Читать книгу Der Zorn des Seth - Sabine Wassermann - Страница 13
5.
ОглавлениеZwei Stunden vor Sonnenuntergang klopfte Hory an Iri-Amuns Tür. Auch diesmal öffnete jene Frau vom Abend zuvor, und ihr Blick war wieder abschätzend und unfreundlich. »Ich weiß schon«, sagte sie, bevor er seinen Namen nennen konnte, trat einen Schritt zurück und ließ ihn eintreten.
Es war ein kleiner Vorraum, vollgestopft mit Kästen und Binsenkörben. Das Licht einer Öllampe spiegelte sich auf zahllosen bronzenen und kupfernen Sonnenscheiben, die aufgeschichtet in den Körben lagen. Die Frau griff scheinbar wahllos zu und hob eine Sonnenscheibe hoch, flach und blankpoliert und so groß wie ihr Handteller. In den unteren Rand waren Löcher gestanzt. Kleine Ringe drehten sich darin, an denen fingerlange Drähte schaukelten, die die Sonnenstrahlen darstellten. »Alles, was du haben willst, gibt es hier, siehst du?«, sagte sie kühl lächelnd. »Gelobt sei Aton.«
An einer Wand hing eine Sonnenscheibe, mit einem Durchmesser von beinahe zwei Königsellen. Ihre Strahlen verteilten sich gleichförmig über der Wand und endeten in den üblichen kleinen Händen. Auf der Fläche war in kunstvollen Hieroglyphen Echnatons Anbetungshymnus eingraviert, in welchem er seine Liebe zur Sonne kundtat.
»Ich interessiere mich nicht für Sonnenscheiben«, sagte Hory geradeheraus, »sondern für Tiere.«
Die Frau nickte, verschwand durch eine rückwärtige Binsentür und verschloss sie hinter sich. Es dauerte nicht lange, dann kehrte sie mit dem Händler zurück. »Du kommst zu früh«, sagte er, und zu der Frau gewandt: »Rebbed, staube die Scheiben ab.«
»Ja.« Die Frau, vermutlich seine Ehefrau, schob vor die Außentür einen Riegel, setzte sich auf die Bank und begann mit einem Zipfel ihres Überwurfes Sonnenscheiben zu polieren. Hory folgte dem Händler in einen düsteren Flur, wo in den hölzernen Boden eine Klappe eingelassen war.
»Du bist zu früh«, bemerkte Iri-Amun unfreundlich.
»Ich habe mich an einer Sonnenuhr vergewissert«, antwortete Hory. War das nicht gleichgültig?
Iri-Amun hob die Klappe an. Modriger Geruch stieg aus dem schwarzen Schlund auf; eine faulige Strickleiter führte hinunter. »Da unten habe ich irgendwo noch eines dieser verfluchten Seth-Amulette herumliegen sehen … Mal sehen, ob es noch da ist.« Er warf eine Fackel hinunter. Alles was Hory sah, waren weißgetünchte Ziegelwände, kaum drei Ellen hoch. In Anbetracht der Tatsache, dass dieser Keller ebenso wie die ganze Stadt erst ein paar Jahre alt war, befand er sich in einem schlechten Zustand. Schimmel bedeckte die Wände, der Boden war feucht. Ein paar Kisten standen herum, ein paar Tonkrüge, sonst nichts. Hory vermutete, dass der eigentliche Lagerraum, vollgestopft mit verbotenen Anbetungsgegenständen, hinter einer verborgenen Tür lag, wie eine Grabkammer hinter einem leeren, scheinbar bereits ausgeraubten Raum. Sollte sich Iri-Amuns Kunde als Verräter erweisen, so konnte er behaupten, nur dieses eine Stück besessen zu haben.
Iri-Amun stieg die Leiter hinab und machte Anstalten, die Klappe hinter sich zu schließen, wohl damit Hory ihn nicht beobachten konnte. Fluchend verlor er den Halt, als sein Fuß ausglitt. Mit einem wütenden Aufschrei fiel er mit den Knien voran auf die Tonkrüge, die klirrend zerbarsten.
Hory sah, wie er die linke Hand auf eine böse Schnittwunde am Schienbein drückte, während er sich mit der Rechten aufzurichten versuchte. Hinter sich hörte Hory die Frau aufschreien. Er machte er sich daran, zu Iri-Amun hinunterzusteigen.
»Bleib oben!«, rief Iri-Amun. »Es ist nur ein kleiner Schnitt, weiter nichts.« Er mühte sich die Leiter herauf, scheuchte Hory aus dem Weg und warf die Klappe zu. Er wankte den Flur entlang, der in einer weiteren Kammer endete, wo er sich auf eine Liege hockte und das blutende Bein ausstreckte.
Die Frau legte eine Hand auf Horys Schulter. »Es ist besser, wenn du gehst«, sagte sie.
»Nein, ist es nicht«, zischte Iri-Amun. »Wir können in aller Ruhe unser Geschäft erledigen. Frau, bring uns Bier.«
Rebbed sah ihren Mann an, als hielte sie ihn für verrückt. »Was soll dieser Anflug von Gastfreundschaft? Er kann doch ein andermal kommen.«
»Halt den Mund und bring etwas zu trinken. Und ein sauberes Tuch.«
Leise brummend entfernte sie sich und kam mit einem Krug, zwei Bechern und einem Stück Leintuch zurück. Während Iri-Amun das Tuch um seinen Unterschenkel wickelte, schenkte sie die Becher voll und blieb abwartend stehen.
Iri-Amun griff nach seinem Becher, lächelte Hory schief an und fragte: »Warst du schon im Großen Tempel? Man sollte ihn besichtigt haben, wenn man in Achet-Aton war. Und das Gem-pa-Aton ist so ziemlich das verrückteste Bauwerk, das ich je gesehen habe.« Die aufgesetzte Leutseligkeit des Mannes, der eigentlich darauf bedacht sein sollte, dass seine Kunden so bald wie möglich wieder verschwanden, verwirrte Hory. Er nahm den Becher, trank aber nicht. Auf dem Tuch zeichnete sich schnell ein großer Blutfleck ab.
»Du blutest zu stark«, sagte er und drehte sich zu der Frau um. »Hast du saubere Fäden und eine feine Nadel?«
Sie sah ihn finster an. »Wir werden damit schon allein fertig. Was willst du überhaupt damit anfangen?«
»Die Wunde vernähen. Ich bin Arzt.«
»Und wo sind deine Armreife?«
Hory machte eine hilflose Geste. Iri-Amun befahl ihr, das Gewünschte zu holen. Sichtlich verärgert rumorte sie in einem Nebenraum und kehrte mit Nadel und Faden zurück, dazu mit einer grün angelaufenen Kupferpinzette. Hory kniete neben dem Bett und nahm das blutige Tuch ab.
Ich besitze noch nicht einmal eine Pinzette, dachte er, wischte sie an seinem Schurz ab und entfernte einen Tonklumpen aus der Wunde. »Außerdem brauche ich sauberes Leinen und starken Wein und eine Lampe.«
Diesmal ließ sich Rebbed kein zweites Mal auffordern. Iri-Amun stützte sich auf einen Ellenbogen und beobachtete knurrend, wie Hory die Bronzenadel über die Flamme einer Öllampe hielt und den Faden – es war ein einfacher, aber sauberer Wollfaden – durch die Öse schob. Hory goss Wein über die Wundränder und fixierte sie mit vier schnellen Stichen, bevor das austretende Blut ihm wieder die Sicht nahm, dann nähte er sie mit feineren Stichen zusammen. Dafür benötigte er nur wenige Augenblicke, während derer Iri-Amun vor Schmerz und Überraschung aufschrie. Zuletzt säuberte er die Wunde erneut mit Wein, faltete das Leinen zu einem kleinen Kissen und band es locker an das Bein.
»Du bist wirklich ein Arzt«, keuchte der Händler. Allmählich kehrte Farbe in sein Gesicht zurück. »Ich kenne niemanden, der auf den Gedanken gekommen wäre, diese Wunde zuzunähen.«
Hory stand auf und wischte das Blut von seinen Händen. Das Vernähen von Wunden war nicht ungewöhnlich, aber er war schon vielen Leuten begegnet, die darüber gestaunt hatten. »Wir aus dem Delta sind eben findige Leute, nicht bloß Bauern.« Er reichte Iri-Amun den Rest des Weins. »Trink einen ordentlichen Schluck, das hält deine metu-Säfte flüssig.«
Iri-Amun gehorchte und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Sieht so aus, als würde ich dir etwas schulden. Rebbed, geh in den Keller und hol das verdammte Seth-Amulett. Pass aber mit der Leiter auf.«
Die Frau wollte verschwinden, doch Hory hob die Hand. »Ich will ja gar kein Amulett. Eigentlich interessieren mich mehr die größeren Figuren«, er deutete etwas an, das die Länge einer Königselle haben mochte.
Rebbed und Iri-Amun wechselten einen langen Blick. »Du bist ja verrückt«, sagte der Händler mit trockener Stimme. »Wer könnte so etwas verkaufen wollen?«
»Eben das wüsste ich gerne.« Hory setzte sich auf einen Hocker, die einzige Sitzgelegenheit in dem kargen Raum. »Hast du von dem Mord an der Haremsdame Tji gehört?«
Die kräftigen Gliedmaßen des Händlers lagen schlaff da, das verletzte Bein ruhte auf einem Strohsack, und er starrte mit bleichem Gesicht an die Decke. »Wer hat nicht davon gehört«, sagte er gedehnt. »Auf ihrer Brust, so erzählt man sich in den Straßen, kauerte die bronzene Figur eines Seth-Tieres.«
»Man beschuldigt mich, sie ermordet zu haben.«
»Dich?« Iri-Amun setzte sich auf und stieß ein ungläubiges Lachen aus. »Leute wie du laufen nicht herum und schlachten hilflose Mädchen ab! Oder bist du doch kein Arzt?«
»Ich bin es, das habt ihr gesehen«, sagte Hory düster. »Ich habe Tji nicht getötet. Ich frage nach dieser Figur, weil ich wissen muss, wer der wahre Mörder ist. Ich muss es herausfinden oder fliehen, sterben oder mein Leben in den Steinbrüchen von Swenet fristen.« Nun, wahrscheinlich sterben, dachte er, aber wer weiß, welche Möglichkeiten es noch gibt, wenn die Palastsoldaten mich erst einmal haben.
Der Händler starrte auf das verbundene Bein, dann auf seine Frau, als hoffe er, sie könne ihm die Verantwortung für seine Worte abnehmen. »Hier in dieser Straße gibt es einige Händler, die verbotene Figuren verkaufen. Manche Leute verehren die alten Götter; vielleicht jedoch haben sie einfach nur Vergnügen an dem Nervenkitzel, eine verbotene Figur zu besitzen. Vielleicht liegt in der Schmucktruhe eines jeden Höflings ein solches Amulett.«
Hory betrachtete müde seine Hände, an denen noch Schlieren von Iri-Amuns Blut klebten. Nein, man konnte nicht seinen Glauben abstreifen wie ein verschwitztes Gewand, zumal das neue Gewand – jener neue Gott – recht einfach geschnitten war, um nicht zu sagen langweilig. Oh, nicht nur langweilig, sondern auch unverständlich. Er versuchte sich an die Worte zu erinnern, die ihm an einem unglaublich heißen Tag im Gefängnishof eingebläut worden waren: Aton ist jedermanns Gott, aber man kann ihn nicht erreichen … Nur der Pharao, sein Sohn, spricht mit ihm. Es ist nicht möglich, mit Gebeten Aton zu erreichen, aber vertraue darauf, dass Echnaton deine Bedürfnisse kennt … Nun, wer sollte das verstehen?
»Ganz offensichtlich kaufen manche Leute sogar Figuren, die zu groß sind, um sie verborgen am Körper zu tragen«, fuhr Iri-Amun fort. »Und eine solche landete im Harem, auf der Brust der Dame Tji.« Er zögerte, als er weitersprach. »So etwas wäre sehr teuer, also müsste der Käufer ein reicher Mann sein. Er würde sich nicht zu erkennen geben, sondern sich eines Mittelsmanns bedienen … oder aber verborgen in einer Sänfte sitzen, wo man ihn nicht sehen kann. Es wäre ein Mensch, der Seth verehrt, den dunklen Gott des Bösen, das Gegenstück zu Atons Lichtgestalt. Der Eine liebt den Tag und leugnet die Nacht. Wer immer die Tierfigur auf Tjis Körper gelegt hat, hasst Aton. Wer immer es getan hat, ist ein durch und durch bösartiger und verdorbener Mensch.«
Iri-Amun hatte immer schneller gesprochen, plötzlich neigte er sich zur Seite und streckte in einer abwehrenden Geste die Hand aus. »Es gibt nichts mehr zu bereden. Du musst gehen, hörst du?« Geradezu beschwörend starrte er Hory an. »Du musst sofort gehen!«
Die Eindringlichkeit dieser Worte ließ Hory sofort aufstehen. Endlich begriff er, dass der Händler ihn verraten hatte, und es überraschte ihn nicht, als jemand heftig gegen die Tür klopfte. Iri-Amun stöhnte auf, Rebbed jedoch eilte zur Tür und riss sie auf. Hory folgte ihr und griff unbewusst nach einer schweren bronzenen Sonnenscheibe, als er sah, dass vier Soldaten ins Innere drängten.
Der vorderste der Männer legte die Hand an das Krummschwert an seiner Seite. »Leg die Scheibe weg, Hory aus Auaris!«, befahl er und schob mit der freien Hand Rebbed zur Seite.
Horys Finger blieben fest um den harten Gegenstand, ob er es wollte oder nicht, obwohl seine Hand noch immer schmerzte. »Wer gab euch diesmal den Auftrag, mich zu holen?«
»Du hast nichts zu befürchten. Wenn du dich wehrst, werden wir dich allerdings zwingen müssen. Man hat mich angewiesen, dich unverletzt zu lassen, und ich weiß noch nicht so recht, wie ich es bewerkstelligen werde, dich niederzuschlagen, ohne dich zu verletzen, aber es wird schon gelingen. Wenn du nicht willst, dass du wie ein Gerstensack fortgeschleift wirst, leg die Scheibe weg.«
Hory rührte sich langsam; die Bronzescheibe fiel scheppernd zu Boden. Es war sinnlos. Nun hatte ihn sein Weg von Auaris doch nicht nach Achet-Aton, sondern nach Swenet geführt, in den sicheren Tod. Sie würden ihm kein zweites Mal gestatten zu flüchten.
Auf der inzwischen dämmrigen Straße standen vier Träger mit einer kleinen Hocksänfte. Er erwartete einen unbekannten Feind darin sitzen zu sehen, aber sie war leer. Einer der Soldaten klopfte auffordernd auf das Polster. »Setz dich.«
»Hast du den Verstand verloren?«, fauchte Hory.
»Nein, meinem Ib geht's noch gut«, war die ruhige Antwort. »Die Prinzessin hat nicht gesagt, was sie mit dir zu tun gedenkt, aber wenn sie dich mit einer Sänfte holen lässt, wird sie dir schon nicht den Kopf abreißen wollen.«
»Die Prinzessin?«, fragte Hory scharf und hoffte insgeheim, dass von Merit-Aton die Rede war. »Welche der sechs Töchter des Einen soll das denn sein?«
Der Soldat grinste breit. »Keine von diesen. Es gibt noch eine siebte Tochter, die zur Sonnenfamilie gehört. Wirst du dich jetzt setzen?«
Verwirrt gehorchte Hory, ließ sich auf die Schultern der Träger heben und umklammerte die aus kostbarem Zedernholz gefertigten Armlehnen. Die Soldaten marschierten vor und hinter ihm, als seien sie seine Leibwache, nicht seine Bewacher, und er überlegte, ob dem vielleicht wirklich so war. Aber er konnte das Gefühl der Hilflosigkeit nicht unterdrücken. Diese Sänfte verwirrte ihn mehr als alles andere; in Ketten hätte er sich nicht unwohler gefühlt. Die Träger brachten ihn hinunter zum Fluss. Üppige Palmenhaine wechselten mit blühenden Gärten, durchzogen von Kanälen und künstlichen Teichen. Die untergehende Sonne beleuchtete die planmäßig angelegten Teiche und ließ das Wasser aufblitzen. Ja, dies war in der Tat das Werk eines Gottes, denn vor wenigen Jahren hatte es hier nichts als Wüste und einen Streifen verwildertes Papyrusdickicht gegeben. Sie bogen in eine schmale Straße ein, die von Häusern verschiedener Größen gesäumt wurde, und von dort aus in einen von Gräsern überwucherten Weg. Es gab auch verschwiegene Villen, die sich in den Palmenwäldern fast verloren, allerdings wirkte die Gegend nicht unbedingt herrschaftlich. Vor einem winzigen Häuschen blieben die Träger stehen und setzten die Sänfte ab.
»Es ist klein und nicht möbliert«, sagte der Soldat. »Gleich werden Sklaven kommen und einiges bringen. Du kannst eine Liste aufsetzen mit allem, was du noch brauchst. Gib sie dem Diener, der heute noch zu dir kommen wird. Die Sänfte und die Träger stehen dir zur Verfügung; du musst sie nur rufen lassen, dann sind sie in kürzester Zeit bei dir. Hast du verstanden?«
»Wie könnte ich?«, antwortete Hory. Er war ausgestiegen und hatte sich einmal um die eigene Achse gedreht, als hoffe er auf einen Fluchtweg, der sich zwischen den Palmen hindurchschlängelte, irgendwohin, zu einem Hafen, zu einem Schiff, nur fort von hier, wo er nicht imstande war zu begreifen. »Verflucht, was will diese Prinzessin von mir?«
Zu seiner Überraschung verneigte sich der Mann. »Ich weiß auch nichts Genaueres. Sicher wird sie dich so schnell wie möglich aufsuchen, um dir alles zu erklären.« Er winkte seinen Männern, und sie zogen ab. Auch die Sänftenträger verneigten sich schweigend und gingen den verschlungenen Weg zurück.
Hory betrat das Haus. Es bestand offenbar nur aus einem großen Empfangsraum und einigen winzigen Kammern dahinter. Ein Obergeschoss gab es nicht. In einer Kammer war eine Vertiefung im Boden eingelassen, und daneben stand eine Pritsche aus modrigem Holz. Die zweite war ähnlich, und in der dritten fand er eine große Steinplatte an die Wand gelehnt. Sie zeigte ein Relief der königlichen Familie: Echnaton und Nofretete saßen sich gegenüber, zwei ihrer Töchter auf den Knien. Die Gestalten waren seltsam verformt, betonten die ausgeprägten Hüften und Schädel fast bis zur Unkenntlichkeit. Die Szene wirkte unbefangen, fast fröhlich, und alles überstrahlte Aton, die Sonnenscheibe, deren Strahlen in segnenden Händen mündeten.
Hory fand das Relief befremdlich. In Auaris hatte er so etwas nur im Haus des Gauverwalters gesehen. Dort hatte es im Empfangsraum gestanden, wo es jeder sofort bewundern konnte. Dieses staubige Relief hier wirkte wie ein entsorgtes Möbelstück.
Ihm fiel auf, dass überall die gleichen Bilder auf die Wände gemalt waren: In blauen Zickzacklinien tummelten sich die verschiedensten Fische, und darüber schwebten Enten, Gänse und Reiher. Er trat hinaus ins Freie. Rundum herrschte dichtes Gewächs; über den Wipfeln der Palmen sah er die Dächer der herrschaftlichen Häuser. Eine angenehme Ruhe lag über dem üppigen Grün; von der Geschäftigkeit der Innenstadt und des Hafens war nichts zu hören. Nur wenige Schritte entfernt führte ein schmaler, aus Ziegeln geformter Kanal hinunter zum Fluss. Er führte jedoch kein Wasser.
Vor der Tür stand eine gemauerte Bank, auf die er sich setzte. Drei nubische Frauen mit wuchtigen Körben auf den Köpfen tauchten auf dem inzwischen düsteren Weg auf. Sie waren nackt bis auf ein wenig Schmuck an Armen und Füßen, also waren es die von dem Soldaten angekündigten Sklavinnen. Sie hielten die Augen auf den Boden geheftet, während sie an ihm vorbei ins Haus traten. Er warf einen Blick durch die Tür und sah zu, wie sie kleine Lampen aufstellten und mit einigen Matten und Kissen den Raum etwas wohnlicher gestalteten.
»Bleib stehen«, sagte er zu der ersten, als sie wieder nach draußen trat. Sie zuckte erschrocken zusammen, wandte sich aber gehorsam zu ihm um. »Ich wohne jetzt hier«, erklärte er ihr, was wahrscheinlich überflüssig war. »Bin ich jetzt dein Herr?«
Sie schüttelte den lockenmähnigen Kopf, die Augen gesenkt. Natürlich nicht, dachte er, die Prinzessin ist ihre Herrin. Er deutete über die Palmen hinweg, zu der Mauer eines weißgetünchten Anwesens, das in der Dunkelheit fahl schimmerte. »Weißt du, wer dort wohnt?«
Wieder schüttelte die Frau den Kopf. Diesmal sprach sie, womit er fast nicht mehr gerechnet hatte: »Dort wohnt niemand.«
»Niemand?« Er war enttäuscht. Diese Villa war das seinem Häuschen am nächsten stehende Anwesen, und er hatte gehofft, dort jemanden zu finden, mit dem er reden konnte. »Na schön. Weißt du wenigstens, wer in meinem Haus zuvor gewohnt hat?«
»Niemand«, wiederholte sie. »Ich weiß nichts.« Sie presste die Lippen zusammen und drückte den leeren Korb an sich. Sowie die beiden anderen wieder im Freien waren und den Weg zur Straße einschlugen, wurde sie unruhig. Und dann huschte sie ihnen hinterher, ohne seine Erlaubnis abzuwarten.
Furcht hatte auf ihrer Stirn gestanden, aber er mochte sich irren. Er stützte die Ellbogen auf die Knie. Nun war er allein. Das blieb vermutlich nicht lange so. Er starrte den schmalen Kanal entlang. Wenn er jetzt zum Fluss ging, half ihm das nicht weiter, schon gar nicht in der Dunkelheit. Aber er konnte hinauf zur Straße und dann zum Hafen laufen. Doch was dann? Er käme nicht weit. Und es widerstrebte ihm nach wie vor, die Stadt seiner Träume hinter sich zu lassen.
Was willst du da unten?, hörte er seinen Freund Kenja sagen. Kenja war in den alten Tagen ebenfalls Priester im Roten Tempel von Auaris gewesen, aber nur ein niedriger Web-Priester, noch dazu fast noch ein Kind. Darum vielleicht hatte er mit seinem Fährdienst, den er sich später aufgebaut hatte, Erfolg gehabt. Zwar bedachten ihn jene Leute, die behaupteten, schon immer Aton geliebt zu haben, mit Verachtung, aber sie waren sich nicht zu schade, seine Barke zu betreten. Da unten – damit meinte er alles, was sich südlich der Waage der beiden Länder befand – ist nicht unsere Welt, hatte Kenja gesagt. Wenn du schon meinst, deinen Arztberuf hier nicht ausüben zu können, dann begnüge dich mit Memphis. Muss es ausgerechnet Achet-Aton sein?
Hory stand auf und ging zurück ins Haus. Die Sklavinnen hatten die feinen Alabasterlampen auf ihren bronzenen Ständern entzündet. Die gefällig angeordneten Matten und Kissen konnten den feuchten Geruch nicht mildern.
Entweder Achet-Aton oder nirgendwo, hatte Hory geantwortet.
Die Haut auf seinem Rücken begann zu brennen. Er hatte den Eindruck, einen abschätzigen, beißenden Blick auf sich zu spüren, und wirbelte herum. Der Anblick eines Dämons, einer verfluchten Ba-Seele oder eines geifernden Seth-Tieres, das ins Zimmer schlich, hätte ihn nicht verwundert. Aber da stand nur ein Mädchen auf der Türschwelle.
Beket-Aton hielt im Arm eine strampelnde Katze; ihre Seitenlocke hing ein wenig zerzaust auf ihre von einem breiten Halskragen bedeckte Schulter. Erwartungsvoll lächelte sie ihn an. »Gefällt es dir hier, Hory?«
Er stieß erleichtert den Atem aus und kniete vor ihr. »Das wäre möglich, aber leider weiß ich nicht, weshalb ich hier bin und nicht im Palastgefängnis, wo man mir inzwischen die Finger abgehauen hätte.«
Bekets Lächeln wuchs. »Es war sehr geschickt von dir, deine Haare zu färben, so hatte ich ein wenig Mühe, dich aufzuspüren.«
»Wie ist es dir gelungen?«, fragte er, obwohl er die Antwort mittlerweile kannte.
»Oh, da gibt es einen sehr geschwätzigen Händler in der Straße, die das Volk nach einer alten Göttin benannt hat. Ich habe ihn bezahlt, damit er nach dir Ausschau hält und dich verrät.« Sie lachte und ließ die Katze los, die eilig fortsprang. »Ich habe meinen Vater davon überzeugt, dass du mit Tjis Tod nichts zu tun hast. Das war nicht ganz einfach, aber er kann mir nichts abschlagen. Er liebt seine Töchter über alles. Ich hab ihm gesagt, dass du ganz unmöglich ein solches Verbrechen begangen haben kannst. Das muss eine abscheuliche Person gewesen sein, und das bist du nicht.«
»Und das hat er dir geglaubt?« Plötzlich wusste Hory, dass es die Wahrheit war. Sie hatte ihrem Vater geschmeichelt und ihn angelächelt, so wie eine Tochter ihren Vater anlächelt, von dem sie etwas erbettelt und doch weiß, dass sie ihn ganz und gar in der Gewalt hat.
»Die Dienerin der Dame Tji hat gesagt, dass sie dich an jenem Abend hinausbegleitet hat. Außerdem bist du in der Stadt herumgelaufen. Jemand, der getötet hat, läuft nicht herum, sondern versteckt sich. Mein Vater ist klug und weise. Er hat mir sogar erlaubt, dich zu meinem Leibarzt zu machen.«
»Warum?«, fragte Hory mit wachsender Fassungslosigkeit. Ist das ein Spiel?, überlegte er und sah sich in Gedanken eine weitere Topfscherbe an die erste kleben. Was hatte Djui gesagt? Ein kluger Mann begreift mit einem Wort …
»Ja, freust du dich denn nicht?« Beket schürzte enttäuscht den Mund.
Hatte er jemals den Traum gehegt, der Leibarzt einer der Töchter des Gottes zu werden? Nein, das hatte er nicht gewagt. Und jetzt hätte er dieses ungeheure Geschenk am liebsten zurückgewiesen.
»Gefällt dir das Haus nicht? Ich weiß, es ist klein und riecht ein bisschen feucht.« Nun bekam ihre Stimme einen verschwörerischen Beiklang. Unter dichten Wimpern sah sie zu ihm hoch. »Wenn du deine Kunstfertigkeit beweist, wirst du bald über ein Anwesen verfügen wie dieses dort«, sie deutete auf das Nachbarhaus, »dazu eine zwanzigköpfige Dienerschaft und hundert Deben Ehrengold um deinen Hals.«
Allmählich dämmerte ihm, weshalb ihm das Geschenk nicht gefiel. Er hatte fünf Jahre harte Ausbildung bei einem strengen Lehrmeister hinter sich gebracht, der ihm ungeachtet seiner Herkunft alles beigebracht hatte, was er über ärztliche Kunst wusste. Und das war, wie Hory annahm, nicht wenig. Er war fähig, einen schwierigen Bruch zu richten, Wunden zu vernähen, etliche Arten von Pflanzen zu bestimmen. Er glaubte, dass er sich eines Tages sogar an eine Schädelöffnung herantraute. Und nun sollte er nichts anderes tun, als die Wehwehchen einer Prinzessin zu behandeln und sich ansonsten zu langweilen, während er sie auf Ausflügen begleitete, da ja zu befürchten stand, dass sie sich irgendwo an einem Stein die Zehen stieß.
Die Prinzessin drehte sich um und winkte jemanden heran, der draußen gewartet hatte. »Das ist dein Leibdiener«, erklärte sie. »Er heißt Si-sia-panef und wird dir zur Verfügung stehen.«
Und mich nicht aus den Augen lassen, dachte Hory unwillkürlich. Si-sia-panef verneigte sich, sodass die geflochtenen Haare seiner Perücke fast bis auf die Nasenwurzel fielen. Er mochte annähernd vier Jahrzehnte alt sein, aber das war auch das einzige, was sich über diesen Mann sicher sagen ließ. Hory hatte noch nie ein so kaltes, ausdrucksloses Gesicht gesehen, und es überraschte ihn nicht, dass Si-sia-panef kein Wort sagte.
»Morgen Mittag lasse ich nach dir schicken«, sagte Beket. »Wir machen eine kleine Fahrt auf dem Nil. Merit wird auch dabei sein.« Sie machte kehrt, ohne ein Wort des Grußes, und verschwand auf dem Weg.
Merit-Aton, dachte Hory und lächelte flüchtig. Seine Eigenschaft als Bekets Leibarzt würde ihn oft in Merits Nähe bringen, und das war zweifellos das Beste an dieser Sache. Morgen schon würde er sie wiedersehen. Si-sia-panefs Gegenwart vergällte ihm jedoch den angenehmen Gedanken. Der Diener stand da und rührte sich nicht, als sei er eine lebensgroße Uschebti-Figur in einem Grab, die erst noch zum Leben erweckt werden musste, um ihrem Herrn im Jenseits zu dienen. Hory erschauerte unwillkürlich.