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»Du kannst in der Menscherkammer schlafen. Ich hoffe für dich, du hast Kleidung. Glaub nicht, dass ich dir etwas geben kann. Unterkunft und Essen sind mehr als gottgefällig«, stellte die Bäuerin gleich zu Anfang klar. Noch ein Kind zu verköstigen! Zu ihren eigenen dreien und dem vierten, das unterwegs war.

»Ich habe Kleidung, Wäsche und Schuhe mitbekommen«, merkte Katharina an.

»Na wenigstens etwas.« Stöhnend kramte sie Bettwäsche aus dem untersten Fach im Schrank und richtete sich unter Mühsal auf. »Das Kind wird nicht mehr lange auf sich warten lassen und wir stecken mitten in der Getreideernte. Du wirst kräftig anpacken im Haus.«

»Der ist ziemlich groß.« Katharina zeigte auf den schwangeren Bauch der Bäuerin.

»Da hast du recht. Bei den drei anderen kam er mir nicht so gewaltig vor«, ließ sich die Frau in einem umgänglicheren Ton auf das Gespräch ein. »Wird ein großer starker Junge.«

»Vielleicht sind es zwei«, gab Katharina zu bedenken.

»Meinst du?«, entgegnete die Bäuerin stirnrunzelnd. »Komm mit. Ich stelle dich meinen Kindern und dem Gesinde vor.«

Die Bäuerin hatte zwei Buben im Alter von vier und zwei Jahren. Das Mädchen war nur wenig über einem Jahr und konnte noch nicht laufen.

»Der ältere heißt Karl, nach seinem Vater, Karl Sperl. Widersprich dem Bauern nie, dann ist ganz gut mit ihm auszukommen. Ihn redest mit Bauer an, mich mit Bäuerin. Das ist der Franzl und das Mäderl heißt Johanna, nach mir.« Die Bäuerin drückte ihr das jüngste Kind in die Arme und führte sie über den Hof. Die beiden Burschen liefen ihnen in geringem Abstand hinterher. Während Katharina versuchte, sich die Namen aller Hofbewohner einzuprägen, wuzelte das auf ihrer Hüfte sitzende Mädchen ihr Ohrläppchen. Der Bauer hatte neben einem Knecht und zwei Mägden einen Inwohner, der in einem separaten Häuschen auf dem Hof wohnte und die Kosten für die Überlassung des Wohnraumes in Arbeit abgelten musste. Hatte er seine Verpflichtung gegenüber dem Bauern erfüllt, ging er anderswo in Lohnarbeit. Die Mägde und der Knecht wohnten im Bauernhaus, in separaten Kammern.

Die Stimmgewaltigkeit des Bauern offenbarte sich Katharina an ihrem ersten Abend. »Außer dem Gebet wird bei Tisch nichts gesprochen«, donnerte er und hob mit der Faust auf den Holztisch. Wütend fixierte er das Mädchen, das starr vor Angst die Luft angehalten hatte. Die Bäuerin legte wortlos ihre Hand auf die seine. Er widmete sich seiner Milchsuppe mit den dampfenden Erdäpfeln.


Nur wenige Tage nach Katharinas Ankunft beim Sperlbauern setzten bei der Bäuerin die Wehen ein. Schon morgens hatte sie über Rückenschmerzen geklagt. Katharina blieb mit den drei Kindern in der Küche, machte den Abwasch und bereitete das Mittagessen vor. Als sich die Bäuerin nach der Mittagsmahlzeit vom Stuhl erhob, platzte die Fruchtblase. Für einen kurzen Moment sah sie an sich herunter, zu ihren Füßen eine kleine Lache. Dann begann sie zu fluchen. Der Knecht stob eilig davon, um die Hebamme herbeizuholen. Katharina, die im ersten Moment nicht wusste, warum plötzlich diese Aufregung herrschte, wurde von der Bäuerin angewiesen, die Kinder nach draußen zu bringen und dort zu beschäftigen.

»Ich halte das Geschrei nicht länger aus. Wo bleibt dieser Trottel mit der Hebamme?«

Der Bauer stürmte zurück in das Haus.

Katharina hatte die kleine Johanna an sich gedrückt, die beiden Buben kauerten jeweils links und rechts von ihr. Das regelmäßige Schreien aus dem Haus verängstigte die Kleinen.

»So wirst du auch bald schreien, wenn du nicht aufpasst«, prophezeite Margarethe Maria. »Du kannst von Glück reden, dass die Bauersleute noch nichts davon mitbekommen haben. Spätestens, wenn du mit einem dicken Bauch herumrennst, werden es alle wissen. Was machst mit einem Kind? Glaubst der Wengler wird dich heiraten? Der hat nichts, wohnt als Inwohner und hat damit zu tun, sich selbst über die Runden zu bringen. Alleine wirst dastehen.«

»Und du wirst nie einen abkriegen und selbst irgendwo als Inwohnerin enden«, entgegnete Maria.

»Dumme Kuh. Was geht’s mich an. Lass uns aufs Feld gehen, bevor der Bauer tobt.«

Katharina verfolgte die Auseinandersetzung nur mit halbem Ohr. Sie ängstigte sich zu sehr vor den Schmerzensschreien der Bäuerin.

»Mama aua«, sagte Karl.

Katharina wusste, sie sollte die Kinder beschwichtigen, doch sie brachte keine beruhigenden Worte über die Lippen. Was wäre, wenn es der Sperlbäuerin nicht besserginge? Wenn sie einfach die Augen schlösse, ihre Haut jede tröstende Wärme verlöre und ihre Kinder mutterseelenallein auf der Welt zurückbleiben müssten? Was wäre, wenn die Sperlbäuerin genauso stürbe wie ihre Mutter. Sie hatte es nicht vergessen. Die Schmerzensschreie der Mutter, das Blut, die zwei winzigen Mädchen und dann die Mutter mit geschlossenen Augen, als würde sie nur schlafen. Kalt.

»Was ist hier los?«, tönte in diesem Moment die Stimme des Pfarrers. Katharinas Antwort erübrigte sich, als die Bäuerin von einer erneuten Wehe erfasst wurde.

»Und warum schaut ihr so verschreckt?«

»Mama aua.«

»Ja, Karl. Frauen müssen unter Schmerzen Kinder gebären. Dies wurde ihnen durch die Sünde Evas auferlegt.« Der Vierjährige blickte den Pfarrer verständnislos an und versteckte sein Gesicht hinter Katharinas Schürze.

»Was für eine Sünde hat Eva begangen?«, fragte Katharina. Der Pfarrer freute sich über die Wissbegierde des Mädchens und schickte sich sogleich an, von den Verfehlungen Evas zu erzählen.

»Und Gott straft die Frauen mit dem Tod?«

»Gott ist gerecht, aber nicht grausam. Er straft sie mit Schmerzen bei der Geburt«, bemühte sich Johann Lutner, dem unwissenden Mädchen das Wort Gottes näherzubringen.

»Meine Mutter ließ er zuerst leiden und dann sterben«, entgegnete sie tonlos.

Der Pfarrer öffnete den Mund, um Katharina zu berichtigen, aber ihm fielen die richtigen Worte nicht so recht ein.

Das wachsende Unbehagen des Pfarrers wurde durch das Eintreffen der Hebamme vertrieben.

»Gott zum Gruß, Büttin. Viel zu tun in diesem Jahr, nicht wahr?«

»Keine Zeit«, rief Maria Bütt, die etwa fünfzigjährige Hebamme, als sie mit gerafftem Rock an dem Pfarrer und den Kindern vorbeieilte.

Nach wenigen Minuten erschien der Sperlbauer vor dem Haus und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Man hätte meinen können, er hätte die Schmerzen ertragen müssen.

»Was stehst so blöd herum? An die Arbeit mit dir!«, fuhr er den Knecht an, der wahrscheinlich mehr Grund hatte, erschöpft zu sein als der Bauer und eine kleine Verschnaufpause nötig gehabt hätte. Als er den Pfarrer erblickte, stammelte er: »Herr Pfarrer! Sie hier?« Der Pfarrer suchte seine Schäfchen nur in kirchlichen Angelegenheiten auf. Die alten Ottakringer nahmen es ihm übel, dass er sich nicht wie sein Vorgänger der Gemeinde anschloss und in den Familien verkehrte. Die Bewohner des neuen Ortsteils waren meist die Nachsichtigeren, obwohl auch diese die Seelsorgequalitäten eines Pfarrers in der Häufigkeit seines Wirtshausbesuches maßen. Demnach war er ein miserabler Seelsorger, denn die Schenken besuchte er nie. Der Konsum von Alkohol verschlimmerte seine Gicht nur. Am meisten trug zur Verschlechterung der Beziehung der ewige Streit um den Hausgulden bei, auf welchen er nicht verzichten konnte, ohne sein Einkommen empfindlich zu schmälern. Die Eigentümer der neuen Häuser hielten sich anfangs dazu gar nicht verpflichtet. Die Rückstände waren immer größer geworden, bis er eine Beschwerdeeingabe bei der Landesregierung machte. Diese verfügte, dass der zu entrichtende Betrag aus der Gemeindekasse zu erfolgen hatte. Die Gemeinde nutzte diese Gelegenheit, ihn bei der Bevölkerung noch unbeliebter zu machen.

»Ich wollte nur kurz nach dem Pflegling Ausschau halten«, dabei deutete er auf Katharina. »Es trifft sich zufällig, dass ich zeitgleich zur Niederkunft komme.« Sichtlich beruhigt entspannte sich der Bauer. »Wie geht es deinem Weib?«, erkundigte sich Johann Lutner.

»Bei den anderen Kindern hat sie nie so geschrien.«

»Das ist schön zu hören!«, freute sich Pfarrer Lutner und schenkte allen Anwesenden ein aufmunterndes Lächeln.

»Ich brauche Hilfe«, unterbrach sie die Büttin. Der Bauer und der Pfarrer blickten sich an. »Ist keine Magd da, die zulangen könnte?«

Der nächste Schrei der Sperlbäuerin durchbohrte die dunstige Mittagsluft.

»Beide Mägde sind auf dem Feld«, stotterte der Bauer.

»Was ist mit dir?«, sagte die Hebamme mehr auffordernd als fragend. Panik ergriff von Katharina Besitz. »Die Bäuerin braucht ein wenig Unterstützung. Komm, bist fast kein Kind mehr.«

Der Pfarrer nahm Katharina die einjährige Johanna ab und tätschelte ihr aufmunternd den Kopf. »Es wird alles gutgehen, du wirst sehen. Die Sperlbäuerin ist ein gutes Weib. Gott wird ihr beistehen.«

»Meine Mutter war eine gute Frau. Gott hat ihr trotzdem nicht beigestanden. Stattdessen hat er ihr den Teufel ins Bett geschickt und später den Tod.« Katharina folgte der Büttin ins Haus. Karl Sperl blickte den Pfarrer fragend an, erhielt aber keine Erklärung für Katharinas gotteslästerliche Aussage.

Am darauffolgenden Sonntag nach der Messe besuchte Katharina zum ersten Mal das Grab ihrer Mutter. Der Pfarrer hatte sie dazu ermutigt. Er meinte, die Mutter freute sich sicher darüber und ihr selbst täte es vielleicht ebenfalls gut. Büschel von Unkraut wuchsen auf dem Grab, die Katharina sorgfältig auszupfte und stattdessen einige Wiesenblumen drauflegte. Nachdem sie damit fertig war, blieb sie unschlüssig knien. Was machte man an einem Grab? Ein Gebet sprechen. Sie suchte in ihrem Gedächtnis nach etwas Passendem. Es wollte ihr kein Psalm einfallen. So entschied sich Katharina, ihrer Mutter die Geschichte von der verärgerten Karotte und dem dicken Erdapfel zu erzählen.

»Die Sperlbäuerin hat auch einen Gemüsegarten. Ich arbeite dort oft mit den Kindern. Ich erzähle ihnen dann immer deine Geschichte von der Karotte. Johanna versteht es noch nicht, aber Karl lacht, genau wie ich. Und der Franzl lacht, weil wir so lachen«, nachdenklich hielt Katharina in ihrer Erzählung inne. »Die Sperlbäuerin hat letzte Woche noch zwei Kinder bekommen. Ich wusste, dass es zwei sind. Zwei Buben. Das wusste ich freilich nicht im Vorhinein. Wolfgang und Georg. Wolfgang ist der ältere, um fünf Minuten. Die Büttin - das ist die Hebamme - hat an seinem Handgelenk ein kleines Bändchen befestigt, um die beiden nicht zu verwechseln. Nachdem wir die beiden Buben gesäubert haben, habe ich darauf gewartet, dass die Bäuerin die Augen schließt und für immer einschläft. Wie du. Du bist einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. So kam es nicht. Am nächsten Tag stand die Bäuerin auf und kommandierte gleich wieder alle herum. Ich glaube, dass sie mir ein bisschen freundlicher zugetan ist, weil ich ihr während der Schmerzen die Hand gehalten und ihr gesagt habe, dass Gott in seiner Weisheit sehr nachtragend sein muss, wenn alle Frauen wegen Evas Sünden solche Schmerzen ertragen müssen. Da hat sie gelacht und schon ist das erste Kind hinausgeflutscht. Der Pfarrer hat mir heute gesagt, dass ich im Herbst in die Schule gehen darf. Darüber freue ich mich am meisten.«

Das Kreuz im Apfel

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