Читать книгу Der Zorn des Seth - Sabine Wassermann - Страница 12

4.

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Gespannt musterte Tachit den jungen Mann aus dem Augenwinkel: Breites Kreuz, schmale Hüften, die ein sorgfältig gefältelter Schurz umschmeichelte. Sein Gesicht war vielleicht ein wenig zu kantig, aber die Perücke milderte den Eindruck. Tachit konnte ihr Glück kaum fassen … der Sohn des Gauherrn machte ihr schöne Augen. Sie kam schon seit einiger Zeit ins Haus des Fürsten, um Wäsche abzuholen und am Fluss zu waschen. Notgedrungen hatte sie diese Arbeit annehmen müssen, denn sie gehörte noch keinem Mann, und ihr Vater konnte sie kaum ernähren. Nefer-hotep hatte sie ein paar Male zu Gesicht bekommen, und offenbar war sie ihm aufgefallen. O ja, sie war schön, das wusste sie, aber sie war eben auch nur die Tochter eines Landarbeiters – so eine würde der Sohn des Gauherrn wohl kaum zu sich nehmen, nicht einmal als Nebenfrau.

Aber sie konnte wenigstens davon träumen. Hieß es nicht, selbst im Harem des Einen gäbe es Frauen aus dem einfachen Volk?

»Deine Haare sind so sonderbar«, sagte Nefer-hotep und legte lässig die Hände an die Hüften. »Du bist wirklich schön …«

Tachit schüttelte ihre dichten, blonden Haare zurück, die sie über den Schultern geschnitten hatte, denn das ließ sie noch voller wirken. Es gefiel ihr, wenn die Leute sie dieser ungewöhnlichen Haare wegen ansahen. Sie setzte den Korb mit der Schmutzwäsche auf dem Gras ab. Die Villa des Gaufürsten war noch ein Stück entfernt; hier gab es nur einen Teich, Hennabüsche und Sykomoren in Reih und Glied. Es war dunkel, und niemand der anderen Hausangestellten würde sie sehen. Hatte Nefer-hotep gewusst, dass sie heute Abend kommen würde, oder war sein Hiersein Zufall? Wie auch immer, sie war froh, dass sie stets auf ihr Äußeres Wert legte und selbst für ihren einsamen Gang in die Wäschekammer ein anständiges Kleid anzog und mit Schmuck nicht geizte.

»Du auch«, erwiderte sie. »Was machst du denn noch so spät hier draußen? Müsstest du nicht längst drinnen sitzen und lernen, wie man Hieroglyphen malt?«

»Frech bist du auch noch«, brummte er und trat näher. Erst zupfte er ein wenig verlegen an seinem Haar, dann an ihrem, und jäh fand sie sich in seinen festen Armen wieder. Überrascht hielt sie den Atem an, als er sie küsste.

»Aber Nefer-hotep«, stammelte sie, als sie sich von ihm gelöst hatte, »damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Bist du immer so stürmisch?«

Er ließ die Arme hängen und machte ein verwirrtes Gesicht. »Du hast so einen … aufregenden Körper; ich habe dich schon öfter von meinem Zimmer aus beobachtet. Wenn du gehst, wenn du dich bückst, wenn du deine Haare zurückwirfst. Mir hat es immer gefallen.«

Tachit fühlte sich geschmeichelt, auch wenn sie von seiner offensichtlichen Unerfahrenheit enttäuscht war. Sie war keineswegs erfahrener, doch sie war ja auch ein Mädchen. Sein Kuss war interessant gewesen, aber sie zog es vor, sich erst mit ihm zu unterhalten. Seine bisherigen Worte ließen sie jedoch vermuten, dass eine Unterhaltung mit ihm vielleicht gar nicht sehr interessant sein würde. »Komm«, sagte sie, »lass uns am Teich sitzen. Oder musst du ins Haus?«

»Ich muss gar nichts«, antwortete er großspurig. »Mein Vater denkt, ich sei auf der Jagd.« Er kniff lächelnd die Augen zusammen. »Bin ich ja auch.«

Am Teich war eine Fackel in den Boden gesteckt, dort fühlte sie sich sicherer. Hier hatte sie die Frau des Fürsten baden sehen. Teiche empfand sie als Inbegriff des Überflusses. Jetzt wagte sie es, ihre Füße ins Wasser zu stecken. Es war so ganz anders als der schlammige Fluss: klar, duftend und mit im Wind sanft schaukelnden Lotosblüten verziert.

»Eines Tages«, seufzte sie, »möchte ich auch so einen Teich mein eigen nennen. Dann lasse ich mein Haar nur noch mit Duftwasser waschen und mir die Finger nach dem Essen abtupfen.«

Nefer-hotep setzte sich lachend neben sie, griff in ihr Haar und drückte ihren Kopf an seine Brust. Sie ließ es geschehen, dass er einen Träger des Kleides herunterschob, zunächst ihre Schulter streichelte und sich dann zu ihrer Brust vorarbeitete. Tachit wusste nicht, ob ihr das noch angenehm war.

Ihre Brustwarze versteifte sich zwischen seinen Fingern, was ihn anzustacheln schien. »Du bist zwar nur eine Wäscherin, aber nicht so zickig wie die anderen. Komm, steh auf, damit ich das Kleid über deinen hübschen Hintern schieben kann.«

»Welche anderen?«, fragte sie verwirrt und rückte ein Stück von ihm ab.

»Na, die anderen Dienerinnen im Haus. Du hast doch nicht gedacht, ich säße nur über meinen Schreibarbeiten? Aber du bist wirklich die Schönste von allen, deine Brüste fühlen sich herrlich an.« Fest griff Nefer-hotep zu, und Tachit stieß einen erschrockenen Schrei aus.

»Wieso bist du so schnell? Wir haben doch Zeit. Ich will eigentlich nur hier sitzen und mich mit dir unterhalten.«

»Ach, reden, das ist doch langweilig. Worüber auch? Komm schon, ich habe nicht so viel Zeit wie du, ich muss morgen in aller Frühe aufstehen, um meinen Vater in die Stadt zu begleiten. Vielleicht bin ich den ganzen Tag unterwegs, und so lange willst du doch auch nicht warten. Komm, zieh das Kleid aus.« Kurzerhand half er nach; Tachit konnte sich der fordernden Hände kaum erwehren, und schon saß sie nackt neben ihm. Nefer-hoteps Atem kam rascher, er versuchte ihre Schultern ins Gras zu drücken und presste gleichzeitig den Mund auf ihre Lippen. Sie versuchte ihn wegzuschieben, aber er war zu stark.

»Hör auf, sonst schreie ich«, sagte sie, um Entschlossenheit in ihrer Stimme bemüht. Aber er lachte nur.

»Du willst das Haus zusammenschreien? Du vergisst gerade, wer ich bin. Halt still, ich mache es dir ja schön.«

»Hör auf!«

Bei Seths Ohren, nie hätte sie gedacht, dass dieser Junge sich als so plump und dumm erweisen würde! Sie schlug ihm ins Gesicht, und sofort richtete er seinen Oberkörper auf und rieb sich verblüfft die Wange. Er starrte sie einen langen Augenblick an. Dann schlug er zurück, so fest, dass sie glaubte, ihre Lippen würden aufplatzen. Voller Furcht presste sie die Augen zu, und als sie wieder hinsah, stand er zwei Schritte entfernt und ordnete seinen Schurz.

»Dummes Ding«, sagte er verächtlich, »wir hätten uns ein schönes Stündchen hier am Teich machen können, aber dein unangebrachtes Ehrgefühl hat es verpatzt. Du gibst dich hochtrabend wie die Tochter eines Würdenträgers, dabei bist du bloß eine Waschfrau.«

»Das bin ich nicht, du kennst mich doch gar nicht«, schluchzte sie auf und schlüpfte hastig in ihr Kleid.

»Ich weiß genug über dich! Du bist die Tochter dieses Seth-Priesters, der jetzt auf den Feldern schuftet. Und dein Bruder, den habe ich oft genug zu Gesicht bekommen, wenn er im Schlepptau des Leibarztes hierher kam. Der hat sich auch eingebildet, etwas Besseres sein zu können. Hat sich davongemacht, weil er es nicht ertragen konnte, einen Verfemten zum Vater zu haben.«

Tachit kam auf die Füße, mit den Fingern an der blutenden Lippe. »Halt den Mund! Du bist es nicht wert, auch nur Horys Namen in den Mund zu nehmen.«

Lachend breitete Nefer-hotep die Arme aus. »Oh, ich bin es nicht wert! Ich bin ja nur der Sohn des Gauherrn von Chenti-iabeti, er jedoch ist der große Arzt, der nach Achet-Aton ging, um in den Spuren des legendären Imhotep zu wandeln! Vermutlich hockt er jetzt in einem fremden Hauseingang und bettelt die Leute an, weil er sich nichts zu essen kaufen kann.« Er packte Tachit am Arm und stieß sie grob von sich. »Los, mach, dass du wegkommst. Den Korb lässt du hier, du bist es nicht wert, unsere Wäsche zu waschen. Geh heim und sag deinem Vater, dass du hier nicht mehr erwünscht bist.«

Tränenblind hastete Tachit den Weg entlang, der durch das Tor auf die Straße führte. Aufschluchzend setzte sie sich an den Wegrand, sobald sie sicher war, dass niemand sie sah. Sie hörte noch die sich entfernenden Schritte Nefer-hoteps, der in das schöne, prächtige Haus ging, um sich auf sein weiches Bett aus vielen Lagen Leinen und teurem Holz zu legen. Hatte sie wirklich geglaubt, einer wie er würde sie mit Achtung behandeln? In ihr Inneres blicken können? Das konnte allein Hory. Hier gab es weit und breit keinen Mann, der ihre Träume mit ihr teilte. Ja, Hory, der hatte gewagt, alles hinter sich zu lassen und eine neue Welt zu betreten. Vielleicht saß er jetzt wirklich mit knurrendem Magen in irgendeinem Hauseingang – obwohl sie das nicht glaubte –, aber er hatte sich nichts vorzuwerfen, denn er war seinen Weg gegangen.

Sie wischte sich mit einem Zipfel ihres Kleides das Gesicht sauber und machte sich auf den Heimweg. Dunkel lag der verlassene Tempel am Rande des Dorfes, auf halbem Weg zur Stadt Auaris. Seth, der Kriegsherr, hatte über den grünenden Landstrich hier am nordöstlichen Rand des Deltas geherrscht. Dann war ein neuer Gott gekommen und hatte die Einzigartigkeit der Sonnenscheibe verkündet. Seit vielen Jahren gab es keine Priester mehr im Tempel von Auaris, dem Roten Tempel des Seth.

Das winzige Häuschen ihres Vaters lag abseits des Dorfes am Rand des Feldes, das er bearbeiten musste. Es besaß nicht einmal eine Tür oder ein Fenster; nur ein Vorhang schützte das Innere. Tachit sah schwaches Licht hindurchschimmern, und sie wusste, was er tat.

Harmose blickte nur kurz auf, als sie eintrat, und beugte sich wieder über den Kupferspiegel. Mit geübten Bewegungen rasierte er sich Brauen und Wimpern ab. Sein Schädel war bereits kahl.

Tachit schüttelte den Kopf. »Warum kannst du nicht damit aufhören, Vater? Du bist kein Priester mehr! Die Leute sind noch feindseliger, wenn sie sehen, dass du dich wie ein Priester rasierst.«

Harmose ließ das Obsidianmesser sinken und wischte die Härchen von der Klinge. »Das sind sie so oder so. Ich ehre meinen Gott und kann mir nicht verzeihen, dass ich ihn habe verleugnen müssen. Ich kann mit dem neuen, von einem Pharao verordneten Glauben nichts anfangen, den nicht einmal die Priester erklären können, die übers Land geschickt worden sind. Seth ist der Gott meiner Familie, und das wird er bleiben.«

»Sie sagen, er sei ein böser Gott.«

»Tachit.« Harmose rutschte auf dem Hocker zu ihr herum und sah sie an. Dass sie geschlagen worden war und geweint hatte, schien er nicht zu bemerken. »Hier in Auaris war er der Kriegsgott, der die Grenzen verteidigt. Er war nicht der Gott der Wüste. Ja, er ist gefährlich, aber rituelle Anbetung hält ihn im Zaum. Dort unten im Süden, in der Hauptstadt, da ist er der Gott des Bösen. Aber wer weiß, wie dort die Menschen sind. Vielleicht brauchen sie ja einen solchen Gott.«

Tachit stieß ungeduldig den Atem aus und ging zu dem Topf über dem Feuer, in dem der Linseneintopf warmgehalten wurde. Sie hasste es, wenn ihr Vater in dieser milden, ruhigen Art mit ihr sprach, als müsse er einem schwerfälligen Kind immer und immer wieder dasselbe erklären. Die Leute in der Hauptstadt konnten unmöglich schlimmer als die hiesigen sein. Achet-Aton war schließlich die Stadt der Sonne. Tachit aß ein paar Löffel von dem klebrigen Brei, der geschmacklos wie stets war. Gewürze konnten sie sich nicht leisten, außerdem war sie keine gute Köchin. Wehmütig dachte sie an die verlockenden Düfte, die aus der Villa des Gauherrn wehten.

»Ich habe meine Arbeit verloren.« Sie drehte sich zu Harmose um und senkte den Kopf. Harmose stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte das Gesicht in die Hände. Seine verzagte Haltung rührte sie, und sie erzählte andeutungsweise, was im Garten des Gauherrn vorgefallen war. Harmose richtete sich auf. Sein Gesicht war voller Falten, die Haut dunkel gebrannt. Jeden Tag auf den Feldern sah man ihm an.

»Du willst eine Edelfrau sein«, sagte er mit einer Spur Ärger. »Allmählich müsstest du einsehen, dass es hier keine Männer gibt, die dich dazu machen können. Ich habe dir schon oft geraten, zu Kenja zu gehen. Er ist der einzige weit und breit, der es ehrlich mit dir meint.«

»Kenja!«, schnaubte Tachit. »Dieser fette Flussschiffer!«

»Die Herren da unten in Achet-Aton sind auch fett. Und was hast du gegen einen Schiffer? Du könntest mit ihm fahren und einiges von der Welt sehen.«

»Von der Welt? Er fährt doch bloß bis Memphis.«

»Memphis ist eine schöne Stadt, und deine Ansprüche sind unangebracht.« Er nahm seine Lampe und ging in die hinterste Ecke des winzigen Hauses, um seine Schlafmatte auszurollen. »Dein Bruder hatte auch so hochfahrende Träume, als er sich nach dem Süden aufmachte. Allerdings ist aus ihm ein fähiger Arzt geworden, du jedoch hast nur deine Schönheit.«

Die Genügsamkeit, mit der er sich seinen Schlafplatz bereitete, ließ sie zornig werden. Sie drehte sich auf der Ferse um und eilte aus dem Haus, um die brüchigen Ziegelstufen zum Dach hochzusteigen, denn hier oben in der Brise schlief es sich leichter als im stickigen Haus. Sie hockte sich hin, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte zum nicht ganz gerundeten Mond hinauf. Wenigstens der Mond war derselbe wie seit Jahrmillionen, ihn hatte Echnaton, der von der Nacht nichts wissen wollte, nicht angetastet. Hoffentlich besaß Hory dort in Achet-Aton eine anständige Unterkunft und musste nicht im Freien schlafen – auf der Straße, wie Nefer-hotep gesagt hatte. Vielleicht hatte er ja eine Freundin mitsamt Haus gefunden, gutaussehend, wie er war. Sie jedenfalls wäre ganz sicher nicht an einem solchen Mann vorübergegangen.

Das Bild der toten Tji stand Hory noch lange vor Augen. Was war das für ein Mensch, der sie so roh zu Tode gequält hatte? Und hatte jener gewusst, dass der Verdacht auf ihn fallen würde? Besaß er einen Feind? Unmöglich, er kannte ja hier niemanden. Nicht einmal der Kronprinz, so verdorben er sein mochte, würde eine Frau seines Vaters unter Sand ersticken, um sich an irgendeinem bedeutungslosen Fremden zu rächen.

Die unbequeme Nacht in dem fremden Hauseingang war geeignet gewesen, um solch nutzlosen Gedanken nachzuhängen. Jetzt, am frühen Vormittag, hockte Hory noch immer hier und beobachtete die Straße. Vor Iri-Amuns Tür war er noch nicht wieder gewesen. An sich war es ihm gleichgültig, welchen Händler er hier auftat; wenn Iri-Amun ihm nicht öffnen wollte, würde er eben zu einem anderen gehen. Allerdings wusste er noch immer nicht, wie er es anstellen sollte, einen von ihnen zu finden. Keines der Häuser deutete darauf hin, dass in ihnen irgendetwas verkauft wurde. Und Hathors Hörner lagen verlassen da, tagsüber liefen hier kaum mehr Menschen umher als in der Nacht.

Ihm knurrte der Magen, und er hätte sich gerne gewaschen, jedoch war der Weg zum Fluss weit. Vielleicht wäre es das Beste, zur Faust von Bes zu gehen und sich den Platz auf dem nächsten Schiff zu sichern. Er musste ja nicht nach Auaris zurück, wenn er es nicht wollte. Er konnte nach Theben fahren und dort noch einmal von vorn beginnen.

Mach dir nichts vor, sagte er sich. Einen flüchtigen Mordverdächtigen wird man auch in Theben nicht in Ruhe lassen.

Aber hier zu hocken half ihm auch nicht weiter, also stand er auf und reckte seine Muskeln. Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür von Iri-Amuns Haus, und der Händler trat heraus. Seine Haltung war angespannt, sein Blick prüfend. So ging kein Mensch aus dem Haus, der mit sich und der Welt im Reinen war.

Iri-Amun entdeckte Hory, erstarrte, musterte ihn eine Spur zu lange und wandte sich mit einem leichten Kopfschütteln ab, als habe er überlegt, ob er ihn kannte, und dann entschieden, dass es nicht so war. Iri-Amun schlurfte die Straße entlang und verschwand in einer Seitengasse. Hory folgte ihm und bemühte sich, so weit wie möglich hinter ihm zu bleiben. Er hoffte nur, dass der Händler nicht die breiten, bevölkerten Straßen entlangging, womöglich die Königsstraße, auf der man jederzeit damit rechnen musste, einem Mitglied der königlichen Familie zu begegnen.

Iri-Amun suchte nur ein Bierhaus auf, wohl um zu frühstücken. Die Schenke bestand lediglich aus mehreren Reihen Ziegelbänken und Tischen, über die ein Binsendach errichtet war, aber auch hier war alles ordentlich gefegt und geputzt. Er schob sich in eine der Sitzreihen und ließ sich Brot und Bier bringen. Auch während des Essens betrachtete er argwöhnisch seine Umgebung, und als Hory zu ihm trat, starrte er ihn an.

»Dich habe ich doch eben schon gesehen, in der Nähe meines Hauses«, sagte er unfreundlich. »Bist du mir etwa gefolgt?«

»Ja.« Hory setzte sich ihm gegenüber. »Ich habe gestern Abend an deine Tür geklopft, aber deine Frau oder wer immer sie war hat mich abgewimmelt.«

»Mich behelligen ständig irgendwelche Leute, da muss ich nicht auch noch nachts meine Tür öffnen«, brummte der Händler, mit dem Blick im Bierbecher.

»Aber ein paar Augenblicke zuvor hattest du es noch getan.«

Iri-Amuns Kopf flog hoch. »Beobachtest du mich etwa? Wer bist du überhaupt?«

»Jemand, dem am Hafen ein Amulett gestohlen wurde.«

»Du bist wohl den Schreibern in die Arme gelaufen, was? Die stöbern in den Taschen eines jeden Neuankömmlings, der ihnen unangenehm auffällt. Also bist du neu hier.« Jetzt musterte Iri-Amun ihn genauer, zweifellos fragte er sich, was es wohl war, das den Schreibern an Hory aufgefallen war. »Du stammst aus dem Delta, nicht wahr?«

Hory nickte. Seine helle Haut ließ sich nicht verändern, auch nicht die leichte Delta-Färbung seiner Sprache. Ein Mädchen brachte eine riesige Schüssel Linsensuppe, die sie vor Iri-Amun abstellte. Abwartend betrachtete sie den zweiten Gast. Hory schüttelte nur den Kopf, sie lachte und trippelte davon. Zwei Soldaten ließen sich am anderen Ende der Schenke nieder und legten die müden Füße auf die Bänke. Sofort war das Mädchen bei ihnen, schlug ihnen auf die grabschenden Hände und brachte Bier. Hory fühlte sich sicher. Er war weder blond, noch trug er eine Perücke. Aber er bemühte sich, nicht zu den Männern hinüberzublicken. »Ich suche Tiere«, sagte er.

Iri-Amun schaufelte seine Suppe. »Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe?«

Hory ließ sich nicht beirren. »Es ist das Tier, das keinen Namen hat. Das Seth-Tier.«

»Du bist verrückt, wenn du glaubst, ich hätte solche Sachen zu verkaufen. Mach, dass du wegkommst, ich habe dich nicht um deine Gesellschaft gebeten!«

Das Schankmädchen tauchte wieder auf, diesmal mit Brot und Bier. Sie stellte das Tablett vor Hory ab und setzte sich neben ihn. »Ich habe das nicht bestellt«, brummte Hory. Sie lachte nur und tätschelte seinen Arm.

»Aber du hast bestimmt Durst, nicht wahr?«, gurrte sie. »Fühl dich eingeladen.«

»Danke.« Hory griff zu. Die Frau hatte demnach mit ihrem erfahrenen Blick sofort erkannt, dass er nicht bezahlen konnte, und wenn die Gegenleistung darin bestand, dass sie sich an ihn schmiegen konnte, war ihm das recht. Sie war leidlich hübsch, besaß einen üppigen Körper und eine Haut, die sich gut anfühlte. Ihre Anwesenheit behinderte jedoch das ohnehin mühselige Gespräch. Hory beschäftigte sich mit dem Brot und ließ es geschehen, dass sie in seinem Haar kraulte. Sie roch auch gut, fand er. Dann wurde sie vom Wirt zur Arbeit gerufen, und sie trottete zurück.

»Aufdringliche Frauensperson«, sagte Iri-Amun verächtlich. »Womit willst du ein Amulett bezahlen, wenn du dir nicht einmal etwas zu essen leisten kannst?«

»Mit einem Schurz aus Königsleinen.«

»Den du bestimmt gestohlen hast«, war die giftige Antwort. »Ich werde die Soldaten dort drüben rufen, wenn du nicht sofort verschwindest. Was du mit einem Seth-Amulett willst, solltest du ohnehin besser denen erklären.«

Hory war sich nicht sicher, ob er die Drohung ernst nehmen musste, aber er wollte sein Glück nicht herausfordern. Er wollte gehen, als plötzlich die Hand des Mädchens auf seine Schulter drückte. »Du hast bestimmt noch Durst«, sagte sie, stellte einen zweiten Becher ab und neigte in plumper Vertraulichkeit den Kopf. »Ich habe immer ein kühles Bier für dich übrig«, raunte sie in sein Ohr. »Nanu, was ist denn das, eine blonde Haarsträhne?« Sie zupfte an seinem Nackenhaar. »Du bist ja ein ganz Außergewöhnlicher. Heute Abend habe ich frei.«

Er schüttelte ihre Hand ab und stand auf. Iri-Amun starrte ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal, dann sprang auch er auf. »Nun warte doch«, das Lachen des Händlers klang verlegen. »Wir können ja über alles reden.«

»Das habe ich versucht«, erwiderte Hory und bemerkte erleichtert, dass das Mädchen wieder fortgerufen wurde. Er setzte sich nicht wieder, sondern nahm nur das Bier und trank es in einem Zug aus. »Aber du hast gedroht, mich denen da hinten auszuliefern«, er deutete mit dem Kopf auf die Soldaten.

»Das war doch nur ein Scherz. Ein Seth-Amulett kostet zwei silberne Kite.«

»Silber?«, gab Hory zurück. »Du verlangst für einen kleinen Bronzeanhänger tatsächlich Silber?« Nicht dass ihn der Preis interessierte, aber wie sollte er auf die verfluchten großen Figuren zu sprechen kommen? Und was war es gewesen, das den plötzlichen Stimmungsumschwung des Händlers ausgelöst hatte?

»Wie heißt du eigentlich?«, fragte Iri-Amun beiläufig. »Ich mag es nicht, wenn ich meine Kunden nicht anreden kann.«

»Hory.«

»Hory«, wiederholte der Händler, als müsse er sich den Namen einprägen. Hory erinnerte sich, dass zwischen Iri-Amun und der Frau in der Sänfte sein Name gefallen war, aber er war nicht weniger Ägypter als jeder andere – er konnte seinen Namen nicht verleugnen. Namen waren heilig.

»Komm heute Nachmittag, zwei Stunden vor Einbruch der Dunkelheit«, sagte Iri-Amun und warf ein Metallstück auf den Tisch. Plötzlich legte er Eiligkeit an den Tag. »Jetzt muss ich aber gehen.«

Er nickte Hory zu und marschierte weiter die Straße entlang, diesmal mit aufrechtem Gang und ohne sich ständig umzublicken. Hory machte sich in die andere Richtung auf. Er würde der Aufforderung folgen, trotz des warnenden Gefühls in seinem Magen, denn eine andere Möglichkeit sah er nicht.

Merit-Aton stand inmitten der gewaltigen Säulenhalle des Gem-pa-Aton, hinter der königlichen Familie. Vor dem zentralen Sonnenaltar vollzogen Echnaton und Nofretete die Riten; sie standen dem Altar zugewandt und hoben die Hände mit den Zeptern. Ein Bildnis der Sonne gab es hier nicht, denn sie stand im Zenit und bot sich mit aller drückend heißen Pracht dar. Der Schweißgeruch der Anwesenden wurde überdeckt von Weihrauch- und Blumenduft und ließ sich auch vom Nordwind nicht vertreiben.

Merit hatte gehofft, der Tod der Schwester Maket würde ihren Vater veranlassen, einige Tage in der dunklen Kühle seines Palastes zu verbringen. Doch der Pharao schien das Bedürfnis zu entwickeln, seinem Gott noch näher zu sein. Drei Tage hatte der Todeskampf der jungen Maket gedauert, und die Schmerzen, unter denen sie gestorben war, mussten unerträglich gewesen sein. Das Kind war natürlich auch tot, aber unter den gegebenen Umständen nahm das kaum jemand wahr. Echnaton würde früher oder später wieder eine seiner Töchter zu sich ins Bett holen.

Sie fragte sich, welche es wohl sein würde. Anchesen-pa-Aton? Sie war zwölf Jahre alt. Vor kurzem hatte sie sich ihren Jugendzopf scheren lassen, um sich das Haar einer Frau wachsen zu lassen. Nun trug sie eine Haube aus blauen Federn, die ihre unansehnliche Stoppelfrisur verbarg. Ab und zu schob sie die Finger unter die Haube, um sich zu kratzen.

Nein, dachte Merit, sicher wird er es zunächst bei seinen anderen Frauen belassen. Er hat so viele … Echnaton holte alle möglichen Frauen in sein Schlafgemach, oft war er nicht wählerisch. Sie mussten nur jung und hübsch sein. Manchmal sah er irgendwo am Straßenrand eine Frau, die ihm gefiel, und dann heiratete er sie und steckte sie in seinen Harem. Und manchmal taten es ihm gerade die gewöhnlichen Mädchen aus dem Volk an. Merit seufzte und trat unauffällig einige Schritte zurück, wo der Schatten einer Säule auf sie fiel.

Zwei Ausnahmen gab es in Echnatons seltsamem Liebesleben, eine davon stand dort vorne und spielte die Rolle einer Göttin: Nofretete-nefer-neferu-Aton, von der die Leute sagten, sie sei die schönste Frau unter der Sonne. Sie war die eigentliche Herrscherin der beiden Länder und tat ihr Bestes, um die morschen Regierungszügel zu halten, während Echnaton sich ganz seinen Bedürfnissen und der Sonnenreligion hingab. Er war auf sie angewiesen wie seinerzeit auf seine Mutter Teje, die ihm nach Osiris Amunhoteps Tod geholfen hatte, den Thron zu besteigen.

Ja, Teje, sie regte die Fantasie der Leute immer noch an. War es ihr Wunsch gewesen, ihn zu ehelichen – oder hatte er sie gezwungen? Hatte sie seinetwegen die Residenz verlassen? Niemand wusste es.

Der Hohepriester trat vor, um Echnaton ein Bündel Blumen zu überreichen, das er opfern wollte. Warum es hier Priester gab, obwohl nur der Pharao mit Aton sprechen konnte, gehörte zu den Geheimnissen dieser Religion, die wohl nur Echnaton selbst verstand. Nun, Aton selbst hatte ihn eingeweiht, und Merit mochte nicht zweifeln. Gleich würde er seinen langen Hymnus an Aton aufsagen. Ermattet trat Merit von einem Fuß auf den anderen.

Semenchka stand bei Beket. Die beiden steckten die Köpfe zusammen und zogen sich gemeinsam und unauffällig zurück. Merit sah zu, wie Beket ihn in eine verschwiegene Ecke lockte und dabei unbekümmert lachte. Er legte den Arm um sie, dann gerieten sie außer Sichtweite, und Merit wandte sich wieder dem Geschehen vorne zu.

Er mochte Beket sehr, das war nicht zu übersehen. Fast zu sehr. Doch manchmal hatte Merit den Eindruck, dass Beket ihn beherrschte. Sie ist stark, dachte sie. Stark, herrschsüchtig, hochmütig, göttlich. Die geborene Herrscherin. Beim Glanz des Aton, was wäre sie wohl, wäre sie männlich? Dann wäre nicht Semenchka der Thronfolger, sondern sie, ganz gewiss.

Der Zorn des Seth

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