Читать книгу Der Weg nach Roseworthy - Samina Haye - Страница 6

Prolog

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Samstag, 18. September 2010

Es war ein warmer Septembermorgen, an dem Zoe Clemens auf der Terrasse stand, um die Morgensonne zu genießen. Ihr langes, braunes Haar wehte im Wind, als sie gedankenverloren die letzten Jahre Revue passieren ließ.

Zoe war mit Julian Clemens nun seit über sechs Jahren verheiratet, doch als eine glückliche harmonische Ehe, konnte man dies leider nicht bezeichnen. Aber nach außen hin spielten sie die heile, perfekte Welt.

Eigentlich hatten beide nur eine heiße Affäre gewollt, doch dann war etwas geschehen, mit dem die zwei nicht gerechnet hatten. Zoe wurde mit ihrem bezaubernden Sohn Nick schwanger. Damals waren sie noch jung gewesen, doch Julian hatte sowieso nur zwei Dinge im Kopf gehabt: Das Fliegen und die Frauen.

Doch obwohl Zoe anfangs so erschreckt über die Schwangerschaft gewesen war, wollte sie das Baby unbedingt bekommen. Julian dagegen hatte sich gesträubt und versucht mit allen möglichen Tricks Zoe das Kind auszureden, doch ohne Erfolg.

Als sie wochenlang gestritten hatten, kamen sie nach einem langen Kampf zu dem Entschluss, zu heiraten.

Julians Eltern waren in dieser Hinsicht noch ziemlich altmodisch, da wäre es niemals infrage gekommen, ein uneheliches Kind in die Welt zu setzen.

Die ersten Monate ihrer Ehe waren für ihre Verhältnisse dennoch ziemlich gut verlaufen. Aber da Zoes schlanke Figur etwas rundlicher und ihr Bauch immer voller geworden war, hatte Julian Panik bekommen und war unausstehlich geworden.

Er liebte schlanke, attraktive Frauen und verlangte täglich seine Zärtlichkeiten. So war es passiert, dass er sich in den letzten Schwangerschaftswochen wenig Zuhause hatte blicken lassen.

Da Julian als Pilot viel Geld verdiente, hatte er es sich einfach gemacht und eine kleine noble Wohnung in der Nähe des Flughafens, wo er arbeitete, gekauft. Dorthin verkroch er sich mit seinen Affären, die er in den ganzen Jahren kennengelernt hatte.

Die Zeiten hatten sich etwas gebessert, als ihr gemeinsamer Sohn Nick auf die Welt gekommen war. Für einige Monate hatte sich Zoe gedacht, doch noch das Glück zu haben, eine wundervolle kleine Familie zu werden. Aber der Schein hatte getrogen. Zu Nicks drittem Geburtstag hatte sie Julian gegenüber den Wunsch geäußert, gerne noch ein zweites Kind bekommen zu wollen. Damit hatte sie das Fass zum Überlaufen gebracht.

Julian war außer sich geraten und hatte gab ihr eine Ohrfeige gegeben. Zoe wusste seine Worte noch, als wäre es erst gestern gewesen: „Zoe, es tut mir leid. Ich bin zu weit gegangen, ich wollte dich nicht schlagen, aber spinnst du? Ein zweites Kind? Du weißt doch, warum wir verheiratet sind. Es wird sich nichts daran ändern und auch ich werde mich nicht ändern. Ich möchte mich weiterhin mit anderen Frauen treffen. Das gehört, wie du und Nick, zu meinem Leben.“ Das waren seine Worte gewesen, bevor er kurz danach das Haus verlassen hatte und das ganze Wochenende nicht nach Hause gekommen war.

Nun war das alles über sechs Jahre her und bis heute noch spielten sie ihren Familien eine glückliche Ehe vor. Anfangs war es für Zoe unerträglich und sehr kompliziert gewesen, das alles durchzustehen. Ihre Schwester hatte oft nachgefragt, ob denn auch alles in Ordnung sei, doch Zoe fand immer irgendwelche Ausreden. Nach so vielen Jahren wusste sie mit dem Ganzen richtig umzugehen. Zoe weinte nicht mehr ganz so viel, aber sie führte immer noch ein trauriges und unvollkommenes Leben.

Das einzig Positive in ihrem Leben war ihr wunderbarer Sohn Nick. Er brachte sie zum Lachen und machte sie jeden Tag glücklich.

Heute, an diesem Samstag war es soweit. Der kleine Nick feierte seinen sechsten Geburtstag.

Als sich Zoe nun wieder fasste, ging sie schnell in die Küche, um das leckere Frühstück zu holen und draußen auf dem Terrassentisch aufzudecken.

Wenige Minuten später gesellte sich auch Julian zu ihr und nahm sich frischen Kaffee, aber sie sprachen nicht miteinander, sondern jeder las eine Zeitung.

Nick wünschte sich schon seit seinem dritten Lebensjahr einen Flugtag zusammen mit seinem Vater, einem erfahrenen Hubschrauberpiloten.

Wäre es nach Julian gegangen, hätte Nick schon viel früher mitfliegen dürfen, denn für ihn war Fliegen das Schönste und Normalste auf der Welt.

Doch für Zoe war das viel zu früh. Sie hatte auch immer ein ängstliches Gefühl, wenn ihr Mann seinen Beruf ausübte. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass sich Nicks Vater, ihrer Meinung nach, immer wieder großer Gefahr aussetzte.

Darum hatten sie sich darauf geeinigt, dass Nick erst zu seinem sechsten Geburtstag das ersehnte Geschenk bekommen sollte. Zusätzlich bekam er ein kleines Modellflugzeug, mit dem er spielen, aber auch lernen sollte, vorsichtig und verantwortungsvoll umzugehen.

Es dauerte an diesem Morgen nicht lange, schon hörten sie laute Geräusche aus Nicks Zimmer.

Er rannte schnell und gut gelaunt raus auf die Terrasse und schrie:

„Guten Morgen, Mama, Papa! Ich war heute schon total brav, bin frisch gewaschen und habe mir auch schon die guten Sachen angezogen. Bekomme ich jetzt bitte schon mein Geschenk?“

Zoe streckte mit einem Lächeln im Gesicht die Arme nach ihrem Sohn aus und Nick hüpfte voller Begeisterung auf den Schoß. Sie war so stolz auf ihren kleinen Sohnemann.

Nick lachte und sah seine Mutter an.

„Jetzt bin ich nicht mehr so leicht aufzufangen, denn ab heute bin ich schon ein ganz Großer.“

Alle drei brachen in lautes Gelächter aus.

„Da hast du recht. Guten Morgen, mein Großer. Hast du denn gut schlafen können?“

„Ja, Mami, sehr gut. Bin doch jetzt schon groß. Oma sagt doch immer, dass Vorfreude die schönste Freude sei auf das, was bald kommt. Tja, daran hab ich einfach gedacht.“

Nick sah seinen Dad voller Erwartung an, der endlich Anstalten machte, ihm sein Geschenk zu überreichen.

Julian merkte schon, dass Nick ungeduldig hin und her rutschte und musste lächeln.

Nick ging es einfach nicht schnell genug. Nach einer gefühlten Ewigkeit machte er einen spontanen Seitenwechsel auf Julians Schoß. Der große Augenblick war gekommen: Das Öffnen des Geschenkes.

Als er das Modelflugzeug sah, war es um ihn geschehen. Die Freude war so groß, dass er nicht bemerkte, dass sich noch etwas in dem Paket befand.

Zoe und Julian waren glücklich und zufrieden, dass sie ihrem Sohn diese Freude bereiten konnten.

„Jetzt hab ich auch einen Flieger“, jubelte Nick.

„Sieh doch noch mal in dem Paket nach. Ich glaube, da könnte noch eine Überraschung versteckt sein“, gab Zoe ihm den Tipp.

Sofort schaute er nochmals in die Schachtel und fand unter dem ganzen Geschenkpapier noch ein Foto.

„Toll, ein Bild von Papas neuem Hubschrauber, das muss ich gleich in meinem Zimmer aufhängen“, grinste er bis über beide Ohren. Zoe und Julian sahen sich glücklich an.

„Deine Mutter und ich haben entschieden, dass du jetzt alt genug dafür bist, um einen Flugtag mit mir zu verbringen!“

Nick sprang auf und jubelte vor lauter Freude.

„Papa, fliegen wir bitte heute noch? Bitte, bitte, es ist doch mein Geburtstag und so tolles Wetter noch dazu!“

Mit einem Lächeln im Gesicht sahen sich Zoe und Julian an und antworteten gleichzeitig:

„Aber natürlich. Heute ist doch dein Geburtstag!“

Der Junge war jetzt so aufgeregt, dass er nicht mehr wusste, was er als erstes tun sollte.

Nick rannte ins Haus, holte das Telefon und rief seine Großeltern an.

Voller Stolz berichtete er, welch „gigantisches“ Geschenk er bekommen hätte und dass es besser wäre, wenn sie erst am späten Nachmittag vorbeikämen. Denn dann könne er ihnen von dem tollen Flug erzählen.

Die Großeltern freuten sich mit ihm und mussten über ihren nervösen Enkel herzlich lachen. Sie wünschten ihm viel Spaß, er solle aber auf sich aufpassen und vorsichtig sein.

Nick ging wieder zu seinen Eltern, frühstückte mit ihnen und hörte einfach nicht mehr auf zu quasseln.

Kurz vor Mittag brachen Julian und Nick auf zum Flugplatz.

Zoe umarmte ihren Sohn noch einmal.

„Mein Spatz, ich wünsche dir ganz viel Spaß heute. Pass auf, was dein Vater dir alles erklärt.“

„Oh ja, danke schön, Mum, das werde ich machen!“

Er gab ihr noch einen dicken Kuss und sprang ins Auto.

Julian ging zu seiner Frau und drückte ihren Arm.

„Hab keine Angst, in ein paar Stunden sind wir wieder heil zurück und du hast deinen glücklichen Sohn vor dir stehen.“

Sie nickte schwach, doch Zoes Angst war deutlich zu spüren. Julian gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Viel Spaß, euch beiden!“

„Danke, den werden wir haben.“

Sie fuhren davon. Zoe winkte ihnen nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren und flüsterte leise.

„Ich liebe dich, Nick.“

Spät am Nachmittag trafen Zoes Eltern und auch ihre Schwiegereltern ein. Sie war froh, nicht mehr alleine sein zu müssen und etwas Ablenkung tat ihr gut. Irgendwie hatte sie ein komisches Gefühl, aber wahrscheinlich war es nur Einbildung. Sie führte ihren Besuch auf die Sonnenterrasse und servierte Kaffee und Kuchen. Sie sprachen über Nick und darüber, wie schnell doch die Zeit vergangen sei, nun sei er schon sechs Jahre alt geworden.

Nach einiger Zeit fiel Zoes Mutter Sophie auf, dass Zoe ständig auf die Uhr schaute.

„Schätzchen, was ist denn los, du wirkst so bedrückt?“

Traurig, schon fast mit Tränen in den Augen sah diese ihre Mutter an.

„Mama, ich weiß nicht was los ist, aber ich habe schon seit einiger Zeit ein ungutes Gefühl, eigentlich sollten die zwei schon längst wieder hier sein.“

Man merkte, wie es auf einmal still wurde und niemand mehr etwas sagte. Alle sahen zu Zoe, bis Adam, Julians Vater, das Schweigen brach.

„Zoe, mach dich nicht fertig, deine Gefühle irren sich bestimmt. Hat denn mein Sohn sein Handy nicht dabei?“

Überrascht sah sie ihn an und fragte sich gerade, warum sie denn nicht selber darauf gekommen war.

„Ähm, ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Normalerweise verlässt Julian nie das Haus ohne sein Handy. Aber ich sehe sofort nach und ruf ihn an.“

Luise, ihre Schwiegermutter, bot ihr an, sie zu begleiten um bei der Suche behilflich zu sein. Zoe lächelte schwach, bedankte sich und meinte, sie schaffe das schon alleine, sie sollten noch in Ruhe die letzten Sonnenstrahlen genießen.

Nach kurzem Innehalten verschwand sie rasch im Haus und eilte ins Obergeschoss, wo sich Julians Büro befand.

Wie versteinert blieb sie stehen, denn ihr erster Blick war seltsamerweise sofort auf sein Handy gefallen. Sie verstand nichts mehr, das war noch nie geschehen, aber warum denn genau heute? War das ein schlechtes Omen?

Zoe ging zum Schreibtisch und nahm das Handy. Danach verließ sie wie in Trance das Zimmer und ging wieder nach unten.

Alle standen beisammen auf der Terrasse und genossen die Wärme des Abends.

Sie unterhielten sich über Nick, seinen Geburtstag und das wunderbare Geschenk, das er sich schon so lange gewünscht hatte. Alle mussten lächeln bei der Vorstellung, wie er später nach Hause kommen würde, voller Freude über das Erlebte.

Sie ahnten jetzt schon, was sein nächster Wunsch sein würde - nämlich, dass er so schnell wie möglich wieder mit seinem Dad fliegen dürfte.

Als sie Zoe mit dem Handy in den verkrampften Händen bemerkten fiel ihnen sofort auf, dass etwas nicht in Ordnung war.

Sie war blass im Gesicht und ging zu ihren Eltern hinüber.

„Ich verstehe das nicht, Julian hat das Handy doch immer bei sich, warum vergisst er es ausgerechnet heute?“

Bevor sie ihr eine Antwort darauf geben konnten, läutete es an der Haustüre.

Zoe eilte hin und hoffte, das Julian auch seinen Schlüssel daheim vergessen hätte und deshalb klingelte.

Doch dem war leider nicht so.

Vor ihrer Tür standen zwei Polizisten.

„Guten Tag. Entschuldigen Sie die Störung, sind Sie Frau Clemens?“, fragte der Polizist freundlich. Zoe sah die beiden an und wurde blass im Gesicht.

„Guten Tag, ja, ich bin Frau Clemens. Aber was wollen Sie denn von mir?“, fragte sie ängstlich.

„Dürfen wir reinkommen? Wir würden gerne mit Ihnen sprechen.“

Adam sah, dass Zoe mit der Fassung rang und kam ihr zur Seite.

„Guten Tag, ich bin Adam Clemens. Bitte kommen Sie herein.“ Er führte die Polizisten ins Wohnzimmer und bot ihnen an, sich zu setzen.

Zoe folgte ihnen wortlos.

Als alle Platz genommen hatten, sah der Polizist in die Runde und ergriff das Wort.

„Sind Sie der Vater von Julian Clemens?“

„Ja, das stimmt. Aber jetzt sagen Sie uns doch bitte, weshalb Sie gekommen sind.

Zoe war blass. Sie hatte große Angst vor der Antwort, weil sie doch schon seit Stunden ein ungutes Gefühl hatte. Noch hoffte sie, sich zu irren.

Der Blick des Polizisten ruhte auf Zoe. Voller Ungewissheit sah sie ihn an und wartete auf seine Antwort.

„Familie Clemens, es ist leider etwas Schreckliches passiert. Es tut uns von ganzem Herzen leid, Ihnen diese schlimme Nachricht überbringen zu müssen. Wir können noch nicht erklären, was geschehen ist. Der Hubschrauber von Herrn Clemens ist kurz vor der geplanten Landung abgestürzt. Herr Clemens und das Kind, das er bei sich hatte, sind an ihren schweren inneren Verletzungen noch am Unfallort verstorben.“

Zoe saß wie versteinert da, alle Farbe wich ihr aus dem Gesicht.

Sie wusste nicht ob sie gerade richtig hörte, doch dann sprang sie auf, rannte hinaus in den Garten und schrie.

Sie weinte heftig, ließ sich auf den Boden fallen und konnte sich nicht mehr beruhigen.

Ihre Eltern, Sophie und Paul, liefen zu ihr, nahmen sie in die Arme und weinten mit ihr.

Auch Adam und Luise, Julians Eltern, schwiegen erschüttert.

Julian, ihr älterer Sohn, und Nick, ihr einziges Enkelkind, waren tot.

Über die Familie senkte sich tiefe Trauer. Innerhalb weniger Augenblicke war für alle eine Welt zusammengebrochen.


Der Weg nach Roseworthy

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