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8. Kapitel

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Thamsen hatte noch keinen Anhaltspunkt, warum Tatjana Lieberknecht tot in diesem Haus gelegen hatte. Wer hatte die Frau dort hingebracht? Oder war sie freiwillig zu dem Haus gekommen? Hatte jemand sie hingelockt?

Er ging davon aus, dass sie ermordet worden war, und erwartete diesbezüglich keine Überraschung durch die Obduktion, wohl aber neue Erkenntnisse.

Die Husumer würden sich in die Ermittlungen – Kapitalverbrechen hin oder her – nicht sonderlich einbringen, daher brauchte er Hinweise, um den Fall aufzuklären. Er wollte keinen ungeklärten Mordfall in seinem Bereich. Er wollte die Welt ein Stück weit sicherer machen, deshalb war er Polizist geworden.

Oftmals kam der Täter aus dem näheren Umfeld des Opfers, daher war die Benachrichtigung der Angehörigen enorm wichtig, um sich einen Eindruck über die Verhältnisse des Opfers zu machen. Erschwerend in diesem Fall kam jedoch hinzu, dass Tatjana Lieberknecht erwachsen war und nicht mehr zu Hause wohnte. Hatten die Eltern ihre Tochter öfter in Niebüll besucht? Kannten sie ihr Umfeld, ihre Freunde? Was wussten die Eltern von der Tochter? Das galt es nun herauszufinden. Er hoffte, dass sie ihm mehr Informationen liefern konnten als Haie. Obwohl dieser Tür an Tür mit der Frau gewohnt hatte und seine Nase stets in fremde Angelegenheiten steckte, konnte er ihm kaum Nützliches liefern.

Thamsen fuhr auf der B 5 Richtung Bredstedt und fühlte sich plötzlich unendlich müde. Wobei müde nicht direkt den Zustand traf, in dem er sich befand. Es war eher so etwas wie Hilflosigkeit und ein Erschrecken darüber, dass in seiner Heimatstadt schon wieder ein Verbrechen passiert war, dass in solch einer friedlichen Gegend jemand einen grausamen Tod gefunden hatte. Wie der Schein trügen konnte. Die weite Landschaft, die so idyllisch wirkte, der hohe Himmel, der endlos schien, die friedlich grasenden Schafe, im Hintergrund die stetig rotierenden Windräder – all das konnte ihn in diesem Moment nicht von dem Gedanken ablenken, dass ein Mensch einem anderen das Leben genommen hatte. Und zwar nicht irgendwo in New York oder Kapstadt, sondern nur wenige Kilometer entfernt von dem Ort, an dem er mit seiner Familie lebte.

Er hielt vor einem kleinen Einfamilienhaus am Rande der nordfriesischen Kleinstadt und starrte zur Eingangstür hinüber. Was sollte er sagen? Worte zu finden für solch eine grausame Nachricht, fiel sicherlich jedem schwer, aber ihm ganz besonders. Er war einfach nicht gut in solchen Dingen – noch nie gewesen – und doch wusste er, wie enorm wichtig dieser Besuch war. Für alle Beteiligten.

Er stieg aus und ging langsam auf den Eingang zu. Das Haus wirkte sehr gepflegt, obwohl es der Bauart nach zu urteilen aus den Fünfziger-, vielleicht Sechzigerjahren stammte. Er mochte diese Art von Häusern, war selbst in einem ähnlichen groß geworden. Seine Mutter hatte, bis sie vor Kurzem in eine betreute Wohnanlage gezogen war, noch in seinem Elternhaus gewohnt. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, das Haus zu verkaufen, obwohl klar war, dass sie nicht zurückziehen würde können. Und für Dörte, ihn und die Kinder war es zu klein, zu beengt. Trotzdem hatte er es zunächst vermietet, bis er sich eines Tages davon würde ganz lösen können.

Thamsen holte tief Luft, ehe er den Klingelknopf neben dem Namensschild mit dem Schriftzug »Lieberknecht« drückte.

Zunächst tat sich nichts, dann hörte er Schritte und kurz darauf öffnete eine ältere Frau mit zerzausten Haaren die Tür.

»Frau Lieberknecht?«, erkundigte er sich zunächst.

»Ja?« Sie blinzelte ihn aus schmalen Augen an.

»Mein Name ist Dirk Thamsen von der Polizei Niebüll.«

»Polizei?« Augenblicklich huschte ein Schatten über ihr Gesicht.

»Frau Lieberknecht, ich habe Ihnen eine traurige Nachricht zu überbringen. Ihre Tochter wurde heute …«

»Oh nein«, schluchzte sie auf und geriet ins Wanken. Thamsen trat schnell neben die Frau und stützte sie. Er bemerkte, wie sie zu zittern begann.

»Kommen Sie«, sagte er und führte sie am Arm ins Haus.

Im Flur verschaffte er sich kurz einen Überblick. Das Haus war ähnlich angelegt wie sein Elternhaus. Er führte Frau Lieberknecht in die Küche, wo er sie auf einen Stuhl bugsierte. Aus einem Küchenschrank nahm er ein Glas und füllte Wasser hinein.

»Trinken Sie einen Schluck«, forderte er sie mit einem Kopfnicken auf.

Frau Lieberknecht klammerte sich an das Glas, während sie gierig trank, als könne sie die schlechte Botschaft so hinunterspülen. Dirk beobachtete die Frau, die sich langsam etwas beruhigte.

»Sind Sie allein zu Hause?«

»Ja.« Ihre Antwort war nur ein Flüstern.

»Soll ich jemanden anrufen für Sie? Kann jemand kommen?«

»Meinen Sohn vielleicht? Seine Nummer steht in dem kleinen roten Buch, das neben dem Telefon im Flur liegt.«

Er warf ihr einen letzten Blick zu, ehe er sich umdrehte und zum Telefon ging. Schnell hatte er in dem abgegriffenen Notizheft die Nummer gefunden. Der Vorwahl nach lebte der Sohn in Flensburg. Er tippte die Nummer auf seinem Handy ein.

»Hallo?«, meldete sich wenig später ein Mann.

»Thamsen, guten Tag, spreche ich mit Herrn Lieberknecht?«

»Ja, wieso?«

»Ich bin hier bei Ihrer Mutter, und es wäre gut, wenn Sie zu ihr kommen könnten. Ist das möglich?«

»Ist was passiert? Geht es ihr gut?«

»Nun«, druckste Thamsen herum. Am Telefon fiel es ihm noch schwerer, die Trauerbotschaft zu überbringen. »Es geht, also, wir haben Ihre Schwester heute tot aufgefunden.«

»Was, aber wie …« Die Stimme am anderen Ende der Leitung brach ab.

»Wir ermitteln natürlich, aber momentan sieht es so aus, dass wir es im Fall Ihrer Schwester mit einem Kapitalverbrechen zu tun haben.«

»Mord?«

Thamsen nickte, obwohl ihm bewusst war, dass sein Gesprächspartner ihn nicht sehen konnte. »Haben Sie eine Vermutung, wer Ihrer Schwester das angetan haben könnte?«

»Tatjana? Nein, wer sollte ihr etwas antun wollen? Sie ist überall sehr beliebt, jeder mag sie.«

»Wie eng ist denn Ihr Kontakt?« Thamsen wusste, dass ein gutes Geschwisterverhältnis nicht selbstverständlich war.

»Wir verstehen uns gut – klar, wir sehen uns nicht oft, aber wir telefonieren regelmäßig.«

Dirk überlegte. So regelmäßig konnten die Telefonate nicht stattgefunden haben. Tatjana war über mehrere Tage nicht erreichbar gewesen. War dem Bruder das nicht aufgefallen?

»Können Sie denn zu Ihrer Mutter kommen? Es wäre gut, wenn sie jetzt nicht alleine wäre.«

»Selbstverständlich, aber es dauert einen Moment. Vielleicht kann eine Nachbarin so lange …?«

Besonders eilig hatte es der Sohn also nicht. Die Fahrt von Flensburg hierher dauerte keine Stunde. »Ich höre mich um«, entgegnete Thamsen und legte auf.

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