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November 1841

»Die gehen zum Kartenspielen und wir sitzen beim Wäschestopfen. Da kann der Herr Pfarrer noch so oft den Mann über das Weib stellen, gerecht ist das jedenfalls nicht«, beschwerte sich die dreizehnjährige Katharina.

Die Sperlbäuerin tadelte das Mädchen, das sie in den drei Jahren fast schon liebgewonnen hatte.

»Ich bleibe dabei. Es ist nicht gerecht. Der Josef mit seinen sechzehn Jahren darf ins Wirtshaus. Margarethe, die viel älter ist als er, darf das nicht.«

»Das hat nichts mit dem Alter zu tun, du Wichtigtuerin«, mischte sich Margarethe ein.

»Ich weiß, dass das nichts mit dem Alter zu tun hat! Wir sind Frauen und die zu ihrem Glück nicht!«, verteidigte sich Katharina.

»Schau an, schau an! Katharina wäre lieber ein Mann und würde gern ins Wirtshaus gehen.« Die Schwangerschaft machte Maria nicht umgänglicher.

»Ich wäre gerne frei, das zu tun, was ich will!«, berichtigte sie. Die beiden Mägde blickten sich an. Irgendwie hatte sie recht. Den Knechten war es ohne Fragen erlaubt, wochentags nach getaner Arbeit ihren Vergnügungen nachzugehen. Sie hingegen mussten sogar an einem Sonntag erst darum bitten und man konnte es ihnen jederzeit verwehren. So stand es in der Gesindeordnung und keine von beiden hatte diese unumstößliche Tatsache jemals infrage gestellt.

»Da musst in deinem nächsten Leben als Mann und zudem als reicher Mann auf die Welt kommen. Als Frau wirst nie mehr Freiheit haben, als dass du wählen kannst, mit welcher Naht du die Wäsche flickst«, stellte Johanna Sperl in den Raum und setzte hinzu, »auch dabei bleiben dir nicht viele Möglichkeiten.«

Ein Stöhnen unterbrach die von Katharina entfachte Diskussion.

»Die Geburt steht bevor«, prophezeite die Bäuerin. »Wer weiß, wie lange es noch Vorbereitungswehen sind. Das Findelhaus nimmt nur ungern Kinder auf, die nicht im Gebärhaus entbunden wurden. Mach dich morgen auf den Weg, sonst kommst noch auf der Straße nieder.« Indem sie das Wort an Katharina richtete, fuhr sie fort: »Das Ergebnis, wenn sich weibliches Gesinde mehr Freiheiten rausnimmt, kannst hier sehen«, und deutete dabei auf den Bauch Marias.

»Lassen Sie mich Maria begleiten«, bat Katharina. Sie wusste, wie beängstigend es war, unter fremde Leute zu kommen. Einsam und ohne jeden Halt, den anderen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

»Den Weg schaffe ich allein«, maulte Maria.

»Ganz alleine kann sie nicht gehen, noch dazu bei dem Schnee.«

»Katharina, was kannst du für ein Quälgeist sein! Na gut, geh von mir aus mit. Wenn du sie abgeliefert hast, kommst gleich zurück. Beide Wege an einem Tag wird dich bereuen lassen.«

»Ich werde auf Maria warten und mich vergewissern, dass es ihr gut geht.«

»Wie stellst dir das vor? Willst vor dem Gebärhaus auf der Straße schlafen?«

»Eine alte Freundin wohnt am Spittelberg, das ist nicht so weit vom Gebärhaus entfernt. Ich habe ihre Adresse.«

»Wer soll das sein?«, wollte die Bäuerin wissen.

Katharina war darauf bedacht, den Ort ihres Kennenlernens nicht zu erwähnen. Eine Gefängnisbekanntschaft wurde nach ihrer Erfahrung nicht besonders hoch geschätzt.

Die Sperlbäuerin erklärte sich widerwillig bereit. Das Kind würde in einem halben Jahr das vierzehnte Lebensjahr erreichen. Schon des Öfteren hatte sie über die Zukunft des Mädchens mit dem Bauern gesprochen. Johanna hatte ihrem Mann vorgeschlagen, Katharina als Magd bei ihnen zu behalten. Sie war eine fleißige Hand und kam gut mit den Kindern zurecht. Der Bauer lehnte ihren Vorschlag mit der Begründung ab, er habe keine Verwendung für eine weitere Magd. Dass sie selbst vielleicht eine helfende Hand bei der wachsenden Kinderschar benötigte, daran dachte er nicht. Johanna war sich nicht sicher, ob sie den Bauern noch überreden konnte, Katharina in Stellung zu nehmen. Ihr wäre jedenfalls leid.


Sie konnten einen Teil des Weges auf einem Wagen mitfahren, was es nicht weniger beschwerlich machte. Häufig mussten sie von dem Gespann absteigen. Katharina zog am Zügel, während der Fuhrmann von hinten anschob. Immer wieder blickte er auf die stöhnende Maria. Man sah ihm an, dass er inständig betete, sie möge sich mit der Niederkunft Zeit lassen. Durchgefroren erreichten sie das Allgemeine Krankenhaus.

Nachdem der Pförtner die ärmliche Erscheinung der Frau und des Mädchens erfasst hatte, erklärte er ihnen den Weg durch die zahlreichen Höfe zum Haupteingang der Gebärklinik im östlichsten Trakt des Areals. Es war augenscheinlich, dass sich diese Schwangere den Zutritt durch das Schwangerentor nicht leisten konnte, welches von außen in das Gebärhaus führte und in einem versteckten Winkel der Rotenhaus Gasse lag. Den tausenden Frauen, die jährlich die Gratisabteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Anspruch nahmen, standen nur etwa hundert Frauen in der Zahlklasse gegenüber.

»Welcher Hof war es?«, stöhnte Maria.

»Einfach den roten Laternen nach. Es ist bestimmt nicht mehr weit«, ermunterte Katharina die keuchende Schwangere neben sich.

Unter einiger Mühsal zog sie Maria die letzten Stufen zum Eingang der Gebärabteilung hinauf. Unschlüssig blieben sie für einen Moment stehen. Klopfen oder einfach hineingehen? Ihre Frage erübrigte sich in dem Augenblick, als sich das Tor öffnete und ihnen die Aufseherin entgegenblickte.

»Bist du über die Aufnahmebedingungen unterrichtet?«

Maria öffnete den Mund, blieb aber stumm. In gebotener Eile eröffnete die Aufseherin ihren Redeschwall.

»Grundsätzlich sind Schwangere dazu angehalten, verschiedene Arbeiten im Haus zu verrichten. Außerdem wird erwartet, dass sie sich für den geburtshilflichen Unterricht für die Ausbildung von Hebammen und Geburtshelfern zu Verfügung stellen. Für die unentgeltliche Aufnahme des Kindes verpflichten sie sich außerdem, bei Bedarf einen viermonatigen Ammendienst im Findelhaus zu leisten. Verstanden? Dann wollen wir mal.« Mit diesen Worten schickte sich die Frau an, den Weg in den Saal der Gratisklasse anzutreten. Katharina wollte den beiden Frauen folgen, wurde aber schnell von ihrem Vorhaben abgehalten. Katharina merkte, dass Widerspruch sinnlos war. Sie drückte Maria die Hand und versprach ihr, sie zu besuchen. Zu einer Pflegerin gewandt sagte die Aufseherin: »Die zweite Abteilung ist voll. Bring sie in die erste.«

Es war mittlerweile Nachmittag geworden und Katharina war hungrig. Das Brot, das ihr die Bäuerin mitgegeben hatte, musste sie wohl oder übel im Gehen essen. In drei Stunden wäre es stockdunkel und sie hatte noch keinen Schlafplatz.

Das Kreuz im Apfel

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