Читать книгу Die gefährliche Unausweichlichkeit der Liebe - Saleem Matthias Riek - Страница 11
Kapitel 3
ОглавлениеMit einem tiefen Atemzug schließt Karoline die Haustür hinter den Gästen, die sich gerade verabschiedet haben. War echt nett, piacevole, aber auch anstrengend. Jetzt kann der gemütliche Teil beginnen. Maria, Bastian und Freddy sitzen noch am Esstisch, der mit Resten von Antipasti und leeren Gläsern übersät ist. »Wollen wir uns nicht lieber aufs Sofa rüber setzen?«
Maria nickt zustimmend. Doch Freddy ist noch in das Thema vertieft, über das sie zuletzt gesprochen haben. »Sag du was, Bastian! Wir brauchen doch mehr Frauen in der Politik, oder etwa nicht? Erkläre das bitte deiner Schwester! Die hat echt das Zeug dazu. Oder seid ihr jetzt alle auf dem Esotrip?«
Karoline verdreht die Augen. »Freddy, du solltest vielleicht auch mal ein Retreat ausprobieren. Vielleicht würdest du mich dann besser verstehen ...« Sie greift nach ihrem leeren Sektglas. Bastian reicht ihr die Flasche und sie schenkt sich nach.
»Du hast doch selbst nicht mal ein Wochenende durchgehalten. Was soll ich denn ...«
»Hast recht. Obwohl, du hättest sicher kein Problem mit einem Womanizer als Yogalehrer. Im Gegenteil, du wärst froh, dir etwas abgucken zu können.« Eigentlich hat sie Freddy unbedingt mit der Geschichte vom Grünen Tantra hochnehmen wollen, aber ist wohl kein so guter Zeitpunkt. »Und außerdem, Schweigen ist manchmal wertvoller als ... Männer schweigen, wenn sie reden sollten, und reden, wenn sie ... vor allem in der Politik, ach, was rede ich denn.«
»Lass mal, Karo, die Frage ging ja an mich«, schaltet sich Bastian ein. »Da fragst du nämlich genau den richtigen, Freddy! Also wenn du mich fragst ...«
»Genau das tue ich«, bestätigt Freddy milde lächelnd mit seinem raumfüllenden Bass.
»Also, in der Politik findet man heutzutage erstens Profilneurotiker, zweitens Narzissten und drittens Psychopathen. Männer, die ihre Selbstwertproblematik und Machtgelüste als Charisma tarnen und permanent auf Beutezug sind. Die Beute heißt Aufmerksamkeit, Umfragewerte und Wählerstimmen.« Bastian schaut sich triumphierend um, als hätte er sich selbst gerade zur Wahl gestellt und gewonnen.
»Wow, Bruderherz! Das ist mal eine klare Ansage.« Sie zwinkert Bastian zu und hebt den rechten Daumen. »Vielleicht sollten die alle mal zum Psychocheck bei dir vorbeikommen. So eine Art TÜV für Politiker; wäre dringend nötig.«
Freddy gibt sich tief beeindruckt. »Du hast noch vergessen, die Sexisten zu erwähnen, Bastian. Eben deswegen brauchen wir ja die Frauen!«
Karoline verzieht das Gesicht. War ja klar, Freddy kann man nicht so leicht aus der Bahn werfen, schon gar nicht, wenn es um Politik oder um Frauen geht, und hier geht es um beides! Wenn sie ihn nicht schon so lange kennen würde ...
»Wenn ich nur einem einzigen Mann dazu verhelfen dürfte, für einen Tag – nur mal für einen Tag! – in die Rolle einer Frau zu schlüpfen«, wendet sich Maria an Freddy, »du ständest ganz oben auf meiner Liste!«
Freddy setzt sein breitestes Grinsen auf und Karoline weiß schon, was jetzt kommt.
»Maria, das hast du jetzt aber wirklich sehr lieb gesagt.« In übertrieben sanftem Tonfall haucht er in deren Richtung: »Würde es denn etwas für dich ändern, meine Liebe, wenn ich eine Frau wäre? Ich meine, charakterlich wäre ich ja immer noch ein Vollidiot, oder? Sorry, es muss Idiotin heißen. Wie unachtsam von mir.« Sein Lächeln hängt windschief in seinem kantigen Gesicht.
»Ich will ihn von seinem Sexismus befreien und er versteht das als Anmache. Unglaublich!« Maria stöhnt und greift in gespielter Verzweiflung in ihre langen Haare, um deren pechschwarze Farbe Karoline sie schon immer beneidet hat.
»So isser, der Freddy.« Karoline und ihr Bruder lachen.
Freddy zieht eine buschige Augenbraue hoch und stimmt dann lauthals mit ein. Er lacht gerne auch über sich selbst, das muss man ihm lassen. Aber Maria und Freddy, das ist wie Hund und Katz, jedes Jahr das Gleiche ... gehört einfach zum Geburtstag dazu wie der toskanische Wein. Sie schaut sich um.
»Super«, feixt Freddy weiter und reibt sich die Hände. »Wie in den Gründungstagen unserer heißgeliebten Partei. Als wir noch gar keine waren. Ich lach mir einen ab. Wenn frau keine Argumente mehr hatte, spielte sie die Sexismuskarte. Ihr hättet das erleben sollen. Wir Männer haben immer nur Sex gehört, wir wussten ja gar nicht, was mit Sexismus gemeint war.«
Jetzt lacht auch Maria. »Kann ich mir lebhaft vorstellen, ihr Spacken.«
»Heißt das, du kannst heute Sexismus von Sex unterscheiden, Freddy? Das wäre ja wunderbar«, säuselt Karoline. »Und das in deinem fortgeschrittenen Alter!«
Maria wirft ihr eine Kusshand zu. »Treffer, versenkt, Liebes. Ich glaube, die brauchen wirklich eine wie dich!«
»Fängst du jetzt auch noch damit an?«, erkundigt sich Karoline genervt.
»Weil du dich mit Sexismus allemal besser auskennst als solche Typen da!« Maria richtet ihren grazilen Zeigefinger direkt auf Freddy.
»Weil ich mich mehr für Sexismus interessiere als für Sex, das meinst du doch, oder?«, gibt Karoline pikiert zurück. Es sollte lustig klingen, aber mit dieser Bemerkung trifft sie sich selbst an ihrem wundesten Punkt. Rasch schließt sie die Augen.
Maria hat es leider nicht mitgekriegt, wie auch? Sie frotzelt lustig weiter. »Weil du damals nicht auf jede verrückte Lesben-party mitkommen wolltest? Ach was, in dir schlummert ein Vamp! Wirst schon noch sehen.«
»Eben, er schlummert. Und ich weiß immer noch nicht, wo eigentlich.« Und ob sie ihn überhaupt zum Leben erwecken will, ist auch alles andere als gewiss.
»Maria hat recht, Karoline, ich habe es dir schon öfters gesagt, du hast es überhaupt nicht nötig, deine Attraktivität zu verstecken. Lass doch die alten Dämonen ...«
»Pssst!«, bringt Maria Freddy zum Schweigen. Danke Maria! Sie hat doch etwas bemerkt.
»Ihr liebt euch immer noch, ihr beiden. Zu schade, ihr seid so ein wunderbares Paar!«, wirft Bastian feinsinnig in die Runde.
Karoline tut so, als sei sie irritiert. »Wer jetzt? Freddy und ...«
»Nein, um Himmels willen. Wie kommst du jetzt auf Freddy ... nein, du und Maria natürlich«, stellt Bastian klar.
Karoline spürt, wie ihr heiß wird. Sie blickt zu Boden.
»Als ob das natürlich wäre ...«, stichelt Freddy lachend.
Sofort wandert Karolines Blick flehend zur Decke. Freddy! Bei dem Typen weiß man nie, ob seine Kalauer nicht doch irgendwie ernst gemeint sind.
»Sorry, war ein Scherz!«, rudert Freddy zurück. Immerhin.
»Das behaupten sie dann immer«, bemerkt Maria lakonisch.
»Aber hast du nicht neulich selbst gesagt, dass du, ich meine, dass du ...« Freddy kommt tatsächlich ins Stottern. Per Fortuna.
Aber dann spricht sie es selbst aus: »dass ich mir eine ganz normale Familie wünsche, mit einem ganz normalen Mann, ganz normalen Kindern in einem ganz normalen Reihenhaus? Ja, Freddy, das habe ich gesagt, als wir leicht angeschlagen aus dem Kino kamen. Auf so ein Beziehungschaos wie bei diesem frankophilen Trio habe ich offen gestanden wirklich keine Lust.«
»Musst du ja auch nicht, Karo.« Bastian schaut auf die Uhr und steht abrupt auf. »Lass uns nochmal auf dich anstoßen. Dein Geburtstag ist nämlich gleich vorbei.«
»Apropos Kino. Ich habe neulich mal wieder Eyes Wide Shut gesehen. Lief im Kandel. Ich finde dieses Meisterwerk cineastischer Erotik immer noch unübertroffen ...«
»Freddy!«, rufen Maria und Bastian im Chor.
»Wirklich! Ja, Ja! Ist ja schon gut«, versucht Freddy zu beschwichtigen. Der Sekt wird nachgeschenkt, dann stehen alle vier auf und heben ihre Kelche. »Also auf dich, liebe Karoline«, beginnt Bastian. »Auf dass Amors Pfeil diese wunderbare Frau zielsicher treffen und dir ... und dich ... Freddy, hör auf zu gackern!«
»Gar nicht so leicht, einen genderkorrekten Trinkspruch für eine Frau auf Freiersfüßen auszubringen.« Freddy grinst breit. Auf einem Schweige-Retreat müsste man ihn mit einem Heftpflaster ruhigstellen.
Maria nimmt Karoline in den Arm. »Lass dich von den Deppen nicht irritieren. Ich weiß, dass du bald dem Mann deiner Träume begegnen wirst. Alles Gute, liebste Carol«, flüstert sie ihr ins Ohr. »Schön, dass es dich gibt!«
Sie muss weggedämmert sein. Als Karoline von ihrem verdrehten Nacken aufwacht, erinnert sie sich nur schemenhaft, dass sie irgendwann zum Sofa hinübergewechselt sind. Hat sie so tief geschlafen?
Sie reibt sich die Augen, gähnt. Ein Zipfel ihres Traumes kommt ihr in den Sinn. Sie horcht. Die anderen sind wohl fort. Wie spät ist es überhaupt? Aus der Küche hört sie klapperndes Geschirr. Mühsam erhebt sie sich und bewegt ihre müden Knochen in Richtung Theke. Bastian wirft den Lappen in die Spüle und wendet sich ihr zu.
»Braucht man unbedingt einen Mann, um glücklich zu sein?«, brummt Karoline vor sich hin. Sie zieht langsam eine Augenbraue hoch und ihr Mundwinkel zittert. Nicht nur der.
»Karo! Ich dachte schon, ich muss dir eine Decke bringen. Oder dich ins Bett schleifen.«
»Ich habe dich was gefragt!«
»Es ist spät, Karo, du solltest jetzt lieber ...«
»Nein, was ich jetzt brauche, ist eine Antwort!« War jetzt etwas laut, aber was solls.
»Okay. Wie du willst. Keine Ahnung, ob man einen Mann braucht,« beginnt Bastian und hält inne. Er sucht ihren Blick, dann setzt er hinzu: »Aber du auf jeden Fall, Karo. Und das weißt du auch!«
Karoline sucht nach ihrem Glas. Sie greift sich irgendeines und nimmt einen Schluck Rotwein.
»Karo, meinst du nicht, dass du genug ...«
Mit einer deutlichen Geste bringt sie ihn zum Schweigen und nimmt einen weiteren Schluck. Das Thema nervt gewaltig und Rechthaberei kann sie schon gar nicht ab. Sie ist die Anwältin, nicht er! Dass alles Glück der Welt von einem Mann abhängen soll ... wie banal und demütigend. Erfolg im Beruf, politisch aktiv, wunderbare Freundinnen. Zählt das etwa nicht? Verdammt, sie braucht keinen Mann. Nie wieder wird sie sich verbiegen, nur um bloß nicht solo zu sein.
Ihre Gedanken wandern zu Maria. Und sie braucht auch keine Frau! »Habe ich mich jahrelang für Frauen engagiert, um am Ende wieder alles von einem Typen abhängig zu machen?« Sie spießt ein verbliebenes Artischockenherz auf und stopft es sich in den Mund.
»Komm mal runter! Wer redet davon, dass du dich abhängig machen sollst? Du sollst ihn lieben. Und dich von ihm lieben lassen, Karo!« Der hat gut reden. Wenn das so einfach wäre, hätte seine Praxis wohl kaum so krassen Zulauf.
»Mann, bist du aber klug. Sollst ihn lieben und dich nicht abhängig machen!«, äfft sie ihn nach. »Psychologisch absolut korrekt. Nichts gegen einzuwenden!« Bastian sieht sie mitleidig an, so wie man jemanden ansieht, wenn Nachhilfe auch nichts mehr bringt. »Du bist nun auch kein leuchtendes Beispiel, deine Debbie geht einfach in die USA und deine Tochter nimmt sie gleich noch mit. Ist das vielleicht unabhängige Liebe? Vergiss es, da bleib ich lieber allein.«
Seine Antwort kommt wie ein Peitschenhieb. »Du machst dir gewaltig was vor, Schwesterchen! Verdammt, ja, manchmal bricht es einem das Herz, wenn man sich einlässt. Kannst ja dein Herz gleich stilllegen! Weh tut es dann nicht mehr, da hast du recht.«
Sein Tonfall überrascht sie, er ist richtig sauer. Hallo?? Kann ihm doch egal sein, und wenn sie ewig Single bliebe. Naja, die Anspielung auf Deborah ... »Sorry, das mit Debbie war nicht so gemeint.«
»Schon gut.« Er macht eine wegwerfende Bewegung, dann starrt er sie an, als wolle er sie hypnotisieren. »Aber ...« Wahnsinn! Derselbe Blick wie sein Vater.
»Was aber?« Sie fixiert ihn wie einen Preisboxer. Dann wendet sie sich genervt ab.
Bastian springt auf und tigert zwischen Küche und Wohnbereich hin und her. Er stolpert fast über eine Girlande, die von der Decke runtergekommen ist. »Du vergeudest die besten Jahre deines Lebens! Ich kann es nicht mehr mit ansehen, wie du Jahr für Jahr verstreichen lässt, dich ausschließlich um deine Karriere kümmerst und deine Gesichtszüge immer verkniffener werden. Da hilft auch kein Yoga! Karo, ich sehe das doch jeden Tag in meiner Praxis. Lauter Frauen, die sich von Männern frustriert zurückziehen und sich einbilden, das sei Emanzipation.« Seine Stimme wird immer schneidender. »Und wenn sie irgendwann merken, dass sie sich vor allem selbst betrügen, ist’s zu spät. Alle halbwegs annehmbaren Männer im passenden Alter sind längst vergeben. Karo, wach auf, du bist gerade 39 geworden.«
Ihr bleibt die Luft weg, trotz Alkohol. »Bastian, nicht in dem Ton. Ich stehe hier nicht vor Gericht!«
»Gut so, da stehst du nämlich viel zu oft.«
Sie stöhnt. Dann nimmt sie einen weiteren Schluck Montepulciano und lässt ihn langsam die Kehle hinuntergleiten. Dieser samtige Geschmack ... am liebsten würde sie ganz darin eintauchen. Erlesener Vino ist zum Glück leichter zu bekommen als eine glückliche Beziehung.
»Hör auf, dich zu betrinken, haben andere auch schon versucht, bringt nichts«, doziert Bastian. Er greift nach der Flasche, dann hält er mitten in der Bewegung inne und schaut auf das Etikett. »Monte... Der ist doch ...«
»... aus dem Weinkeller der Dittmers, genau! Ja und? Habe ich mir gewünscht. Originalimport aus Bella Italia. Perfekt gelagert.«
»Unsere Eltern schenken dir ... Rotwein zum Geburtstag?« Er schaut fassungslos.
Das verschafft ihr immerhin eine Atempause. Dieser Klugscheißer. Psychofuzzi! Sitzt sie hier auf der Anklagebank, weil sie keinen Mann an ihrer Seite hat? Der sie beschützt und ihr mit großer Geste die Verteidigung abnimmt? Reg dich nicht auf, Schatz, geh schon mal ins Haus. Ich klär das hier! Wie oft haben sie sich über solche Typen lustig gemacht!
»Du brauchst gar nicht so zu grinsen. Geschenkt oder nicht, du trinkst zu viel!«, setzt Bastian nach.
Karoline schnellt hoch, dann baut sie sich ganz langsam vor ihm auf. »Was spielst du dich eigentlich so auf? Du bist nicht mein Therapeut, verflucht nochmal. Lieber allein als mit einem Typen zusammen, der nur was zum Ficken braucht! Und auf Männer, die eine Mama suchen, steh ich schon gar nicht. Du machst mich noch ganz verrückt mit deinem Torschlussgerede. Und komme mir bloß nicht mit der biologischen Uhr ...«
Bastian nickt. »Die nun mal leider nicht wegzudiskutieren ist. Was meinst du, wie oft ich das in meiner Praxis ...«
Karoline stößt einen wilden Schrei aus. Scheiße, es ist nach Eins. Sie schließt die Augen und konzentriert sich auf den Atem. »Was bist du eigentlich für ein Therapeut, wenn du über deine Klientinnen herziehst, als wären sie alle verhinderte Mamis und frustrierte Emanzen?«
Endlich bekommt sie wieder Luft.
»Herzchen ...« Bastian greift mit beiden Händen nach ihren Schultern und versucht ein freundliches Lächeln, was ihm gründlich misslingt. Dieser barmherzige Blick bringt sie schon wieder in Rage, aber es fehlt die Kraft, innerlich fühlt sie sich hundeelend. Lange kann sie dieser Belagerung nicht mehr standhalten.
Sie stößt seine Hände zur Seite. »Hör auf, mich so zu betatschen. Du weißt genau, dass ich diese beschissene Therapeuten-Nummer auf den Tod nicht ausstehen kann. Ich kann für mich selbst sorgen, mach dich vom Acker!«
Bastian wendet sich in Richtung Wohnzimmer und murmelt halblaut etwas vor sich hin.
Karoline zieht sich einen Barhocker unter den Hintern, stützt die Arme auf die Theke und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Tränen schießen ihr in die Augen, aber sie will nicht, dass Bastian das sieht. Nur noch allein sein und schlafen!
Wann ist dieser schöne Abend so entgleist? Fassungslos hockt sie da wie das heulende Elend, während Bastian mit lautem Geklapper das Geschirr zusammenräumt. Warum schämt sie sich so, sogar vor Bastian? Was hat Nikolai ihnen immer wieder eingeschärft? Lass deine Gefühle und Gedanken einfach da sein! Schön gesagt, Yogibär! Wahrscheinlich legt er jede Woche eine andere aus seinen Kursen flach. Hat er überhaupt eine Ahnung, wie es einer Frau wie mir geht? Einer, die nicht gleich mit jedem Yogalehrer ins Bett springt? Jahrelang ist bei ihr nichts gelaufen, gar nichts. Keine Sinnlichkeit, kein Hautkontakt, kein zärtliches Flüstern, keine innige Vertrautheit, von Leidenschaft ganz zu schweigen. Nur Mandanten, Gerichtstermine und zur Erholung endlose Debatten in AGs und MVs. Das ist doch kein Leben! Und wie zum Hohn kommt dann auch noch dieser aufgeblasene Pornoautor in die Kanzlei geschneit. Super! Jetzt darf sie zumindest all das nachlesen, was ihr fehlt. Sie schaut sich nach Bastian um und als sie ihn nicht sieht, greift sie nach dem Weinglas. Ein Glück, dass er die anderen längst hinauskomplimentiert hat, er hat mitgekriegt, was mit ihr los ist, aber warum muss er diese bescheuerte Debatte lostreten? Bloß jetzt nicht heulen! Hoffentlich geht er bald.
»Ich glaube, ich geh dann mal lieber!«
Sie dreht sich um. Er sieht immer noch sauer aus. Dann bemerkt er wohl ihre Augen. »Hey, Karo!« Er nimmt sie in den Arm, sie sträubt sich, aber nur halbherzig. Er hält sie fest und jetzt kann sie sich nicht mehr halten. Tiefe Schluchzer schütteln ihren Körper. Egal.
»Ist okay. Lass die Gefühle zu! Ich halte dich!«
Diese beschissenen, abgedroschenen Therapeuten-Floskeln! Sie stöhnt auf, aber dann lässt sie wieder los, will die Umarmung einfach genießen. Sie weint laut und heftig und es schüttelt ihren ganzen Körper, bis sie sich schließlich langsam wieder beruhigt.
»Danke!«, murmelt sie an Bastians Schulter gelehnt, »Du hast ja recht!«
Das Singledasein geht dem Ende entgegen. Weiß der Henker, woher sie das plötzlich weiß, aber sie weiß es. Sie wird einen Partner finden. Einen, dem sie vertrauen kann, keinen Skilehrer und auch keinen Yogalehrer. Keine Ahnung wie sie das anstellen soll, aber egal. Langsam löst sie sich aus der Umarmung und schaut ihm in die Augen. »Schön, dass es dich gibt!«
Bastian strahlt. »Fast ein bisschen schade, dass wir Bruder und Schwester sind.«
Karoline zuckt zusammen, dann wird ihr ein bisschen heiß. »Es ist spät. Besser, wenn du jetzt gehst. Ciao Bello!«
»Karo, war ein Scherz! Ich wollte dir einfach nur sagen, dass ich dich liebe. So wie ein Bruder seine Schwester eben liebt.«
»Alles klar, lass gut sein. Das wird heute nicht mehr verhandelt. Die Sitzung ist geschlossen.« An seinem schmerzhaft verzerrten Gesicht kann sie ablesen, dass sie ihn verletzt hat.
Es sollte scherzhaft klingen, aber so wie er seine Therapeuten-Macke hat sie eben ihre Anwaltsmacke. Immer cool bleiben! Die Form wahren, auch wenn einem innerlich der Hut hochgeht.
»Tut mir leid, war nicht so gemeint. Ich lieb dich auch. Bin fix und fertig und muss einfach ins Bett«, flüstert sie.
Bastian deutet mit einer ausladenden Handbewegung auf das Geschirr. »Willst du das alles alleine wegräumen, Karo? Ich dachte, ich helfe dir noch ein bisschen. Ist schließlich dein Geburtstag.«
Karoline schaut sich nach dem Wecker um, der irgendwo zwischen all dem Unrat stehen muss, dann entdeckt sie ihn. »Mein Geburtstag ist seit einer Stunde und fünfundvierzig Minuten Geschichte. Den Rest mach ich morgen oder ich lass es Valentina machen.«
»Okay, dann bringe ich dich jetzt ins Bett und dann fahre ich nach Hause. Bin auch müde.«
Hat er das wirklich gesagt? Ich bringe dich ins Bett? Sie erinnert sich an die Zeit, als sie ihn ins Bett gebracht hat. Warum nur hat sie immer öfter das Gefühl, die Jüngere zu sein? »Du kannst auch hier im Wohnzimmer schlafen, wenn du ...«
»Nein, ist schon gut. Ich habe kaum was getrunken. Geh einfach schlafen. Um den Rest kümmern wir uns morgen.«
Wenig später liegt Karoline in ihrem breiten, kuscheligen Doppelbett. Immerhin schon mal Platz für zwei. Sollte sie mal eine Bestellung beim Universum versuchen? Alberner Eso-Kitsch, aber warum nicht. Vielleicht ist der Mann ihrer Träume ja schon auf dem Weg zu ihr. Die Augen fallen ihr zu, innerlich dreht sich alles. Frauen und Männer, Brüder und Schwestern, Therapeuten und Anwälte, Weinen und Lachen, alles verschmilzt weinselig ...