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Drittes Kapitel

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In der Dachkammer angekommen, hastete Cassie zu dem schiefen Tisch in der Ecke, um dort den Kerzenstummel anzuzünden. Ihre Hände zitterten so sehr, daß ihr der Feuerstein dreimal runterfiel, bevor sie endlich Licht hatte. Die Flamme züngelte und flackerte hin und her und warf unheimliche Schatten auf die Wand dahinter.

Erst jetzt nahm Cassie ihre Trophäe, die sie fest in ihrer Faust hielt, in Augenschein.

In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie ein so kunstvoll gearbeitetes Stück gesehen. Das muschelförmige Gehäuse war fein ziseliert und leuchtete hell und golden wie die Sonne an einem warmen Frühlingstag. Auf der Rückseite war etwas eingraviert, doch Cassie schenkte dem keine Beachtung. Mit der ausgefransten Spitze eines Fingernagels löste sie die Feder des Scharniers und ließ den Gehäusedeckel aufspringen. Auf seine Innenseite war das Bild einer Frau gemalt, die mit einem kleinen Jungen in einem Blumengarten stand.

Ihre Gedanken rasten mit ihrem Herzschlag um die Wette. Die Uhr war zweifellos eine Menge Geld wert. Vielleicht kein Vermögen, aber genug, um sie weit weg, ganz weit weg von Black Jack’s Inn – und von Charleston zu bringen. Genug, um sich in eine kleine Pension einzumieten. Genug, um über die Runden zu kommen, bis sie eine Arbeit, vielleicht als Näherin, gefunden hätte.

Das kannst du nicht tun, warnte eine innere Stimme. Wasist, wenn der Graf ihr Fehlen entdeckt? Er wird sofort wissen, daß du sie gestohlen hast.

Du hast nichts zu verlieren, drängte eine andere Stimme. Du kannst nicht damit rechnen, daß der Graf sein Wort hält. Und du weißt, was Black Jack gesagt hat. Er wird dich hinauswerfen, wenn er herausfindet, daß du dich geweigert hast, mit dem Grafen zu schlafen.

Erst Stunden später rollte sie sich auf ihre Pritsche in der Ecke zusammen.

Sie hatte Angst, der Graf würde jeden Moment mit Black Jack im Schlepptau erscheinen und wegen der Uhr Gift und Galle spucken, würde ihr seinen ganzen Zorn entgegenschleudern. Der Lärm von unten war schon lange verebbt. Nell war nicht in ihr Bett gekommen, und Cassie war insgeheim froh, daß sie es vorgezogen hatte, ein anderes Bett als das eigene zu wärmen.

Ganz allmählich entspannte sie sich. Je weiter die Nacht voranschritt, desto zuversichtlicher wurde sie. Der Graf war jetzt sicherlich schon lange im Bett. Wahrscheinlich würde er erst aufstehen, wenn die Uhr schon lange Mittag geschlagen hatte. Adelig oder nicht, er war zweifellos genauso wie jeder andere Mann – verrückt nach Karten und Portwein und Zigarren – und nach Frauen.

Endlich brach der Tag an. Ein schwacher Silberschein stahl sich durch die schmutzverkrusteten Fenster der Dachkammer, als Cassie die Treppen hinuntereilte. Sie schlich langsam durch den Gasthof, um ja kein Geräusch zu verursachen, das sie verraten könnte. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie sich Schritt für Schritt an Gabriels Tür vorbeitastete – still vor sich hinbetend, daß das Glück ihr doch treu bleiben möge … daß er das Fehlen der Uhr nicht bemerken möge, bevor die Sonne hoch am Himmel stand …

Wie gewöhnlich öffnete Gabriel seine Augen beim ersten Lichtstrahl, der in der Morgendämmerung durch seine Vorhänge kroch. Er zögerte nicht lange, warf seine Decke beiseite und sprang aus dem Bett. Beeindruckend groß und imposant stand er in seiner Nacktheit da und ließ ein karges Lächeln um die harten Züge seiner Lippen spielen. Ob er nach einem Bad verlangen sollte, das Cassie ihm zubereitete? Würde sie sich wohl wieder so sträuben wie letzte Nacht? Unsinn! Ihre Proteste waren nur Heuchelei, um das Verlangen, das er in ihren so süßen und warmen Lippen gespürt hatte, notdürftig zu verbergen.

Er lachte hämisch auf. Es war wirklich amüsant – eine einfache Dienstmagd hatte ihn zurückgewiesen, ihn, den künftigen Herzog von Farleigh. Er bedauerte, daß sie ihm nicht zu Willen gewesen war. Nichts hätte er lieber getan, als ihr diese zerschlissenen, ausgebleichten Lumpen abzustreifen, um den Reichtum zarten, rosigen Fleisches unter seinen Lenden zu erkunden. O ja, das Mädchen erhitzte sein Blut und heizte sein Temperament auf. Und die kalte Schulter, die sie ihm zeigte, machte das Ganze nur noch aufreizender.

Vielleicht hätte er die Sache durchziehen sollen – ihr Eis auftauen und zu einem Feuer entfachen, ihren grimmigen Widerstand in glühende Erregung verwandeln sollen. Wer weiß, vielleicht wäre es mit so einem hitzigen Mädchen im Bett ein ganz befriedigendes Abenteuer geworden … für sie beide.

Aber für heute stand noch viel auf dem Programm. Es gab viel zu tun. Wenn alles nach Plan lief, würde die Crew heute damit fertig werden, den Frachtraum mit dem Indigo und dem Tabak für England zu beladen. Mit etwas Glück könnten sie gegen Mittag die Segel setzen.

Fünf Minuten später stand er fertig angekleidet am Fenster. Er trug ein loses weißes Hemd, dunkle Breeches und glänzende, hohe Schaftstiefel. Nebel lag wie ein geheimnisvoller Silberschleier über dem Hafen. Die Stadt fing gerade an zu erwachen. Noch kräuselten sich nur wenige Rauchfahnen aus den Schornsteinen.

Er wollte sich gerade schon vom Fenster abwenden, da sah er etwas – unten auf der Straße, nur ein paar Schritte vom Gasthof entfernt. Schemenhaft erkannte er die schmächtige Figur einer Frau, die den Bürgersteig hinuntereilte. Sie wandte ihm den Rücken zu, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Ihr Haar war unter einem Schal versteckt. Mit einer Hand hielt sie einen kleinen Beutel an sich gepreßt. War es Einbildung, oder beschleunigte sie wirklich ihre Schritte? Gabriels Augen verengten sich. Irgendwie sah es so aus, als flüchtete sie.

Er wirbelte herum. Der Stapel Silbermünzen lag noch auf der Kommode, unangetastet.

Doch er konnte seine Uhr nicht finden.

Er stieß einen kräftigen Fluch aus. Cassie, das kleine Luder, war also nicht nur ungeheuer begehrenswert, aufmüpfig und kühl …

Sie war auch eine Diebin.

Cassie wagte erst wieder zu atmen, als sie hinaus in den kühlen Morgennebel trat. Sie blieb keine Sekunde stehen, um etwa dem Gasthof, in dem sie fast ihr halbes Leben verbracht hatte, tränenreich Adieu zu sagen. Nein, sie bedauerte es nicht wegzugehen. Sie hoffte nur, daß die Zukunft ihr etwas Besseres zu bieten hatte als ihre trostlosen Erinnerungen an Black Jack’s Inn.

Aber sie mußte sich beeilen. Zwischen dem Kerzenzieher und dem Bäcker sollte es einen Ladenbesitzer geben, der – wie sie Black Jack hatte erzählen hören – sowohl mit neuen als auch mit gebrauchten Waren handelte. Sie betete innerlich, er möge ihr die Uhr für einen guten Preis abkaufen. Sie hoffte, den Händler gleich abfangen zu können, sobald er seine Türen öffnete.

Und dann wäre sie endlich frei.

Sie fröstelte ein wenig in der kühlen Morgenluft und zog sich den Schal vom Kopf über ihre Schultern. Sie war noch nicht ganz an der nächsten Häuserzeile, als sie den Widerhall von Schritten hinter sich hörte. Ein unheimliches Gefühl kroch ihr den Nacken hinauf. Sie blickte sich um und erstarrte.

Schemenhaft erkannte sie Gabriel Sinclairs dunkles Gesicht. Nein, dachte sie dumpf, das konnte er nicht sein … es konnte einfach nicht sein! Sicher spielten ihre Augen ihr einen Streich.

Panische Angst stieg in ihr hoch und schnürte ihr den Hals zu. Sie drehte sich um und begann zu laufen. Diesmal wußte sie, daß sie sich die hinter ihr herjagenden Schritte nicht einbildete. Sie rannte immer weiter, ihr Atem keuchte, und ihre Ohren dröhnten.

Ein harter Arm umschlang ihre Taille. Sie spürte, wie sie vom Boden abgehoben und gegen eine harte, muskelgestählte Brust gezogen wurde. Blindlings schlug sie um sich. »Laß mich los, loslassen«, schrie sie.

Kalt lächelnd flüsterte er ihr ins Ohr: »Wir haben gestern einen einzigartigen Abend miteinander verbracht, Yank. Hast du denn nichts daraus gelernt? Ich werde dich freigeben, wenn es mir paßt – und nicht vorher.«

Cassie warf den Kopf nach hinten und schrie, was ihre Lippen hergaben. »Hilfe! Hilfe! Ich bitte euch, bitte helft mir!«

Der Arm um ihre Rippen schloß sich so fest, daß sie kaum noch Luft bekam. Gabriel fluchte leise vor sich hin, als ein Händler seinen fast kahlen Kopf aus seiner Tür streckte.

»Sorgen Sie sich nicht um die Lady«, rief er ihm zu. »Sie leidet an Hirnfieber und bildet sich ein, verfolgt zu werden.«

Cassie war außer sich. Sie sollte schwachköpfig sein? Sie kämpfte aufs neue gegen ihn, aber es hatte keinen Zweck. Halb zog, halb schob er sie in eine schmutzige Gasse hinein und preßte sie mit dem ganzen Gewicht seines Körpers gegen eine harte Ziegelwand. Sein Gesicht ließ keine Regung erkennen, obwohl sie instinktiv wußte, daß er rasend wütend war. Ihr ganzer Körper bebte, als er ihr ihren Beutel aus der Hand riß. Er machte einen Schritt zurück und griff hinein.

Für einen Moment brachte Cassie keinen Ton heraus, doch dann schrie sie los. »Was machen Sie da? Das gehört mir. Sie haben kein Recht, sich daran zu vergreifen.«

Er würdigte sie keines Blickes, als er ihr fadenscheiniges Nachthemd aus dem Beutel zog. »Du hast etwas, das mir gehört«, sagte er kalt. »Das gibt mir jedes Recht.«

»Einen Dreck tut es.« Mit einem Schrei stürzte sie sich auf ihn. Doch bevor sie noch irgendein Unheil anrichten konnte, war sie schon wieder in der Umklammerung seines starken Armes gefangen. Er zog sie wieder erschreckend nah an sich heran.

»Mädchen, du scheinst es darauf angelegt zu haben, um jeden Preis Aufmerksamkeit zu erregen. Nun, jemand könnte auf die Idee kommen, die Polizei zu rufen, um zu sehen, was los ist.« Das Glitzern in seinen Augen verriet nur allzu deutlich, woran er dachte. Cassie hörte auf, sich zu wehren, machte sich dafür aber ganz steif. Mit finsterer Miene lockerte er seinen Griff.

»Meine Uhr, Yankee-Fräulein«, war alles, was er sagte.

Cassie befeuchtete sich die Lippen. »Sie … Sie kommen zu spät. I-ich hab’ sie verkauft.«

»Ach wirklich«, sagte er ruhig. »Verzeih mir, wenn ich meine Zweifel daran habe, aber ich fürchte, ich muß mich selbst davon überzeugen.«

Er lächelt so freundlich, dachte Cassie gerade noch, bevor ihr eine Sekunde später zu ihrem Entsetzen klar wurde, was er vorhatte. Sie versuchte an ihm vorbeizustürzen, doch er war zu schnell für sie. Er drückte sie mit dem Unterarm gegen die Mauer und schnitt ihr damit jeden Fluchtweg ab.

Sein Blick bohrte sich wie ein Messer in sie hinein. Er tastete ihre Arme mit den Fingern ab und ließ die verdammte Hand dann tief in ihr Mieder gleiten. Sie streifte über ihre Brustwarzen und glitt über die weichen Rundungen ihrer Brüste, die noch kein Mann je gesehen oder berührt hatte. Cassie rang nach Luft.

»Lassen Sie das!« schrie sie.

Doch er hörte nicht. Ihr Innerstes sträubte sich mit allen Fasern gegen diese dreiste Intimität. Sie holte japsend Luft.

»So hören Sie doch endlich auf!« Ein tränenerstickter Seufzer entrang sich ihrer Brust. »Sie … sie ist in meinem Strumpf! Drehen Sie sich um, und ich werde sie Ihnen geben!«

Er ließ sie zwar los, drehte sich aber nicht um. Es blieb Cassie nichts anderes übrig, als die peinliche Prozedur vor seinen Auge durchzuführen, wobei ihr bewußt war, daß er jede ihrer Bewegungen genau beobachtete. Sie richtete sich wieder auf und klatschte die Uhr in seine ausgestreckte Hand.

»Da! Da haben Sie Ihre Uhr wieder. Und nun lassen Sie mich gehen!«

Sein Blick war furchteinflößend. »Nicht so schnell, meine Kleine. Du kannst mich nicht bestehlen und glauben, du kommst so einfach davon.« Er packte sie am Ellenbogen und zog sie in die Richtung, aus der sie gekommen war.

Cassie hätte am liebsten vor Enttäuschung geweint. Er brachte sie zum Gasthof zurück! Ihr Herz krampfte sich in tiefer Verzweiflung zusammen. Sie hatte es doch schon fast geschafft, und nun sollte tatsächlich alles damit enden, daß sie wie ein Hund am Halsband zurückgeschleift wurde?

Ehe sie sich’s versah, waren sie auch schon zurück im Schankraum. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloß. Cassie zuckte zusammen: Vor dem Kamin standen Christopher Marley und Black Jack.

Black Jack kam ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen. »Ihre Lordschaft! Ich habe Sie weggehen sehen … Was geht hier vor?«

»Das Mädchen hier ist eine Diebin. Sie hat mir meine Uhr gestohlen.«

Cassie sah, wie Christopher Marleys Gesicht in ungläubigem Entsetzen erstarrte. Mittlerweile war auch Nell oben auf der Treppe aufgetaucht. Ach, sie hätte doch wissen müssen, daß der Graf ihr nichts ersparen würde!

Black Jacks Augen quollen hervor. »Was hat sie! Sie hat sie gestohlen?«

»Genau das. Sie hat wohl gemeint, es sei an der Zeit, dieses Haus zu verlassen. Ich denke mal, sie wollte den Erlös der Uhr dafür verwenden, ihre Reise zu finanzieren.«

Christopher hatte sich inzwischen neben Black Jack gestellt. Sein Blick ruhte auf ihrem Hals; er schien leicht irritiert. Er sah den Grafen an und dann wieder Cassie. Ihr wurde klar, daß er das mondförmige violette Mal entdeckt hatte, das der Graf ihr beigebracht hatte. Die Schamesröte stieg ihr ins Gesicht. Sie wünschte sich nur noch, in den Boden zu versinken und zu sterben.

Nell grinste höhnisch. »So eine bist du also. Die Uhr von seiner Lordschaft klauen und dann abhauen. Bei Gott, du hast’s gerade nötig, die Nase über mich zu rümpfen!«

Black Jack fluchte. »Ich hab’ es gewußt. Ich hätte dich damals gleich ins Waisenhaus stecken sollen. Nur Ärger hat man mit dir, du kleines Luder, nichts als Ärger!«

Cassie hob den Kopf. So leicht ließ sie sich nicht einschüchtern. Ihr Stolz war zwar erschüttert, aber noch lange nicht gebrochen. »Du glaubst also, es wäre besser gewesen, wenn ich gegangen wäre? Ich habe hier die Böden geschrubbt, bis meine Hände bluteten. Ich habe die Nachttöpfe gelehrt und von Morgengrauen bis Mitternacht geschuftet, solange ich denken kann. Du hast mir jeden Bissen in meinem Mund mißgönnt. Und das alles für ein paar Pennys im Jahr! Nein, ich hab’ es wohl kaum besser gehabt als die Sklaven auf den Feldern!«

Black Jacks Gesicht verzerrte sich. »Du undankbares kleines Luder! Ich denke, es wird höchste Zeit, dir dein kleines Schandmaul zu stopfen!«

Black Jack ballte seine Wurstfinger zur Faust. Flüchtig registrierte Cassie den Ausdruck des Entsetzens, der sich auf Christophers Gesicht abzeichnete, als Black Jack seine Faust hob. Sie versuchte sich innerlich zu wappnen. Es wäre nicht das erstemal, daß Black Jack sie schlug. Dem Grafen würde es sicher ein großes Vergnügen bereiten, sie so gedemütigt zu sehen. Doch sie würde nicht weinen, nicht solange er zuschaute …

Doch der Hieb, den sie erwartete, blieb aus.

»Wenn Sie das Mädchen schlagen«, sagte der Graf mit tödlicher Ruhe, »dann greifen Sie mir vor. Es war schließlich meine Uhr, die sie gestohlen hat. Mir allein und sonst niemandem steht das Recht zu, sie zu bestrafen.«

Black Jack war wie vom Donner gerührt, doch er wagte nicht, dem Grafen zu widersprechen. Er ließ seine Hand sinken und räusperte sich. »Ich wollte ihr nichts Böses antun«, sagte er rauh. »Aber das Mädchen braucht hin und wieder einen Denkzettel, damit sie weiß, wo ihr Platz ist.«

»Sir« – Gabriels Ton war kühl –, »ich glaube, Sie wollen ihr allerhand Böses antun. Aber in diesem Fall werde ich entscheiden, was sie braucht.« Er griff nach Cassies Arm.

Die unerwartete Wendung machte Cassie ganz krank vor Angst. Vielleicht wäre es besser gewesen, Black Jacks Wut abzubekommen. Es tat zwar weh, aber es war auch schnell wieder vorbei. Doch beim Grafen? … Sein kalter, kontrollierter Zorn flößte ihr Furcht ein. In ihrem Kopf drehte sich alles. Halb betäubt vor Angst ließ sie sich von ihm die Treppe hochziehen. In seinem Zimmer stieß er sie auf das Fußende des ungemachten Bettes. Cassie bog ihren Kopf zurück und sah ihn mißtrauisch an. In ihrer Angst trat sie die Flucht nach vorn an.

»Sie haben Ihre Uhr doch zurück. Was wollen Sie also noch von mir?« sagte sie steif.

Er ging zum Tisch hinüber, um sich aus der Karaffe ein Glas Portwein einzuschenken. Er sah sie nicht an, als er sprach. »Ich würde gern wissen, warum du sie genommen hast, Yank. Ich frage mich übrigens, wie viele andere Männer du schon bestohlen hast.«

Cassie biß die Zähne zusammen. Das war es also, was er wollte. Er wollte sie demütigen. Nun, wenn dem so war, so würde sie es ihm, verdammt noch mal, nicht leichtmachen!

Er drehte sich um. »Komm schon, Yank.« Dieses Mal war es eine direkte Frage. »Bin ich er einzige, dem diese Ehre zuteil wurde?«

Ihre Augen schleuderten Blitze. »Ich habe die Uhr genommen, weil Sie so arrogant und unverschämt sind, Sir. Und wegen des Geldes, das sie mir bringen sollte.«

»Warum warst du denn so darauf aus wegzulaufen?«

Ihre Augen verdunkelten sich. »Warum, Sir?« Sie lachte höhnisch auf. »Ich habe doch so ein leichtes Leben. Was in aller Welt sollte es für einen Grund geben, für immer von hier fortgehen zu wollen?«

»Und wohin wolltest du gehen?«

Sie dachte kurz nach. »Ich weiß nicht – irgendwohin! … solange es nur weit genug von hier weg ist.«

Gabriel beobachtete sie prüfend über den Rand seines Glases hinweg. Er fragte sich, warum er überhaupt gefragt hatte nach allem, was er vorhin mitangehört hatte, als sie sich so bitter bei Black Jack beklagt hatte. Er zweifelte nicht daran, daß jedes Wort wahr war. Sein Blick glitt über ihr zerschlissenes Kleid, den abgewetzten Beutel, den sie immer noch so verzweifelt an sich preßte, und blieb schließlich an ihren rissigen, rauhen Händen hängen.

Cassie wurde rot, als sie merkte, wohin er sah. Sie schluckte und nahm all ihren Mut zusammen. »Ich kann hier nicht länger bleiben«, begann sie mit leiser, aber leidenschaftlicher Stimme. »Ich will nicht. Wenn Sie mich also zur Polizei bringen wollen, dann – dann tun Sie es eben, und die Sache ist damit erledigt.«

Gabriel war wider Willen beeindruckt. Das Mädchen war geistvoll – und nicht weniger mutig. Er wußte natürlich, daß sie große Angst hatte. Die Verzweiflung in ihren Augen war ihm nicht entgangen. Doch sie war, das mußte er zugeben, ein würdiger Gegner. Ja, sie war vielleicht sogar jemand, der seinem Vater die Stirn bieten könnte. Tatsächlich fragte er sich, was sein Vater wohl zu diesem hochfahrenden kleinen Yankee sagen würde …

Völlig unvermittelt kamen ihm Christophers Worte vom letzten Abend in den Sinn. Ist keine Frau für einen Bauern, die da, oder? Die kann höher hinaus …

Langsam nahm er das Glas von seinen Lippen. Er blickte sie forschend an, so als sähe er sie zum erstenmal. Das Mädchen war eine Diebin; hitzig und widerborstig; von niederer Herkunft und ohne Bildung … Ein ungebildeter Yankee. Und dann kam ihm eine Idee … eine Idee, deren Geburtshelfer die langen Jahre seiner Vernachlässigung und eine zerlumpte, aber wunderschöne Dirne waren. Lieber Himmel, das war es …

Mit einem Satz war er bei ihr. Er zog sie an den Armen hoch, nahm ihr Kinn in die Hand und drehte es prüfend hin und her. Eingehend musterte er ihre Gesichtszüge. »Wie alt bist du, Mädchen?«

Als sie keine Antwort gab, ließ er seine Hand auf ihre Schulter fallen. »Antworte mir«, sagte er scharf. »Wie alt bist du?«

Cassie befeuchtete sich die Lippen. »Achtzehn, glaube ich«, sagte sie vorsichtig. »Aber ich bin mir nicht sicher …«

»Nell hat erzählt, daß deine Mutter dich verlassen hat, als du noch ein Kind warst. Hast du keine anderen Verwandten?«

Sie sah ihn mit großen Augen an. Wortlos schüttelte sie den Kopf.

»Was würdest du sagen, wenn ich dich retten würde? Wenn die gräßliche Plackerei ein Ende hätte? Was würdest du sagen, wenn ich dich weit, weit wegbrächte?«

Sie blinzelte. »Wo-w-wohin?«

»Weit über das Meer – nach England. Und eines Tages vielleicht nach Paris. Ja, Paris würde dir gefallen, denke ich.« Er zeichnete mit dem Finger eine Linie um ihren Hals. »Ich könnte dir Juwelen schenken, und Pelze. Wie lange ist es her, daß du ein neues Kleid bekommen hast, Yank? Ich könnte dir jeden Tag ein neues Kleid schenken.«

Cassie schüttelte sich, als müsse sie aus irgendeinem Traum erwachen. »I-ich kann mir nicht vorstellen, warum Sie das tun sollten?« stammelte sie.

Gabriel lächelte verkniffen. Oh, das tat er beileibe nicht aus der Güte seines Herzens heraus, falls er so etwas wie ein Herz überhaupt besitzen sollte. Nein, es hatte nichts mit Großmut zu tun, dafür aber um so mehr mit Rache. Und wie süß diese Rache wäre …

Sein Vater wollte, daß er heiratete. Also würde er heiraten.

Cassie war sichtlich angespannt. »Ich dachte, Sie wollten mich bestrafen«, sagte sie mit zitternder Stimme.

»Beruhige dich, Mädchen. Ich habe nicht die Absicht, dich der Polizei auszuliefern – oder Black Jack.«

»Sir, geht es Ihnen … nicht gut?« fragte Cassie leise.

Gabriel lachte rauh auf. »Es ging mir wirklich nie besser.« Er machte eine Pause. »Also, was sagst du dazu, Yank? Du hast dieses Haus heute früh ohne ein bestimmtes Ziel verlassen, und ich biete dir jetzt die Chance, England zu sehen – den ganzen Kontinent. Ich gebe dir mein Wort, du wirst nie mehr Böden schrubben.«

Cassie biß sich auf die Lippen. »Solche Dinge bekommt man nicht umsonst«, sagte sie langsam. »Und ich habe nichts, was ich Ihnen dafür geben kann.« Er sah, wie sich ihre Wangen dunkelrot färbten. »Oh, mein Gott« – sie rang nach Atem –, »sagen Sie jetzt bitte nicht, ich soll Ihre … Mätresse werden.«

Ein grimmiges Lächeln spielte um seine Lippen. »Ich will keine Mätresse, Yank … ich will eine Ehefrau.«

Die andere Braut

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