Читать книгу See des ewigen Lebens / Maxi II - Sabine Teyke - Страница 8
V
ОглавлениеHauptmann Ricardo lief um das Lager herum, er würde jetzt gerne jemanden umbringen, einfach nur so, um sich abzureagieren. Diese Soldaten, die er zugeteilt bekommen hatte, waren Trottel allererster Güte. Sie verweigerten nicht etwa einen Befehl, dann hätte er sie ja zum Tode verurteilen können, nein, sie stellten sich in der Ausführung an wie kleine Kinder, nachlässig und unorganisiert. So etwas ging ihm gehörig auf die Nerven. Er hörte ein Rascheln im Gebüsch und sah kurz darauf eine alte Feldmaus daraus hervorkriechen, es sah so aus, als würde er doch noch einen abmurksen können.
„Halt! Wer da?“ Sein Ton war entsprechend autoritär.
Deumtineo zuckte zusammen.
„Mein Name ist Deumtineo...“ Ricardo schnitt ihm das Wort ab.
„Das interessiert mich nicht, Du hast unbefugt Militärgelände betreten, ich muss Dich töten.“ Ricardo schnappte sich die Maus und schüttelte sie ein bisschen. Er würde sie nicht sofort töten, sondern erst ein bisschen Spaß haben.
„Nein, lass mich los, Dein Vetter schickt mich, tu mir nichts!“ Deumtineo schrie vor Angst. Ricardo lockerte seinen Griff ein wenig.
„Welcher Vetter, was faselst du da?“
„Sebastiano, Dein Vetter, er hat mich geschickt.“ Ein grimmiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
„Ah, Sebastiano, der Blödmann, warum schickt er mir eine Feldmaus?“
„Weil ich einen Interfector brauche, und er hat gesagt...“ Mehr brachte Deumtineo nicht heraus. Hauptmann Ricardo drückte ihm gerade die Kehle zu.
„Was hat der Idiot noch gesagt? Hast Du es irgendjemandem erzählt?“ Deumtineo schüttelte so gut es ging den Kopf. Ricardo lockerte endlich seinen Griff. Deumtineo sog tief die Luft in seine Lungen.
„Wann kapiert der endlich, dass es ein Geheimnis ist, verdammt, also, was willst Du?“ Die Feldmaus räusperte sich und hüstelte etwas, bevor er antwortete.
„Ich brauche jemanden, der für mich in den Krieg zieht, um mein Eigentum zurückzubekommen. Du bekommst natürlich etwas davon ab.“
Ricardo war erstaunt, die Maus wollte ihn engagieren?
„Um was handelt es sich denn da, lohnt sich das überhaupt für mich? Ich will schon meinen Schnitt machen, wenn ich für Andre töte.“ Der Hauptmann hatte Deumtineo inzwischen losgelassen, und der rieb sich über seine Kehle, bevor er antwortete.
„Es geht um ein Lebenselixier, es verleiht das ewige Leben und große Macht, und, es gehört von Rechts wegen mir. Aber die Hohepriesterin, Maxi ist ihr Name, hält es vor mir verborgen und behütet es. Wenn ich es zurückbekomme, teile ich mit Dir, dann werden wir beide ewig leben und sehr mächtig sein.“
Der Hauptmann warf ihm einen zutiefst ungläubigen Blick zu.
„Ewiges Leben? Was ist dass denn für ein Quatsch, niemand lebt ewig...“ Deumtineo unterbrach ihn.
„Doch, es funktioniert, ich bin schon achttausendfünfhundert Tage alt, ich schwöre es Dir.“ Ricardo schaute sich die verhutzelte Maus genau an, so viele Tage? Kaum zu glauben, aber wenn etwas dran sein sollte an der Sache, wäre es schon der Wahnsinn.
Ewig zu Leben hat was, fand jedenfalls Ricardo.
*
Normalerweise trete ich meine Herbstreise erst am Ende des zehnten Mondes an, diesmal muss ich sie aber vorverlegen. Deumtineo hat die Familien verängstigt, es ist wichtig, dass ich mit allen rede und zwar bald. Amissa begleitet mich, Benedikte bleibt im Kloster. Zu zweit werden wir gut vorankommen, da wir uns um Nahrung und Unterkunft keine Sorgen machen müssen.
„Mama, gehen wir, wie immer, zuerst nach Osten, oder möchtest Du diesmal im Westen anfangen?“ Ich habe davon gesprochen, meine Route ändern zu wollen, mich aber noch nicht festgelegt.
„Schatz, ich glaube, wir fangen im Westen an. Bei den Neusiedlern im Schuppen. Die kennen wir noch nicht so richtig, und das will ich ändern.“ Amissa grinst.
„Du bist bloß neugierig.“ Erwischt, natürlich bin ich neugierig, bis jetzt habe ich nur die Frau kennengelernt, den Rest dieser Familie, noch nicht.
Damien kommt auf uns zu.
„Hohepriesterin, könnte ich Euch begleiten? Mich würde interessieren, wer so alles hier lebt. Viele Familien kenne ich gar nicht.“ Ich werfe einen kurzen Blick auf Amissa und nicke dann.
Berti teilt mir noch schnell mit, dass er die Schüler heute nach Hause schicken will, damit sie dort helfen können. Das ist gut, je mehr Mäuse beim Sammeln dabei sind, desto besser. Außerdem können die Studenten dann gleich anwenden, was sie bei uns gelernt haben. Ich drücke Cito zum Abschied, gut möglich, dass wir ihn unterwegs immer mal wieder treffen werden, er ist viel draußen unterwegs.
Als die Sonne aufgeht, gehen wir los, Benedikte und Emilo sind am Wäldchen und winken uns. Dort gehen wir sowieso vorbei, dann kann ich sie noch einmal in den Arm nehmen. Während ich sie drücke flüstert sie mir ins Ohr.
„Hab ich das nicht toll eingefädelt?“ Und schaut dann in Richtung Amissa und Damien. Ah, deshalb ist sie daheim geblieben. Ich lächle ihr verschwörerisch zu.
*
Wir schlüpfen durch die Palisaden, lassen den Holunder links liegen und begeben uns zum Schuppen der Menschen. Dort gibt es wunderbare Verstecke, in die aber seit mindestens tausend Tagen keiner einziehen wollte, erst diese neue Familie hat es gewagt. Es ist sehr dicht an den Menschen, deshalb muss man einfach wachsamer sein, als am See.
In der hinteren linken Ecke ist der Einstieg in die Behausung der Neusiedler. Ich rufe laut hinein. Kurz darauf erscheint eine etwas dickliche, matronenhafte Maus mit hellgrauem Fell.
„Was kann ich für Euch tun?“ Begrüßt sie uns. „Ach herrje, die Hohepriesterin, kommt herein, kommt herein.“ Sie überschlägt sich fast vor Eifer. „Was verschafft mir die Ehre?“
„Nun, ich mache jeden Herbst eine Reise und besuche alle Familien, um zu sehen, wie es ihnen geht und ob sie für den Winter gut gerüstet sind, oder noch irgendetwas brauchen,“ antworte ich. Wir gehen in die Wohnhöhle, alles ist blitzblank. Es riecht angenehm frisch, und die drei Kinder spielen in einer Ecke.
„Schön haben Sie es hier,“ sage ich, „gemütlich und sauber.“
„Ich gebe mir Mühe, es den Kindern so schön wie möglich zu machen.“ Sie lächelt stolz.
„Ist Ihr Mann beim Sammeln? Ich würde ihn gern kennenlernen, bisher hatten ja immer nur wir zwei miteinander zu tun.“ Sofort senkt sie den Kopf und beginnt zu weinen. Habe ich etwas Falsches gesagt?
„Was ist mit Ihnen, geht es Ihnen nicht gut?“
„Doch, ich schäme mich nur so.“ Sie lässt den Kopf hängen. Dann setzt sie sich auf den Boden.
„Warum, dafür besteht doch gar kein Grund,“ sage ich tröstend. Sie flüstert mit gesenktem Kopf.
„Weil er mich verlassen hat.“ Ich lege tröstend den Arm um ihre Schulter. Da sprudelte es aus ihr heraus.
„Er hat eine andere gefunden, da war ich nicht mehr gut genug und er hat mich und die Kinder einfach alleingelassen.“
„Das tut mir leid, aber deswegen müssen sie sich doch nicht schämen.“ Sie schüttelt den Kopf.
„Meine Eltern haben mich gewarnt, aber ich war so verliebt, dass ich mit ihm gegangen bin. Hätte ich nur auf sie gehört, aber wenn man jung ist...“
„Fehler machen wir doch alle, sie haben wunderbare Kinder, so brav, vergessen sie einfach ihren Mann. Wenn er sie nicht will, dann brauchen sie ihn auch nicht.“ Amissa tröstet die Frau mit ihren Worten offensichtlich, denn ihre Mine erhellt sich wieder.
„Beim Sammeln hätte er aber gut helfen können,“ meint sie, „das schaffe ich kaum allein.“
„Brauchen Sie Hilfe?“ Frage ich sie.
„Hilfe könnte ich schon gebrauchen, wir haben noch längst nicht alles, was wir für den Winter benötigen, aber da mein Mann weggelaufen ist, muss ich eben selbst versuchen genug Nahrung zu sammeln.“
„Ich könnte jemanden schicken, der hilft.“ Biete ich an.
Fast schon beleidigt meint sie.
„Hohepriesterin, das ist nicht nötig, ich schaffe das schon, ich habe schließlich auch meinen Stolz.“ Ich nicke, mache mir aber eine geistige Notiz, ihr ein paar Lebensmittel zu schicken. Dann komme ich zum eigentlichen Grund meines Besuches.
„War dieser falsche Priester auch bei Ihnen?“ Sie nickt.
„Ja, aber ich habe ihn vertrieben. Der war doch verrückt, sein Gefasel über einen anderen Gott. Für mich gibt es nur MUS.“
„Ich frage mich auch, warum sie vor ein paar Tagen nicht zum Trinken gekommen sind?“ Ich schaue sie dabei aufmerksam an.
„Aber das ist doch erst in zehn Tagen, und da kommen wir natürlich.“ Ich erkläre ihr, dass wir in Zukunft zwei mal pro Mond anbieten zu Trinken und zu Beten, sie ist erfreut, hat aber offensichtlich nichts davon gewusst.
Wir verabschieden uns kurz darauf und gehen zur nächsten Familie, die in einem Baumstumpf des Nussbaumes lebt, der unter der Scheune hervor gewachsen ist. Die Menschen haben ihn vor einiger Zeit gefällt, dabei ist dieser hübsche Unterschlupf entstanden. Hier ist alles in Ordnung, sie leben schon den zweiten Sommer hier und haben ihre Angelegenheiten bestens geregelt. Auch sie wissen nichts vom zweiten Termin, den Priester haben sie gar nicht erst hereingelassen.
*
Heute war wahrscheinlich einer der letzten warmen Tage vor dem Winter. Bene nahm sich vor, hinauszugehen und noch einmal frisches Grünzeug zu sammeln.
„Bene?“ Auruma rief nach ihm, sofort ging er hinüber zum Brunnen, an dem sie stand. Heute sah sie wieder hinreißend aus, so frisch und jung. Er schaute sie verliebt an.
„Bene, irgendetwas stimmt mit dem Brunnen nicht, schau, der Wasserstand ist gesunken.“ Sie deutete auf das Wasser, das nur noch schwach zwischen den Steinen sichtbar war.
„So ein Mist, jetzt muss ich das reparieren, dabei wollte ich doch Grünzeug für uns holen. Ich dachte, vor dem Winter tut es uns allen noch einmal gut.“ Er ließ den Kopf hängen. Joana, die gerade vorbei lief hörte seinen letzten Satz.
„Bene, Anorex und ich können doch gehen, Grünzeug wäre jetzt herrlich. Repariere Du den Brunnen, das kann sonst keiner von uns. Wir holen uns etwas Frisches zum Abendessen.“ Sie rief nach Anorex und beide verließen den Bau. Bene kniete sich hin, und begann die Steine aus dem Brunnen zu holen.
*
Im Haus ohne Wände hat früher Sieglinde gelebt, eine sehr nette Feldmaus, nach ihrem Tod stand ihr Zuhause lange leer. Sie wohnte in einem Schrank der Menschen. Inzwischen ist wieder jemand eingezogen und ich gehe auch dort vorbei. Es sind halb verwilderte Hausmäuse, sie ernähren sich immer noch am Liebsten von dem, was bei den Menschen abfällt. Inzwischen sammeln sie auch ein bisschen, aber meist nicht genug. Im Prinzip bringen wir ihnen immer einen kleinen Vorrat kurz vor dem Winter vorbei. Jetzt möchte ich mich vergewissern, ob es diesmal auch so ist. Hugo, einer unserer Schüler erwartet mich schon.
„Hab gesehen, wie Sie zur Scheune sind, Hohepriesterin, hab mir gedacht, Sie kommen gleich.“
„Hallo Hugo, alles in Ordnung bei Euch?“ Ich lächle ihm freundlich zu. Er grinst zurück.
„Ja, wollen Sie mal unsere Vorräte sehen, diesmal ist alles da,“ sagt er im Brustton der Überzeugung. Ich nicke ihm zu und er führt mich hinter den Schrank. Dort erlebe ich eine echte Überraschung, Unmengen an Nahrung liegen dort gestapelt.
„Hast Du das alles gesammelt, Hugo?“ Er wirkt unglaublich stolz, als er mir antwortet.
„Ja, wie ich es in der Schule gelernt hab. Wir ham hier Nüsse und Kerne gelagert, drin sind noch Kräuter und Beeren.“ Ich bin wirklich erstaunt.
„Das hast Du toll gemacht, wird die Menge auch reichen?“ Erkundige ich mich.
„Ja, so viel wie zehn Mäuse, hat Lehrer Berti gesagt, und soviel hab ich.“ Er sieht mich zufrieden an.
„Hugo, ich bin sehr stolz auf Dich, das hast Du gut gemacht.“ Ein strahlendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.
„Danke, Mama war auch ganz hin und weg.“ Ich verabschiede mich, nicht ohne den Hinweis auf die geänderten Trinkzeiten. Aber das wusste er schon, er hatte es in der Schule noch mitbekommen. Wir gehen weiter zur nächsten Familie.
So geht es uns bei jeder Familie, niemand hat von diesem neuen Termin vor fünf Tagen gehört, den Priester haben sie gleich weggeschickt oder gar nicht erst angehört. Deumtineo hat offensichtlich keinen Schaden angerichtet, aber die zwei Spatzen schon. Auf dem Weg zum Haselstrauch, schauen wir kurz am See vorbei. Ich bitte Berti und Beatus, dafür zu sorgen, das der Frau mit den drei kleinen Kindern ein Nahrungsvorrat gebracht wird.
Am Haselstrauch rufe ich nach dem derzeitigen Anführer, Walter, der fünfte nach Magnus, mit dem ich es zu tun habe. Jeder hat den ursprünglichen Vertrag geachtet und erfüllt, ebenso wie ich immer alle Spatzen von ihren Verletzungen geheilt habe.
Er erscheint relativ schnell.
„Heilerin der Spatzen, was kann ich für Dich tun?“
Ich erkläre ihm den Sachverhalt, ehrlich gesagt, beschwere ich mich ein bisschen. Ich komme auch immer sofort gerannt, und lasse alles stehen und liegen.
Er macht ein zerknirschtes Gesicht und flattert nervös mit den Flügeln.
„Das tut mir leid, aber Peter wurde von der Katze gefressen und Paul war danach so kopflos, das er die Nachricht, die er überbringen sollte, vergessen hat. In der Aufregung hat Dich niemand informiert. Ich entschuldige mich ganz offiziell bei Dir. Soll die Nachricht noch verbreitet werden?“ Fragt er dann.
„Das mit Peter bedaure ich sehr, er war ein netter Kerl,“ sage ich. „Die Nachricht ist inzwischen veraltet, aber danke für das Angebot. Sind alle gesund bei euch?“
„Alles Bestens, danke, Heilerin.“ Daraufhin verabschiede ich mich, und wir gehen weiter. Auruma hatte recht, diesmal liegt es wirklich an den Spatzen, aber der gefressene Peter ist ein sehr mildernder Umstand. Spatzen sind anders, kein bisschen gefühlsbetont im Vergleich zu einer Maus. Mein Freund Daniel aus den Anfangstagen, war vielleicht ein bisschen anders, aber wahrscheinlich nur in meiner Erinnerung. Hätte ich von einer Maus erfahren, dass jemand verstorben ist, wären Mitgefühl und etwas Trost die richtige Reaktion gewesen. Bei Spatzen ist es im Prinzip nur eine Kenntnisnahme des Verlustes, sonst nichts. Es scheint ihnen einfach nicht so viel auszumachen.
Während ich mit Walter gesprochen habe, scheinen Amissa und Damien in ein wichtiges Gespräch vertieft. Sie sitzen im Schatten der Mauer und stecken die Köpfe zusammen. Es sieht vertraulich aus, das freut mich. Benedikte hat recht, sie brauchen nur einen Schubs in die richtige Richtung. Ich hoffe wirklich die Reise wird sie zusammen bringen. Amissa hat nach Bern und das ist dreitausend Tage her, kein Männchen mehr angeschaut, es würde ihr gut tun, Damien näher zu kommen. Wenigsten glaube ich das, ohne Cito kann ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen. Ich glaube daran, dass es zu zweit einfach schöner ist als allein. Aber ich bin auch romantisch veranlagt und kuschelsüchtig.
*
„Es ist ja immer noch richtig warm in der Sonne, ach Anorex, ich bin froh, dass wir hinausgegangen sind,“ sagte Joana zu ihrem Mann. Sie bekam keine Antwort, denn ohne jede Vorwarnung waren sie plötzlich von riesigen Ratten umringt, sie hatten nichts gehört und sie auch nicht kommen sehen, auf einmal waren sie einfach da. Joana drückte sich ängstlich an Anorex.
„Was wollt ihr?“ Anorex sprach sie an.
„Sieh mal einer an, die Maus kann sprechen. Was wir wollen? Nun, wir kundschaften euer Land aus, damit wir es später besser überfallen können.“ Die große Ratte hatte einen gemeinen Gesichtsausdruck, Anorex wusste, das konnte nicht gut ausgehen, wenn die Ratte ihre Pläne verriet, würde sie Joana und ihn vermutlich töten, damit sie nicht redeten. Er gab Joana eine Schubs und schrie:
“LAUF!“ Aber sie schaffte es nicht, eine der Ratten hob sie am Genick hoch und schüttelte sie, bis sie ohnmächtig zwischen seinen Pfoten hing.
„Joana...“ er konnte nichts tun, Anorex fühlte sich hilflos und noch kleiner als sonst.
„Den da auch,“ sagte der Anführer und zwei Ratten packten ihn.
„Was sollen wir mit ihnen machen, Hauptmann?“ Wollten sie wissen. Der Hauptmann überlegte kurz.
„Mitnehmen, alle zwei. Wir werden sie daheim gründlich verhören, da wäre es doch gelacht, wenn wir nicht alles über dieses kleine Land herausfinden würden.“ Dann schlug er Anorex hart auf den Kopf und alles wurde schwarz um ihn.
*
In der Herberge waren alle in heller Aufregung, Joana und Anorex sind verschwunden. Sie wollten, noch einmal vor dem Winter, frische Sachen zum Essen holen, und sind nicht mehr zurückgekommen. Bene machte sich heftige Vorwürfe.
„Wenn ich den Brunnen nicht hätte reparieren müssen, wäre ich selbst gegangen. Das ist alles meine Schuld, ich hätte verhindern müssen, dass Joana und Anorex Grünzeug sammeln gehen.“ Er raufte sich das Fell.
„Bene, Du kannst nichts dafür, für Anorex war das die willkommene Abwechslung, Du weißt doch, wie gerne er sammelt.“ Auruma versuchte ihn zu trösten.
Das stimmte natürlich, Sammeln war Anorex´ Leidenschaft
„Wir müssen sie suchen!“ Sagte Bene und lief aus dem Bau. Bellusa und Auruma folgten ihm nach draußen. Gemeinsam suchten sie den gesamten Bereich um den Nussbaum ab. Sie gingen sogar noch in den Nutzgarten der Menschen, aber, von Joana und Anorex fehlte jede Spur.
„Wer weiß, was ihnen passiert ist, hoffentlich nichts Schlimmes.“ Sagte Bellusa, aber Bene hatte ein sehr schlechtes Gefühl. Anorex kannte sich hier aus, er lebte schon ewig hier bei Custos, lange bevor sie selbst herkamen, und er hat immer in dieser Gegend gesammelt. Nein, etwas Furchtbares musste passiert sein. Er nahm sich fest vor, wenn er bis heute Nachmittag nichts gehört hätte, einen Spatzen zu Maxi zu schicken.
*
Je weiter wir nach Osten kommen, um so mehr hören wir von Deumtineo. Im Osten ist der Informationsfluss geringer, die Leute wohnen weiter auseinander. Die Spatzen fliegen auch eher nach Westen oder Süden. Die Familien hier sind verunsichert, sie wissen nicht, was sie von diesem neuen Gott und dem Teufel halten sollen. Ich kläre sie auf und hoffe, dass sie mich verstehen. Außerdem teile ich ihnen die geänderten Trinkzeiten im Kloster mit.
Eine Familie erzählt uns von einem Einsiedler, er käme ab uns zu vorbei, um beim Abendessen zu schnorren, aber er spricht nicht viel. Man könne ihn immer wieder irgendwo still herumsitzen sehen, aber was er will, weiß niemand. Ich habe noch nie etwas von ihm gehört, und frage wo er lebt. Ganz weit im Osten wahrscheinlich, ist die Antwort. Genauer kann es keiner beschreiben.
Wir machen einen Zwischenstopp bei Bene. Normalerweise genießen wir den Luxus seiner Herberge, er bewirtet uns immer ausgezeichnet. Aber heute sind seine Neuigkeiten verstörend, Joana und Anorex sind spurlos verschwunden. Eine Suche hat nichts gebracht. Auch die Befragung der Anwohner ist ergebnislos verlaufen.
„Was können wir denn noch tun?“ Bene ist total verzweifelt.
„Bene, Du hast schon alles getan, wir müssen einfach abwarten. Mir graut auch schon davor, es Mama zu erzählen, vor allem weil man nichts mehr tun kann außer warten. Ich könnte die Spatzen bitten, auch noch nach ihnen zu suchen, die kommen viel weiter herum als wir.“ Wo sind sie nur? Was ist ihnen passiert?
„Ja, Maxi, das ist wenigstens noch eine Möglichkeit, mach das bitte.“
Danach besprechen wir noch ein paar andere Sachen, ich frage nach dem Einsiedler. Auch hier hat man von ihm gehört, aber beim Clan des großen Nussbaumes ist er noch nicht aufgetaucht. Wir verabschieden uns mit Kummer im Herzen und gehen weiter nach Osten, drei Familien noch, dann geht es wieder zurück Richtung Westen. Ich mache mir Gedanken um Joana und Anorex, was könnte da nur vorgefallen sein?
Alle Familien, die wir noch aufsuchen sind gut versorgt und gesund. Auch sie erzählen vom Einsiedler, aber keiner kennt seinen Namen. Langsam bin ich wirklich neugierig auf ihn, wer er ist, woher er kommt.
Als wir am Rhabarber vorbeikommen sitzt eine Maus reglos in der Sonne. Ich kenne sie nicht, vielleicht der Einsiedler?
„Guten Tag, ich bin Maxi, die Hohepriesterin der Mäuse in diesem Land, wie ist Dein Name?“
Er schaut auf und man hat das Gefühl, er kommt von sehr weit her.
„Entschuldige, ich war in Gedanken. Ich bin Ragnarson, der Sohn von Ragnar, dem Denker, ich komme von weit her aus dem Norden, Hohepriesterin, aber ich habe schon von Dir gehört.“ Ich stelle Amissa und Damien vor und erkundige mich, was er beim Rhabarber macht.
„Ich denke nach, man hat so selten seine Ruhe und hier sah es so friedlich aus, ganz so, als würde ich allein sein können.“ Ich höre einen leichten vorwurfsvoller Unterton heraus. Ich muss lachen.
„Es tut mir leid, wenn wir Dich stören, aber Du sitzt mitten im Zaunweg, es wundert mich, das nicht mehr hier vorbeigekommen sind. Das ist im Sommer ein beliebter Spazierweg.“ Er schaut mich verdutzt an, dann lacht er, ein voll tönendes, fröhliches Lachen, das sehr ansteckend ist.
„Hohepriesterin, es tut mir leid, ich bin schon so lange allein, weil ich mich immer gestört fühle, wenn meine Gedanken unterbrochen werden. Deshalb war ich eben auch etwas unhöflich, ich hoffe Du verzeihst mir, dass ich für einen Augenblick meine Manieren vergessen habe.“ Ich nicke.
„Dennoch würde es mich interessieren, woher genau Du kommst, Ragnarson, ich kenne eigentlich alle Mäuse im Land und wenn nicht, bemühe ich mich sie kennenzulernen. Ich denke, es ist meine Pflicht als Hohepriesterin, alle zu kennen und zu unterstützen.“ Er legte den Kopf schräg.
„Das ehrt Dich, Hohepriesterin, aber ich bin, wie gesagt, aus dem Norden, aus den Bergen dort und nur zu Besuch im Land. In zwei Tagen werde ich zurückgehen, ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich meinem Volk vielleicht weiterhelfen kann. Wir werden uns wahrscheinlich nie mehr sehen. Darum, mach Dir keine Sorgen um mich.“
Ich nicke ihm zu und lächle dabei.
„Dann wünsche ich Dir eine gute Heimreise und einen schönen Tag, Ragnarson.“ Ich habe das Gefühl, dass wir ihn wiedersehen werden. Meine Gedanken beschäftigen sich mit Ragnarson. Sein Verhalten war irgendwie ungewöhnlich, ich kann es nicht einordnen.
Das ist eine schnelle Reise gewesen, wir haben sie in einem Tag geschafft, niemand ist krank, keiner hat Hilfe beim Sammeln benötigt. Wir haben Ragnarson, den Sohn des Denkers, getroffen, der aber bald wieder abreisen möchte. Alle sind informiert, über den zweiten Nachmittag, den der Orden anbietet.
Aber meine Schwester und ihr Mann sind verschwunden, es ist rätselhaft, zumal ich schon zweimal einen merkwürdigen Traum hatte, alles ist dunkel, wie in einer mondlosen Nacht und ich höre Schreie. Keine Bilder, keine Worte nur diese qualvollen Schreie. Es ist grauenvoll und ich wache immer sofort auf. Ich kann es mir nicht erklären, aber ich hoffe nicht, dass ein Zusammenhang besteht.
Ich fürchte mich ein bisschen zurück in unseren Bau zu gehen, vor allem, weil ich es Mutter sagen muss. Ich muss unbedingt mit Benedikte sprechen, vielleicht hat sie eine Vision, die zu meinen Träumen passt.
Meine Reise hat gezeigt, dass außer dem rätselhaften Verschwinden meiner Schwester, sonst bei den Familien alles in Ordnung ist, trotzdem beschleicht mich das Gefühl, das irgendetwas ganz und gar nicht stimmt.
Ich bekomme es nicht zu fassen, aber es ist da!
Beim Hereinkommen rufe ich gleich alle zusammen und erzähle, vom Verschwinden meiner Schwester und ihrem Mann. Mutter weint kurz, dann fasst sie sich wieder und sagt.
„Wir müssen alle nach ihnen suchen, vielleicht sind sie verletzt und brauchen Hilfe.“ So machen wir es. Bene hat zwar schon alle befragt und alles abgesucht, aber es beruhigt uns, es noch einmal zu tun. Und wer sagt, dass wir nicht vielleicht das Glück haben sie zu finden? Wir schwärmen also aus und verteilen uns bei der Suche im ganzen Land, befragen noch einmal alle Nachbarn, aber wie bei Bene, ohne Erfolg.
Joana und Anorex bleiben verschwunden, niemand hat sie gesehen, niemand weiß, wo sie sind. Was in MUS Namen ist da nur passiert. Völlig mutlos, an das Schlimmste denkend, kehren wir zurück in ins Kloster.