Читать книгу Der etwas andere Kurzgeschichten-Adventskalender - Sandra Bollenbacher - Страница 8

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Lisa Darling

I’M DREAMiNG oF …

Margret Adelaide van Huston verließ tropfend die Badewanne. Das frisch gewaschene Handtuch um ihren Körper schlingend betrachtete sie sich im letzten Fleck Spiegel, der es geschafft hatte, nicht zu beschlagen.

»I’m dreaming of a white Christmas …«

Leise sang sie »White Christmas« vor sich hin. Schon als Kind war »Weiße Weihnachten« stets der Film gewesen, den sie traditionsgemäß geschaut hatten, wenn sie an Weihnachten zu ihrem Vater ins Hotel kamen. In diesem Film wurde das Lied gesungen und auch heute noch verband sie es darum mit Weihnachten im Hotel.

Früher, als ihr Vater gerade sein Hotel-Imperium aufgebaut hatte, arbeitete er so viel, dass sie und ihre Mutter regelmäßig in einem der Zimmer gewohnt hatten, um öfter bei ihm sein zu können. Und immer wieder hatten sie dort diesen Film angeschaut.

Margret hatte es im Hotel stets gefallen und ganz oft gespielt, sie würde dort arbeiten. Und als sie erwachsen wurde, hatte sie tatsächlich Hotelfachfrau gelernt und ein Studium drangehängt, um später das Imperium ihres Vaters zu übernehmen.

Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, schlüpfte sie in ihren Morgenmantel und band ihr noch feuchtes Haar zu einem Dutt zusammen. Sie hatte nicht vor, das Hotelzimmer heute Abend noch einmal zu verlassen. Es war schon spät und sie musste am nächsten Tag früh raus, denn ein wichtiger Termin mit dem aktuellen Leiter dieses Hotels erwartete sie. Dafür wollte sie selbstverständlich fit sein, denn dies würde ein wichtiger Deal für die Van-Huston-Hotelkette werden.

Noch immer leise summend ließ sie sich auf dem Bett nieder und schaltete den Fernseher ein. Das Zimmer war viel zu groß für sie, doch ihr Vater war stets großzügig und spendierte ihr jedes Mal eine Suite, wenn sie im Außendienst unterwegs war.

Während sie durch das Fernsehprogramm zappte, klopfte es zwei Mal an der Tür.

»Zimmerservice«, drang eine dumpfe Stimme zu ihr hinein.

Nanu? Jetzt wollte jemand putzen? Das war aber ungewöhnlich. Möglicherweise stand jedoch auch nur ein Azubi vor der Tür, der noch mit den richtigen Begriffen haderte. Sie sollte einfach mal nachschauen, was es gab. Vielleicht überbrachte der Hotelchef ja eine Nachricht bezüglich des anstehenden Termins für sie.

Margret legte die Fernbedienung weg, band ihren Morgenmantel fester zu und öffnete die Tür einen Spalt breit. Davor stand ein junger Mann in einer der Room-Service-Uniformen des Hotels und hatte einen Servierwagen dabei.

»Oh, Room Service«, korrigierte sie ihn subtil und lächelte. »Das ist sehr freundlich, aber ich hab’ doch gar nichts bestellt. Sie haben sich sicher an der Tür geirrt.«

»Das ist eine kleine kulinarische Aufmerksamkeit von einem Hotelgast für Sie«, lächelte der junge Mann zurück. Er wirkte nervös. Anscheinend war er wirklich noch neu. Doch das war völlig in Ordnung für Margret. Jeder fing mal an.

»Oh, wie schön!« Bestimmt war das von dem netten Herrn, den sie am vorherigen Abend an der Hotelbar kennen gelernt hatte. Er hatte ganz schön mit ihr geflirtet! Sie musste jedoch zugeben, dass sie nicht ganz abgeneigt war. Der Herr war nämlich sehr charmant gewesen und hatte zum Abschied gesagt, dass er sie gerne wiedersehen würde. Dies hier war sicher eine kleine Aufmerksamkeit von ihm, um in ihrem Gedächtnis zu bleiben.

Lächelnd öffnete Margret die Tür nun ganz und ließ den jungen Room Boy herein. Dieser schob einen Wagen ins Zimmer, welchen er am Tisch abstellte. Hinter ihm schloss Margret die Tür wieder, da sie davon ausging, dass der junge Mann das Mitgebrachte gleich anrichten würde, und sie mochte es nicht, wenn fremde Gäste in ihr Zimmer sehen konnten. Schon gar nicht, wenn sie nur in einen Morgenmantel gekleidet war.

Sowie sie sich umdrehte, stand jedoch ein zweiter, etwas älterer Mann neben dem ersten. Im Gegensatz zu dem korrekt uniformierten jungen Mann war dieser in Jeans und Flanellhemd gekleidet. Seine Haare wirkten ein wenig störrisch und seine Kleidung so, als trüge er sie schon weitaus länger als nur einen Tag. Erschrocken sog Margret die Luft ein.

»Was zum –«, setzte sie an, doch der jüngere Mann unterbrach sie.

»Es tut mir leid, dass wir Sie belästigen müssen, aber Sie müssen uns helfen!« In seiner Stimme lag ein Flehen, in seinen Augen Verzweiflung.

»Aber ich kenne Sie doch gar nicht!«

»Das stimmt, aber … Sie könnten Leben retten!« Es ertönten laute, schnelle Schritte auf dem Flur und Türknallen. Die Männer schauten erschrocken auf die Tür hinter Margret. »Die da draußen wollen uns töten! Können Sie uns verstecken?«

»Bitte!«, setzte der Ältere im Flanellhemd flehend hinzu.

»Aber –« Margret befand sich im Zwiespalt. Diese Männer schienen es ernst zu meinen und tatsächlich Hilfe zu benötigen. Doch würde sie sich selbst nicht auch in Gefahr begeben, würde sie ihnen helfen? Wollte sie das wirklich riskieren? Für zwei Fremde?

Hin- und hergerissen stand sie vor ihnen, während die Schritte im Flur näher kamen und Rufe von tiefen Männerstimmen ertönten.

»Schnell!«, sagte sie nun entschlossen. »Einer von Ihnen kann in den Kleiderschrank, der andere …« Suchend blickte sie sich um. »Dort!« Sie deutete auf den schweren, dunkelroten Vorhang am Fenster. Mit dankenden Blicken nickten ihr die Männer zu und versteckten sich. Keine Minute zu spät, denn prompt in diesem Moment pochte es an der Tür ihrer Suite. Margret schluckte und bemühte sich um Contenance. Sie atmete tief ein, ehe sie schließlich die Tür öffnete und zwei großen, stämmigen Männern in dunklen Anzügen entgegenblickte, die Pistolen im Anschlag hielten.

»Ma’am.« Einer der Männer mit einer Glatze nickte ihr zu.

»Wie kann ich Ihnen helfen?« Sie bemühte sich, möglichst unschuldig und verwirrt zu wirken.

»Wir suchen zwei Männer«, antwortete der Zweite, der im Gegensatz zu dem Glatzköpfigen volles, dunkles Haar hatte, das sich auf seinem Kopf nur so kräuselte. »Sie halten sich gerade in diesem Hotel auf, darum müssen wir Ihr Zimmer durchsuchen.« Noch ehe Margret reagieren konnte, bahnten die Männer sich einen Weg an ihr vorbei in die Suite.

»Ich muss doch bitten, ich habe nicht –«

»Ma’am, wir haben einen Durchsuchungsbefehl. Diese Männer sind schwer bewaffnet und höchst gefährlich.«

Gefährlich? Margrets Augen wurden groß und sie grübelte, welche dieser Männer logen. Wem sollte sie Glauben schenken? Half sie gerade möglicherweise den Falschen?

Die Männer in Anzügen durchsuchten jeden Winkel ihrer Suite auf leisen Sohlen, die Pistolen erhoben.

Wer sprach die Wahrheit? Wer brauchte wirklich Hilfe? Ängstlich schlang sie die Arme um ihren Körper. Wo war sie hier nur hineingeraten? Gerade noch hatte sie friedlich und ahnungslos etwas Fernsehen schauen wollen und nun stand sie zwischen zwei ihr unbekannten Fronten und musste sich für die richtige entscheiden. Eine Entscheidung, die möglicherweise über Leben und Tod richten würde.

»Wenn Sie etwas gesehen haben, dann verraten Sie es uns.« Der Lockenkopf war zurückgekehrt und schaute Margret ernst an. »Sollten Sie diese Männer bewusst versteckt halten, machen Sie sich strafbar.«

»W-was haben sie denn getan?«, erkundigte sie sich unsicher.

Die Pistole noch immer im Anschlag antwortete er: »Sie schleichen sich als Zimmerservice verkleidet in Hotelzimmer und rauben deren Bewohner aus. Und wenn diese anwesend sein sollten«, der Mann fuhr sich ausdruckslos mit dem Finger über die Kehle, »bye, bye.«

Margrets Kinnlade klappte unwillkürlich nach unten. Als sie dies bemerkte, schloss sie ihren Mund wieder und versuchte, sich zu sammeln. Sie hatte soeben zwei Diebe und Mörder in ihr Zimmer gelassen? Natürlich musste sie diese verraten, sonst würde sie das nächste Opfer sein, sobald die Männer im Anzug das Zimmer wieder verließen, ohne die beiden falschen Hotelmitarbeiter aufgespürt zu haben. Und sie würden sie doch nicht anlügen, oder? Sie wirkten so seriös in ihren Anzügen, wie sie die Zimmer ihrer Suite durchsuchten. Doch die beiden vom angeblichen Room Service hatten so aufrecht gewirkt. Der flehende Ton, die Verzweiflung in ihren Augen. Als würden sie ebenfalls auf Leben und Tod verfolgt.

»Ma’am?« Die tiefe Stimme des Gelockten holte sie zurück. »Haben Sie die beiden nun gesehen oder nicht?«

Margret rang mit sich, doch schließlich hob sich ihr Arm beinahe wie von alleine und deutete zuerst auf den Kleiderschrank, dann auf den dunkelroten Vorhang.

Dankend – so nahm Margret an – nickte der Lockenkopf ihr zu und blickte zur Tür, in der soeben sein Kollege wieder erschienen war. Mit dem Kopf deutete er diesem die Verstecke an und nach einer kurzen, stummen Absprache traten sie leise auf den Vorhang und den Kleiderschrank zu. Margret biss die Zähne fest aufeinander und wich zurück. Wie automatisch hielt sie die Luft an, als sich die Hände der Agenten – waren es Agenten? – der Schranktür und dem Vorhang näherten. Als hätten sie gemeinsam stumm bis drei gezählt, zogen sie zugleich beides auf und mit einem Mal schossen die zwei Gesuchten an ihnen vorbei in Richtung Tür.

»Stehen geblieben, ihr Bastarde!«, brüllte der Lockenkopf und setzte ihnen hinterher. Der Glatzkopf tat es ihm nach, wobei er Margret unwirsch zur Seite stieß. Sie brüllten, trampelten und kurz darauf fielen Schüsse. Jemand schrie und als Margret in den Flur blickte, lagen die zwei Geflüchteten auf dem Boden. Blut quoll aus den Schusswunden an ihren Köpfen. Das alles war so furchtbar schnell passiert, dass die Informationen einen Moment brauchten, bevor sie in ihr Gehirn vordrangen.

Der Glatzköpfige beugte sich hinunter und überzeugte sich vom Tod der Männer.

Wo waren eigentlich die anderen Hotelgäste? Mussten sie nicht aufgewacht sein von dem Lärm? Sicher traute sich niemand hinaus. Margret atmete tief ein und aus, während der Lockenkopf auf sie zukam und zufrieden grinste.

»Danke, Püppchen. Du hast uns soeben geholfen, zwei unserer drei letzten Zeugen auszuschalten.«

Der Glatzkopf lachte und kam nun ebenfalls zurück zur Suite gelaufen.

»Zeugen?« Margret war völlig von der Rolle.

»Und jetzt bist nur noch du übrig.« Rabiat packte der Lockenkopf sie am Arm und zwang sie im Zimmer auf einen Stuhl, wo er sie mit der Kordel des dunkelroten Vorhangs festband. Sie zappelte und wand sich, doch gegen diesen Schrank von Mann hatte sie keinerlei Chance. Während sie festgebunden wurde, durchsuchte der Glatzkopf ruppig ihre Schränke und sammelte alles ein, was wertvoll aussah. Da ging Margret ein Licht auf: Nicht die toten Männer im Flur waren die Diebe und Mörder gewesen, sondern die Männer, die sie für Agenten gehalten hatte.

»Und jetzt, Püppchen, sag bye, bye.«

Der Lockige entsicherte seine Pistole und noch ehe Margret einen klaren Gedanken fassen konnte, ertönte ein ohrenbetäubender Knall.

Erschrocken fuhr Margret hoch und blickte sich in der Suite um. Alles war ordentlich und hinter dem dicken Vorhang blitzten die ersten milchigen Sonnenstrahlen durch dick fallende Schneeflocken hindurch. Im Fernsehen lief die Wiederholung eines Krimis, in dem gerade wild herumgeballert wurde. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits halb neun war. Margret merkte, dass sie nur geträumt haben musste, und lachte erleichtert auf.

Ein Traum. Alles bloß ein Traum! Gott sei Dank.

Seufzend schaltete sie den Fernseher aus und stand auf, um sich schnell für das Frühstück und den anschließenden Termin fertig zu machen.

Verrückt. Sicher hatte ihr Unterbewusstsein irgendwie den Krimi mitverarbeitet.

Zufrieden und erleichtert, dass sie lebendig und alles wie immer war, fuhr sie mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss. Lächelnd betrat sie den Frühstücksraum und stutzte, als ihr zwei Männer in dunklen Anzügen entgegenkamen. Einer hatte eine Glatze, einer dunkles, lockiges Haar.

»Morgen, Püppchen«, grinste der Lockenkopf und beide zogen dunkle Sonnenbrillen auf, als sie den Raum verließen.

Der etwas andere Kurzgeschichten-Adventskalender

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