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Prolog

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Bedächtig schob er eine Hand zwischen die Sänftenvorhänge und öffnete sie einen Spalt weit. Er blinzelte unwillkürlich, denn die Sonne stand tief und blendete ihn. Draußen auf der Prachtstraße, die die heilige Stadt Achet-Aton von Norden nach Süden teilte, ging das alltägliche geschäftige Leben voran. Nur langsam bahnten sich seine Sänftenträger ihren Weg, was seine Finger zu ungeduldigem Zittern veranlasste. Er mochte es nicht, wenn das gleichmäßige, schwache Schaukeln der Sänfte ins Stocken geriet, weil es nicht vorwärts ging.

Zahllose andere Sänften schwankten in Richtung des Händlerviertels, wo sich die Verkaufsbuden aneinander reihten. Bereits hier auf der Hauptstraße roch er Gebratenes und fremdartige Gewürze, hörte das Geschrei der Händler und die Unterhaltungen der Menschen. Ab und zu bereitete es ihm Vergnügen, sich an den Reihen der Buden vorbeitragen zu lassen, und wenn er etwas Interessantes entdeckte – vielleicht eines dieser bunten Tongefäße aus Kreta, die alle Ägypter so sehr liebten –, stieg er sogar aus, um es genauer in Augenschein zu nehmen.

Auch heute gab es hier etwas, das seine Sinne fesselte. Diesmal jedoch würde er hinter den Vorhängen verborgen bleiben, es sich nur von weitem ansehen und geduldig auf die Stunde warten, da es ihm gehören würde. Der Gegenstand seiner Begierde befand sich etwa zwanzig Schritte voraus: eine hübsche junge Frau, die sich über einen Stand mit allerlei Tiegelchen und Pinselchen beugte. Diese Haremsmädchen, dachte er mit einer Spur von Verachtung, sie haben nur ihr Aussehen im Kopf. Ihr einziger Lebensinhalt schien daraus zu bestehen, wie sie ihrem Herrn und Gemahl, dem Pharao, gefallen konnten.

Er hatte das Mädchen, eines der zahllosen schönen Nebenfrauen des Gottherrschers, irgendwo auf dem riesigen Palastgelände schon einmal gesehen. Damals hatte ihr Anblick ihn noch nicht reizen können; hier im Händlerviertel, inmitten einer mehr oder weniger unsauberen Meute von Menschen, war das anders. Sie stach hervor wie ein polierter Edelstein auf dunklem Tuch. Er streckte sich aus, so gut es in der Sänfte ging, und wälzte sich auf die Seite, um es bequem zu haben und gleichzeitig das Mädchen beobachten zu können. Er spürte den warmen Körper seiner Begleiterin im Rücken, die neben ihm lag. Ihr Atem kitzelte seinen Nacken.

»Gefällt sie dir?«, flüsterte sie in sein Ohr. »Es ist die Dame Tji.«

Er grunzte zur Bestätigung, ohne sich umzuwenden. Natürlich gefiel ihm das Mädchen, und wie es hieß, war ihm egal. Sie war schlank, zierlich. Ihre schwarze Haarpracht wallte fast bis aufs Gesäß. Nicht verwunderlich, dass sie keine Perücke trug wie die meisten Frauen, die etwas auf sich hielten. Wer wollte schon eine so prächtige Mähne verstecken? Jetzt richtete sie sich auf; sie hatte ihren Kauf getätigt und sah sich um. Ein wenig wirkte sie verloren in der Menschenmenge; offenbar war sie zu Fuß unterwegs, nur von einem Haremswächter begleitet, der für ihre Sicherheit sorgen sollte. Sie schien den Wächter aus den Augen verloren zu haben, dabei stand der Mann nur ein paar Schritte entfernt und unterhielt sich mit einem syrischen Händler.

Er fühlte, wie seine Handflächen feucht wurden, als er ihre eingeschüchterte Miene sah. Diese Haremsmädchen gebärdeten sich in solchem Getümmel allesamt schreckhaft, da sie den Schutz und die weitläufige Geborgenheit der Mauern von Maru-Aton, des königlichen Harems, gewohnt waren. Jemand rempelte sie an; sie öffnete empört den Mund, fasste jedoch keinen Mut, sich zu beschweren. Sie schob sich an den Rand der Menge und ordnete ihre Haare und das leichte Gewand. Dann drückte sie den kleinen Packen mit ihrem Einkauf an sich und suchte mit den Augen den Wächter.

Ihre Augen waren groß und fein geschminkt, ihr Mund klein, fast ein wenig zu klein. Er fragte sich, wie ihre Zähne aussahen, ihre Zunge. Er spürte, wie er hart wurde. Wie würde es sein, wenn er allein mit ihr in ihrem Gemach war, wenn er auf sie zugehen würde, um sie zu nehmen? Sie würde sich in eine Zimmerecke drücken und dann verzweifelt an der Wand herabsinken, während er näher kam und nach ihr griff, um ihr Gewand abzustreifen. Er sah bereits ihr Gesicht vor seinem inneren Auge: bleich, voller Schweiß, mit einem weit geöffneten Mund, um einen Schrei auszustoßen. Er würde diesen hübschen Mund mit seiner Hand verschließen, und ihre Augen würden sich weiten unter der Anstrengung, weiterzuatmen. Tji, süße Tji, dachte er, ich freue mich auf dich.

»Ich wusste, dass sie dir gefällt«, flüsterte seine Begleiterin hinter ihm; er nahm sie kaum wahr.

Die junge Frau hatte endlich ihren Begleiter entdeckt und marschierte auf ihn zu. Jetzt schien ihre Angst verflogen und machte wieder der freudigen Aufregung Platz, sich in der Stadt unter vielen Menschen zu bewegen.

Er stellte sich vor, wie sie sich in ihr Schicksal ergab. Niemand konnte ihr zu Hilfe eilen: Sie war allein, vollkommen allein mit ihm. Er würde den Zeitpunkt gut gewählt und sich auf leichte Weise Zutritt zu ihrem Gemach verschafft haben. Alle diese Frauen fühlten sich so sicher in Maru-Aton, dass sie nachts ihre Türen zu den Gärten offen ließen, um einen Luftzug einzufangen. Wer würde es auch wagen, sich in des Pharaos Harem einzuschleichen? Die dortigen Wachtposten waren nachlässig, so wie dieser hier. Es würde keine Schwierigkeiten geben.

Der Gedanke, sich an einer Frau des Gottes der Welt, des Sohnes der Sonne, zu vergreifen, bereitete ihm kaum Unbehagen. Gewiss, Pharao war ein Gott, aber er hatte seine Augen nicht überall.

Nun verschwand das Mädchen aus seinem Blickfeld. Irgendwo dort vorne war sie, wo das Gedränge so dicht war, dass man fast nichts anderes tun konnte, als sich mit dem Strom treiben zu lassen. Nun ja, bald würde er sie wieder sehen, noch heute Nacht … Er lehnte sich schwer atmend zurück.

»Vergiss nicht, um was es dabei geht«, murmelte seine Begleiterin. Er sah, wie sie in ihren kleinen Binsenkorb zwischen ihren Schenkeln griff. Als sie sie wieder herauszog, hielt sie eine Schlange in der Hand.

»Ich vergesse es schon nicht«, brummte er.

»Das Mädchen ist das Opfer für Seth. Ich selbst habe sie ausgewählt.«

Ihr Schoßtier war eine Aspisviper, aber so genau wusste er das nicht. Unwillkürlich beeindruckt beobachtete er den Schlangenkörper, der sich in ihrem Griff wand, sich um ihren Arm schlang und plötzlich erstarrte, als hätte er den Kampf gegen seine Herrin aufgegeben. Sie kicherte und hob die Schlange an ihr Gesicht. Eine gespaltene Zunge schoss vor und tastete bedächtig über ihre Haut.

»Der Gott will nur ihren Ka. Ihre Seele wird seinen eigenen Ka stärken«, sagte sie und streckte den Arm aus. Die Viper glitt herunter. »Das Andere ist dein persönliches Vergnügen.«

Misstrauisch beobachtete er, wie das Tier zurück in den Korb kroch. Er verstand nichts von Schlangen und nahm daher an, dass dieses kleine Schoßtier ungefährlich war. Jedenfalls hatte es seine Herrin bisher nie gebissen. Nun, er würde nichts falsch machen. Seth, der im Dunkeln lauernde, entmachtete rote Gott der Wüste, der Widersacher der Sonne, würde zufrieden sein.

Der Zorn des Seth

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