Читать книгу Die gefährliche Unausweichlichkeit der Liebe - Saleem Matthias Riek - Страница 10

Kapitel 2

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Alex zittert voller Vorfreude. Es ist noch nicht zu Ende. Der erotische Groove dringt unaufhaltsam in jede seiner Zellen, süßlicher Duft hüllt ihn ein wie ein seidiges Gewand. Es stimmt, was man hinter vorgehaltener Hand über die Zeit nach dem Ritual munkelt. Alles prickelt. Auch um ihn herum flimmert alles und vibriert. Sanfte Schatten tanzen im Kerzenlicht. Wenn nur noch sein nerviger Kopf ...

Er nimmt einen tiefen Atemzug und zieht das Kissen fest unter seinen Hintern. Martina rutscht ihm immer wieder weg. Mit einer kräftigen Umarmung zieht er sie ganz auf seinen Schoß. Ja, genau, so ist es gut. Ihr nackter Körper fühlt sich üppig an. Und so warm. Wie sie sich bereitwillig an ihn schmiegt. Er seufzt. Sie kichert, aber er lässt sich nicht irritieren, diesen Moment muss er genießen. Wer weiß, wie lange ... Gedanken sind echt fiese kleine Monster! Warum ist ihm das noch nie so krass aufgefallen? Da hilft nur eins. Sanft wiegt er sein Becken hin und her und spürt noch deutlicher die feuchte Hitze ihrer Mitte. Wann immer er sein Becken ganz leicht gegen ihres bewegt, kommt mit leichter Verzögerung ihre Antwort, so als sagte ihr Körper unwillkürlich Ja. Ja!

Wieder entweicht ihm ein Seufzer. Diesmal kichert sie nicht, aber er ist trotzdem aus dem Rhythmus.

Es braucht eine Weile, bis sich Bewegung und Atem wieder angleichen. Genau wie sie es gelernt haben. Das ist besser als jede Droge, nur noch spüren und sanft schaukeln, wie auf einem kleinen See, ihr Atem bestimmt den Takt. Dann ... Wow! Es fühlt sich an, als wenn er in ihr drin wäre, ein einziger Körper. Sanft wie das Klavier, dessen zarte Klänge ihn davontragen. Keith Jarrett?

Warum hat Karina sie davor gewarnt, nach dem Ritual zusammenzubleiben? Voll daneben! Strenge passt doch gar nicht zu ihr und schon gar nicht zum Tantra. Und was für eine Verschwendung, Energie, die sich über Stunden aufgebaut hat, nicht weiter zu genießen! Eine Sünde! Zum Glück ließ Martina sich davon ebenso wenig beeindrucken wie er. Sie ist genauso heiß. Sex. Er will Sex. Sie will Sex. Wie lange hat er sich danach gesehnt?

Mit jedem Ausatmen lässt sie ein leises Seufzen vernehmen. Es steigt tief aus ihr hervor wie Blasen aus einem unberührten Teich. Kein Kichern mehr, nur pure Lust. Ihre Laute berühren ihn noch tiefer als ihr Körper, sie fahren direkt in ihn hinein und lassen ihn von innen her anschwellen. Aus dem Seufzen wird Stöhnen. Oh, ja. JA! Verdammt, JA!!!

Plötzlich rückt Martina ein Stück ab und schaut ihn fragend an, sagt aber nichts. Alex erwidert zögernd ihren Blick. Sie wirkt irgendwie undurchdringlich. Was will sie bloß? Bitte jetzt nicht sprechen! Bitte nicht!

»Bist du eigentlich solo?«

Ihm stockt der Atem. Sie stellt die Frage, als erkundige sie sich nach dem Busfahrplan. Mit einem Ruck weicht er noch weiter zurück.

»Sorry, ist vielleicht kein guter Moment ... aber ich dachte nur ... bevor wir hier weitermachen ...«

»... müssen wir erst mal unseren Beziehungsstatus klären. Schon klar. Vollkommen korrekt.« Alex versucht, es humorvoll klingen zu lassen, aber er findet die Frage wirklich nicht lustig. In so einem Moment! Ist Frauen eigentlich gar nichts heilig? Was zum Teufel soll er darauf antworten?

Angsthase! Er hätte das Thema längst anschneiden müssen. Aber andererseits ... Er holt tief Luft, doch sie kommt ihm zuvor. »Also ... was mich betrifft ... ich bin solo und habe keinerlei Ambitionen, mich auf irgendwas anderes einzulassen. Ich sage das lieber, bevor du vielleicht ...« Ihr Satz endet irgendwo im Nirvana.

»Überhaupt kein Problem. Danke, dass du das gesagt hast.« Er versucht ein Lächeln, was sie aber nicht erwidert. Wartet sie noch auf etwas?

»Und du? Wie siehts denn bei dir aus?«, fragt sie mit ihrer tiefen Cellostimme.

Verdammte Axt, so leicht kommt er also nicht davon. »Ich ... ähem ... also, ich befinde mich ... also, ich meine ...« Seine Zunge klebt an seinem Gaumen wie Trockeneis.

Martina lacht. »Ich sehe schon, Treffer, versenkt. Okay, geht mich auch nichts an.«

»Kleine Miss Marple, hm?«

»Was den Sexappeal angeht, ganz sicher!«, schnurrt Martina.

Ihr Humor gefällt ihm. »Nun übertreib mal nicht.« Er grinst. »Also, ich muss jetzt keine Biografie-Arbeit absolvieren? Super! Jedenfalls weiß sie, dass ich hier bin. Wir lassen uns frei.« Was redet er denn da für einen Scheiß? Wenn mir jetzt der Himmel auf den Kopf fällt, habe ich es verdient.

Martina blinzelt schräg von der Seite. »Aha! Ihr lasst euch also frei! Hm ...« Alex schnappt nach Luft.

Aber bevor er etwas herausbringt, fährt sie ungerührt fort: »Lass gut sein. Ist nicht mein Problem. Okay? Ich will nur sicherstellen, dass wir uns nicht gleich verloben müssen, wenn wir jetzt miteinander schlafen. Klar?«

»Alles klar.« Er fühlt sich ertappt, erleichtert, ist von ihrer Lässigkeit beeindruckt. Hat sie gesagt ... miteinander schlafen? Hat sie! Ob er wohl noch weiß, wie das geht? Ist immerhin schon ein Weilchen her ...

Wenn es das nur wäre. Das mulmige Gefühl kommt von ganz woanders. Verdammt, es gibt Kräfte stärker als jede Vernunft. Und als Simone. Er wird seinem hässlichen kleinen schlechten Gewissen nicht erlauben, ihm das hier zu vermasseln. Warum auch, hätte niemand etwas davon.

Martina rückt wieder näher an ihn heran, fährt mit ihrem Zeigefinger sanft über seine Lippen und fängt an, ihn zu küssen, erst ganz leicht auf die Lippen, aber bald schon schiebt sie ihre Zunge frech und kraftvoll in seinen Mund. Er spürt die Wirkung unmittelbar in seinem Schwanz.

Wow. Sie meint es echt ernst. Die zitternde Vorfreude ist zurück und Erregung breitet sich aus. Bei dieser Frau muss er nichts zurückhalten. Endlich. Lippen und Zungen tanzend miteinander vereint, kippen sie zusammen zur Seite. Ihr Körper reibt sich lasziv an seinem, sie wälzen sich hin und her, immer lauter stöhnend lassen beide ihre Leidenschaft auflodern.

Dann hält sie plötzlich wieder inne. »Mach mal langsam!«, haucht sie ihm ins Ohr.

Inzwischen kennt er das schon, das Ziehen in den Lenden wird dabei noch stärker. Sie lässt ihm keine Chance, allein davonzubrausen. Hauptsache es geht weiter, und das tut es! Sie gibt den Rhythmus vor, übernimmt die Führung. Als Frau! Aber soll sie doch, es ist geil. Immer wieder führt sie ihn mitten hinein in ihre wilde Lust, aber viel mehr noch in endlose Augenblicke überraschender Stille.

In diesen ruhigen Phasen kommen die Gedanken. Er hat sowas noch nie erlebt, eine Frau, die nicht ewig Zeit braucht, um in Stimmung zu kommen, die nicht darauf wartet, ausgiebig verwöhnt zu werden, um dann ... vielleicht ... es ist wie in einem Traum. Hingabe pur, reiner Genuss. Er muss seine Impulse nicht kontrollieren. Sie bremst ihn, wenn es zu viel wird. Er muss sich kein bisschen um sie kümmern. Das kann nicht wahr sein.

»Wo bist du gerade?«, hört er plötzlich Martinas Stimme. Wie fremd sie klingt. »Hm. Ich dachte gerade daran ... dass ich ... voll darauf abfahre, dass du ... ach, komm, lass uns nicht reden ...« Er rollt sich über sie und küsst sie direkt auf den Mund, dann bedeckt er ihren Nacken, ihre Brüste und ihren Bauch mit neckenden Küssen und – ganz langsam – nähert er sich ihrer komplett rasierten, feucht schimmernden Muschi.

Martina kichert und windet sich unter ihm hervor. »Ich besorg mal ein Gummi, okay? Oder hast du eins hier?«

Stunden später liegt Alex hellwach auf dem improvisierten Nachtlager und starrt die Decke an. Die Dämmerung taucht den Gruppenraum in ein milchiggraues Licht, der Morgen rückt unausweichlich näher. Wäre der süße Traum doch niemals zu Ende gegangen! Schlafen kann er schon lange nicht mehr. Düstere Gedanken jagen durch sein Hirn und zerstören jeden Rest lustvoller Erinnerung. Und wenn sie nicht miteinander geschlafen hätten? Verdammt, was macht das schon für einen Unterschied!

Wenn man den Lauf der Zeit doch nur umkehren könnte. Eine märchenhafte Begegnung aus 1001 Nacht ... läge noch vor ihm! Wilde Lust, quälend langsam innehalten ... hat er das wirklich erlebt? Mon Dieu, Geschichten aus 1001 Nacht werden doch nur ersonnen, um die Menschheit zu trösten, längst aus dem Paradies unschuldiger Erotik vertrieben. Der Trost wird von Generation zu Generation weitergereicht, aber er ist nie von Dauer. Bei ihm schon gar nicht.

Verstohlen blickt er zur Seite: Er hat nicht geträumt. Der Beweis liegt direkt neben ihm und schläft tief und fest. Ihr können die Gedankenmonster offensichtlich nichts anhaben. Seit Stunden kämpft er gegen die inneren Quälgeister, späht immer wieder sehnsüchtig auf die edel geschwungenen Linien des weiblichen Körpers, die sich unter der dünnen Bettdecke zu seiner Linken abzeichnen. Und auf ihren breiten, sinnlichen Mund, von dem er ausgiebig hat kosten dürfen. Was für Küsse! Ein Wechselspiel von zartem Erkunden und Leidenschaft.

Zu Hause wirst du dein blaues Wunder erleben, brummt es in seinem Schädel. Er legt eine Hand auf die Stirn, aber das scheint niemanden da oben zu beeindrucken.

Neben ihm schnorchelt Martina weiter vor sich hin, als nuckelte sie an ihren Traumbildern wie ein Baby an Mamas Busen. Warum können Abenteuer wie diese nicht Alltag sein? Ist er ein Träumer? Ihr aber seht und sagt: Warum? Aber ich träume und sage: Warum nicht? Verdammt, er liebt Träumer wie Georg Bernhard Shaw. Niemals wird er einer trostlos nüchternen Sicht auf die menschliche Existenz beipflichten. Könnte Gott – wenn es ihn überhaupt gäbe – so grausam sein, seine Geschöpfe immer wieder von himmlischer Ekstase kosten zu lassen, um sie sogleich wieder aus dem Paradies zu vertreiben? Ekstatische Lust als Irrlicht im grauen Alltag menschlicher Existenz? Ein wahrhaft teuflischer Irrglaube, der größte Fehler der Menschheit. Ihre wahre Ursünde!

Er hat sie allerdings schon oft genug erlebt, die bittere Vertreibung aus dem Paradies. Und wer weiß, vielleicht steht sie ihm heute wieder bevor. Simone ... nein, nicht daran denken!

Geraschel von der anderen Seite des Gruppenraumes. Alex späht hinüber, kann aber nichts erkennen. Da kichert jemand. Dann geht es in mühsam gedämpftes Stöhnen über. Ah, Chris und Jenny, das andere Paar, das auch im Gruppenraum logiert, im Tempel, wie man hier sagt. Unterdrückte Lustgeräusche haben in dieser Nacht schon einige Male den Weg in sein Ohr gefunden.

Gut gemeint, ihre Rücksicht, aber Sexgeräusche wird er niemals überhören können. Auch nicht überhören wollen, selbst wenn sie ihm gänzlich den Schlaf rauben. Die Hitze seiner Erregung ist die ganze Nacht nicht abgekühlt, sie fühlt sich an wie ein Schwelbrand, jederzeit bereit, wieder aufzulodern. Wann immer das andere Paar erneut losgelegt hat, hätte er sich am liebsten wieder an Martina geschmiegt. Leider schlief diese Frau an seiner Seite tief und fest. Gegen drei Uhr hat sie ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie jetzt schlafen will und er die Finger von ihr lässt.

Noch nie hat er eine Frau erlebt, deren Körper so klar signalisiert, nach was ihr gerade gelüstet. Er ist nicht gekommen, aber der Druck hat irgendwann wieder nachgelassen. Erstaunlich, total neu. Sowas hat er bisher nur gelesen. Bei ihr ist er sich nicht so sicher. Wenn sie gekommen ist, dann sicher mehr als einmal. Unglaublich, wie sie sich in den Wellen ozeanischer Lust hat treiben lassen. Irgendwann wäre er wohl in seinen gewohnten Rhythmus verfallen, wenn sie ihn nicht immer wieder gestoppt hätte. Danke, Martina!

Obwohl. Nach einem Orgasmus wäre er sicher besser eingeschlafen. Mitten in der Nacht hätte er es sich fast selbst gemacht.

Prickelnde Erinnerungen strömen auf ihn ein und lassen seinen Kleinen nicht unbeeindruckt, sein frecher Gernegroß meldet ungestüme Lebenslust. Soll er! Ist weitaus angenehmer als die Plagegeister da oben! Du hast noch einiges zu lernen, mein Lieber, wendet sich Alex an seinen intimen Freund. Wir sind im Tantra! Verzögerter Genuss ist doppelte Freude! Sein Schwanz zuckt, als wolle er widersprechen: Endloser Genuss, Mann? Niemals! Nicht mit mir.

Alex lacht leise in sich hinein. Heute Abend, versprochen!

Die unangenehme Spannung in den Hoden lässt sofort nach.

Sein Blick wandert wieder zu Martina. Sie liegt da wie hingegossen. Ist das die Frau, die ihn vor wenigen Stunden in ungeahnte Dimensionen der Lust eingeweiht hat? Er fühlt sich immer unwohler in seiner Haut, ist verschwitzt und fröstelt. Er wird bald aufstehen.

Manchmal in der Nacht hat er Simone vor sich gesehen, obwohl ihre Augen blau und nicht braun sind. Eigentlich ähneln sich die beiden überhaupt nicht. Simone ist extrem schlank, fast drahtig. Martina hingegen verströmt Sinnlichkeit mit jeder Zelle ihres Körpers. Warum hat er ihr nicht von Simone erzählt? Wahrscheinlich wäre es ihr ziemlich egal. Ob er wohl jemals damit aufhören wird, Versteck zu spielen?

Verdammt, warum ist sie auch nicht mitgekommen? Alex blickt wieder rüber zu Martina und es versetzt ihm einen Stich. Er muss hier weg. Plötzlich murmelt sie etwas vor sich hin und er schält sich entschlossen aus der kratzenden Decke. Hinten wieder das Kichern der beiden Turteltäubchen, scheinen sich bestens zu amüsieren, die zwei, aber er mag sich das nicht länger anhören. Besser mit einer kalten Dusche einen klaren Kopf verschaffen. Reflexartig steckt er seine Nase zwischen seine Achseln – würziger Duft nach intensivem Sex steigt ihm in die Nase. Von ihr oder von ihm? Er nimmt seine Kleider, stiehlt sich aus dem Gruppenraum in den Flur und von dort in die nahegelegene Gemeinschaftsdusche. Sechs Duschen nebeneinander in einem offenen, durchgehend gefliesten Raum, wie geschaffen für erotische Wasserspiele. Aber nicht jetzt!

Zum Glück ist er allein, ist ja auch noch früh. Während das Wasser auf ihn niederprasselt, klären sich seine Gedanken und die Müdigkeit fließt langsam von ihm ab. Er muss, nein, er wird sich endlich dem Konflikt mit Simone stellen. Am liebsten würde er den ganzen beschissenen Ballast aus Heimlichkeit und Halbherzigkeit einfach abspülen.

»Lässt du mich mit drunter?«

Alex zuckt zusammen. Er hat nicht bemerkt, dass Martina den Duschraum betreten hat und fühlt sich ertappt.

»Oder willst du lieber alleine ...«

»Nein, ich meine, Ja! Du kannst gerne mit drunter kommen.«

Fröhlich legt sie ihren knallbunten, handgefärbten Lunghi ab, den sie sich um ihren Venuskörper geschlungen hat, tritt unter den vollen Wasserstrahl und fängt an, wohlig zu jauchzen. »Es geht nichts über eine satte, warme Dusche nach einer tantrischen Liebesnacht. Magst du mich einseifen?« Sie hält ihm eine kleine Flasche hin.

Alex zögert einen Augenblick zu lang, sie tritt zur Seite und beginnt selbst, das nach Pfirsich duftende Duschgel über ihren Körper zu verteilen. Er kann kaum die Augen von ihr abwenden. Wie sie ihre vollen Brüste ohne jede Scheu einseift, sich über den Rücken und dann über den etwas molligen Bauch fährt, die kräftigen Beine hinunter und hinauf und immer wieder zwischen die Beine ... Wie ferngesteuert finden seine Hände ihren Körper und fahren die glitschigen Konturen ab. Martina stöhnt in sinnlicher Freude. Sie zieht ihn an sich heran, ihre Körper gleiten aneinander und umeinander.

Doch dann windet er sich langsam aus der seifigen Umarmung, schaudert, als ob er fröre. Warum? Noch vor wenigen Stunden haben sie miteinander geschlafen. Aber jetzt ... ihr grandioses Selbstbewusstsein befremdet ihn.

Sorgfältig spült er das Gel von seinem Körper. Als Martina erneut nach ihm greift, entzieht er sich. Sie zuckt mit den Achseln und wendet sich wieder ihrem eigenen Körper zu.

Unvermittelt kommt ihm die Duschszene aus Carstens Roman in den Sinn, eine ironische Anspielung auf Hitchcock, nur mit vertauschten Rollen. Frau überrascht Lover unter der Dusche, trachtet ihm aber nicht nach dem Leben, sondern nach seinem Zauberstab. Dann lässt sie sich im Stehen von ihm vögeln, so normal wie Haare waschen. Die Szene ist lustig, wenn auch etwas platt, da müssen sie noch dran feilen. Aber der Roman ist ziemlich abgefahren. Ein Tempel, in dem erotische Träume zum Leben erweckt werden. Wenn das nur so einfach wäre!

»Ist was, Alex?«, reißt ihn Martina aus seinen Gedanken. »Du wirkst so abweisend. Bereust du unsere Nacht? Oder ist es der Stress, der dir jetzt bevorsteht?« Dabei lächelt sie, als könne sie kein Wässerchen trüben.

Diese Schlange! Können eigentlich alle Frauen Gedanken lesen? »Ist leider etwas dran.«

»Schade, ich hätte unser Tête-à-Tête gern noch etwas ausklingen lassen. Aber gut ... ich werde es überleben!« Sie drückt ihm einen Kuss auf die Wange.

Reflexartig zieht er seinen Kopf zur Seite. Hat sie nicht gesagt, dass sie nichts weiter von ihm will? Frauen!

»Schon gut, habs verstanden.« Damit verzieht sie sich unter eine eigene Dusche.

Alex schnappt sich das erstbeste Handtuch und trocknet sich hastig ab. »Wir sehen uns später!«, murmelt er im Hinausgehen und rutscht fast aus, bevor er endlich raus ist aus dem Badezimmer. Er schnappt sich seine restlichen Klamotten aus dem Gruppenraum und huscht in sein Zimmer. Seine Zimmerkollegen müssen bemerkt haben, dass er die Nacht anderweitig verbracht hat, aber als er das Viererzimmer betritt, tun sie so, als sähen sie ihn nicht, obwohl sie sicher wach sind. Danke. Männer können wunderbar diskret sein. Komisch, es macht ihn traurig.

Er kriecht in sein Bett und zieht sich die Decke über den Kopf. Die Trauer kriecht bitter in ihm hoch, aber er reißt sich zusammen, nicht hier und nicht jetzt. War doch eine abgefahrene Begegnung heute Nacht, viel mehr, als er sich hätte träumen lassen. Warum fühlt er sich jetzt so beschissen? So einsam? Es schnürt ihm alles zu.

Aus dem Bett gegenüber springt splitternackt plötzlich Manne und fängt an – jetzt gar nicht mehr diskret – vor sich hin zu pfeifen. Don’t worry, be happy. Oh, nein! Wenn der Typ nicht gleich damit aufhört ... »Könntest du bitte woanders herumträllern?«, fährt Alex ihn mit mühsam gedämpfter Stimme an.

»Kein Problem!« Wenige Sekunden später ist Manne draußen.

Zuerst genießt Alex die wieder eingekehrte Ruhe, dann überrollt ihn abgrundtiefe Sehnsucht. Sehnsucht nach Simone! Warum ist Tantra für sie so ein rotes Tuch? Weil es da nur um den kurzen sexuellen Kick geht. Unter lauter Fremden rummachen? Nicht mit mir, echot ihre Stimme dumpf durch seinen Schädel. Ob sie es sich anders überlegt, wenn ich mit offenen Karten spiele? Sie hat ein großes Herz, kein Zweifel. Sie muss sich einfach nur mehr mit ihrem Sex anfreunden. Ha! Einfach! Die Wut und die Verachtung in ihrer Stimme tun weh, er könnte schreien und beißt in sein Kissen. Dabei würde er sich am liebsten einfach in ihre Arme kuscheln. Scheiß Sex. Darum geht es doch gar nicht. Jedenfalls nicht immer.

Schon bevor er das Vibrieren so recht bemerkt, zuckt er zusammen. Er fischt sein Smartphone aus der Tasche und ... oh nein, eine Benachrichtigung per SMS. Fünfmal hat sie versucht ihn anzurufen. Aber keine Nachricht hinterlassen. Sein Puls schnellt nach oben. Er kann jetzt unmöglich zurückrufen. Oh Mann, ist er gestört! Erst geht er fremd, obwohl sie das höllisch verletzt, und dann will er auch noch von ihr getröstet werden. Wie bescheuert ist das denn?

Der Abschluss des Workshops läuft weitgehend an ihm vorbei. Die Meditation hat er geschwänzt, vom Abschlusskreis bekommt er nur Bruchstücke mit. Allen anderen scheint es blendend zu gehen. Martina verkündet, sie habe den Spieß umgedreht und sich genommen, was sie wollte, ohne es einem Mann recht machen zu müssen. Besonders glücklich klingt sie allerdings nicht. Alex fühlt sich daran nicht ganz unschuldig.

Als er an der Reihe ist, fällt ihm nichts Besseres ein, als von einer neuen Erfahrung in der Verbindung von Sex und Herz zu faseln, jetzt gehe es darum, das zu Hause umzusetzen. Nichts als heiße Luft, hoffentlich hat das keiner bemerkt. Scheiße!

Noch vor eins sitzt er im Auto und braust davon. Vor den Abschiedsumarmungen ist er kurzerhand geflohen. Nicht einmal von Martina hat er sich verabschiedet, voll daneben. Er wird ihr eine E-Mail schreiben und sich entschuldigen.

Kaum dem Seminarhaus und der unerträglichen dörflichen Idylle entkommen, dreht Alex das Radio auf, aber kein Sender findet seinen Gefallen. Schließlich bleibt er beim Klassikradio hängen, besser dieses Gedudel als das der inneren Plagegeister. Langsam wird er ruhiger.

Auf halbem Wege Richtung Freiburg steigt seine Nervosität wieder an. Fast brettert er an der Überleitung zur A5 vorbei, obwohl er die Strecke bestens kennt. Heiß ist es auch noch, die Sonne knallt unerbittlich und das im April! Er schaltet die Klimaanlage ein. Was wird ihn erwarten? Ob sie etwas ahnt? Er fühlt sich wie Sokrates, das Nudelholz seiner Xanthippe vor Augen. Ha, Sokrates, wie bescheiden ich doch bin! Aber ... wieso hat sich dieser Weiseste unter den Weisen eigentlich nicht von seiner Gemahlin getrennt? Wenn er doch so weise war? Die ewig gleiche Baustelle, seit Jahrtausenden!

Die Fahrbahn verengt sich, Baustelle. Vor ihm gerät ein dicker weißer Sprinter immer wieder aus der Spur. Spinnt der? Nach mehreren Versuchen gibt Alex den Versuch auf, an ihm vorbeizukommen. Ist ja auch egal. Zum Glück ist wenig los und es sind kaum Lastwagen unterwegs. Von hinten drängelt ein BMW, macht pausenlos Lichthupe. Pass bloß auf, schreit Alex ihn an. Aber der Vollpfosten hört ihn natürlich nicht.

Fuck, er muss selbst aufpassen! Seine Gefühle fahren immer mehr Achterbahn und kippen von Euphorie, weil sich nun endlich etwas tut, in lähmende Angst. Wie ein hilfloses kleines Baby, allein in seinem Bettchen. Finn fällt ihm ein, der als Baby oft geschrien hat wie am Spieß. Wie überfordert er als Papa war und heilfroh, wenn Heike kam und übernahm. Am liebsten hätte er sich dann aus dem Staub gemacht. Zum Henker, er hat sich regelmäßig aus dem Staub gemacht, keinen Deut besser als sein eigener Vater, der allseits beliebte Herr Professor. Doch, ein bisschen schon! Er liebt Finn.

Das Telefon klingelt, aber er geht nicht dran. Kurz darauf eine SMS. Dann noch eine. Er muss gar nicht draufschauen, tut es aber doch. Die letzte ist gar nicht von ihr, sondern von seiner Mutter. Fühlt sich fast an wie eine Erleichterung.

Sollte er besser einen Zwischenstopp einlegen, bevor er Simone unter die Augen tritt? Marcel liegt auf dem Weg und kennt sich aus mit Frauen. Oder genauer gesagt mit Sex. Eine Lösung hat er allerdings meist auch nicht.

Rechts zieht der Europapark vorbei, noch vierzig Kilometer. Vorbei die Zeiten, als er mit Finn den Silverstar eroberte. Achterbahn geht jetzt anders. Shit, fast gerät er auf den Standstreifen! Er verwirft die Idee, bei Marcel vorbeizuschauen, seine Nerven zerren an ihm wie ein quengelndes Kind. Hat sich Finn auch so gefühlt, damals mit vier? Hat er gemerkt, dass es aus war zwischen seinen Eltern? Wahrscheinlich längst bevor Heike ihm eröffnet hat, dass sein Papa ausziehen würde. Muss schrecklich gewesen sein.

Alex beißt sich auf die Lippen. Verdammt, ich bin 43, ich bin kein Kind mehr. Er nimmt die Ausfahrt Richtung Freiburg-Stadtmitte und sein Puls rast durch die Decke. Er ist ein Angsthase, Simone hat vollkommen recht.

Die gefährliche Unausweichlichkeit der Liebe

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