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Kapitel 6

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Karoline runzelt die Stirn. »Sie haben also keine Ahnung, Herr Kiefer, aus welchen Gründen der Vertrag gekündigt wurde?« Eigenartiger Typ. Was bringt einen Menschen wohl dazu, Erotik in Worte kleiden zu wollen? Der kahlrasierte Kopf, nun ja ... ansonsten ist er ja nicht unattraktiv.

»Wäre ich sonst hier? Ich habe es Ihnen doch gerade erklärt.« Er lächelt, doch sie kann sein Lächeln nicht ganz einordnen. »Damit ich Sie gut vertreten kann, muss ich mir den Sachverhalt vorstellen können. Dazu brauche ich Ihre Hilfe.«

Ist er unsicher, stellt er sich dumm oder was läuft hier ab? Immerhin mal etwas anderes als der schnöde Kanzleialltag. Mandanten eindringlich anschauen hilft ja manchmal, vielleicht lockt es auch den hier aus der Reserve.

Ihr Gegenüber trommelt ungeduldig mit den Fingern auf den Konferenztisch. »Aber das ist doch Ihre Aufgabe, verdammt nochmal. Ich bin doch hier, damit Sie herausfinden ...«

Als er lauter wird, unterbricht sie ihn sofort. Diese Lektion hat sie gründlich gelernt. »Herr Kiefer, ich verstehe, dass Sie aufgebracht sind, aber ich bin Ihre Anwältin. Sie verstehen? Ich bin auf Ihrer Seite.« Jetzt ihr professionelles Lächeln aufsetzen, das beste Mittel gegen aufbrausende Mandanten.

»Entschuldigung. Tut mir leid. Ich wollte nicht ...«, stammelt er erschrocken.

Langsam bekommt sie eine Ahnung, warum er sowas schreibt. »Schon gut. Also, ich muss Ihnen diese Fragen stellen. Sie wissen es nicht, aber was vermuten Sie als Grund für die Kündigung? Hatten Sie Ärger mit Ihrem Chef?« Sie lächelt ihn weiter an und es wirkt.

Handzahm antwortet er: »Er ist nicht mein Chef. Ich bin als Autor selbstständig. Er ist mein Vertragspartner.«

»Okay, ich verstehe. Aber ... hatten Sie Ärger mit ihm? Will er sie womöglich loswerden?«

Endlich lässt er sich mal einen Moment Zeit, über ihre Frage nachzudenken. »Dr. Dallmann? Hm, keine Ahnung. Ich hatte eigentlich einen guten Eindruck von ihm. Er sprach davon, dass mein Projekt genau in die neue Verlagslinie passt. Erotik auf hohem Niveau, gezielte Tabubrüche verknüpft mit einer gesellschaftlichen Vision von wahrhaft freier Liebe, das habe Potenzial. Da waren wir uns sehr schnell einig. Und Alex, also ich meine, mein Lektor, hat ganz sicher nichts gegen mich. Würde mich jedenfalls sehr wundern. Wir kennen uns aus einer Männergruppe. Ich war nicht lange dabei, aber als ich einen Verlag suchte, habe ich mich sofort an ihn und seinen Job erinnert. Und er konnte mir tatsächlich den Vertrag besorgen.«

Sie rückt mit ihrem Stuhl nach hinten und schlägt die Beine übereinander. Hatten die beiden Puff-Investoren Hohnert & Co. nicht auch was mit einem Verlag am Hut? Sie muss Freddy mal fragen, ob er den Verlag kennt, wäre bei dem Thema kein Wunder. Vielleicht kann sie ihn mal kollegial zu Rate ziehen, was sie für diesen außergewöhnlichen Mandanten tun kann.

»Herr Kiefer, es würde mir sehr helfen, wenn ich wüsste, woher der Wind weht, ich meine den von der Gegenseite, wenn Sie verstehen.«

Er schaut sie hilflos an. »Aber ich habe Ihnen doch gesagt ...«

»Dass Sie keine Ahnung haben. Ja, das habe ich verstanden. Was stand denn in der Kündigung?« Trotz seiner Glatze sieht er jetzt aus wie ein kleiner Junge. Vielleicht war er nicht lang genug in seiner Männergruppe, denkt sie grimmig. »Da stehen Seitenzahlen, Paragraphen, allgemeine Formulierungen wie Ideenschutz, Gemeinhaltungsvereinbarung und so weiter und so fort. Ehrlich gesagt kann ich nichts damit anfangen.« Er überreicht ihr einige Papiere, die sie kurz überfliegt.

Sieht nach ziemlich viel heißer Luft aus. »Also, Herr Kiefer, wir können ein Schreiben an den Prinz-Verlag aufsetzen und darin ankündigen, dass Sie gegen die unserer Auffassung nach ungerechtfertigte Kündigung Klage einreichen werden, sofern nicht mit Frist innerhalb einer Woche weitere Informationen vorgelegt werden, die zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich sind. Alternativ können wir auch ein direktes Treffen mit einem Verlagsvertreter anbieten. Manchmal bekommt man dabei mehr heraus als mit endlosen Schriftwechseln. Wäre das in Ihrem Sinne, Herr Kiefer?«

Er nickt eilfertig. »Ja, machen Sie das. Ich vertraue da ganz auf Ihr Know-how. Ungerechtfertigte Kündigung klingt jedenfalls schon mal gut.« Sein Blick wandert zu seinen Schuhspitzen, dann schweift er unruhig umher.

Plötzlich pfeift er anerkennend und schaut verträumt durch die Glasfront hinaus in den Park. »Ziemlich edles Ambiente, in dem Sie hier logieren. Ist das alles Kirschholz?« Er zeigt auf die edle Wandvertäfelung. »Ich interessiere mich ja immer für Schauplätze, verstehen Sie? Bestimmt haben Sie sonst Kunden anderen Kalibers oder täusche ich mich da? Ich meine, es geht mich ja nichts an ...«

Da hat er allerdings verdammt recht. »Wir nehmen jeden Fall ernst, Herr Kiefer. Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihr Vertrauen.« Ob eine Kanzlei wohl der passende Schauplatz für sein besonderes Fachgebiet wäre? Nun, warum eigentlich nicht? Jetzt bloß nicht grinsen!

»Frau Dittmer, dann höre ich von Ihnen, oder? Wollen Sie, ich meine, soll ich mein Manuskript hierlassen? Ich habe extra die aktuelle Fassung ausgedruckt. Dann wissen Sie vielleicht ein bisschen mehr, um was es geht. Ich nehme ja nicht an, dass Sie das Manuskript an einen anderen Verlag verkaufen werden.«

Karoline muss lachen. »Das wäre in der Tat eine interessante Idee. Nein, Scherz, ich brauche das Manuskript nicht.« Obwohl. Wäre doch vielleicht ganz interessant.

Er sieht enttäuscht aus. »Alles klar.« Muss für Autoren nicht ganz einfach sein, wenn man sich so gar nicht für ihr Werk interessiert. Er steht auf und streckt ihr seine Hand entgegen. »Dann, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«

»Lassen Sie es hier, Herr Kiefer. Das Manuskript meine ich. Es ist vielleicht doch kein Fehler, wenn ich mal einen Blick reinwerfe.«

Seine Miene hellt sich sofort auf. Freudestrahlend überreicht er ihr die Mappe und sie drückt ihm zum Abschied fest die Hand.

Kaum hat sich die Tür geschlossen, setzt sie sich und öffnet die Mappe. »Tempel der Himmelsrichtungen. Erotischer Roman von Carsten Kiefer«. Doch gerade als sie zu lesen beginnt, klopft es. Hastig stopft sie das Manuskript in eine Schublade, zieht ihren Rock gerade und steht auf. »Ja, bitte?«

Sie liegt mit ausgestreckten Armen und Beinen nackt auf ihrem breiten französischen Bett, spürt mit ihrem Rücken das schwarze Satinlaken, das sie frisch aufgezogen hat. Das Herz schlägt ihr bis zum Hals. Ihre Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt, denn sie ist mit Ledermanschetten und Metallketten an Händen und Füßen an das Bettgestell gefesselt. Ihre ängstlichen Gedanken – ob das, was sie hier vorhat, eine gute Idee sei, oder eher der nackte Wahnsinn – können ihren Erregungszustand nicht bremsen. Im Gegenteil, sie heizen ihn noch zusätzlich an. Außerdem hat sie sich abgesichert. In der Nachttischschublade ist ein Baby-phone versteckt, das den Ton aus Melissas Schlafzimmer direkt in Carmens Wohnzimmer überträgt. Carmen wohnt nur zwei Häuserblocks entfernt und wäre im Notfall sofort da.

21:58 Uhr liest sie vom grün schimmernden Ziffernblatt ihres digitalen Nachttischweckers ab. Ihr Blind Date muss jeden Moment eintreffen. Die Haustür ist nur angelehnt. Dominik, so hat er sich im Internet genannt, hat genaue Anweisungen gegeben, wie sie ihn zu empfangen habe. Wie lange hat sie sich schon mit dieser Fantasie herumgeschlagen? Wie oft hat sie sich selbst mit der Vorstellung zum Höhepunkt gebracht, dass ein völlig fremder Mann frei über sie verfügen kann? Dieser Mann besitzt so viel Disziplin und Einfühlungsvermögen, dass er genau weiß, was in jedem einzelnen Moment zu tun ist, um sie ins Land der Ekstase zu befördern. Das hofft sie zumindest. Einige Details ihrer Fantasie hat sie ihm verraten. Er weiß, wie er sie anfassen, wie er sie provozieren, wie er sie an ihre Grenzen und darüber hinaus und wie er sie dazu bringen kann, sich ihm vollkommen hinzugeben. Sie würde jede Kontrolle loslassen. Allein diese Vorstellung jagt ihr heißkalte Schauer über den Rücken, die sich zwischen ihren Beinen sammeln und in ein dickflüssiges, bittersüßes Ziehen übergehen.

Dominik scheint nicht irgendein billiger Spinner zu sein, der sich an der Wehrlosigkeit einer ihm ausgelieferten Frau aufgeilt. Seinem Profil hat sie entnommen, dass er ein ziemlich gewagtes Projekt verfolgt, das ihr in seiner visionären Art einzigartig vorkommt. Er plant einen Tempel, in dem bestens geschulte Liebesdiener – und Liebesdienerinnen – Frauen und Männer empfangen, um sie in die Geheimnisse spiritueller Sexualität einzuweihen. Der Tempel soll dabei in Analogie zu den Himmelsrichtungen angelegt werden, acht oder sogar mehr Himmelsrichtungen wäre je ein spezieller Tempelbezirk mit spezifischer Charakteristik gewidmet. Dominik hat in seinem Profil lang und breit ausgeführt, wie sehr ihn diese Vorstellung ganz persönlich inspiriert und erregt, aber auch, wie sehr er damit der Menschheit ein Geschenk machen will, damit diese die tiefe Spaltung zwischen Erotik und Spiritualität heilen kann. Sogar von bestimmten Hirnarealen ist die Rede gewesen, die sowohl bei sexueller Ekstase als auch bei spiritueller Verzückung aktiviert werden, was dafür spricht, dass Sexualität und Spiritualität letztlich die gleichen Wurzeln haben.

Sie hat gleich gemerkt, entweder ist dieser Typ ein genialer Visionär – oder ein armer Irrer. Oder beides. Sie will es herausfinden. Sie wird es herausfinden. Schon bald.

In den zahllosen Chats und E-Mails, in denen sie sich nähergekommen sind, hat sie langsam Vertrauen zu ihm gefasst, obwohl sie weiß, dass sie nicht die Einzige ist, die er als zukünftige heilige Hure für seinen Tempel zu rekrutieren versucht. Er hat ihr sehr schnell klargemacht, dass sie nur für den Nordwesten in Frage käme, den Bezirk erotischer Dominanz und Unterwerfung. Sie hat sich dagegen gesträubt, Einwände vorgebracht, ihm ein perfides Machtspiel vorgeworfen, aber es hat alles nichts geholfen. Er hat recht. »Melissa, du testest mich, weil jede Zelle deines Körpers danach schreit, vollkommen die Kontrolle loszulassen. Mich als deinen zukünftigen sexuellen Gebieter zu prüfen, ist ein perfektes Vorspiel, aber nicht mehr als das! Du willst, dass ich dem standhalte. Sei dir gewiss, das tue ich! Ich spüre deine Erregung so wie du sie spürst, und sie ist heilig!«

So hat er sie an den Punkt geführt, an dem sie ihre tiefe Sehnsucht nach völliger Hingabe nicht mehr verleugnen kann. Ihr erstes Treffen – auch darauf hat er bestanden – muss dieser Spielart der Liebe gewidmet sein, denn ob sie über ausreichende Fähigkeiten verfüge, sich einem vollkommen Fremden blind hinzugeben, würde er nur beim ersten Treffen – am eigenen Leibe und auf lustvollste Weise – in Erfahrung bringen können.

In einem Detail sind sie sich nicht einig geworden und dieser Streitpunkt hätte die Verabredung beinahe platzen lassen. Sie will nicht von Anfang an eine Augenbinde tragen, bevor sie nicht zumindest einen kurzen Blick auf ihren Gebieter werfen konnte. Dominik hat das nicht gefallen. Als er aber gemerkt hat, dass Melissa an diesem Punkt noch nicht zur Unterwerfung bereit ist, hat er ihr mit großzügiger Geste die Erlaubnis erteilt, ohne Augenbinde auf ihn zu warten. Das Zimmer müsse aber so weit abgedunkelt werden, dass sie ihn nur schemenhaft würde erkennen können. Auch dieser Anweisung ist sie nicht vollständig gefolgt. Sie hat überall in ihrem Schlafzimmer tiefrote Kerzen aufgestellt, die dem Raum eine zugleich romantische wie auch etwas unheimliche Atmosphäre verleihen.

Hoffentlich sucht er nicht gleich wieder das Weite, wenn er ihren Ungehorsam entdeckt.

In diesem Moment hört sie ein Geräusch und ihr Herz setzt fast aus, ihre Muskeln spannen sich an, während sie lustvoll an den Fesseln zerrt. Ihre Erregung bekommt noch einmal einen Schub, sie kann ein leichtes Stöhnen nicht unterdrücken und nimmt gerade noch wahr, wie die Haustür ins Schloss fällt. Dann hört sie erst mal nichts mehr, außer ihrem eigenen Atem, wenn er nicht gerade stockt. Minuten später, die ihr wie Stunden vorkommen, erscheint er im Türrahmen ihres Schlafzimmers. Sein wie versprochen großer, schlanker Körper ist in einen schwarzen Umhang gehüllt, sein Kopf ist von einer Kapuze und sein Gesicht von einer schwarzen Maske verhüllt. Durch Sehschlitze wird sie von zwei grünbraun leuchtenden Augen fixiert. Dann lässt er seinen Blick über ihren nackten Körper schweifen. Der antwortet – wie auf einen leichten Lufthauch – mit einer Gänsehaut, ihre Nippel erheben sich wie auf Kommando und spitze Lustblitze durchzucken ihre offene Scham, die ihm genau wie ihre weit geöffneten Augen vollkommen ungeschützt entgegenblickt.

Sie sucht nach Anzeichen, ob ihm gefällt, was er sieht, aber sie findet keine. Es nützt ihr also kaum etwas, dass sie keine Augenbinde trägt. Dominik verschafft sich dadurch bei ihr einen von Spannung getragenen Respekt. Er ist offensichtlich nicht der Mann, den sie in irgendeiner Weise von seinem Begehren würde abbringen können. Genau das hat sie sich gewünscht: einen Mann, den sie nicht um den Finger wickeln kann, einen Mann, der seine stolze, männliche Präsenz und Dominanz zu zelebrieren weiß, zu Ehren des Gottes Shiva und damit zugleich zu Ehren seiner Gefährtin Shakti.

Sie haben sich zuvor nicht nur über ihre persönlichen sexuellen Vorlieben ausgetauscht, sondern immer wieder auch über ihre Einstellungen zu Gott, zur Welt und über ihre Lebensphilosophie. Soweit es ihn betrifft, handelt es sich vor allem um eine ziemlich exotisch anmutende Liebesphilosophie. Er hat ihr von seinen Erfahrungen im Tantra berichtet, die nichts mit diesen Ringelpiezmit-Anfassen-Gruppen zu tun haben, wie er sie nennt, sondern mit Reisen in den Himalaya, an den Amazonas und zu Ureinwohnern Nordamerikas. Dort sei er in uralte Traditionen eingeweiht worden, mehrfach sogar in Fruchtbarkeitsriten und Praktiken sakraler Sexualität. Er hat sie beeindruckt. So etwas kann sich niemand einfach so ausdenken, um eine Frau aus dem Netz ins Bett zu zerren. Niemals wäre sie bereit, sich einem fremden Mann so auszuliefern, wenn sie den Verdacht hätte, dass er einfach nur seine egoistische Lust daraus bezieht, eine Frau zu unterwerfen und zu beherrschen. Nach fünfzehn Jahren feministischer Sozialisation würde sie das niemals zulassen. Seine Vision ist ihr mindestens so wichtig wie sein Körper, sein Charme und sein Charakter. Wer weiß, vielleicht würde sie eines Tages Teil seiner Vision? Sie ist eine selbstbewusste, erfolgreiche und geachtete Frau, sowohl als Chefredakteurin als auch in ihrem privaten Freundes- und Bekanntenkreis. Kaum jemand würde ihr dies hier zutrauen. Aber genau das macht den Reiz aus. Sie ist mutig, lebenslustig, sie will auch die verborgenen Aspekte ihrer Persönlichkeit kennenlernen. Dazu gehört auch, sich sexuell jenseits ausgetretener Pfade auszuleben, aber noch viel mehr. Der Mann hat einen Nerv bei ihr getroffen. Allein die Tatsache, dass sie kaum jemandem wird berichten können, was sie hier erlebt, ist doch Beweis genug, dass Sex trotz aller vermeintlichen sexuellen Befreiung immer noch auf höchst beunruhigende Weise verpönt ist. Für sie ist Sex etwas Heiliges, und in Dominik hat sie möglicherweise jemanden getroffen, der das ganz genauso sieht.

Plötzlich holt sie eine tiefe, durchdringende Stimme in den Moment zurück. Dominik schaut sie immer noch an, aber seine Augen scheinen sich zu verengen. »Du denkst zu viel! Hör auf zu denken, du seiest zu etwas Besserem da, als meiner Lust zu gehorchen! Deine Fotze weist dir den Weg. Spüre, wie sie mich mit feuchten Augen anlächelt. Wie dein ganzer Schoß vibriert. Als wenn er schon weiß, was ich mit ihm vorhabe.«

Puh! Karoline legt das Buch zur Seite und lässt das Gelesene auf sich wirken. Ist ja nicht das erste Mal, dass sie Arbeit aus der Kanzlei mit nach Hause nimmt, aber die hier fällt doch ziemlich aus dem Rahmen ... Unruhig trommeln ihre Fingerspitzen auf die Glasplatte ihres Schreibtisches, sie braucht ein Glas Rotwein. Komisch, eigentlich trinkt sie nicht, wenn sie alleine ist, aber bei der Lektüre dieses Buches hat sie eigenartigerweise nicht das Gefühl, alleine zu sein. Sie fühlt sich ertappt. Aber wobei? Wahrscheinlich macht es dich an, was du da liest, würde Bastian ihr zuflüstern, aber du willst es dir sicher nicht eingestehen, oder? Sie liebt ihn dafür, dass er sie selten billig davonkommen lässt. Mit alldem, was sie sich selbst so zusammenreimt, vor allem, wenn es um Liebe geht. Oder um Sex. Oder um beides.

Aber was soll sie mit dem Text hier anfangen? Sie hat kein Faible für SM und dass Sex etwas Heiliges sei, hat sich ihr bis dato auch nicht wirklich erschlossen. Obwohl Nikolai gerne darauf verweist, dass Yoga mit Tantra verwandt sei und erotischem Genuss gegenüber nicht abgeneigt. Der Körper sei unser Tempel. Man müsse deswegen nicht gleich in eine Tantragruppe gehen, gewisse Yogastellungen seien auch schon hilfreich für genussvollen Sex. Klingt durchaus einleuchtend ..., wenn sie denn überhaupt mal wieder Sex hätte. Che peccato, aber der Wein ist köstlich, da könnte man tatsächlich ins Träumen kommen.

Nochmal zurück an den Schreibtisch? Unschlüssig lässt sie ihren Blick über Nachbars Garten schweifen. Was für eine wunderbare Obstblüte. Ob sie weiter in diesem seltsamen Roman herumstöbern soll oder vielleicht doch lieber ins Bett? Sie sinniert über den Autor, etwas durch den Wind, aber durchaus attraktiv, der Herr Kiefer. Als Richterin müsste man sie wohl wegen Befangenheit ablehnen. Der Spiegel neben dem Schreibtisch zeigt ihr ein übermütiges Grinsen: Wer sagt denn, dass Jura immer eine trockene Materie zu sein hat?

Ihn mit ins Bett nehmen und dort noch ein wenig drin blättern, appunto! Ihre Wangen fangen an zu glühen, warum verdammt fühlt sie sich allein in der eigenen Wohnung ertappt? Wie lange hat sie keinen Sex mehr gehabt? Das bisschen Selbstbefriedigung gelegentlich ... ist nur ein elender Ersatz und erinnert immer schmerzhaft an ihre Einsamkeit. Und außerdem, wie soll sie denn noch sinnliche Gefühle entwickeln, wenn sie erst so spät am Abend heimkommt, meist ziemlich fertig. Wenn sie nicht sowieso noch einen Termin bei den Grünen hat.

Aber heute ... heute ist es anders. Dieses wohlige Prickeln im Bauch ... und darunter. Ja genau! Sie wird eine Dusche nehmen und ihren Körper mit duftender Minze verwöhnen. Maria wird zufrieden sein - ein Geburtstagsgeschenk mit Auflagen, immerhin weiß Maria, was ihr guttut. Meistens. Sie streichelt über ihre Wange ... feucht und geschmeidig wird ihre Haut nach dem Bad sein. Dann lege ich mich nackt ins Bett, zünde Kerzen an, höre sanften Jazz von ... genau, Diana Krall, und dann ... Oh! Alles in ihr pocht. Vielleicht noch etwas meditieren? Ein paar Yogaübungen? Mache ich auch viel zu selten. Oder noch einen Blick in das Buch? Es durchzieht sie ein sanftes Vibrieren. Vorfreude? Erregung? Auf jeden Fall fühlt es sich gut an.

Sonnengruß, ein Baum, ein Dreieck und noch ein paar Dehnungen am Boden. Aber es zieht sie eindeutig in ihr breites, kuscheliges Bett. Ganz so kuschelig fühlt es sich jedoch nicht an. Sie seufzt. Nicht schon wieder diese Traurigkeit! Aber wie sagt Nikolai immer? Darf auch da sein. Und zu jeder Stimmung gibt es die passende Musik. Ain’t no sunshine, when he is gone ...? Dann suhle ich mich eben im Selbstmitleid. Sie streichelt sich sanft über die Brüste, über den Bauch, die Schenkel ...

Die gefährliche Unausweichlichkeit der Liebe

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