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Viertes Kapitel

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Eine Ehefrau.

Cassie dachte fieberhaft nach. Der Mann mußte verrückt sein. Ja, ganz gewiß war er das. Oder war das Ganze bloß ein übler Scherz? Oder aber … gütiger Gott, vielleicht war sie es ja, die verrückt war …

Sie sah ihn forschend an. Eigentlich sah er ausgesprochen zufrieden aus. Doch seine Augen ließen sie nicht los: Dieser Ausdruck von Berechnung, dieses kalte Glitzern, das bildete sie sich doch nicht nur ein.

Nein, sie war nicht verrückt, und er war es auch nicht.

Langsam wich sie wie in Trance zurück, bis sie plötzlich mit den Kniekehlen gegen die Matratze stieß und benommen auf das zerwühlte Bett sank, unfähig, ein Wort hervorzubringen.

Er lächelte immer noch sein mokantes Lächeln. Häme sprach aus seinem Gesicht, Häme, die sie sich nicht erklären konnte. Endlich fand sie ihre Sprache wieder. Ihre Stimme war sehr leise. »Sie spielen mit mir, Sir. Aber das ist ein unheimlich grausames Spiel.«

»Unheimlich grausam?« Er lachte. Es war ein fröhliches Lachen, das von Herzen kam. »Um ehrlich zu sein, Yank, ich bin eher unheimlich großzügig.«

»Und um meinerseits ehrlich zu sein, ich kann mir keinen Grund denken, warum ein Mann wie Sie ein Mädchen wie mich heiraten will.« Ihre Stimme war schärfer, als sie es beabsichtigt hatte.

»Ich aber.« In seinen Augen glomm ein Funke, der fast furchteinflößend war.

»Und ich behaupte immer noch, Sie spielen mit mir, Sir!« Sie reckte ihr Kinn vor. »Ich habe nicht vergessen, daß Sie ein englischer Lord sind.«

»Ich auch nicht, Mädchen.« Sie beobachtete sein immer breiter werdendes Lächeln mit wachsender Unruhe. »Hey, du könntest bald eine Gräfin sein … und die zukünftige Herzogin von Farleigh.«

Eine Gräfin? Eine Herzogin? Sie? Der Mann glaubte sicher, sie sei ein Einfaltspinsel. Zorn wallte in ihr auf. Cassie taxierte heimlich den Abstand zur Tür. »Ich zweifle nicht daran, daß Sie beschlossen haben zu heiraten – aber nicht mich!« schrie sie und stürzte los.

Er holte sie auf halbem Wege ein. Eisenharte Finger krallten sich in ihren Arm und verhinderten ihre Flucht. Er drehte sie zu sich herum. Cassie schnappte nach Luft und sah ihn an.

Sein Lächeln wurde kühl. »Ich versichere dir, meine Liebe, es ist mir tödlich ernst. Ich mag vieles sein, aber ich bin kein Mann, der mit solchen Dingen Scherze treibt. Ja, ich bin fest entschlossen zu heiraten, aber damit du klar siehst … dich zu heiraten, und nicht nur zu heiraten.«

»Aber i-ich kenne Sie doch gar nicht … Ich wäre verrückt, wenn ich Sie heiraten würde«, platzte Cassie heraus, ohne es eigentlich zu wollen und ohne zu überlegen.

Sein Lächeln erlosch. »Du wärst verrückt, wenn du es nicht tun würdest«, sagte er kalt. »Du hast meine Uhr nicht mehr. Hast du dir überlegt, wie dein Leben aussehen wird, wenn du hierbleibst?«

»I-ich kann ziemlich gut mit Nadel und Faden umgehen.« Sie versuchte fest zu klingen, doch es klang kläglich. »Ich kann Arbeit als Näherin finden …«

»Und wenn nicht? Wer, glaubst du, wird dich einstellen? Du hast keine Referenzen, du hast niemanden, der deine Fähigkeiten bestätigt. Ja, welcher angesehene Schneider würde schon eine ehemalige Dienstmagd nehmen? Und wo willst du wohnen, bis du eine Anstellung gefunden hast? Hier auf der Straße? Was willst du machen, wenn du zufällig die Fantasien von irgendeinem Mann reizt? Meinst du, du kannst dich verteidigen, wenn er mit dir etwas anstellen will, wozu du nicht bereit bist? Glaub mir, Yank, das ist kein Leben, weder in Charleston noch anderswo.«

Cassie redete sich ein, daß er sie nur erschrecken wollte. Sie versuchte sich seinem Griff zu entwinden und loszureißen. Doch er ließ es nicht zu und zog sie noch näher an sich heran – so nah, daß sie seinen heißen Atem auf ihren Wangen spüren konnte.

»Dir bliebe nichts anderes übrig, als wieder zurückzukehren und Bier auszuschenken. Vielleicht machen dir ja die lüsternen Blicke und die Hände unter deinen Röcken nichts aus …«

Cassie erschauderte.

»Du hast genug mitbekommen, um deinen Lebensunterhalt mit deinem Körper zu verdienen, bei Gott. Wenn es dir also nichts ausmacht, den Rest deines Lebens in der Horizontalen zu verbringen und einen Mann nach dem anderen brünstig zwischen deine Schenkel zu lassen, Nacht für Nacht – bitte …«

Die Offenheit, mit der er sprach, trieb Cassie die Schamesröte ins Gesicht. Ihre Wangen glühten, und ihr Gesichtsausdruck spiegelte deutlich wider, wie aufgewühlt und verwirrt sie war. War dies ein Alptraum – oder eine Gottesfügung? Mehr denn je war ihr klar, daß sie niemals zu ihrem früheren Leben zurückkehren konnte. Sie sehnte sich nach nichts mehr als danach, alles hinter sich zu lassen … für immer.

Sie schluckte und zwang sich, in sein kaltes, düsteres Gesicht zu sehen.

»Ich verstehe einfach nicht«, sagte sie, und ihre Stimme war sehr leise, »welchen Grund es geben könnte, mir so einen Antrag zu machen. Sie selbst haben doch gesagt, daß Sie unseren Standesunterschied nicht vergessen haben.« Ihre Stimme überschlug sich. »Also warum – warum gerade mich?«

Gabriel verriet nicht, daß es gerade dieser Unterschied war, der ihn zu seinem Entschluß gebracht hatte, sie zu heiraten. Das hätte womöglich all seine Pläne über den Haufen geworfen.

Mit grimmigem Humor dachte er darüber nach, wie paradox das alles war. All die langen Jahre hatte sein Vater keinerlei Verwendung für seinen zweiten Sohn gehabt. Aber nun, da Stuart von ihnen gegangen war, war sein Vater plötzlich fest entschlossen, sich in sein Leben einzumischen. Nur, jetzt hatte sich das Blatt gewendet.

Das Mädchen sah zumindest ganz passabel aus. Sein Blick wanderte langsam über ihr aufgewühltes Gesicht, ließ sich gefangennehmen von der weichen, zarten Makellosigkeit ihres glatten Teints, der weder Puder noch Schönheitswässerchen kannte. In der Tat, sie war weit mehr als nur passabel.

Sein Vater hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß er heiratete. Nun gut, beschloß Gabriel mit einem grimmigen Gefühl des Triumphes, er würde ein pflichtbewußter Sohn sein. Er würde seinem Vater geben, was er wollte, nur daß es nicht so ganz dem entsprach, was der sich vorstellte. Er würde dieses diebische Mädchen niederer Herkunft zu seinem Eheweib machen.

Aber er wollte ihr nicht mehr Erklärungen abgeben als unbedingt nötig. Er bemerkte, daß er sich zumindest ihr Interesse erschlichen hatte, wenn das auch noch keine Einwilligung war. Er zog eine Augenbraue hoch und erwiderte ihren Blick. »Ich sehe an deinem Gesicht, daß du dir keine Illusionen machst. Das finde ich gut, denn es wäre ein schwerer Fehler, wenn du glauben würdest, daß mich die Liebe antreibt.«

Er ließ sie los, doch sein Blick befahl ihr, sich nicht abzuwenden. Mit grimmiger Genugtuung bemerkte er, wie sie rot wurde, als er sie von Kopf bis Fuß musterte.

»Und auch nicht«, fügte er mit einem kleinen, verkniffenen Lächeln hinzu, »die Lust.«

Er ging hinüber zum Fenster und verschränkte seine kräftigen Hände hinter dem Rücken. Nach einer Weile wandte er sich ihr wieder zu. »Du hast gefragt, warum ich dich heiraten möchte. Nun, ich will offen zu dir sein. Mein Vater ist der Herzog von Farleigh. Ich bin der jüngere von seinen zwei Söhnen. Als ältester Sohn war mein Bruder Stuart der Erbe meines Vaters. Aber Stuart ist vor ein paar Monaten gestorben.«

Da Cassie nicht wußte, was sie sagen sollte, blieb sie still. Allerdings schien er auch gar keine Reaktion von ihr zu erwarten. Weder sein Gesicht noch seine Stimme verrieten irgendwelche Emotionen.

»Farleigh, das Anwesen meines Vaters in Kent, grenzt an die Ländereien von Reginald Latham, dem Herzog von Warrenton. Warrentons einzige Tochter, Lady Evelyn, war mit Stuart vor seinem Tod verlobt«, fuhr er fort. »Als Stuart starb, habe ich seinen Titel geerbt – Graf von Wakefield –, sehr zum Ärger meines Vaters, schätze ich.«

Cassie blieb nicht verborgen, daß seine Stimme sich verhärtete. Sie fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mochte. »Sie haben anscheinend nicht viel für Ihren Vater übrig«, sagte sie langsam.

Er lachte grimmig auf. »Genauso viel wie er für mich. Du mußt wissen, Yank, die Wünsche meines Vaters stimmen selten mit meinen überein.«

Cassie runzelte die Stirn. »Und was hat das mit der Heirat zu tun?« Und vor allem mit mir, fügte sie im stillen hinzu.

»Bevor ich auf diese Reise ging, teilte mir mein Vater mit, er erwarte von mir, daß ich Stuarts Braut ebenso wie seinen Titel übernehme. Ich habe aber keine Lust, Lady Evelyn oder sonst irgend jemanden wegen des Titels zu heiraten. Doch mein Vater meint, es sei meine Pflicht zu heiraten.« Wilder Zorn flammte kurz in Gabriels Gesicht auf. »Mein Vater ist ein unbeugsamer, mächtiger Mann, der selten erlebt hat, daß man seine Wünsche nicht respektierte. Aber ich will mich von ihm nicht in eine Ecke zwingen lassen, die ich mir nicht selbst ausgesucht habe. Wenn ich zulasse, daß er jetzt über mich bestimmt, wird er überzeugt sein, daß er auch in allen anderen Dingen über mich bestimmen kann. Andererseits habe ich aber auch keine Lust, auf alles, was mir eines Tages gehören wird, zu verzichten. Deshalb muß ich meine Pflicht erfüllen – nur daß ich nicht die Braut zum Traualtar führen werde, die er ausgesucht hat.«

Er machte eine kleine Pause. »Warum ich nun ausgerechnet dich dazu auserkoren habe? Nun, wie du selbst zugegeben hast, hast du keine Verwandten. Es kann sich also niemand weiter in mein Leben einmischen. Und noch etwas. Ich will ehrlich sein, Yank, ich habe einfach keine Zeit, mich nach einer Braut umzusehen, weder hier noch in England. Wenn die Sache bei meiner Rückkehr perfekt ist, kann mein Vater nichts mehr daran ändern.« Er schwieg einen Augenblick.

»Wir beide möchten unsere Zukunft selbst bestimmen«, sagte er mit einem Achselzucken. »Deine Zukunft wird gesichert sein. Und ich werde, wenn ich erst einmal verheiratet bin, keine affektierten kleinen Luder mehr am Hals haben, die es auf meine Brieftasche abgesehen haben. Das scheint doch ein fairer Handel zu sein, oder etwa nicht?«

Ein ungleicher Handel wäre die treffendere Bezeichnung, wäre sie beinahe herausgeplatzt. Doch sie hielt sich gerade noch zurück. Bevor sie antworten konnte, sprach Gabriel schon weiter: »Nun, Yank?« sagte er und zog dabei eine Augenbraue hoch. »Ich kann deine Rettung sein, wenn du mich nur läßt. Was sagst du dazu?«

Cassie konnte nichts dagegen tun: Bitterkeit durchströmte sie wie ein langsam wirkendes Gift. Als Kind hatte sie sich oft vorgestellt, daß ihr Vater eines Tages auftauchen und sie an einen fernen Ort bringen würde, irgendwohin, wo es keinen Hunger gab, wo es nicht nach Schweiß und Bier roch. Aber höchstwahrscheinlich hatte selbst ihre Mutter nicht gewußt, wo ihr Vater war.

Aber sie war weder blind noch dumm. Nein, sie war nicht so töricht zu glauben, daß die Rettung in Gestalt eines Mannes nahte, dazu noch eines Fremden, der überdies frech und unverschämt war! Dennoch, er könnte ihr ein weitaus besseres Leben bieten … Die Juwelen und Pelze, die er ihr versprochen hatte, interessierten sie wenig. Aber die Aussicht auf ein eigenes Heim, ein Zuhause, das nicht nur aus einem Dreckloch bestand, die Aussicht auf die Erfüllung ihres Lebenstraumes ließ so ein Angebot in der Tat verlockend erscheinen. So verlockend, daß…

Hilflos schwebte sie zwischen Himmel und Hölle. Wenn sie einwilligte, bedeutete das endlose Tage auf dem weiten Ozean, Tag für Tag nichts als Wasser … Sie erschauderte innerlich, denn seit dem schrecklichen Tag, da sie und ihre Mutter in Charleston angekommen waren, hatte sie Angst vor Wasser … Könnte sie so eine Reise überhaupt durchstehen?

Sie wäre verrückt, ja zu sagen, aber genauso töricht, wenn sie nein sagte.

Cassie kämpfte mit sich. Sie war hin- und hergerissen. Gabriels Blick drängte sie zu einer Entscheidung. »Überleg mal«, sagte er sanft. »Das ist doch viel mehr wert als das, was du für meine Uhr bekommen hättest. Ich glaube fest, daß du das Zeug zu einer Luxusdame hast, Yank. Wenn du meine Frau bist, wird es dir an nichts fehlen.«

Cassie holte tief Atem und nahm ihren Mut zusammen. »Und was ist mit später? Nach einem Jahr? Nach zehn Jahren? Werden Sie mich auf die Straße werfen, wenn ich meinen Zweck erfüllt habe?«

Er machte einen Schritt auf sie zu. Bevor Cassie es verhindern konnte, hatte er eine ihrer Hände in seine Hand genommen. Sein Gesichtsausdruck war leidenschaftslos. Er betrachtete die rauhe, rissige, abgearbeitete Hand. Wie gerne hätte Cassie sie ihm weggezogen und in ihrer Tasche vergraben, um sie seinen Blicken zu entziehen. Sie verspannte sich, rührte sich aber nicht von der Stelle, obwohl sie instinktiv genau das gerne getan hätte.

Sein Gesicht ließ keine Regung erkennen, als er mit dem Daumen über die aufgesprungene, gerötete Haut ihrer Knöchel strich.

»Du wirst in deinem ganzen Leben nie wieder einen Tag arbeiten müssen. Noch wirst du je auf jemanden warten müssen. Die anderen werden auf dich warten.«

Cassies Handflächen wurden langsam feucht, und sie spürte, daß ihre Beine sie wohl nicht mehr lange tragen würden. »Sie würden mich gut behandeln«, fragte sie langsam, »und nie Ihre Hand gegen mich erheben?«

Gabriels Blick wurde scharf. Er streifte einen Ärmel ihres Kleides hoch und entblößte die purpurnen Striemen um ihr Handgelenk. Cassie sah ihn an. In seinen Augen flackerte etwas auf, das aber so schnell wieder verschwand, daß Cassie nicht sagen konnte, was es war.

Seine Lippen bewegten sich kaum, als er fragte: »Black Jack?« Ihre Augen wichen seinem Blick aus. Sie nickte nur. Mehr war dazu nicht zu sagen. Abrupt ließ er ihre Hand fallen.

»Man hat mich zu einem Gentleman erzogen, Yank, was immer andere auch dagegenhalten mögen. Meine Hand wird dir nicht weh tun.«

Cassie starrte auf ihre Fußspitzen, die unter ihren Röcken hervorlugten. »Und wann soll diese Hochzeit stattfinden?« fragte sie schnell. »Ich werde nicht mit Euch segeln, bevor das nicht erledigt ist. I-ich möchte sichergehen, daß Ihr mir keine Versprechungen macht, die Ihr dann nicht haltet.«

Seine Lippen verzogen sich langsam zu einem Lächeln. »Hey, Yank! Hast du es so eilig, unter die Haube – oder unter die Bettdecke zu kommen?«

Das war es ganz sicher nicht. Allein der Gedanke daran machte Cassie schon ganz krank. Neu hatte oft genug Gäste mit in die Dachkammer gebracht. Cassie hatte dann zwar immer vorgegeben zu schlafen, aber dem war nicht so gewesen. Sie hatte jedesmal das Gegrunze und Gestöhne, das Gewisper und Gelächter mitangehört, und es schüttelte sie immer noch, wenn sie daran dachte. Wie Tiere hatten sie geklungen!

Er zuckte die Achseln. »Ich hatte eigentlich vor, nicht später als mittags die Segel zu setzen. Und ich denke doch, es wird sich ein Priester finden lassen, der sich mit ein paar Goldstücken dazu überreden läßt, uns innerhalb einer Stunde zu trauen.«

Aber ihre Bedenken waren immer noch nicht ganz zerstreut. Sie zögerte immer noch.

Obwohl der Graf ein Stück weiter weg stand, spürte Cassie die ungeheure latente männliche Kraft, die von ihm ausstrahlte. Sie dachte an die schmerzliche, aufwühlende Schwere seines Körpers letzte Nacht, an die brutale Wildheit seines Kusses.

Sie verschränkte ihre Hände, damit sie nicht mehr zitterten. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie meinte, kein Wort herausbringen zu können. »Ich will mein Bett nicht mit Ihnen teilen!« stieß sie unter Aufwendung ihrer ganzen Kraft hervor. »Ich habe kein Verlangen danach, mit … mit Ihnen zu schlafen. Und wenn Sie damit nicht einverstanden sind, werde … werde ich Sie nicht heiraten.« Sie hatte es geschafft.

Er runzelte die Stirn. »Allmählich kommt mir der Verdacht, daß du mißgestaltet bist, Yank.« Er machte einen Schritt auf sie zu. »Sag, verbirgst du irgendeine Mißbildung vor mir? Du möchtest mit mir handeln. Aber vielleicht ist das Ganze ja ein Kuhhandel. Ich sollte das Angebot wohl besser erst einmal prüfen.«

Sie riß den Kopf hoch und warf die Hände abwehrend in die Luft. »Nein!« schrie sie.

»Madam, ich habe Ihnen doch gesagt, daß mich nicht die Lust zu Ihnen treibt. Ich bin zwar ein Mann mit einer Menge Appetit, aber sei versichert, ich werde mein Vergnügen anderswo suchen. Es gibt eine Menge anderer Frauen, die nur darauf warten, meine Bedürfnisse zu befriedigen.« Er lachte höhnisch auf. »Und Gott ist mein Zeuge. Das letzte, was ich mir wünsche, ist ein Erbe.« Er begegnete ihrem Blick mit eisiger Kälte. »So, Yank, und jetzt entscheide dich. Willst du nun mit mir nach England zurücksegeln, oder willst du hierbleiben?«

Es war, als sei sie nicht wirklich sie selbst, als sie sich flüstern hörte: »Ich will mitkommen.«

Er nickte, ging zur Tür und öffnete sie. Mit einem Kopfnicken bedeutete er ihr, ihm zu folgen.

Cassie bewegte sich wie in Trance. In ihrem Kopf drehte sich alles, so daß sie kaum begriff, was gerade geschehen war. Es schien alles so unglaublich … so unwirklich. Es war noch nicht eine Stunde her, da hatte sie dieses Zimmer in Erwartung einer Strafe betreten …

Und nun hatte sie statt dessen einen Heiratsantrag bekommen.

Unten im Schankraum wanderte Christopher Marley unruhig auf und ab, während Black Jack seinen bulligen Körper auf eine Bank in der hintersten Ecke gezwängt hatte und wie hypnotisiert in ein Glas Bier starrte. Als Nell Schritte auf der Treppe hörte, schoß sie mit einem höhnischen Grinsen aus der Küche, und man sah ihr an, daß sie hämisch darauf wartete, daß Cassie gleich das bekam, was sie schon längst verdiente.

Und das bekam sie auch tatsächlich.

Als sie unten an der Treppe erschienen, richteten sich alle Augen auf sie. Cassie hatte plötzlich nur noch den Wunsch, auf die Straße hinauszustürmen und um ihr Leben zu rennen. Aber wie zur Warnung wurde der Griff um ihren Ellbogen plötzlich stärker. Ihr wurde bitter bewußt, daß er ihre Absicht sofort durchschaut hatte.

Black Jack quälte sich aus seiner Bank und eilte auf sie zu. »Ihre Lordschaft, Sie brauchen sich mit ihr nicht länger rumzuärgern.« Er warf Cassie einen wütenden Blick zu. »Ich nehme sie Ihnen ab. Und Sie können absolut sicher sein, daß sie weder Sie noch sonst jemanden je wieder bestehlen wird.«

»Oh, daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Als meine Ehefrau wird sie das nicht nötig haben.«

Black Jack quollen fast die Augen aus dem Gesicht. Er bewegte zwar seine Lippen, brachte aber keinen Ton heraus.

Nell schoß mit einem erstickten Schrei nach vorne. »Sie werden dieses Luder doch nicht im Ernst heiraten?«

Gabriel schenkte keinem von beiden Beachtung. »Wir werden in einer Stunde heiraten«, fuhr er unbeirrt fort. »In der Nähe der Docks ist eine Kirche. Wir werden dort auf dem Weg zu meinem Schiff vorbeischauen.«

Nells Gesicht war dunkelrot angelaufen. »Warum? Warum ausgerechnet sie?« stieß sie hervor. »Das Luder denkt vielleicht, sie is’ was Besseres als ich. Aber im Bett, da taugt sie gar nichts. Sie hat nicht halb so viel Ahnung wie ich!«

Black Jack fand endlich seine Sprache wieder. »Ihre Lordschaft, Sie … Sie können sie nicht heiraten! Sie ist nur ein billiges Flittchen!«

Ein billiges Flittchen. Cassie zuckte innerlich zusammen und senkte den Blick. Sie war nicht in der Lage, irgend jemandem von ihnen ins Gesicht zu sehen.

So bekam sie auch nicht mit, daß Gabriel Black Jack einen derart vernichtenden Blick zuwarf, daß der einen Schritt zurückwich. »Ich heirate, wen ich will«, konstatierte er kalt. »Weder Sie noch irgendein anderer Mann kann mich aufhalten. Und wenn es Ihnen jetzt nichts ausmacht, dann lassen Sie mir bitte eine Kutsche kommen. Ich möchte endlich los.«

Black Jack flitzte diensteifrig los. Nell starrte noch ein paar Sekunden auf Cassies gesenkten Kopf, ehe sie, unverständliches Zeug vor sich hinmurmelnd, in die Küche abrauschte und verschwand.

Christopher stand der Schock ins Gesicht geschrieben, doch allmählich schien er sich wieder zu fangen. Er ging auf Gabriel zu, klopfte ihm auf die Schulter und nickte mit dem Kopf in Richtung Eingang. »Ein Wort unter vier Augen, bitte.«

Erst jetzt wagte Cassie, ihren Kopf wieder zu heben. Sie beobachtete verstört, aber auch mit einer gewissen Angst, wie die beiden Männer den Raum verließen. Die beiden standen sich auf dem Bürgersteig gegenüber.

Gabriel sprach als erster, bevor Christopher überhaupt eine Chance hatte, etwas zu sagen. »Ich hoffe doch, daß du mein Trauzeuge wirst«, sagte er ruhig.

»Trauzeuge?« Christophers Ton war ungewöhnlich barsch. »Hast du den Verstand verloren, Mann? Diese Heirat ist eine Farce, und wir beide wissen es!«

Gabriels Lächeln sah nicht gerade fröhlich aus. »Beantworte mir nur eine Frage, mein Freund. Wäre die Heirat mit Lady Evelyn etwa keine Farce? Diese Braut habe ich mir zumindest selbst ausgesucht.«

Christopher öffnete den Mund und schloß ihn dann wieder. So gerne er Gabriel auch etwas entgegengesetzt hätte, sein Argument war nicht von der Hand zu weisen.

»Du magst Cassie vielleicht etwas vorgemacht haben, mir machst du nichts vor. Du heiratest sie nur, um deinem Vater eins auszuwischen. Er wird toben, und das werden auch die Warrentons, wenn sie erfahren, daß du Lady Evelyn nicht heiraten kannst.«

Gabriel gab weder etwas zu, noch stritt er etwas ab. »Ich habe sie nicht belogen.« Du hast sie vielleicht nicht belogen, höhnte eine innere Stimme, aber du hast ihr sicher auch nicht alles erzählt … »Das Mädchen kennt meine Gründe für diese Heirat – sie weiß alles, was sie wissen muß.«

»Willst du damit sagen, daß du sie nicht dazu gezwungen hast?«

Gabriel konnte sich nur noch mit Mühe zurückhalten. »Ich habe nicht Hand an sie gelegt«, sagte er mit tödlicher Ruhe. »Und wenn du mir weiterhin unterstellst, ich hätte das getan, dann nimm dich in acht, mein Freundchen; das käme dich teuer zu stehen, sehr teuer.«

»Das unterstelle ich dir ja gar nicht«, sagte Christopher steif. »Aber sie hat immerhin deine Uhr gestohlen, und du hast sie dabei erwischt. Du könntest das gegen sie verwendet haben.«

Gabriels Augen verengten sich. »Du scheinst wirklich große Sympathie für sie zu hegen«, sagte er mit süßlicher Stimme. »Könnte es sein, daß du ein Auge auf sie geworfen hast und mich um meine Brautwahl beneidest?«

»Das ist es bestimmt nicht«, entgegnete Christopher hastig. »Gabriel, du weißt, ich habe dich selten kritisiert. Aber sag mir eins. Weiß das Mädchen, in was für eine Sache du sie da hineinziehst?«

»Christopher, ich befreie sie von einem Leben voller Arbeit, Mühsal und Armut. Du weißt so gut wie ich, daß ihre Lebensumstände sich um ein Vielfaches verbessern werden. In der Tat«, er lachte schrill auf, »müßte man mich eher für meine Tat belobigen.«

Christopher war eindeutig anderer Meinung, doch er sagte nichts. Aber anscheinend konnte Gabriel seine Gedanken lesen.

»Ich werde mir weder von dir noch von irgend jemand anderem dreinreden lassen«, sagte er kühl. »Mein Entschluß steht fest. Wirst du nun mein Trauzeuge, oder soll ich mir jemand anderen suchen?«

Christopher seufzte resigniert. »Du brauchst dir keinen anderen zu suchen«, sagte er ruhig. »Ich stehe dir als Trauzeuge zur Verfügung.«

Kurz darauf kletterten die drei in die Kutsche. Christopher setzte sich Cassie gegenüber. Die zukünftige Braut saß zusammengekauert in der Ecke, so weit sie konnte von ihrem zukünftigen Ehemann entfernt. Gabriel schenkte dem keine Beachtung und starrte aus dem Fenster. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Die Atmosphäre war alles andere als freundschaftlich.

Ein paar Minuten später marschierten sie hintereinander in die kleine Kirche. Cassie bekam nichts von dem mit, was zwischen Gabriel und dem Geistlichen gesprochen wurde. Der Pfarrer war ein robuster, fettleibiger Mann, der fast so breit wie lang war. Immer wieder wanderten seine Augen zwischen ihrem zerlumpten Kleid und der großartigen, imposanten Erscheinung des Mannes hin und her, der sie heiraten wollte. Ganz offensichtlich verwirrte ihn diese ungleiche Verbindung, doch er sagte nichts. Cassie wunderte das nicht, denn ihr war nicht entgangen, wie ein paar Goldmünzen in seinen fleischigen Händen verschwunden waren.

Viel zu schnell fand sich Cassie vor dem Altar neben Gabriel stehend wieder. Der Geistliche räusperte sich und fing an zu sprechen. Doch seine Worte waren nur Gefasel.

Dann war es vorbei. Cassie schluckte und merkte, daß ihre Hände, die krampfhaft ihren Beutel festhielten, zitterten. Unsicher, was man von ihr jetzt erwartete, hob sie langsam die Augen und blickte den Mann an, der nun ihr Ehemann war … gütiger Gott, ihr Ehemann.

Er war zufrieden. Sie konnte es an seinem verschlagenen Lächeln ablesen. Lieber Gott, und mit diesem kalten, harten Mann war sie nun verheiratet … aber jetzt war es zu spät, daran noch etwas zu ändern. Ein Zittern ließ ihren Körper erbeben.

Plötzlich konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie soeben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte.

Die andere Braut

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