reihen sich auf meinem Weg aneinander, wie Perlen an der Schnur. Ab und zu schaue ich mal in eine hinein, aber sie sind immer sauber gefegt und mit einem Stück Zeder versehen. Die Zeder ist ein Symbol für Reinheit und bringt Glück. Es verhindert, dass Fremde in den Bau eindringen und vertreibt Schädlinge. Bis jetzt hat das auch funktioniert.
Die Unterkünfte sind unterschiedlich groß, von der einzelnen Maus bis zu ganzen Familien kann man hier Viele unterbringen. Bis jetzt habe ich schon zweiunddreißig Höhlen gezählt.
Der Gang macht hier eine Biegung nach links, Richtung Osten. Ich laufe weiter und stelle fest, dass die Luft immer noch sehr gut ist, was ich verwunderlich finde. Plötzlich fällt mir auf, dass ich ab und zu einen Lufthauch spüre, der über mein Fell streicht. Irgendwo hier unten muss es Belüftungsschächte geben, auch wenn ich sie noch nicht gesehen habe. Seit der Gang nach Osten abgebogen ist, gibt es keine Höhlen mehr, komisch, irgendwie dachte ich immer das Angebot an Wohnraum sei hier unbegrenzt. Offensichtlich habe ich mich geirrt. Jetzt biegt der Gang nach Süden ab und führt tiefer ins Erdreich hinein. Der Boden ist abfallend, nicht sehr stark, aber ich fühle es deutlich beim Gehen. Obwohl es bis jetzt keine andere Möglichkeit gegeben hat, als dem Gang zu folgen, setzte ich doch aus alter Gewohnheit meine Markierungen.
Plötzlich endet der Gang und ich stehe direkt an der Mauer, ich schaue mich um, aber der Tunnel führt nirgendwo weiter.
Ich schnüffle etwas herum und bemerke einen metallischen Geruch, das erinnert mich an die Quelle des Lebens, die letzten Herbst von den Menschen zerstört wurde. An der Mauer sind seltsame Zeichen, erst jetzt bemerke ich, dass es nicht ganz dunkel ist, es gibt hier ein grünliches, etwas diffuses Licht. Die Zeichen an der Mauer kommen mir bekannt vor, mir ist, wie wenn ich sie schon einmal gesehen hätte.
Da durchfährt mich ein Gedanke, natürlich in der Höhle der Meditation von Custos. Dort waren über den Durchgängen Bilder angebracht. Eule, Maus, Wespe und Glühkäfer. Hier befinden sich nur Eule und Maus, aber sie sehen genauso aus, wie ich sie in Erinnerung habe. Was bedeutet das?
„Das kann ich Dir vielleicht erklären, Mädchen.“
'Scio, und wie?'
„Vor sehr langer Zeit gab es einen Meister der Magie, der überall in unserem Land verschiedene Artefakte zurückgelassen hat. Die Quelle des Lebens ist eines davon. Man sagt, dass es nicht nur eine lebensspendende Wasserstelle geben soll. Angeblich hat der Meister davon mehrere angelegt, um immer und überall daraus trinken zu können. Das ist allerdings eine wirklich alte Geschichte, Mädchen, man hat sie schon erzählt, als ich noch ein Kind war.“
'Du meinst, hier gibt es auch so etwas wie eine Quelle des Lebens?'
„Möglich wäre es, besonders die Zeichen an der Wand, deuten darauf hin.“
'Das mit der Maus verstehe ich gerade noch, aber Eulen hier unter der Erde?' Schon merkwürdig.
„Nicht merkwürdiger als ein Meister der Magie oder Wasser, welches das Leben verlängert. In der Geschichte heißt es weiter, die vier Zeichen stehen für die vier Elemente, Wasser, Luft, Erde und Feuer. Die Maus steht für Wasser, die Eule für Luft, die Wespen für Erde und die Leuchtkäfer für das Feuer. Ich wage es mal, die Zeichen zu deuten, die da an der Wand stehen. Hier gibt es Luft und Wasser.“
'Du meinst, es ist so simpel.'
„Na ja, Luft gibt es definitiv, Du hast den Luftstrom gefühlt. Und das Wasser, muss hier irgendwo sein. Riechst Du es nicht?“
'Doch, der Geruch hat mich ja an Custos´ Höhle erinnert. Aber ich sehe es nicht. Vielleicht ist es hinter der Mauer.'
„Du denkst, man kann irgendwie hindurch.“
'Ja, dort, wo ich die Zeichen das erste Mal gesehen habe, waren sie über Durchgängen. Custos sagte, sie geben die Richtung an. Der Eule mussten wir folgen, wenn wir die Mauer verlassen wollten und der Maus, wenn wir ihn besuchen wollten.'
„Nun, das kann man auch etwas anders beschreiben, da die Eule für Luft steht, führt sie auch an die frische Luft.“
'Und die Maus steht für Wasser, sie führte zur Quelle,' ergänze ich. Das hört sich richtig an.
'Was ist das eigentlich für ein grünes Glühen?'
„Ach das? Das sind Algen, man findet sie oft in der Nähe von Kupfer im Erdreich, sie leuchten und produzieren Sauerstoff.“
'Das wusste ich nicht. Wie kommen wir jetzt durch die Mauer?'
„Du meinst, wie Du durch die Mauer kommst, ich bin nicht stofflich, das weißt Du doch.“
Ich muss lachen, oft vergesse ich, das Scio nur ein Geist ist.
'Verzeihung, Scio, ein besonderer Geist natürlich.'
„Das will ich meinen!“
Also, wie komme ich jetzt durch diese Mauer? Gibt es vielleicht einen verborgenen Mechanismus?
*
Alexander war wirklich erschrocken, als alles eingestürzt ist, man kam kaum noch durch, die Gänge waren zum Teil verschüttet. Er konnte niemanden sehen, hörte aber panisches Gepfeife. Seine Geschwister waren alle nach draußen gegangen, um die musste er sich keine Sorgen machen.
„Hallo, ist jemand da?“ Er lauschte angestrengt.
Als Antwort kam ein leises, gedämpftes.
„Ich bin hier.“ Das kam eindeutig aus der Erde hinter ihm, er fing sofort an zu graben. Nach kurzer Zeit sah er ein Bein und gleich darauf hatte er eine Maus ausgegraben, es war Karls Tochter, erinnerte er sich, sie hatte ihm gut gefallen. Es dauerte etwas, bis sich ihre Panik gelegt hatte.
„Danke, ich wäre erstickt, wenn Du mir nicht geholfen hättest, ich war eingeklemmt und konnte nicht selbst graben.“
„Kein Problem, Du bist die Tochter von Karl?“
„Ja, Alexandra, und wie heißt Du?“ Sie schaute ihn interessiert an. Er grinste.
„Du wirst es nicht glauben, aber mein Name ist Alexander, ich bin der Sohn von Tabitha und Medicus.“ Sie lachten wegen der ähnlichen Vornamen, dann überlegten sie, wie es weiter gehen sollte.
„Wir müssen die anderen suchen, und dann versuchen uns aus dem Bau heraus zu graben.“ Alexander begann sofort wieder zu rufen, aber er bekam keine Antwort, offensichtlich war keiner in der Nähe verschüttet. Beide lauschten und als sie Pfiffe hörten, begannen sie sich in diese Richtung durchzugraben. Das Erdreich war noch locker und sie kamen schnell in die Haupthöhle zurück.
„Alexandra, MUS sei Dank.“ Karl kam sofort angelaufen, als er seine Tochter sah. Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich.
„Alexander hat mir geholfen, Papa, sonst wäre ich erstickt, ich war eingeklemmt, es war schrecklich.“
Karl durchfuhr es eiskalt, wenn er seine Tochter auch noch verloren hätte, er wagte es gar nicht, sich das auszumalen. Karl wandte sich an Alexander.
„Ich danke Dir, Alexander, ich stehe in Deiner Schuld, dafür, dass Du meine Tochter gerettet hast. Das vergesse ich Dir nie, glaub mir.“ Der wackelte mit den Ohren.
„Das war nur Glück, Karl, das hätte doch jeder gemacht...“ Alexander fand es selbstverständlich, zu helfen, er war nicht umsonst der Sohn der ehemaligen Hohepriesterin.
„Wir müssen alles absuchen, und uns dann hinaus graben, sonst werden alle ersticken. Karl, weißt Du, in welche Richtung wir graben müssen?“ Fragte er.
Karl überlegte kurz. „Ich denke, wir graben in Richtung Osten, von hier aus, schräg nach oben. Da müssten wir am Schnellsten aus dem Bau kommen. Könnt ihr schon anfangen? Dann suche ich unsere Leute zusammen.“
„Hier sind alle, ich habe mich umgehört, der Rest scheint draußen zu sein.“ Tara war unbemerkt dazu gekommen, sie hatte sofort angefangen die Leute zu befragen. „Wir müssen schnell hier raus, die Luft wird knapp.“ Noch während sie das sagte, begann Erde herabzurieseln und über ihren Köpfen öffnete sich ein Loch. Marinel steckte den Kopf herein.
„Seid Ihr alle in Ordnung?“ Rief sie herunter.
*
„Du musst nur da rechts, ganz oben, siehst Du es? Am Hebel ziehen, dann geht die Tür auf.“ Ich fahre herum, Mutter steht hinter mir.
„Mama, Du hast mich zu Tode erschreckt, was machst Du hier?“ Ich wundere mich, sie hier zu sehen. Sie grinst.
„Nun, das, was ich den ganzen Winter auch gemacht habe. Ich werde mich an den See legen, etwas Wasser trinken und entspannen. Hier unten ist es so schön ruhig, im Gegensatz zu oben mit den vielen Mäusen.“
Ich bin sprachlos, Mutter hat hier einen See entdeckt, den Mechanismus der Tür geknackt und uns kein Sterbenswörtchen davon gesagt. Ich sehe sie entrüstet an.
„Warum hast Du nie etwas erzählt, das wäre doch eine willkommene Abwechslung gewesen im Winter.“ Das sage ich etwas vorwurfsvoll.
„Eben, deswegen habe ich es für mich behalten, sonst wäre es mit der himmlischen Ruhe vorbei gewesen.“ Ich muss lachen, wahrscheinlich hätte ich dasselbe getan. Es ist schon ziemlich laut in der Halle gewesen, in diesen Winter.
„Dann zeig mir mal, wie es aufgeht, Mama.“
Sie zieht an einem Hebel, den ich bis jetzt nicht bemerkt habe, und die Tür öffnet sich. Sie gibt den Blick frei, auf einen großen ovalen See, von dem weiter hinten zahlreiche Flussarme in Felstunneln verschwinden.
Alles ist eingetaucht in grünes Licht.
Staunend stehe ich da, es ist angenehm warm hier. „Hier warst Du also den ganzen Winter, Mama, und Du hast dieses Wasser getrunken?“
Sie nickt und lächelt mich an.
„Ja, der Geschmack erinnert an die Quelle des Lebens, und es ist mir gut bekommen.“ Es fällt mir wie Schuppen von den Augen, deshalb ist es Mutter immer besser gegangen, das ist die Erklärung, warum sie so gesund und vital aussieht.
Sie hat einen See des Lebens gefunden. Der hatte sie geheilt und ihr Leben verlängert, genau wie die Quelle bei Custos. Ich versuche vorsichtig einen kleinen Schluck, es schmeckt genauso, wie ich es in Erinnerung habe. Das muss ich unbedingt Custos sagen, sofern er noch lebt. Er hat seit dem Ende des Herbstes ohne sein Wasser des Lebens auskommen müssen, und ich weiß nicht, wie lange die Wirkung anhält. Bis jetzt habe ich noch nichts vom Clan des großen Nussbaumes gehört, aber ich werde nachher einen Spatzen schicken.
Mutter und ich trinken noch ein paar Schlucke aus dem See und gehen wieder nach oben. Ich möchte es eigentlich allen erzählen, aber irgend etwas hält mich davon ab. Ich muss noch darüber nachdenken, vielleicht mache ich eine Zeremonie, oder etwas in der Art, daraus.
Ich laufe zum Wasserfall und winke, kurz darauf trifft ein Spatz bei mir ein.
„Kannst Du bitte zum Nussbaum fliegen und Custos oder Bene sagen, sie sollen an den See kommen?“
Er legt den Kopf schräg. „Ja, kein Problem.“
Dann erhebt er sich vom Boden und fliegt weg.
Keine zwei Stunden später sehe ich zwei Mäuse auf der Brücke. Bene und Custos, ich erkenne ihn am Fell. Ich laufe ihnen entgegen.
„Was ist so wichtig, Maxi, der Spatz hat es dringend gemacht, deswegen sind wir gleich losgelaufen.“ Sagt Bene.
„Ihr habt den Winter gut überstanden, Du auch Custos, wie ich sehe.“ Er sieht besser aus, als erwartet. „Ja, danke, Maxi, es geht mir nicht schlechter als im Herbst, bin selbst überrascht.“ Er atmet dennoch etwas angestrengt. Wir umarmen uns und gehen dann langsam in die Halle.
Nach einer ausgiebigen Begrüßung, nehme ich Custos etwas beiseite.
„Ich möchte Dir etwas zeigen, Custos, es ist nicht weit. Mutter hat es im Winter entdeckt, ich erst heute. Komm bitte mit.“ Ich führe ihn in den Erdbau, an den Wohnhöhlen vorbei und durch den Tunnel, bis zur Mauer. Er folgt mir und schnuppert ein wenig herum.
„Hier gibt es ja frische Luft.“ Er ist verwundert. Ich nicke. „Und Licht. Was ist das für ein Ort?“
„Das muss ich dir zeigen,“ sage ich und ziehe am Hebel. Als sich die Tür öffnet, zuckt er zusammen, um gleich darauf erstaunt den See anzublicken.
„Was...?“ Er steht mit geöffnetem Maul da und rührt sich nicht. Ich lächle und freue mich, ihm das zeigen zu können.
„Das ist ein See des Lebens. Koste das Wasser, es schmeckt genau so, wie das aus Deiner Quelle. Ist das nicht wunderbar?“ Ich kann es immer noch nicht fassen, was Mutter da gefunden hat. Custos nähert sich vorsichtig dem See und kostet ein paar Tropfen des Wassers. Dann nimmt er einen kräftigen Schluck und noch einen. Er setzt sich auf die Hinterbeine.
„Maxi, seit ich Dich kenne, bist Du für Überraschungen gut, aber jetzt..., auch noch für Wunder. Ich fasse es nicht.“ Er bückt sich und nimmt noch einen Schluck Wasser. „Ich fühle, wie es mir besser geht, die Heilkraft dieses Wassers ist viel stärker, als das Wasser aus meiner Quelle.“ Ich nehme auch noch einen Schluck, aber ich kann keinen Unterschied herausschmecken. Andererseits fühle ich mich toll, so voller Energie. Custos hat bestimmt recht.
„Ich wollte es noch niemandem sagen, erst will ich Deine Meinung hören. Was meinst Du, Custos, soll ich eine Zeremonie vorbereiten?“ Er nickt.
„Das halte ich für eine sehr gute Idee. Hast Du schon überlegt, wer alles daraus trinken darf?“
Ich zucke mit den Schultern. „So weit habe ich noch nicht gedacht, bevor ich mir entsprechende Gedanken erlaube, wollte ich einfach mit Dir sprechen. Das war mein erster Impuls.“ Er lächelt mich freudig an.
„Das ehrt mich, Maxi, aber es ist Dein See, Du entscheidest, wer daraus trinkt oder ob Du eine Zeremonie machst. Sonst keiner, Du bist die Hohepriesterin, vergiss das nicht. An Deiner Stelle würde ich darüber gut nachdenken, tausche Dich mit Scio aus. Du darfst nichts überstürzen.“ Custos hat natürlich recht, übergroße Eile ist nicht gut. Diesen See gibt es schon seit ewigen Zeiten, da kommt es auf ein paar Tage nicht mehr an.
*
Nach dem die Verschütteten befreit worden waren, zogen sich alle in eine nahe gelegene Hecke zurück, um zu beraten, wie es weitergehen sollte. Ihr Bau war zerstört, sie waren wieder einmal heimatlos.
„Wir könnten zu meinen Eltern gehen,“ schlug Alexander vor, „ich habe sowieso versprochen, zurückzukommen und dort gibt es garantiert genug Wohnmöglichkeiten.“
Tara sah ihn interessiert an, das wäre eine Möglichkeit, immerhin waren dort Maxi und Tabitha. Eine der Beiden könnte bestimmt helfen.
„Ja, Alexander, ich habe auch schon daran gedacht, Du kennst den Weg?“ Alexander nickte eifrig.
„Wir mussten einen Umweg machen, als wir herkamen, weil der Durchgang in der Mauer von den Menschen verschlossen wurde. Aber ich denke, bis zu Bene im Nussbaum kann man es an einem Tag schaffen, Tara.“ Tara sah Karl an.
„Was denkst Du?“ Karl überlegte kurz.
„Da brauche ich nicht lange zu überlegen, so wie es aussieht, sind wir hier nirgends mehr sicher, ich bin dafür, auszuwandern.“ Er drehte sich zu den Anderen herum und fragte. „Und was meint Ihr?“ Nach einer kurzen Debatte einigte man sich darauf, im Morgengrauen in das Land von Hohepriesterin Maxi auszuwandern. Tara schaute sich um und zählte den Rest ihrer Gemeinschaft, siebenunddreißig Mäuse, vier davon schwanger, keine kleinen Kinder so kurz nach dem Winter. Hoffentlich kann Maxi alle unterbringen. Jeder suchte sich einen halbwegs bequemen Platz, man kuschelte sich aneinander und versuchte zu schlafen.
*
Wir gehen wieder in die Halle und stoßen auf Cito. Ich umarme ihn kurz, er sieht zufrieden aus. Bene und Custos begrüßt er dann besonders herzlich, da er sie schon lange nicht mehr gesehen hat. Dann wendet er sich freudestrahlend an mich.
„Maxi,“ er sieht mich freudig an. „Du wirst es nicht glauben, ich habe einen Unterschlupf für Tabitha und Medicus gefunden. Er ist sehr groß, mindestens fünf geräumige Höhlen sind miteinander verbunden. Es gibt Wasser, und es ist nicht weit zur Nahrung. Ich werde es ihnen gleich erzählen.“ Er zwinkert mir zu und dreht sich suchend nach Tabitha um. Ich höre nicht, was er sagt, aber Tabithas Freudenpfiffe entgehen mir nicht. Sie tanzt im Kreis und ruft nach Medicus und Gemma.
Cito hat den ganzen Herbst und die ersten Tage des Frühlings gesucht. Er hat nie aufgegeben, deshalb freue ich mich für ihn. Mein Mann hat sich hingebungsvoll unserer kleinen Familie verschrieben, er würde alles tun, damit wir sicher und satt sind. Mit der gleichen Energie hat er sich auf diese Wohnungssuche für Tabitha und die Ihren gestürzt, und nicht aufgegeben, bis er endlich Erfolg hatte. Dafür bewundere ich ihn sehr.
Tabitha will noch an diesem Nachmittag ausziehen, etwas schnell, aber wir haben jetzt den ganzen Winter in der überfüllten Halle miteinander verbracht, ich kann es verstehen. Da sie noch kein Essen für heute gesammelt hat, tragen Activa, Amissa und Mutter einen Berg Nahrungsmittel in die Halle. Für heute Abend sollen sie ein paar Haselnüsse mitnehmen. Sollten sie morgen nichts zu essen finden, werden sie kurz zum Abendessen vorbeischauen. Hungern muss bei uns keiner, außerdem wächst schon Weißklee und der ist gesund und schmackhaft.
Nach der reichhaltigen Mahlzeit verlassen uns Tabitha, Medicus und Gemma. Wir räumen die Reste weg und fegen die Halle schön sauber. Ein paar Mäuse weniger, das macht sich bemerkbar, es ist fast ein wenig ruhig hier.
„Ich schütte mich aus vor Lachen, Mädchen. Du weißt nicht was Du willst. Erst ist es zu laut und zu voll, und jetzt ist es zu ruhig. Entscheide dich mal.“ Scios Lachen hallt in meinem Kopf.
Ich muss selbst lächeln, diese Maus ist mit nichts zufrieden, so scheint es. Stimmt aber nicht. Ich lege mich hin und genieße es.
Custos und Mutter sind an den unterirdischen See gegangen. Sie wollen trinken und sich ebenfalls ein wenig entspannen. Das ist neuerdings ihrer beider Lieblingsplatz.
*
Sie liefen den ganzen Tag, bis auf eine Pause um die Mittagszeit herum, als sie das Ende der Mauer erreicht hatten. Hier gab es eine Wiese mit verschiedenen frischen, jungen Pflanzen und sie aßen sich erst einmal satt. Tara untersuchte die schwangeren Weibchen, aber es war alles in Ordnung mit ihnen, man könne unbesorgt weitergehen.
„Gleich könnt Ihr einen Blick auf das neue Land werfen, wir müssen nur noch um diese Ecke.“ Verkündete Alexander. Alle rannten fast schon, und blieben dann plötzlich bei dem herrlichen Ausblick, freudig überrascht, stehen. Es war ein wirklich schönes Land und, was noch viel wichtiger war, keine einzige Maschine war zu sehen.
Tara seufzte. „Wenn wir hier eine neue Heimat finden könnten, wäre das wunderbar, es wird genug zu essen geben, man sieht, dass hier viel wächst. Ich hoffe Dein Plan geht auf, Alexander.“ Dieser nickte, er war fest davon überzeugt, dass alle hierbleiben könnten. „Machen wir uns am Besten wieder auf den Weg. Seht Ihr da vorne,“ er zeigte nach Westen, „das ist die Herberge von Bene, dort gehen wir zuerst hin.“ Selbst wer vorhin noch erschöpft gewesen war, raffte sich wieder auf und marschierte los. Die Gemeinschaft um Tara war auf dem Weg in eine neue Heimat.
*
Ich schaue auf, und sehe Amissa mit Damien sprechen. In letzter Zeit scheint sich ein zartes Band zwischen ihnen zu entwickeln. Das freut mich ungemein, Amissa hat zwar nach ein paar Tagen aufgehört, Berns Verlust zu beweinen, aber so wie früher, ist sie noch immer nicht. Damien ist ein wirklich angenehmer junger Mann, der nicht viel Aufmerksamkeit benötigt. Er sucht sich immer eine Beschäftigung, oder unterrichtet die Kinder. Einen angenehmeren Hausgast als ihn, hatten wir noch nie. Es wäre schön, wenn es ihm gelingt, Amissa wieder in die Welt zurückzuholen.
Auch meine schöne, temperamentvolle Benedikte hat sich verändert, ihre ständigen Visionen machen ihr sehr zu schaffen. Allein Emilo, der sich rührend um sie kümmert, ist inzwischen ihr Anker. Ich hoffe sehr, das der See des Lebens auch ihr Erleichterung verschafft. Jetzt will ich noch kurz zu Mutter und Custos gehen, der See lockt, und außerdem ich habe Durst. Aber ich komme nicht dazu.
Denn plötzlich kommt Beatus hereingestürmt.
„Maxi, eine Horde Mäuse sind gesichtet worden. Die Spatzen haben sie an der Grenze gesehen, was sollen wir machen?“ Ich überlege nicht lange.
„Wir müssen hingehen, wo sind Cito und Berti? Sie sollen am Besten auch noch mitgehen. Komm, Beatus.“ Wir rennen zu viert den Stillen Weg entlang, vorbei an Tabithas neuer Unterkunft. Sie schaut heraus und ich rufe ihr zu.
„Fremde Mäuse an der Grenze!“ Und renne weiter. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie sich uns anschließt, aber zum Reden rennen wir zu schnell. Erst beim Nussbaum machen wir Halt, Bene muss informiert werden.
Aber der weiß es schon, er steht vor dem Eingang.
Bellusa ist am Nussbaum emporgeklettert und erstattet ihm Bericht.
„Gerade gehen sie am Sanddorn vorbei, es sind mehr als dreißig Mäuse, aber ich kann noch keine Einzelheiten erkennen.“ Ich beschließe, dass wir sie hier erwarten, das sind zu viele Mäuse, da können wir gar nicht genug Präsenz zeigen.
„Jetzt sind sie am Flieder vorbei,“ ruft es von oben. Sie werden bald hier sein, ich muss mich auf das Schlimmste vorbereiten. Fremde Mäuse, die in unser Territorium eindringen, haben wahrscheinlich keine guten Absichten, hoffentlich kann ich mit meiner Gabe der Diplomatie etwas bewirken. Ich sehe sie kommen, ein großes Gewimmel schlängelt sich durch den Nutzgarten. Eine Maus ganz vorne erhebt sich auf die Hinterbeine und ruft.
„Ist Tabitha da, ich bin es, Alexander.“
„Alexander, mein Sohn? MUS sei Dank.“ Tabitha rennt los, den nicht mehr ganz so fremden Mäusen entgegen.