Читать книгу Wenn Licht die Nacht durchdringt - Sandra Andrea Huber - Страница 9
SECHS
Оглавление„Ist sie immer noch weggetreten?“
„Sieht ganz so aus“, entgegnete Jonathan murmelnd.
„Sollen wir vielleicht mal rechts ranfahren und sie an die frische Luft bringen? Vielleicht hilft das ja?“
„Ich denke, dafür ist es inzwischen zu spät. Wenn du mich fragst, dann kann ihr weder Frischluft noch sonst was helfen.“
Der Van machte einen Schlenker und holperte über den Bordstein, als Marah den Kopf ruckartig nach hinten wandte, einen erschrockenen Ausdruck auf dem Gesicht tragend.
„Verdammt noch mal, schau auf die Straße!“, mahnte er sie und hielt Gwen fest, damit sie nicht herumflog, wie eine Schaufensterpuppe und mit dem Kopf gegen das Fenster knallte.
„Was meinst du mit „kann ihr weder Frischluft noch sonst was helfen“? Sie ist doch in Ordnung, oder? Atmet sie? Hat sie Farbe im Gesicht?“, ratterte Marah alarmiert herunter und sah über ihre Schulter nach hinten.
Abermals machte der Wagen ein paar Auswüchse und schlenkerte herum.
„Sieh verdammt noch mal nach vorne, Marah! Sonst können wir uns gleich alle drei in ein Krankenbett oder einen Sarg legen!“
„Was ist nun mit ihr?“, beharrte sie.
Jonathan gab ein Seufzen von sich. „Ich meinte nicht, dass sie auf dem Weg ins Jenseits ist. Tut mir leid, wenn es für dich so geklungen hat“, schloss er teils reuevoll, teils genervt. „Damit meinte ich nur, dass jemandem wie ihr wohl nicht mehr zu helfen ist. Wenn sie regen Verkehr mit Sensaten pflegt und wir sie aus der Klemme holen müssen.“
Marah gab ein leises Seufzen von sich. „Jo, ich weiß, dass du … wie du über sie denkst. Ich weiß, dass dich die Sache mit…“
„Nicht!“, fuhr er ihr über den Mund. „Lass gut sein.“
Einen Moment schwieg sie, dann setzte sie abermals an: „Jo – es wird nicht besser, wenn du jedem Gespräch darüber aus dem Weg gehst. Vielleicht solltest du genau das tun: Darüber reden und es nicht in dich hineinfressen.“
„Ich will nicht darüber reden! Wenn du das endlich akzeptieren würdest, wäre ich dir sehr dankbar.“
„Ich meine es nur gut.“
„Und ich meine es ernst, wenn ich sage, dass ich nicht darüber reden will. Sei froh, dass ich hier bin und spuck aus, was wir jetzt mir ihr machen sollen.“ Er spürte, dass Marah nicht zufrieden mit dem Verlauf ihres Gesprächs war, doch sie war so besonnen, nicht weiter auf ihn einzureden.
„Ich denke, zuerst werden wir dafür sorgen müssen, dass es ihr besser geht. Was auch immer sie tun soll, welche Aufgabe auch immer auf sie wartet: In ihrem Zustand wird das nichts. Wir müssen sie aufpäppeln und auf sie aufpassen. Ich fürchte, dass nicht nur der Sensant vom Krankenhaus versuchen wird, sie in die Finger zu kriegen.“
Er zog die Stirn in Falten. „Was genau soll das heißen? Wer will sie denn alles in die Finger kriegen? Von wie vielen Verfolgern und potenziellen Todfeinden reden wir hier?“
„Ich weiß nicht, von wie vielen“, gab sie zögernd zu. „Allerdings kommt es nicht immer auf die Masse an …“
Jonathan sah, dass sie sich auf die Lippe biss. „Marah! Ich hab mich abspeisen und einlullen lassen, als du gesagt hast, dass du weg musst, um einer jungen unerfahrenen in Schwierigkeiten steckenden Hexe zu helfen. Das heißt jedoch keineswegs, dass ich weiter blind in der Gegend rumlaufen werde. Ich will wissen, was Sache ist. Ich will, dass du mir alles sagst, was du weißt. Ich bin nur hier, um…“
„Auf mich aufzupassen und mich zu beschützen“, beendete sie seinen Satz.
Er ballte die Fäuste, entgegnete aber nichts. Schuldgefühle schnürten ihm die Kehle zu. Es war, als stecke plötzlich ein Batzen Beton in seinem Hals.
„Hör zu, Jo. Was ich weiß, ist, dass sie unsere Hilfe braucht. Ich weiß, dass sie etwas tun soll – etwas, dass mit der Schöpfung der Sensaten und ihrem Wesen zu tun hat. Doch zuerst muss sie sich erholen. Und dann, wenn sie sich erholt hat, wird sie Unterstützung benötigen, um sich für was auch immer bereit zu machen. Ich werde tun, was immer ich für sie tun kann, werde ihr zeigen und lernen, was immer ich ihr beibringen kann. Und was ich noch weiß, weil es auf der Hand liegt, ist, dass es einige geben wird, die sie tot sehen wollen. Sie braucht also Unterstützung und Schutz.“
Er schwieg eine Weile, ehe er bitter entgegnete: „Und warum bin ich dann hier? Du bist die Hexe. Ich kann ihr keine Zaubertricks beibringen. Und was den Schutz angeht … wir wissen beide, dass ich auch in dieser Hinsicht keine Hilfe bin.“
Einen Moment lang herrschte Stille.
„Sie wusste, dass du mich begleiten würdest.“
Er sah auf. „Sie?“ Er brachte das Wort voller Verachtung über die Lippen. „Sie kann mir gestohlen bleiben. Sollte ich ihr einmal persönlich begegnen, werde ich ihr das auch ins Gesicht sagen, darauf gebe ich dir mein Wort.“
„Du bist auf Gott und die Welt wütend, aber das hilft dir kein Stück weiter, lass dir das gesagt sein. Und Corin hilft es auch nicht mehr. Was meinst du, würde sie sagen, wenn sie dich jetzt hören und sehen könnte? Du weißt ganz genau, was sie dazu sagen würde, oder?“
Abermals rang er mit dem Betonklotz in seiner Kehle. „Fahr rechts ran“, sagte er schließlich leicht krächzend.
„Warum?“
„Den Rest der Strecke fahre ich. Ich kenne den Weg und ich komme nicht ständig von der Fahrbahn ab oder laufe Gefahr, mit einem anderen Auto zu kollidieren. Du kannst dich ja inzwischen aufs Ohr hauen oder auf die Unversehrtheit und Gesundheit unserer Begleitung achten. Immerhin ist sie dein Schützling.“
„Ich mache an der nächsten Raststätte halt, wir müssen ohnehin tanken. So lange wirst du es da hinten noch aushalten, denke ich.“
Jonathan gab lediglich ein Brummen von sich und lehnte sich rücklings gegen den Sitz.
Die Frau schlief nach wie vor – oder war immer noch bewusstlos, eines von beidem. Auf jeden Fall ruhte ihr Kopf auf seinen Oberschenkeln, sodass er auf ihr Gesicht herabsehen konnte. Ein großes Pflaster zog sich über ihre linke Wange. Woher sie diese Verletzung wohl hatte? Ebenso wie die Restlichen?
Langsam strich er ihr Haar zurück, es war verfilzt und leicht fettig. Sie war hübsch, auf natürliche Weise. Er persönlich mochte es nicht, wenn Frauen dickes Make-up auflegten oder aussahen, als hätten sie in einen Farbkasten gegriffen.
Plötzlich zuckte sie zusammen, schlug die Augen auf und sah ihn erschrocken an, während sie scharf nach Luft sog.
Ohne Frage, sie hatte einiges mitgemacht, dachte er bei sich. In ihren Augen lag ein müder und gläserner Ausdruck. Er konnte sich selbst in ihrem Blick erkennen. Nicht, weil er sich in ihrer Iris spiegelte, sondern weil er diesen Ausdruck im Spiegel gesehen hatte, noch immer sehen konnte.
„Was … Wo …“ Sie wollte sich aufrichten.
„Es ist alles in Ordnung“, beeilte er sich zu sagen und hielt sie an den Schultern zurück. „Du bist in Sicherheit.“
„Sicherheit?“ Sie wiederholte das Wort fragend und gleichsam anklagend. „Das hast du schon mal gesagt und dann hast du mich aus dem Krankenhaus entführt und in diesen Wagen verfrachtet. Also sag mir nicht, dass ich in Sicherheit bin.“ Sie atmete schwer. „Wohin bringt ihr mich? Wer seid ihr?“ Ihr Blick flog unruhig hin und her.
„Marah?“ Er wandte sich nach vorne. „Sind wir bald an der nächsten Raststätte angelangt? Ich glaube, es wäre gut, wenn wir eine kurze Pause einlegen, damit Gwen ein wenig Frischluft schnappen und etwas essen kann.“
„Was wollt ihr von mir? Und woher kennt ihr meinen Namen? Ich habe niemandem gesagt, wie ich heiße. Ich habe gesagt, dass ich mich an nichts erinnern kann. Woher wusstet ihr, dass ich in diesem Krankenhaus bin?“
„Wir sind … Hekate schickt uns.“ Der Name ging ihm nur widerwillig über die Lippen. „Wir sind Freunde. Das am Steuer ist Marah, ich bin Jonathan“, schloss er versöhnlich.
„Noch sieben Kilometer, dann kann ich abfahren“, meldete sich Marah zu Wort.
Skepsis und Unglauben standen auf ihrem Gesicht geschrieben. Entweder war sie nach den vergangenen Ereignissen nun vor allem und jedem auf der Hut oder sie war von Haus auf eine vorsichtige Persönlichkeit. Allerdings musste er zugeben, dass es nicht gerade alltäglich war, dass man aus einem Krankenhaus gekidnappt wurde. Daher war ihr Misstrauen wohl gerechtfertigt.
„Glaub mir, würden wir etwas Böses im Schilde führen, würden wir nicht anhalten um dir eine Pause zu gönnen. Schon gar nicht auf einem öffentlichen Rastplatz, wo du leicht weglaufen kannst oder von einer Menge Menschen gesehen wirst“, versuchte er sie weiter von ihren guten Absichten zu überzeugen. „Allerdings sollte unser Zwischenstopp nicht zu lange dauern. Immerhin sind wir vor deinen Verfolgern auf der Flucht. Wer weiß, wo sich die alle herumtreiben.“
„Verfolgern?“ Sie setzte sich auf.
War sie tatsächlich unwissend oder tat sie nur so? Möglicherweise war sie auch durch und durch naiv. „Allerdings. Zum Beispiel deinem Sensatenfreund aus dem Krankenhaus.“
Ein kurzes Zucken ging durch ihren Körper. Die restliche Fahrt bis zur Raststätte blieb sie stumm und in Gedanken versunken.
* * *
Zehn Minuten später fuhren sie von der Autobahn ab auf einen großen Parkplatz. Gwen hatte immer noch keine Ahnung, ob die beiden die Wahrheit sagten und sie wirklich in Sicherheit bringen wollten. Obendrein war ihr nicht mal zur Gänze bewusst, vor was – oder wem – genau sie in Sicherheit gebracht werden musste.
„Bist du fit genug, um Auszusteigen?“, fragte Jonathan.
„Das kriege ich schon hin. Allerdings“, sie sah an sich herunter, „falle ich wohl ziemlich auf, wenn ich so rausgehe.“ Sie trug immer noch das weiße Krankenhausnachthemd.
Die Schiebetür glitt auf und die Frau kletterte in den Van. Sie war in etwa so alt wie sie selbst, hatte blondes Haar, das sie zu einem lässigen Zopf gebunden trug und blaue Augen. Ihre Hose war in kurze Schnürstiefel gesteckt. „Kein Problem. Ich habe jede Menge Ersatzklamotten dabei.“ Sie griff auf die hintere Sitzreihe und zog eine Tasche nach vorne. „Such dir einfach was aus. Da hinten liegen auch noch Schuhe und eine Jacke. Wir warten draußen, während du dich umziehst.“
„Danke.“
Marah fing ihren Blick ein. „Wir wollen dich wirklich nur beschützen“, fügte sie warm lächelnd hinzu. „Das einzige, um das du dir Sorgen machen musst, sind höchstens Jonathans Manieren.“
„Herzlichen Dank auch“, kam es säuerlich von Besagtem, ehe er sich seine Jacke griff und aus dem Van sprang. Einen Augenblick später folgte die Frau ihm und schloss die Schiebetür.
Gwen starrte unschlüssig durch die geschwärzten Scheiben nach draußen, wo Marah und Jonathan standen. Eigentlich hatte sie nicht das Gefühl, dass die beiden logen, doch war sie sich nicht mehr sicher, ob sie ihrem Gefühl über den Weg trauen konnte. Womöglich wollte sie einfach nur glauben, dass die beiden ihr Bestes wollten.
Gedämpft reichten Bruchstücke eines Gesprächs an ihr Ohr.
… durch den Wind …
… keine gute Idee …
… Verletzungen … auffallen …
… spät nachts …
Langsam zog sie die Infusionsnadel aus ihrem Unterarm und drückte eine Weile auf die offene Stelle. Dann griff sie ein langärmliges Shirt, Jeans und Socken aus der Tasche, schlüpfte hinein, schnürte die Sneakers und zog sich die Jacke über. Über ihren Körper zogen sich immer noch eine Menge blaue Flecken und natürlich Schnitte. Sie vermutete, dass man die Wunde an ihrer Wange genäht und anschließend ein Pflaster darüber geklebt hatte, damit sie nicht daran herumnestelte oder Dreck an die Verletzung kam. Mit einem Schauder erinnerte sie sich daran, wie Céstine erst das Messer, dann ihre Fingernägel in ihre Haut gebohrt hatte.
Unwillkürlich hob sie die Finger an das Pflaster. Es war groß – weil der Schnitt groß war. Womöglich würde eine Narbe zurückbleiben. Mitten in ihrem Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen.
Von außen her pochte es an der Scheibe. „Bist du fertig?“
„Ja, ich komme.“ Sie trat an die Schiebetür heran, öffnete sie und kletterte langsam nach draußen, die Belastbarkeit ihrer Füße testend.
„Wie gesagt, wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten. Du kannst auf die Toilette gehen, dich frisch machen, ein wenig Luft schnappen und eine Kleinigkeit essen, aber alles in zügigem Tempo“, klärte Jonathan sie auf. „Geht schon mal vor, ich tanke währenddessen und komme dann nach.“
„In Ordnung“, entgegnete Marah und bedeutete ihr mit einem Nicken, ihr zu folgen. „Wie geht es dir?“
Gwen drehte den Kopf seitlich. „Ich weiß nicht genau“, sagte sie seufzend.
„Hast du Schmerzen?“
„Die Schmerzmittel vom Krankenhaus halten noch her. Mir ist nur ein bisschen übel und mein Kopf ist … etwas schwer und dumpf. Ich fürchte, ich habe eine leichte Gehirnerschütterung.“
„Das ist nicht gut“, entgegnete Marah besorgt. „Dann solltest du dich eigentlich ruhig hinlegen.“
„Das geht schon. So lange ich nicht versuche, einen Marathon zu laufen oder mich überanstrenge.“
Einen Moment später strafte ihr eigener Körper sie lügen und ließ sie leicht taumeln. Marah umfasste ihren Arm und stützte sie den restlichen Weg bis zum Eingang des Rasthofs.
„Hast du Hunger?“
„Nein. Oder doch. Ein bisschen, glaube ich.“
Die blonde Frau schmunzelte. „Soll ich uns Etwas holen, während du dich frisch machen gehst? Oder soll ich lieber mitkommen?“
„Nein, das krieg ich schon hin.“
„In Ordnung. Irgendwelche besonderen Wünsche?“
„Nein, vielleicht einfach … einen Tee und etwas Trockenes.“ Sie glaubte nicht, dass Koffein ihr im Moment sonderlich gut bekommen würde.
„Geht klar. Ich setze mich an einen der hinteren Tische dort drüben. Trödel bitte nicht zu lange, okay?“
Gwen nickte und lief langsam zwischen den an der Essensausgabe anstehenden und ihr entgegenkommenden Menschen vorbei in Richtung Toiletten.
* * *
Als sie zurück in den Speisesaal kam, saß Jonathan schon bei Marah am Tisch. Als sie die beiden erreichte, sagte er gerade „Fünf Minuten, dann fahren wir weiter“, ehe er einen Schluck aus seiner Tasse nahm.
Sie ließ sich auf die Bank neben Marah sinken, die ein Pommes aufspießte und es sich in den Mund schob. „Ich habe dir Früchtetee geholt und etwas Laugengebäck.“
„Danke.“ Sie schlang ihre Finger um die wohlige Hitze der Tasse, nahm einen Schluck und riss sich ein Stück des Laugengebäcks ab. Da die Beißbewegungen ein wenig wehtaten, ging sie dazu über, sich ein kleines Stück in den Mund zu stecken und Tee nachzuspülen, damit das Backwerk weicher und leichter kaubar wurde.
„Wir fahren nach Italien“, sagte Jonathan plötzlich unvermittelt.
Gwen hielt, die Hand knapp vor dem Mund, inne. „Nach Italien? Warum? Was ist dort?“
„Dort gibt es ein abgelegenes Haus, in dem wir uns einrichten können. Der Standort ist vorteilhaft gewählt, um sich nicht mit massenhaftem Ansturm ungebetener Gäste herumschlagen zu müssen. Die würden sich wohl eher kältere und weniger sonnige Länder und Orte als Ausflugsziel auswählen. Hat mir zumindest jemand erzählt.“
Sie hätte gerne gewusst, wer dieser jemand war und was genau er mit dieser Aussage gemeint hatte, doch es gab lautere Fragen in ihrem Kopf. „Warum? Was … Vor wem bringt ihr mich eigentlich in Sicherheit? Wer ist uns“, sie korrigierte sich „mir auf den Versen?“
„Eigentlich solltest du uns das sagen“, warf Jonathan scharf ein. „Immerhin bist du es, die…“
„Jo!“ Marah schnitt ihm den Satz ab und warf ihm einen bösen Blick zu. „Gwen, hör zu: Hekate hat mich zu dir geschickt. Sie sagte, du würdest Hilfe brauchen. Weil du in der Klemme steckst und weil du in Gefahr bist, wegen deiner Aufgabe.“
„Meiner Aufgabe?“
„Ja. Weißt du etwas davon?“
Sie ballte die Fäuste. „Ja, allerdings nichts Genaueres. Ich hatte gesagt, ich würde Zeit brauchen. Ich wollte erst mein eigenes Leben wieder auf die Reihe kriegen …“ Sie verstummte.
„Nun, scheinbar hat sich etwas verändert. Andernfalls hätte mich Hekate nicht zu dir geschickt.“
„Woher kennst du sie?“
Marah senkte die Stimme. „Ich bin wie du, eine Hexe.“
„Du bist eine Hexe?“, entfuhr es ihr aufgeregt.
„Klar, brüll es ruhig laut aus. Drei Tische weiter hat dich noch keiner gehört“, fügte Jonathan schnippisch an.
Marah seufzte. „Wie ich schon sagte, ignorier ihn, wenn er so ist. Also: Du wusstest bis vor kurzem noch nichts von deiner Herkunft, oder?“
„Nein.“
„Ich werde dir alles erzählen, was ich weiß und ich werde dir so gut ich kann helfen wieder auf die Beine zu kommen und dein Potenzial zu schärfen.“
„So etwas hat Hekate auch gesagt“, entgegnete sie. „Aber was ist mein Potenzial?“
Marah lächelte. „Nun, das werden wir schon herausfinden.“
„Seid ihr nun soweit?“, fragte Jonathan ungeduldig. „Ich möchte weiterfahren. Wenn wir am Haus angekommen sind, könnt ihr so viel und so lange Informationen austauschen, wie ihr wollt. Von mir aus, fangt gleich im Auto damit an. Hauptsache wir machen uns wieder auf den Weg.“ Er kippte den Rest seines Kaffees hinunter, stand auf und lief zielstrebig auf den Ausgang zu.
„Hat er etwas gegen mich?“, fragte sie, während sie aus der Bank rutschte und Jonathan hinterher sah.
„Nein“, sagte Marah kopfschüttelnd, „das hat nichts mit dir persönlich zu tun. Es gibt andere Gründe, weswegen er sich so … nun ja, so verhält, wie er sich verhält. Er hatte letzthin keine einfache Zeit und obendrein liegt er mit sich selbst im Clinch, ob er wirklich hier bei uns sein will.“
* * *
„Ist alles in Ordnung?“ Marah drehte den Kopf und sah sie besorgt an.
„Übelkeit“, gab sie knapp von sich.
„Willst du was trinken? Ich habe ein paar Flaschen Wasser auf Reserve mitgenommen.“
Gwen nickte. „Ja, das wäre prima.“
Marah reichte ihr eine PET-Flasche und sie nahm einen großen Schluck. Die Autofahrt bekam ihrem Magen und Kopf nicht sonderlich gut. Eigentlich hatte sie noch Unmengen von Fragen im Kopf, doch jetzt war sie nur noch damit beschäftigt sich auf ihre Atmung zu konzentrieren und sich nicht zu übergeben. Die Antworten würden also warten müssen, bis sie angekommen waren und es ihr besser ging.
„Wie weit ist es noch?“, fragte sie leise.
„Jo?“ Marah sah erwartungsvoll nach vorne.
„Ich bin kein menschliches Navi.“
„Jo! Wie lange ungefähr?“
Einen Moment fokussierte er stumm die Straße, dann brummte er: „Eine halbe Stunde, schätze ich – vielleicht auch nur die Hälfte. Kommt drauf an, ob ich mich verfahre oder auf Anhieb hinfinde. Ich war länger nicht mehr hier.“
„Also gehört das Haus dir?“, frage Gwen etwas lauter.
„Nein. Derjenige, dem es gehört, lebt nicht mehr. Niemand außer mir und…“ Er brach ab. „Außer mir weiß niemand davon, was heißt, so lange ihr mich bei Laune haltet, ist es das perfekte Versteck.“