Читать книгу Der etwas andere Kurzgeschichten-Adventskalender - Sandra Bollenbacher - Страница 10

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Lisa Darling

PHASE

Ich wollte es ihm schon die ganze Zeit sagen. Immer wieder. Ich nahm es mir oft vor. Einfach, weil ich die Schnauze voll hatte und nie wusste, wie ich ihm gewisse Reaktionen von mir erklären sollte. Zum Beispiel, wenn ich irgendwann am Abend in Tränen ausbrach, nur weil er mich den ganzen Tag ignoriert hatte. Oder warum ich irgendwann so abweisend wurde zwischendurch, wenn wir zu dritt mit noch einem Mädchen umherliefen und ich die zwei dann immer nur kühl distanzierte. Oder weshalb ich manchmal einfach stumm wurde, ihn anzickte und keine Lust mehr hatte, mich mit ihm zu unterhalten. In Wahrheit war das immer, weil ich dann rasend vor Eifersucht war. Die anderen Mädchen bekamen so viel Aufmerksamkeit von ihm. In meinen Augen zumindest. Ich konnte nichts dafür. Ich war so. Ich versuchte jedes Mal, es zu unterdrücken, aber es klappte einfach nie. Die Eifersucht war da. Weil er mir was bedeutete. Vor einer Weile noch hatte ich mir immer eingeredet, dass ich bloß Angst hatte, ihn als Kumpel zu verlieren, wenn er irgendwann eine Freundin hatte. Das war in der Tat immer noch so. Aber zu der Zeit redete ich mir ein, dass das der einzige Grund für meine Reaktionen war. Jetzt wusste ich es besser. Und wie gesagt, ich wollte es ihm ständig sagen, weil ich es irgendwo in mir eigentlich schon längst wusste. Aber ich hatte dann immer die Hoffnung oder auch die Idee, dass es ja einfach nur so eine Phase von mir sein könnte, in der ich ihn eben gerade mal lieber mochte als sonst. Das musste ja nicht gleich Liebe sein! Das ging sicher wieder weg! Also ließ ich es jedes Mal bleiben und schwieg weiter und heulte viele Nächte zu Hause durch. Nicht, dass sich das ändern würde, wenn ich es ihm sagte. Er empfand nicht das gleiche für mich. Das wusste ich. Das hatte ich von anderen erfahren und wusste es auch einfach durch sein Verhalten. Weil ich ihn kannte. Warum also Gefühle entblößen, wenn sie vielleicht nicht einmal echt waren?

Außerdem kam zusätzlich noch die Angst hinzu, dass er sich mir gegenüber dann anders verhalten könnte. Vielleicht wäre er distanzierter oder würde sogar eine Weile gar nicht mehr mit mir sprechen, weil er mir keine Hoffnungen machen wollte!? Das war nämlich meine Art, auf so etwas zu reagieren. Ob ich es wollte oder nicht. Dieses Verhalten bei mir geschah einfach jedes Mal aufs Neue von ganz allein.

Irgendwann jedoch, vor gar nicht so langer Zeit, gab ich auf und stellte letzten Endes doch fest, dass so eine »Phase« nicht ein Jahr oder länger anhalten konnte, sondern dass da wirklich etwas sein musste. Und so gestand ich es mir ein. Kniff jedoch trotzdem jedes Mal, wenn ich drüber nachdachte, es ihm zu sagen. Vielleicht ahnte er es auch schon? Schließlich waren meine Reaktionen und Ausbrüche manchmal wirklich seltsam. Und ich wollte ständig bei ihm sein und war es auch, insofern es mir möglich war. Und dass ich ihn zumindest sehr gern mochte, war ihm sicher bewusst. Und mir war es auch bewusst, dass es ihm vermutlich bewusst war. Außerdem hakte er in letzter Zeit immer öfter nach, wenn ich mal wieder meine zehn Minuten hatte, in denen ich zickig wurde und ihn grundlos anblaffte. Okay, für mich gab es einen Grund, so sinnlos er auch war. Aber er wusste davon ja nichts. Dennoch hatte ich das Gefühl, er wollte etwas aus mir herauskitzeln. Ein Geständnis.

Irgendwann war es dann so weit, dass er danach ziemlich sauer auf mich war. Und es tat mir leid. Ich wollte nicht, dass er sauer auf mich war. Schon gar nicht wegen so einer Minilappalie. Ich vergrub mich mal wieder in meinem Kissen und heulte. Ich wollte mich entschuldigen, doch wusste nicht, wie. Er wollte wissen, warum ich denn so reagierte, und ich wusste keine Erklärung außer der einen.

Letztendlich entschloss ich mich dazu – mal wieder: Ich wollte es ihm sagen. Aber wie? Per E-Mail oder WhatsApp war mir zu unpersönlich. Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch und schrieb einen – leider ebenso unpersönlichen – Brief. Ich war so feige. Und ich hatte Angst. Ich wollte bei ihm vorbeifahren und ihm den Brief in die Hand drücken, damit es wenigstens eine kleine persönliche Note bekam. Ich würde es sicher eh nicht tun, da war ich mir sicher. Aber mein Unterbewusstsein ließ mich zittern. Kaum dass ich den Brief fertig und noch einmal gelesen hatte, zitterte ich am ganzen Leib. Und es hörte nicht auf, während ich mir Jacke und Schuhe anzog, den Autoschlüssel griff und den Brief einsteckte. Sogar beim Autofahren zitterte ich weiter und der Weg zu ihm war noch nie so lang gewesen. Zumindest nicht mit dem Auto. Ich schaltete das Radio ein. Es lief »Gewinner« von Clueso. Als ich am Vorabend schon einmal darüber nachdachte, es ihm zu sagen, ging ich gerade ins Bad, wo meine Mutter vergessen hatte, das Radio auszuschalten. Da lief das gleiche Lied.

Vor seinem Haus angekommen und ausgestiegen zitterte ich noch mehr und das nicht wegen des Schnees, der zu fallen begonnen hatte. Ich musste das in den Griff kriegen! So ging das nicht. Ich öffnete die Gartentür und atmete tief durch. Ich steuerte seine Haustür an und versuchte, das Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Ich klopfte an sein Fenster und stellte erst dann fest, dass die Haustür offen stand. Egal. So musste ich wenigstens nicht noch reingehen, sondern er kam an die Tür. Das erleichterte mir das Gehen. Er kam raus und ich konnte ihm kaum in die Augen sehen. Das Zittern hatte ich einigermaßen im Griff. Zumindest körperlich. Ich drückte ihm den Brief in die Hand und er fragte, warum ich hier sei und ob zu Fuß. Ich fasste meine Antworten kurz, da nun meine Stimme bebte und er das auf keinen Fall mitbekommen sollte, und war auch bei den letzten Worten schon wieder um die Ecke verschwunden. Ich musste weg. Ich musste ganz schnell weg!

Ich wusste, dass es nicht passieren würde, aber insgeheim hoffte ich doch, dass er mir folgen würde. Also drehte ich mich zwei Mal heimlich um. Aber ich behielt recht. Leider …

Die Gartentür wieder geschlossen und das Auto geöffnet, klingelte mein Handy. Ich setzte mich ins Auto und zog es mit zittrigen Händen hervor. Auf dem Display stand sein Name. Ich starrte es an. Ging ich ran? Ging ich nicht ran? Meine Stimme bebte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, falls ich überhaupt ein Wort herausbekommen würde. Und außerdem hatte ich das Gefühl, dass er eh nur fragen wollte, ob ich ihn verarschte. Das konnte ich mir sparen. Ich steckte das Handy also klingelnd wieder ein und startete den Motor. Ich fuhr los und drehte das Radio auf, während das Handy sich ausklingelte. Es lief immer noch Clueso. Ich hab’ mal ein Buch gelesen, in dem ging es um einen Mann, der entführt wurde. Er und sein Geiselnehmer fuhren quer durchs Land mit dem Auto und immer lief die passende Musik zur passenden Situation im Radio. Er glaubte nicht an Gott. Aber er glaubte trotzdem, dass Gott ein DJ sein musste. Daran musste ich in diesem Moment denken. Vor allem, als danach »Don’t speak« von No Doubt lief. Zufall? Schicksal? Ich schätze, ich glaube nicht ans Schicksal …

Als das Lied endete, fuhr ich unsere Auffahrt rauf und stieg aus dem Auto. Ich zitterte immer noch. Aber nur leicht. Ich wusste, dass er mir in WhatsApp geschrieben haben musste, schließlich hatte ich gerade all meinen Mut zusammengenommen, um ihm etwas zu sagen, was mich schon sehr lange bedrückte. Und ich war nicht ans Telefon gegangen.

Als ich mein Zimmer erreichte, versuchte ich so ruhig wie möglich zu sein. Ich zog mich langsam wieder um, ging noch einmal auf Toilette und las erst alle anderen Nachrichten, die ich in der Zwischenzeit bekommen hatte. Doch irgendwann musste ich ja lesen, was er geschrieben hatte. Und ich wollte es auch.

Ich atmete also nochmal tief durch und tippte schließlich auf seinen Namen. Er hatte nur einen einzigen Satz geschrieben:

»Na endlich sprichst du es mal aus.«

Der etwas andere Kurzgeschichten-Adventskalender

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