Читать книгу See des ewigen Lebens / Maxi II - Sabine Teyke - Страница 7

IV

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Wir haben eine der Wohnhöhlen für den Winter umgebaut. Eigentlich nur den Eingang vergrößert, so dass Wolfram mit seinem Geweih auch durchkommt. Den Boden haben wir mit trockenem Laub belegt, das sich schon bunt verfärbt hat. Es sieht sehr hübsch aus. Hedwig und Wolfram sind wiedergekommen, es ist der zehnte Mond und sie leben noch. Nun haben sie es im kommenden Winter gemütlich, hier bei uns.

Alle Schüler werden über den Winter nach Hause gehen, um ihn mit ihrer Familie zu verbringen. Wir leben, nicht mehr wie früher, in großen Verbänden mit mehreren Familien, sondern meist nur eine Familie für sich, überall im Land verstreut. Das ist gut, um die Futterentnahme aus der Natur zu regeln. So wird an vielen verschiedenen Plätzen gesammelt, und nicht nur eine oder zwei Stellen restlos abgeräumt. Dieses System hat sich für uns bewährt.

Bene kommt gerade mit Auruma und Bellusa zu Besuch, das freut mich, haben wir doch schon längere Zeit nichts mehr vom Nussbaum gehört.

„Schwesterchen, wie geht es euch hier denn so? Vor lauter Sammeln, hatten wir gar keine Zeit zu kommen. Aber jetzt hat es geklappt, wir müssen auch dringend mal wieder aus dem See trinken.“ Ich freue mich sie gesund und munter zu sehen.

„Bene, Auruma, Bellusa, wie geht es Euch denn? Uns geht es ausgezeichnet. Übrigens, wir haben Gäste, ich stelle sie Euch nachher vor.“ Ich umarme sie der Reihe nach.

„Bei uns ist alles in Ordnung,“ sagt Auruma, „wir haben viele Vorräte gesammelt und die Schüler jetzt schon in die Ferien geschickt, dann können sie ihren Familien noch ein bisschen beim Sammeln helfen.“ Sie haben vier Schüler angenommen, die sie im Sammeln und Verarbeiten der Nahrung unterrichteten, diese werden ihr Wissen jetzt gut bei den eigenen Familien anwenden können.

„Ach Maxi, ehe ich es vergesse, vor einiger Zeit war eine sehr merkwürdige Feldmaus bei uns und wollte uns von ihrem Gott erzählen. Ich war nicht besonders freundlich, das gebe ich zu, er ging mir auf die Nerven. Er sprach auch von Langlebigkeit, aber dann er hat plötzlich herumgeschrien und sich abgesetzt. Seitdem haben wir ihn nicht mehr gesehen.“ Bene hat es wohl schnell hinter sich bringen wollen, und dabei mein Gespräch mit Auruma unterbrochen.

„Bene, wenn er nicht mehr aufgetaucht ist, mache ich mir erst einmal keine Gedanken, aber gut, dass Du es mir erzählt hast.“ Ich wende mich wieder seiner Frau zu. „Sehr gut, Auruma, so können die Schüler ihr erlerntes Wissen ihrer Familie zur Verfügung stellen. Ach ja, wollt Ihr gleich mal zum See?“ Alle nicken, und wir machen uns auf den Weg nach unten.

Plötzlich zuckt Bellusa zusammen. Sie setzt zum Pfeifen an, aber ich unterbreche sie. Vor uns steht Hedwig und grinst schelmisch.

„Eine neue Maus, ha, die kennt uns noch nicht, wir tun Dir nichts.“ Ich muss unwillkürlich lachen, ich liebe es, wie Hedwig sich immer ausdrückt.

„Darf ich Euch Hedwig vorstellen, sie und ihr Mann werden den Winter hier verbringen. Sie sind einige der wenigen Hirschkäfer, die es noch gibt.“ Ich lächle Hedwig verschwörerisch zu. Bellusa hat sich aber schnell von ihrem Schreck erholt und begrüßt Hedwig freundlich.

„Es freut mich, Dich kennen zu lernen, Hedwig. Bitte verzeih, ich habe noch nie einen Hirschkäfer gesehen.“

„Kein Problem, „ antwortet Hedwig daraufhin, „Sei froh, dass Du nicht als erstes meinem Mann begegnet bist, der ist wirklich beeindruckend und viel größer als ich. Da hättest Du Dich vielleicht erschrocken.“ Sie lacht fröhlich, es ist ein ansteckendes Lachen und man muss automatisch mitlachen, das Eis ist gebrochen.

„Ich möchte zum See, Ihr etwa auch? Dann können wir ja zusammen gehen.“ Hedwig Hirschkäfer dreht sich um, und geht los, und wir Mäuse folgen ihr.

*

Der unterirdische See sieht wirklich beeindruckend aus, ganz in grünes Licht getaucht. Hier herrscht eine angenehme Temperatur, nicht zu warm und nicht zu kalt. Mutter und Custos liegen am Ufer und unterhalten sich. Als sie uns sehen, setzen sie sich auf um Hallo zu sagen. Hedwigs Anblick sind wir inzwischen alle gewohnt, keiner zuckt mehr zusammen.

„Bene, mein Sohn, was für ein erfreulicher Anblick. Und Du hast Deine Frau und Bellusa mitgebracht. Willkommen, meine Lieben.“ Mutter begrüßt sie herzlich, die Freude ihren Sohn und seine Familie zu sehen, ist offensichtlich. Wir alle trinken aus dem See und lassen uns dann neben Custos am Ufer nieder.

„Was macht der Nussbaum?“ Fragt Custos. Bene setzt sich ebenfalls.

„Er ist noch kräftig, der Sturm im siebten Mond hat nur einige abgestorbene Äste abgerissen, sonst ist nichts passiert, MUS, sei Dank.“ Custos nickt zustimmend.

„Ja, er ist jetzt schon viele Tage alt, aber scheint immer prächtiger zu werden. Ich sehe oft zu Euch hinüber, dann denke ich immer an meine kleine Quelle des Lebens, die ich so lange behütet habe. Ach, entschuldigt, ich werde sentimental.“

Das kann jeder von uns verstehen, er hat seine Quelle über dreitausend Tage behütet. Ein bisschen Sentimentalität finde ich völlig normal.

„Was macht Anorex im Moment? Und wie geht es Joana?“ Die beiden liegen Custos am Herzen. Aber sind sind im Nussbaum geblieben. Sie wechseln sich immer ab, bei ihren Besuchen, so dass die Herberge niemals leer steht.

Wir unterhalten uns angeregt, es gibt immer viel zu berichten. Am See ist es sehr gemütlich und wir reden und trinken, und trinken und reden. Da wir uns fast dreißig Tage nicht mehr gesehen haben, geht uns der Gesprächsstoff nicht aus. Irgendwann steht Mutter auf.

„Nun, ich habe Hunger, wie sieht es bei Euch aus, wollen wir etwas essen gehen?“ Plötzlich bemerkt jeder seinen knurrenden Magen, und wir begeben uns in die Halle, um eine schöne gemeinsame Mahlzeit einzunehmen.

Beim Essen zählen wir auf, was wir bis jetzt erreicht haben.

„Eine sehr gute Ausbildung für alle Mäuse,“ sagt Mutter. Custos gibt ihr recht und fügt hinzu.

„Ein sehr langes Leben für alle.“

„Weniger Kinder, denen es aber sehr viel besser geht.“ Kinder sind immer Bellas Thema.

„Wir haben den Orden gegründet.“ Beatus liebt den Ausdruck Orden und benutzt ihn häufig.

„Eine Frau kann auch ohne Mann überleben und sie ist genauso viel wert wie jeder Mann.“ Bellusa hat immer noch keinen Mann, aber inzwischen glaube ich, sie will keinen.

„Wir haben das Sammeln und aufbewahren der Nahrung perfektioniert und bringen es jedem bei.“ Kommt von Berti und Bene nickt. Die Beiden haben das gleiche Verlangen, Nahrung zu horten und haltbar zu machen, genau wie Beatus sammelt, was das Zeug hält. Da sind sie echte Brüder im Geiste.

„Jeder glaubt inzwischen, dass es MUS wirklich gibt und sie uns immer unterstützt,“ das kam von Auruma, sie ist sehr religiös.

„Durch das Orakel werden wir vor jeder Gefahr rechtzeitig gewarnt, und können uns schützen.“ Emilo liebt seine Frau wirklich.

„Ihr habt dafür gesorgt, dass die Hirschkäfer nicht aussterben,“ sagt Hedwig, „und das finde ich wirklich gut.“

„Ich habe meine Heilkräfte besser unter Kontrolle, als früher,“ meine ich. „und, jeder kann lernen den Heilern zu helfen und einfache Sachen selbst zu behandeln, dank der Schule von Tabitha, Medicus und Gemma.“

„Wir leben nicht mehr in großen Gruppen zusammen, sondern in kleinen Familienverbänden, überall verstreut. Das ist viel sicherer, sollte etwas passieren, sind nicht mehr so viele Todesopfer zu beklagen, wie damals in der Stadt.“ Steuerte Benedikte bei.

„Wir leben in Frieden mit all unseren Nachbarn,“ sagt mein Mann. Wenn man es so konzentriert hört, ist das schon eine ganze Menge.

„Was können wir denn noch verbessern, hat einer eine Idee?“ Frage ich in die Runde.

„Wir könnten mehr Gottesdienste abhalten, dann müssen nicht immer alle zu jedem Termin kommen, und es wäre nicht mehr so voll.“

Auruma spricht da einen sehr wichtigen Punkt an. Normalerweise halten wir alle dreißig Tage eine Versammlung mit Gebeten, und einem Trank aus dem See, ab. Meistens ist es sehr voll, jeder möchte aus dem See trinken, das ist oft ein großes Durcheinander. Mich stört das auch, aber zu viele Versammlungen, das sieht so aus, als wollten wir sie zum Beten zwingen. Das will ich nicht. Das Gebet ist ein freiwilliger und sehr persönlicher Akt, nein, nicht mehr Gottesdienste, aber...

„Auruma hat nicht ganz Unrecht, mit dem Gedränge, aber noch mehr Gebete, nein, entschuldige Auruma, nicht alle finden denselben Frieden im Gebet wie Du. Aber vielleicht können wir die Pforten des Ordens alle sieben Tage öffnen, den ganzen Tag, oder nur am Nachmittag, ich weiß es nicht. Wer will, kann dann bis zum Abend bleiben und am Gebet teilnehmen. Da würden wir niemanden zwingen, aber auch keinen vor den Kopf stoßen. Was denkt Ihr darüber?“ Mutter seufzt.

„Bitte nur den Nachmittag, Kind, sonst hat man ja gar keine Ruhe mehr. Und der ganze Dreck, der jedes Mal hinterlassen wird, muss ja auch weg geräumt werden. Vielleicht nur alle fünfzehn Tage?“

„Das geht natürlich auch, was meint Ihr?“ Ich schaue auffordernd in die Runde. Activa gehört zu denen, die am Meisten Putzen und Aufräumen, also sehe ich sie fragend an.

„Maxi,“ meint sie, „also, wenn Du mich fragst, alle fünfzehn Tage ein Nachmittag, das wären dann doppelt so viele Möglichkeiten aus dem See zu trinken, wie im Moment. Das sollte einfach reichen.“

„Das denke ich auch, Activa, also wenn alle einverstanden sind, rufe ich einen Spatzen, oder zwei, und lasse die Neuigkeit verbreiten. In Zukunft, alle fünfzehn Tage ein Nachmittag zum Trinken und wer möchte, im Anschluss wird gebetet,“ fasse ich zusammen. Allgemeine Zustimmung, gut, dann werde ich nachher zum Wasserfall gehen.

*

In unserem Land leben im Moment etwa dreißig Familien, mit jeweils zwei Kindern, das sind schon mal neunzig Mäuse, dann noch ungefähr zwanzig Ungebundene. Kinder gehen immer mal wieder weg, um sich einen Partner zu suchen. Manche kommen wieder, manche nicht. Bisher waren auf einer Versammlung meistens so um die hundert Mäuse. Sie kommen durch die Halle in den Erdbau, laufen in langen Schlangen bis zum See, trinken und warten dann auf das Gebet. Nicht alle natürlich, aber wohl die Meisten, jedenfalls ist das Gedränge immer groß. Heute hoffe ich, dass nur etwa die Hälfte kommt, verteilt über den ganzen Nachmittag. Ein Drittel bleibt wahrscheinlich zum Gebet. Das wären überschaubare fünfundzwanzig bis dreißig Leute, da kann man den Gottesdienst viel persönlicher und ruhiger gestalten.

Nun, jedenfalls hoffe ich, dass meine Rechnung aufgeht. Wir sind gerade beim Mittagessen, danach bereite ich mich auf den Dienst an MUS vor. Aber davor, lege ich mich noch ein bisschen ins Nest.

Der halbe Nachmittag ist schon herum, aber niemand ist bis jetzt gekommen, vom Clan des großen Nussbaumes einmal abgesehen, sogar Joana ist heute mitgekommen. Auruma läuft immer wieder nervös zum Eingang.

„Das verstehe ich nicht, haben die Spatzen es nicht ausgerichtet?“ Ich zucke mit den Schultern und sage.

„Auruma, die Spatzen sind schon seit wirklich vielen Generationen immer sehr zuverlässig, warum sollten sie ausgerechnet diese Neuigkeit nicht verbreitet haben. Nein, an den Spatzen liegt es bestimmt nicht. Möglicherweise ist etwas anderes los, etwas von dem wir hier keine Ahnung haben. Ich kann Cito bitten, mit ein paar Schülern, mal nach dem Rechten zu sehen.“ Und genau das tue ich, und zwar sofort.

*

Deumtineo hatte jetzt schon ein paar Familien besucht, aber egal, wie gründlich er sie ausfragte, niemand erzählte ihm etwas über das Wasser des Lebens. Dabei war er sich sicher, dass es außer der zerstörten Quelle, noch eine andere Möglichkeit, ein anderes Lebenswasser gab. Die Leute hier waren einfach zu jung und zu gesund. Dann hatte er Glück, eine Familie mit zwei Kindern. Der Vater gab sich überheblich.

„Wir hier leben ewig, das kannst Du mir glauben, wir brauchen keinen Gott oder eine Göttin, und Deinen neuen Gott schon gar nicht, wir trinken aus dem See.

Das hält uns gesund und am Leben. Maxi, unsere Hohepriesterin hat ihn entdeckt, und sie lässt uns gerne daraus trinken. Man fühlt sich dann mächtig und altert nicht mehr, nicht so wie Du, verschwinde endlich und belästige uns nicht mehr.“ Dann drehte er sich um und ging wieder hinein. Den verdatterten Deumtineo ließ er einfach draußen stehen.

Das waren die Informationen, die er die ganze Zeit gesucht hatte, er würde gleich zu dieser Hohepriesterin gehen und verlangen daraus zu trinken. Aber vorher würde er sie ordentlich anschreien, dann knickte sie bestimmt von selbst ein, und würde ihm das mit dem See verraten. Er hatte schon über zweihundert Tage nicht mehr getrunken, und glaubte zu fühlen, wie er alterte, er brauchte das Wasser des Lebens dringend.

*

Gegen Abend kehrt er mit einer bestürzenden Neuigkeiten zurück. Die Leute haben ihm gesagt, ein anderer Priester habe sie besucht, und verurteilt für ihr unnatürlich langes Leben, das niemals von einem Gott gegeben sein könne, sondern die Magie des Teufels wäre. Nun, die Leute wussten, das der See magisch und von MUS war, aber das war nie ein Problem. Außerdem entspricht das nicht unserem Glauben.

Wir glauben an MUS, die Göttin der Mäuse, die uns liebt und beschützt. Der Teufel ist unserem Glauben vollkommen fremd. Ich frage mich, was ist das für ein Priester und woher kommt er? Wir sind alle sehr betroffen, das hat niemand kommen sehen.

Wie auch, seit sehr, sehr langer Zeit hat nie jemand etwas von einem anderen Gott, außer MUS, gehört.

Während wir noch rätseln, kratzt es am Eingangsloch. Erschrocken fahre ich zusammen, es ist so lange her, das sich jemand auf diese Weise ankündigt. Meistens kommen die Mäuse einfach herein.

Cito geht geht, um nachzusehen, zurück kommt er mit einer alten, schon etwas grau gewordenen, Feldmaus.

„Guten Tag, alle miteinander. Habt Ihr auch Euer Leben künstlich verlängert? Hört mich an, das ist die Magie des Teufel. Gott der Herr hat den Mäusen eine kurze Lebensspanne gegeben und sie vor dem Teufel gewarnt. Er benutzt Magie und verderbt alles um sich herum, schwört ab, schwört ab, der Herr wird sich euer Erbarmen.“ Ohne uns zu Wort kommen zu lassen, hat er seine Rede gehalten und das in einer Lautstärke, dass es in meinen Ohren schmerzt.

„Wer bist Du?“ Ich unterbreche sein Lamento.

„Deumtineo, der Gottesfürchtige, niemandes Glauben ist so rein, wie meiner. Und wer bist Du?“ Er sieht mich herausfordernd an.

„Mein Name ist Maxi, ich bin die Hohepriesterin der MUS in diesem Land, was fällt Dir ein, meine Mitbürger zu ängstigen?“ Was bildet er sich ein?

„Du,“ kreischt er, „Du bist die Teufelin, die die Mäuse in diesem Land verführt hat, sich gegen Gottes Wort zu stellen.“ Cito, Berti und Beatus schirmen mich sofort von Deumtineo ab.

„Hier gibt es keine anderen Götter, sondern nur unsere geliebte MUS, Göttin der Mäuse,“ erkläre ich ihm, „und schrei bitte nicht so herum, Du befindest Dich in einem Kloster meiner Göttin, hier herrscht Ruhe und Frieden.“ Langsam ärgere ich mich über diese Feldmaus. Er schaut mich, plötzlich ruhig geworden, hasserfüllt an. Dann spuckte er auf den Boden.

„Ihr seid Ungläubige, die eine falsche Göttin anbeten, schwört ab, ich befehle Euch, schwört ab.“ Er muss verrückt sein, so merkwürdig wie er sich verhält, kein Wunder, dass er den Familien Angst eingejagt hat.

„Was ist das denn für ein Lärm, man hat ja beim Meditieren keine Ruhe mehr!“ Custos kommt eilig in die Halle gelaufen, als er die Feldmaus sieht, zuckt er zusammen, kennt er diese Feldmaus etwa?

„Deumtineo, was machst Du denn hier, hat man Dich nicht vor ungefähr sechstausend Tage verbannt?“ Das ist auch eine langlebige Maus? Was soll das dann mit dem Teufel, ich verstehe nichts.

„Custos, woher kennst Du ihn, was ist das für einer?“

Er macht ein unglückliches Gesicht.

„Maxi, Deumtineo ist ein Problem, er ist verrückt, aber zielgerichtet. Er hat vor achttausend Tagen die Geschichte über Gott und den Teufel gehört, offensichtlich ist er in den Wahn verfallen, nicht MUS, sondern dieser Gott aus der Geschichte sei der einzig wahre Gott. Er hat damals fast zweitausend Tage lang sein Unwesen getrieben und versucht jede Maus, die er getroffen hat zu bekehren. Stieß er auf Widerstand, fing er an beleidigend und ausfallend zu werden. Der Hohe Rat hatte irgendwann genug und verbannte ihn aus dem Land. Ich hätte nicht gedacht, ihn je wiederzusehen. Ohne das Wasser des Lebens dachte ich, wäre er längst tot.“ Custos schaut die alte Feldmaus lange an. Dann fragt er ihn.

„Deumtineo, wieso bist Du zurückgekommen?“ Fast tonlos sagt dieser.

„Weil ich bald sterbe, und vorher endlich meinen Glauben verbreiten möchte. Überall hat man mich weggejagt, keiner wollte von Gott und Teufel hören, alle glauben an MUS, an eine Frau, dass ich nicht lache.“ Bevor er sich wieder hineinsteigert frage ich.

„Wie konntest Du denn so lange ohne das Wasser überleben?“ Er zuckt mit den Schultern.

„Nun, Wasser des Lebens gibt es überall. Es ist gut versteckt, aber ich weiß es zu finden. Und es reicht, wenn man alle neunzig Tage davon trinkt. Aber seit ich zurückgekommen bin, habe ich keines mehr gefunden. Die Quelle des Lebens hier in dieser Mauer ist zerstört. Und ich weiß nicht mehr wo ich suchen soll. Ich habe jetzt schon zweihundert Tage nicht mehr getrunken, deswegen denke ich, ich werde sterben.“

Custos sieht mich eindringlich an und schüttelt den Kopf. Offenbar hat er bemerkt, dass ich gerade vom See erzählen wollte. Also sage ich nichts. Er stellt sich vor Deumtineo und spricht zu ihm:

„Deumtineo, Du bist vor sechstausend Tagen vom Hohen Rat verbannt worden. Der Bann ist nicht aufgehoben, also bist Du zu Unrecht in diesem Land. Geh jetzt, verlasse das Land auf dem schnellsten Weg, sonst wird die Göttin ein Urteil über Dich sprechen.“ Deumtineo sieht geschlagen aus.

„Ich wollte doch nur meinen Glauben verbreiten und aus Deiner Quelle trinken.“

„Aber Du ängstigst alle, denen Du begegnest, verstehst Du das nicht? Und, Du bist verbannt, hast Du das vergessen?“ Custos und Deumtineo schauen sich lange an, dann dreht Deumtineo sich seufzend um und verlässt den Bau ohne Abschied.

Custos bittet meinen Mann.

„Cito, geh ihm nach. Komm erst wieder zurück, wenn er über der Grenze ist. Ich bitte Dich, es ist wichtig. Wenn er nicht geht, wird die Göttin eine Urteil sprechen und das wird sehr hart für ihn werden.“

Cito nickt und geht hinaus um Deumtineo zu folgen.

„Custos, was war dass denn, klär mich bitte auf.“ Mutter hat ihren 'strengen Ton', das kenne ich noch aus meiner Kinderzeit, da sagt man am Besten gleich Alles. Custos verzieht schmerzlich das Gesicht.

„Setzen wir uns, dann erzähle ich Euch alles.“

„Deumtineo ist mein kleiner Bruder.“ Das schlägt ein wie der Blitz.

„Dein Bruder?“ Es ist nicht zu fassen.

„Du hast nie von deiner Familie gesprochen.“

„Nein, Maxi, meine Familie ist schon seit langer Zeit tot und mein einziger Verwandter seit sechstausend Tagen verbannt, da gab es nichts zu erzählen.“

Er schweigt einen Moment nachdenklich.

„Nun, wie erzähle ich die Geschichte denn am Besten...Vielleicht fange ich mit seiner Geburt an. Deumtineo entstammt dem letzten Wurf meiner Mutter, sie war schon alt und von den drei Kindern, die sie bei diesem Wurf gebar, blieb nur er am Leben. Ich war schon fünfundvierzig Tag alt und in der Reife, aber er schloss sich mir an, warum, vielleicht suchte er einfach Gesellschaft, ich weiß es nicht. Deumtineo blieb mir jedenfalls auf den Fersen, wenn ich mich umdrehte war er da und schaute mich anklagend an. Dabei hatte ich ihm nie etwas getan, bloß seine Gesellschaft war mir lästig. Man muss dazu sagen, mit Fünfundvierzig ist alles was man nicht braucht, ein kleiner Bruder, der einem überall hin nachläuft. Ich interessierte mich für Mädchen und er war mir im Weg. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich habe anfangs versucht ihn einfach nicht zu beachten. Aber auch wenn ich ihn schlecht behandelte, er ließ sich nicht davon abbringen, mir zu folgen. Ich schlich mich heimlich weg, aber er fand mich immer. Dann trat ich in die Klosterschule ein, und dachte das wars, jetzt bin ich ihn los, aber nein, sowie ich das Kloster verließ, tauchte er sofort wieder irgendwo auf. Eines Tages hatte ich genug davon. Ich sagte ihm, entweder er müsse mit mir im Kloster leben und lernen, oder er solle hier verschwinden und nach Hause gehen. Er entschied sich fürs Lernen und er hatte Erfolg, bestand jede Prüfung, trotz seine jungen Tage. Er ist sehr intelligent, aber hohe Intelligenz kann ganz leicht mit Wahnsinn gepaart sein, das weiß man ja. Aber was er nicht von MUS bekommen hatte, war eine Gabe, das machte ihn verrückt. Er versuchte es mit meditieren, er verbrachte Stunden in der Schwitzhütte, er betete darum, aber nichts half. MUS hatte ihm keine Gabe mitgegeben, und einfach so, konnte er keine erlangen. Er wurde immer besessener, ließ sich von jedem, der sich erinnerte, die uralten Geschichten erzählen, fragte alle aus und tobte vor Zorn, wenn man ihm nicht helfen konnte. Er wurde für die ganze Schule immer unerträglicher. Nachdem er es eine Zeit lang mit angesehen hatte, bat der Meister der Schule ihn zu gehen. Mit der Begründung, ohne Gabe sei er hier nicht richtig und wegen seines unberechenbaren Verhaltens auch nicht mehr willkommen. Das mochte der Auslöser gewesen sein, ich weiß es nicht, jedenfalls schrie und tobte er, es brauchte drei Mäuse um ihn festzuhalten und aus dem Bau zu werfen. Er schwor Rache und sein Gott würde ihm helfen, und wenn nicht, der Teufel. Wir waren alle betroffen, angesichts seines Verhaltens. Es war mir unglaublich peinlich, schließlich war er ja mit mir verwandt, mein kleiner Bruder. Aber niemand gab mir irgendwie die Schuld. Tausend Tage lang hörte keiner etwas von ihm, ich dachte er sei tot. Er hatte wie ich in der Schule aus der Lebensquelle getrunken, aber dass sie so lange wirken könnte, daran hätte ich nie geglaubt. Damals wusste ich auch noch nicht das, was ich heute weiß, es gibt einige Wasser des Lebens. Nun er war schlau und hat offensichtlich eine andere Quelle entdeckt. Jedenfalls tauchte er nach langer Zeit wieder auf und fing an sich einen Priester des einzig wahren Gottes zu nennen und alle zu verteufeln, die so wie wir waren. Langlebig. Der Hohe Rat schob dem, vor ungefähr sechstausend Tagen, einen Riegel vor, und verbannte ihn auf ewig. Er dürfe nie wieder ins Land zurückkehren, sonst würde MUS ihn schwer bestrafen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen, bis heute.“

Wir bleiben eine Weile stumm sitzen, um das Gehörte zu verarbeiten. Es ist eine unglaubliche Geschichte, und doch wahr. Cito hat sie leider verpasst, aber ich werde ihm heute Abend im Nest alles erzählen. Da fällt mir auf, dass er schon ziemlich lange weg ist.

Eigentlich muss man sich um Cito keine Sorgen machen, er ist der Beste in der freien Wildbahn. Er kennt jede Gefahr und auch, wie man sie vermeiden kann. Trotzdem werde ich langsam unruhig, so weit ist es bis zur nächsten Grenze auch wieder nicht. Benedikte drückt meinen Arm.

„Er kommt bald, keine Sorge.“ Wenn meine Tochter, das Orakel, so etwas sagt, bin ich augenblicklich beruhigt. Und tatsächlich streckt er kurze Zeit später den Kopf durch den Eingang.

„Er ist tatsächlich gegangen, allerdings hat er die Ostgrenze genommen, deshalb hat es so lange gedauert,“ erklärt er mir, als er meinen, immer noch etwas besorgten, Blick sieht.

*

Deumtineo war immer noch wütend, er hatte soviel Zeit mit den Befragungen der Gemeindemitglieder vertrödelt. Und als er endlich erfahren hatte, was er wissen wollte, durfte er nicht aus dem See trinken. Er steigerte sich richtig hinein, er würde sich rächen, alle töten. Dann würde der See ihm gehören, und er würde bestimmen, wer daraus trinken darf. Das hatten sie jetzt davon, die Hohepriesterin hätte ihn nur aus dem See trinken lassen sollen, aber nein, sie hat ihn nicht einmal erwähnt.

Er war über die Grenze marschiert, Richtung Süden, ohne Plan und Ziel. Er überlegte fieberhaft, wie seine Rache aussehen sollte. Er müsste jemanden finden, der die Drecksarbeit, in diesem Fall das Töten, für ihn übernehmen würde. Er musste irgendwie an diesen See kommen, dummerweise kannte ihn jetzt jeder dort in diesem kleinen Land, ungesehen würde er es kaum schaffen. Also werden einfach alle verschwinden müssen, vorzugsweise sollen sie sterben.

„Guten Tag, wohin so eilig?“ Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er die Ratte, die am Wegrand saß, überhaupt nicht bemerkt hatte.

„Äh, hallo, wer will das wissen?“ Eine große dunkelgraue Ratte antwortete ihm.

„Mein Name ist Sebastiano, Du siehst so aus, als hättest Du große Sorgen, deshalb habe ich Dich angesprochen, vielleicht kann ich helfen.“

Deumtineo wackelte aufgeregt mit den Ohren.

„Warum willst Du mir helfen?“

Die Ratte machte ein Gesicht, als hätte sie Zahnweh. „Weil ich meiner Mutter versprochen habe, dem Erstbesten, dem ich über den Weg laufe zu helfen.“

„Mein Name ist Deumtineo, warum dass?“ Sebastiano schaute bekümmert drein.

„Ach weißt Du, ich habe mal wieder Mist gebaut, Deumtineo. Das war das Einzige, dass sie davon abhielt mich endgültig rauszuwerfen.“

Dieser legte den Kopf schief und dachte nach.

„Wenn Du mir wirklich helfen willst, Sebastiano, dann sag mir, wer für mich in den Krieg ziehen könnte. Eine unverschämte Mäusekolonie hat etwas, das mir gehört, auf das ich definitiv einen Anspruch habe. Ich will es wieder zurück, aber sie geben es nicht heraus. Allein kann ich nichts machen. Deshalb habe ich Dich auch nicht gleich gesehen, entschuldige, aber ich war ganz in Gedanken.“ Sebastiano stand auf.

„Macht nichts, nun, ich habe einen Vetter, der ist bei den Interfectoren, aber er wird was dafür wollen, kannst Du ihm was anbieten?“ Lauernd betrachtete er die kleine Feldmaus.

„Ja, er bekommt seinen gerechten Anteil, keine Angst, ich bleibe nie etwas schuldig. Was sind denn eigentlich Interfectoren?“ Diesen Ausdruck hatte Deumtineo noch nie gehört.

„Meuchelmörder, die kann man anheuern, sie erledigen dann die Drecksarbeit für Dich.“ Die Ratte spuckte auf den Boden. Das war ja praktisch, da müsste er sich nicht zeigen und der Verdacht würde auch nie auf ihn fallen. Die Idee gefiel ihm, sie gefiel ihm sogar sehr gut.

„Und wie komme ich an deinen Vetter heran?“ Sebastiano lächelte hinterhältig.

„Das ist einfach, ich erklär Dir, wo die Armee im Moment lagert, frag nach Hauptmann Ricardo, das ist mein Vetter und richte ihm Grüße von mir aus. Damit er Dir auch glaubt, und Dich nicht gleich umbringt.“ Jetzt war ihm doch etwas mulmig zu Mute, dass der Kontakt so gefährlich werden würde, hatte er nicht bedacht. Sebastiano sah ihn erwartungsvoll an.

„Und, wirst Du hingehen?“ Deumtineo war das falsche Lächeln der Ratte nicht entgangen.

„Ja, danke, beschreibe mir den Weg, oder besser noch, komm doch einfach mit. Dann kannst Du Deinen Vetter selbst sehen.“

„Wenn Du denkst, Du bist mit mir sicherer dran, dann täuscht Du Dich.“ Sebastiano lachte dröhnend. „Ricardo hasst mich, weil ich sein kleines Geheimnis kenne.“ Das war nicht so gut, aber es war der einzige Weg. Wenn dieser Hauptmann ein Meuchelmörder war, dann konnte er ihm auf jeden Fall helfen, er musste es versuchen.

„Sebastiano, so war das nicht gemeint, vielen Dank, für Deine Hilfe, erkläre mir einfach wie ich dort hingelange, und ich komme schon zurecht.“ Sebastiano erklärte es ihm genau, es war nicht zu verfehlen, und nachdem Deumtineo sich verabschiedet hatte, ging jeder seines Weges.

See des ewigen Lebens / Maxi II

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