Читать книгу Wenn Licht die Nacht durchdringt - Sandra Andrea Huber - Страница 8
FÜNF
Оглавление„Wir haben eine Spur.“ Darwin, einer seiner fähigsten Männer, platzte lautstark und erregt grinsend in sein Büro. „Jemand von unseren Spitzeln hat etwas Brauchbares aufgeschnappt.“
Mühsam unterdrückte Merkas den Drang ihm etwas Scharfes und Spitzes in den Mund zu rammen, weil er einfach hereingestürmt war, ohne zu klopfen. Doch eine weit entfernte, schwer wahrnehmbare dunkle Stimme in seinem Kopf hielt ihn zurück, versprach, dass diese Spur keine Spur ins Leere war. „Von was für einer Spur reden wir?“, wollte er wissen.
„Von einem Krankenhausparkplatz wurde ein Wagen geklaut, ein silberner Volvo. Die Polizei hat nicht nur die Meldung eines Diebstahls, sondern zeitgleich auch das Verschwinden einer namenlosen, gedächtnislosen Patientin aufgenommen. Sie war vor drei Tagen von einem Mann eingeliefert worden, der sagte, er hätte sie gefunden. Das Krankenhaus hat die Vermutung geäußert, dieser Mann könne sie entführt haben, da die Frau seltsam auf ihn reagiert hatte, nachdem sie aufgewacht war und ihn gesehen hat.“
„Ist das alles?“, fragte er nach ein paar stummen Sekunden scharf. „Du kannst mir nicht mal mit Gewissheit sagen, dass der Mann und die Frau wirklich Nikolaj und sein Menschengör waren?!“ Der Drang seinem Gegenüber Schmerzen zuzufügen, kehrte zurück. Aber auch die dumpfe Stimme schwirrte weiter durch seinen Kopf. Beschwichtigend und besänftigend.
„Ich habe dafür gesorgt, dass wir die Aufnahmebänder des Krankenhauses zu Gesicht bekommen. Caleb besorgt sie sich, er sollte bald mit ihnen hier sein. Dann können wir mit Sicherheit sagen, dass es Nikolaj und das Mädchen waren. Zwischenzeitlich habe ich das Kennzeichen des Wagens an alle brauchbaren Anlaufstellen weitergeleitet. Nikolaj kann nicht ständig auf den Straßen unterwegs sein, ohne gesehen zu werden. Vor allem, da er nicht ohne Benzin auskommt und nicht nur wir, sondern auch die Polizei nach ihm sucht. Wir haben ein Auge auf alle Tankstellen im Umkreis und werden die Fortschritte der Polizei beobachten. Ein Spitzel innerhalb der Bullen zahlt sich nicht nur einmal aus.“
Merkas sah durch Darwin hindurch, damit beschäftigt, die Informationen zu einem logischen Bild zu verknüpfen. Wo zum Teufel wollte der Bastard mit dem Miststück hin? Glaubte er tatsächlich, er könne ihm auskommen? Ihm?! Nicht mal sein eigener Vater war vor ihm sicher gewesen. Er hatte auf den Chefsessel des Marofláge gewollt und hatte genau das erreicht. Der ultimative Zug, um sich Respekt, Ansehen und vor allem Loyalität zu sichern: Einen Blutwolf, wie sein Vater es gewesen war, zur Strecke bringen. Wenn ein Sohn seinen Vater umbrachte, galt das einfach nochmals als eine Stufe höher, sogar unter ihresgleichen.
„Findet raus, wo sie hinfahren“, befahl er, seinen Blick nun wieder fokussiert. „Und zwar schnell. Sonst wird keiner von euch jemals wieder ohne Bedenken die Augen schließen, wenn du verstehst, worauf ich hinaus will. Oder ich muss mir erst noch jemanden von euch vornehmen, ehe ich mich an Nikolaj und seinem Gör austoben kann. Es liegt ganz an euch.“
Darwin gab ein kurzes Nicken von sich, ehe er – diesmal erlaubterweise – durch die Tür trat.
* * *
Die Flamme in Luzifers Hand flackerte, doch er hatte keinerlei Bedenken, dass sie ihm entweichen, zu stark auswuchern oder ihn gar verletzten würde. Er verstärkte die Hitze in seiner Handfläche und ließ das Feuer abermals größer werden, sich biegen, tanzen, singen.
Der Hauch eines Lächelns zog über seinen Mund. So unbefriedigend sein letztes Vorhaben auch geendet hatte, so zuversichtlich und gelassen war er in diesem Moment. Zwar war das Mädchen nicht tot, wie sie es sein sollte, aber diesen Fehlschlag würde er bald bereinigen. Oder: Er würde ihn bereinigen lassen.
Merkas hatte ihn gehört. Nicht klar und deutlich, nicht unmissverständlich, aber er hatte seine Stimme, sein Flüstern gehört. Es war nicht vorgesehen, dass man von anderen Ebenen aus auf die Erde, beziehungsweise ihre Bewohner, zugreifen konnte. Viel mehr als ein enorm abgeschwächtes Gefühl, oder eine blasse Ahnung an die gewünschte Person war nicht drin. Immerhin war die Erde „der Planet des freien Willens“. Furchtbar lästig, diese Regelung. Er konnte sich nicht mal auf Erden materialisieren, um direkt einzugreifen, das ließen die Barrieren nicht zu.
Natürlich gab es immer irgendwo ein kleines Schlupfloch, für denjenigen, der beharrlich genug danach suchte. Das hatte bereits sein Abstecher in Céstines Körper bewiesen. Sensaten trugen einen Großteil seines Wesens in sich. Er war mit ihnen auf besondere Art und Weise verbunden. Zwar würde er nicht so weit gehen, sie als seine Kinder zu bezeichnen, aber als seine Schöpfungen oder Kreaturen durchaus. Ihr Charakter verkörperte jeweils einen bestimmten Abgrund der Menschen, doch kamen diese Abgründe, Begehren und Sehnsüchte seinem Wesen sehr nahe. Dieser Tatsache, und dem Zustand Céstines körperlichen Befindens, war es zu verdanken gewesen, dass er Besitz von ihr hatte ergreifen können. Sie war kurz vorm Sterben gewesen, weder ihr Körper, noch ihr Geist waren schwer zu überwinden oder in den Hintergrund zu drängen gewesen. Obendrein hatte sie sich nicht direkt auf der Erde befunden, sondern in der Zwischenwelt. Hier gab es kein Licht – wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Keine goldene, warme Sonne strahlte vom Himmel, ließ den Tag anbrechen oder vergehen. Immerwährende Dunkelheit. Im Außen, wie im Innen.
Schlupflöcher.
Merkas war zwar weder verletzt, noch stand er kurz davor, zu Sterben, doch sein Inneres war in Aufruhr, befand sich in einem großen Chaos, das erhitzt und geleitet wurde von Rachsucht und dem Durst nach Blut und Schmerz. Das konnte er zu seinen Gunsten nutzen. Denn, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen heraus, wollten sie doch das Gleiche: Das Mädchen tot sehen. Durch diese Gemeinsamkeit konnte er sich Zugang in Merkas Geist verschaffen und ihn beeinflussen. In welchem Umfang und wie ausgeprägt würde sich noch zeigen. Klar war, je mehr der Sensat darauf einging, desto deutlicher würde er ihn erreichen und lenken können.