Читать книгу Das Kreuz im Apfel - Sabrina Schmid - Страница 13
10
Оглавление»Dem Herrn sei Dank!«, rief Johanna Sperl am Freitagabend aus, als Katharina durch die Tür trat. »Wo hast dich so lange herumgetrieben?« Die Bäuerin war von der Eckbank aufgesprungen, auf der sie mit Margarethe gesessen hatte. Die beiden Frauen waren alleine in der gut geheizten Stube. Die Kinder schliefen zu dieser Stunde bereits. »Der Pfarrer hat mir die Hölle heiß gemacht, als ich ihm gestehen musste, dass ich dir die Erlaubnis erteilt habe, Maria zu begleiten.« Johanna und Margarethe blickten Katharina in Erwartung einer altklugen Rechtfertigung an.
»Was ist mit dir, Kind? Ist dir nicht gut?», fragte die Bäuerin.
»Die Maria ist tot.«
Einige Sekunden sagte keine von ihnen etwas. Die Bäuerin fasste sich als Erste und forderte Katharina auf, sich hinzusetzen. Danach befahl sie Margarethe, ein Nachtmahl und ein Häferl warmer Milch herzurichten. Erst nachdem das Mädchen das dargereichte Essen hinuntergeschlungen hatte, drang die Bäuerin in sie.
»Meinen Besuch hat sie nicht mehr mitbekommen«, sagte Katharina leise.
»Ihre Dummheit mit dem Tod zu strafen, ist wahrhaftig ein harter Donnerschlag Gottes«, klagte die Bäuerin und bekreuzigte sich zum fünften Male.
»Mit Gott hat das nichts zu tun«, widersprach Katharina.
»Der Tod ist Gottes Wille«, wiederholte Johanna die vertrauten Worte des Pfarrers.
»Maria ist gestorben, weil sie in die erste Abteilung gebracht wurde.«
Normalerweise hätte die Bäuerin Katharina für solch eine blasphemische Äußerung gescholten, heute sah sie es dem Mädchen nach.
»Arme, dumme Maria. Gott hab sie selig«, betete Johanna zum Herrgottswinkel. »Wir werden Ersatz für sie brauchen.«
Katharina fixierte die glänzende Milchhaut.
»Du bist wohlbehalten zurück!«, stellte Pfarrer Lutner nach der Sonntagsmesse erleichtert fest. »Was machst du für Sachen, mein Kind? Genug, dich trifft nur die halbe Schuld. Ich habe der Sperlbäuerin die Leviten gelesen. Da ist das resolute Weib ganz klein geworden.« Der Pfarrer schmunzelte. »Komm, heute lesen wir aus dem Evangelium.« Mit diesen Worten schob er sie in das Pfarrhaus.
Katharina liebte das Lesen, allerdings nicht immer die zur Verfügung gestellte Lektüre. Sie hatte Schullehrer Bartsch gefragt, ob er nicht noch andere Bücher hätte als die wenig ansprechenden, die sich in der dürftig ausgestatteten Pfarrbibliothek befanden. Seine missbilligend gespitzten Lippen und die zusammengekniffenen Augen sagten alles. Sie solle nicht ständig an den Gegebenheiten herummäkeln. Dies sei, nach seiner Ansicht, wahrlich keine Tugend für ein weibliches Wesen. Der Lehrer erklärte, dass die Verordnung von 1828 vorschrieb, alle schädlichen, verderblichen, unpassenden und unzweckmäßigen Bücher aus den Schulen zu entfernen, was selbstverständlich ausnahmslos durch seine Hände geschehen war. Katharina gab klein bei. Sie wollte den Lehrer, der aufgehört hatte, sie zu schikanieren, nicht erneut gegen sich aufbringen. Zu deutlich standen ihr noch die ersten Schulmonate vor Augen.
»Die Sperlbauern wollen dich als Magd in Stellung nehmen«, offenbarte der Pfarrer nach der Lektüre. Johann Lutner hatte erwartet, dass sich das Mädchen über diese Möglichkeit ebenso freute. Sie hatte sich in den drei Jahren sehr gut eingelebt.
»Freust du dich nicht darüber?«
»Worüber soll ich mich freuen, Herr Pfarrer?«
»Eine Anstellung in Aussicht zu haben und ein Heim!«
»Es muss dem Herrn Pfarrer als sehr undankbar vorkommen, aber ich möchte nicht als Magd auf dem Hof bleiben. Ich mag die Bäuerin und den Bauern. Die Kinder habe ich natürlich liebgewonnen, aber ich möchte …«
»Was möchtest du denn, Kind?«, rief der Pfarrer aus. »Sehr viele Möglichkeiten bleiben dir nicht!«
»In Wien habe ich einen Mann kennengelernt, der studiert Medizin. Er wird Arzt. Das wäre etwas für mich«, erzählte Katharina mit kindlicher Begeisterung.
»Du kannst doch nicht studieren!«
»Dazu muss man wahrscheinlich viel Geld haben.«
Johann Lutner lachte hysterisch auf.
»Nicht nur das! Kind, nur ein Mann kann studieren.«
»Warum?«
Der Pfarrer war nur noch selten überrascht, wenn Katharina alles infrage stellte, aber dies übertraf alle ihre bisherigen Äußerungen.
»Weil der Mann dem Weib überlegen ist, besonders in geistigen Dingen.«
»Keiner der Burschen in der Klasse ist mir geistig überlegen. Wenn ich ehrlich bin, auch nicht der Bartsch.«
»Katharina, sogar du wirst dich an die natürliche Weltordnung halten müssen«, beharrte Pfarrer Lutner. »Überlege dir die Sache mit der Anstellung. Ein wenig Zeit bleibt noch.«